L 16 AS 270/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 AS 519/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 270/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 47/08 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. I
II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind zuletzt noch die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.10.2005 bis 30.11.2005 wegen Anrechnung einer Abfindung sowie die Rückforderung des dadurch entstandenen Überzahlungsbetrages von EUR 1.064,82 streitig.

Der 1968 geborene Kläger ist seit Juli 2003 arbeitslos. Er bezog bis 24.06.2004 Arbeitslosengeld. Am 05.04.2005 schloss er vor dem Arbeitsgericht München mit seinem ehemaligen Arbeitgeber einen Vergleich, wonach dieser ihm EUR 6.500,- als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß §§ 9,10 KSchG, § 3 Ziff. 9 EStG zu zahlen hat. Er wohnte bis 31.12.2005 zusammen mit dem 1973 geborenen C.G.in einer 65 Quadratmeter großen Wohnung in München, für die ein Mietzins in Höhe von EUR 670, Nebenkosten in Höhe von insgesamt EUR 150 und Heizkosten in Höhe von EUR 39,74 monatlich zu entrichten waren.

Am 11.07.2005 beantragte er bei der Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). In dem Antrag gab er seine Forderung aus dem o.g. gerichtlichen Vergleich an. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 22.07.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 11.07.2005 bis zum 31.07.2005 in Höhe von EUR 525,08 (anteilig für 21 Tage) und für die Zeit vom 01.08.2005 bis 31.01.2006 in Höhe von monatlich EUR 750,12 (Regelleistungen in Höhe von EUR 345,- und Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von EUR 405,12).

Am 28.12.2005 beantragte der Kläger die Fortzahlung des Arbeitslosengeldes II; Änderungen in den Einkommensverhältnissen verneinte er. Aus den von der Beklagten angeforderten Kontoauszügen der letzten drei Monate vor Stellung des Folgeantrags ergab sich, dass am 27.10.2005 EUR 1.750,- und am 23.11.2005 EUR 2.000,- auf das Konto des Klägers im Rahmen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hinsichtlich dessen Abfindungsanspruchs überwiesen worden sind. Die Beklagte hob daher mit Bescheid vom 17.01.2006 ihren Bescheid vom 22.07.2005 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab 01.10.2005 bis zum 30.11.2005 gemäß § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf und forderte vom Kläger die Rückzahlung der für diesen Zeitraum erbrachten Leistungen in Höhe von EUR 1.500,24 (Regelleistungen in Höhe von EUR 690 und Kosten der Unterkunft in Höhe von EUR 810,24). Als Zeitpunkt der Änderung gelte der Beginn des Monats, in dem das Einkommen zugeflossen sei (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-Verordnung).

Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Anrechnung des gezahlten Abfindungsbetrags auf seine Leistungen. Denn die erfolgten Gutschriften hätten auf Vollstreckungsmaßnahmen beruht, die Abfindung sei für das mit Ablauf des 30.06.2003 beendete Arbeitsverhältnis gezahlt worden und der Abfindungsanspruch sei bereits vor der Geltung des SGB II fällig geworden. Auch handle es sich bei der Abfindung um eine Entschädigung.

Die Beklagte half dem Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2006 insoweit ab, als sie unter Beachtung der Vorschrift des § 40 Abs.2 Satz 1 SGB II den Erstattungsbetrag auf EUR 1.084,44 reduzierte. Dabei legte sie den monatlichen Kosten der Unterkunft eine Grundmiete in Höhe von EUR 345,- sowie Betriebskosten in Höhe von EUR 44,12 zugrunde (44 Prozent aus dieser Summe = EUR 171,22). Kosten für Heizung (ohne Warmwasser) veranschlagte sie mit EUR 26,- monatlich. Im Übrigen wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Bei den am 27.10.2005 und am 23.11.2005 erfolgten Zahlungen habe es sich um einmaliges Einkommen im Sinn des § 11 Abs.1 SGB II gehandelt, das von dem Monat an zu berücksichtigen sei, in dem es zufließe (§ 2 Abs.3 Satz 1 Alg II-Verordnung vom 20.10.2004). Dies bedeute, dass sich im November und Dezember 2005 bei Anrechnung dieser Einkünfte kein Arbeitslosengeld II errechne. Es spiele keine Rolle, für welchen Zweck und für welchen Zeitraum diese Zahlungen geleistet worden seien. Ausschlaggebend sei die Tatsache, dass diese Beträge in den genannten Monaten überwiesen worden seien und in dieser Zeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts hätten verwendet werden können.

Zur Begründung der dagegen vor dem Sozialgericht München erhobenen Klage trug der Kläger ergänzend vor, dass er sich mit der vollstreckbaren Ausfertigung des arbeitsgerichtlichen Vergleichs de facto bereits im Besitz der Abfindungssumme befunden habe. Der Freibetrag in Höhe von EUR 8.150,- sei durch die gezahlte Abfindung zusammen mit seinem Bargeld in Höhe von EUR 300,- nicht überschritten, so dass keine Anrechnung der Abfindung auf seine Leistungen erfolgen dürfe.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 13. Juli 2007 ab. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III seien erfüllt. Die im Oktober und November 2005 erfolgten Abfindungszahlungen hätten zum Wegfall des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld II im Oktober und November 2005 geführt, weil sie als Einkommen zu qualifizieren sowie zu berücksichtigen seien und nicht anrechnungsfrei i.S.d. § 11 Abs.3 Nr. 1 SGB II seien. Die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen erfolge nach der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zur Sozialhilfe entwickelten Zuflusstheorie, weil die Regelung der §§ 11 ff. SGB II im Wesentlichen den Bestimmungen des Sozialhilferechts entspräche. Einkommen sei das, was der Hilfebedürftige im laufenden Leistungsbezug dazu erhalte, und Vermögen sei das, was er vor Beginn des Leistungsbezugs bereits habe (BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 35/97). Bei der Erfüllung von Geldforderungen stehe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der tatsächliche Zufluss gegenüber der ihm zugrunde liegenden Forderung im Vordergrund. Die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen hänge daher davon ab, ob die Forderung aus bewusst angespartem vormaligem Einkommen stamme - Vermögen - oder ob der Grund der Forderung nicht realisierte Einnahmen seien - Einkommen -. Die Abfindungszahlungen an den Kläger seien als Einkommen zu qualifizieren, weil die zeitliche Verzögerung der Erfüllung des Abfindungsanspruchs nicht auf einer freien Willensentscheidung des Klägers, sondern einzig darauf beruht habe, dass der Abfindungsanspruch erst durch Vollstreckungsmaßnahmen gegen den ehemaligen Arbeitgeber durchgesetzt habe werden können. Da es allein auf den tatsächlichen Zuflusszeitpunkt ankomme, könne auch nicht unter Gleichheitsaspekten gerügt werden, dass die Abfindungszahlungen Vermögen gewesen wären, wenn sie früher zugeflossen wären. Denn entscheidend sei, ob das Einkommen im Bedarfszeitraum zur Bedarfsdeckung zur Verfügung gestanden habe (BayLSG, Urteil vom 31.08.2006, Az. L 7 AS 9/06). Die Abfindungsleistungen seien auch nicht nach § 11 Abs.3 Nr. 1 SGB II anrechnungsfrei, weil zwischen der gezahlten Abfindung und dem Arbeitslosengeld II eine Zweckidentität bestehe. Zwar habe das Bundessozialgericht früher eine vom Arbeitsgericht festgesetzte Abfindung ausschließlich für den Verlust des Arbeitsplatzes als Leistung zum Ersatz eines Schadens nicht als Einkommen angerechnet. Eine den Bestimmungen des § 138 Abs.3 Nr. 6 AFG bzw. § 194 Abs.3 Nr. 7 SGB III vergleichbare Regelung sei jedoch weder in das SGB II noch in die Alg II-VO aufgenommen worden. Nicht zu beanstanden sei schließlich die von der Beklagten vorgenommene Aufteilung der Abfindung nach § 2 Abs. 3 Satz 3 ALG II-VO in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung. Die Beklagte habe schließlich die zu erstattenden Leistungen unter Berücksichtigung von § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II korrekt berechnet.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt mit der Begründung, dass der vom Sozialgericht zitierten Entscheidung des BVerwG, bei der die Qualifizierung einer Steuererstattung streitig gewesen sei, nicht gefolgt werden könne. Denn wenn der Steuererstattung Werbungskosten durch Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte zu Grunde lägen, könnte dieser Steuererstattungsanspruch dadurch freiwillig angespart sein, dass der Steuerschuldner diese Werbungskosten nicht als Freibeträge auf der Lohnsteuerkarte eintragen lasse. Ferner habe er mit dem arbeitsgerichtlichen Vergleich einen vollstreckbaren Titel und so einen Vermögens- und Wertgegenstand gleich einer Aktie bereits vor Inkrafttreten des SGB II erworben; diesen Titel hätte er vor diesem Zeitpunkt an ein Inkassounternehmen verkaufen können. Auch läge den Vollstreckungsmaßnahmen eine freie Willensentscheidung zu Grunde, weil er seinen Titel 30 Jahre lang vollstrecken könne. Dass das SGB II keine den Regelungen des § 138 Abs.3 Nr. 6 AFG und § 194 Abs.3 Nr.7 SGB III entsprechende Vorschriften enthalte, sei wegen Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verfassungswidrig. Schließlich stelle die Anrechnung der Abfindungszahlungen auf seine Leistungen für den Kläger eine besondere Härte dar. In den Durchführungshinweisen zum SGB II zu § 11, Nr. 4.2 einmalige Einnahmen, Rdnr. 11.58 seien etwa die Nachzahlung auf Grund eines Klageverfahrens erst während der Bedarfszeit und die Nachzahlung einer Sozialleistung für einen Zeitraum vor Inkrafttreten des SGB II wegen einer Säumnis des Leistungsträgers als besondere Härtefalle genannt. Bei diesen Beispielen sei der Anspruch auf die Leistung jeweils bereits vor der Bedarfszeit entstanden und die Zahlung sei auf Grund nicht vom Antragsteller zu beeinflussender Faktoren erst während der Bedarfszeit erfolgt.

Auf das gerichtliche Schreiben vom 06.11.2007 an die Beklagte hin, dass diese ihrer Erstattungsforderung Heizkosten ohne Warmwasser in Höhe von EUR 26,- statt der tatsächlichen Kosten in Höhe von EUR 16,35 zu Grunde gelegt habe und daher statt der geforderten EUR 1.084,44 nur EUR 1.064,82 beanspruchen könne, hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben mit dem Inhalt, dass der Gesamterstattungsbetrag auf EUR 1.064,82 korrigiert werde, das der Kläger angenommen hat.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.07.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 17.01.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2006 und des Teilanerkenntnisses vom 13.11.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung ist gemäß §§ 143,151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 17.01.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2006 und des Teilanerkenntnisses vom 13.11.2007 ist nicht zu beanstanden. Der Kläger kann nicht verlangen, dass die Abfindungszahlungen bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II in der Zeit vom 01.10.2005 bis 30.11.2005 nicht angerechnet werden.

1. Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Abs.4 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III für die Aufhebung des Bescheides vom 22.07.2005 durch den angefochtenen Bescheid vom 17.01.2006 sind erfüllt. Das insoweit gemäß § 24 Abs.1 SGB X erforderliche Anhörungsverfahren wurde im Widerspruchsverfahren nachgeholt im Sinn des § 41 Abs.1 Nr. 3, Abs.2 SGB X.

Der Bescheid vom 22.07.2005 ist nachträglich durch die am 27.10.2005 in Höhe von EUR 1.750,- und am 23.11.2005 in Höhe von EUR 2.000,- erfolgten Abfindungszahlungen rechtswidrig geworden, weil der Kläger infolge dieser als Einkommen zu berücksichtigenden Abfindungszahlungen in diesen beiden Monaten nicht mehr hilfebedürftig i.S.d. § 9 Abs.1 SGB II war.

a) Diese Abfindungszahlungen sind als Einnahmen in Geld, die von § 11 Abs.1 Satz 1 1. Halbsatz SGB II als Einkommen erfasst werden und nicht den Ausnahmetatbestand des § 11 Abs.1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II erfüllen, und nicht als Vermögen i.S.d. § 12 SGB II - mit einem den Abfindungsbetrag übersteigenden abzusetzenden Grundfreibetrag - zu qualifizieren. Insoweit wird unter Bezugnahme auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Die im Berufungsverfahren vorgetragene Ansicht des Klägers, dass der vom Sozialgericht zitierten Entscheidung des BVerwG nicht gefolgt werden könne, vermag nicht zu überzeugen. Im Schrifttum und in der Rechtsprechung wird zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen - soweit ersichtlich - einheitlich auf die vom BVerwG in seinen Urteilen vom 18.02.1999 entwickelte "Zuflusstheorie" abgestellt. Die Regelung des § 11 Abs.1 Satz 1 SGB II, die nahezu wortgleich mit § 82 Abs.1 Satz 1 SGB XII übereinstimmt, entspricht dem früheren § 76 Abs. 1 BSHG. Nach der Gesetzesbegründung zu § 11 SGB II war die Anknüpfung an das Recht der Sozialhilfe (BSHG) beabsichtigt (BT-Drucks 15/1516 S. 53). Auch § 2 Abs.2 Satz 1 und Abs.3 Satz 1 Alg II-V in der bis zum 30.09.2005 geltenden Fassung stellen nach ihrem Wortlaut eindeutig auf den Zeitpunkt des Zuflusses ab. In der Begründung zu diesen Vorschriften wird ebenfalls ausgeführt, dass hinsichtlich des Einkommens an die Rechtslage bei der Sozialhilfe angeknüpft werde; dabei werde die jüngste Rechtsprechung des BVerwG hinsichtlich der Fälligkeit und der Zurechnung von Einnahmen berücksichtigt (Öestreicher, SGB II, § 11 Rdnr. 13).

Nach dieser wertenden Betrachtungsweise steht bei der Erfüllung von Geldforderungen der tatsächliche Zufluss gegenüber der ihm zugrunde liegenden Forderung im Vordergrund und die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen hängt davon ab, ob die Forderung aus bewusst angespartem vormaligen Einkommen stammt (Vermögen) oder ob Grund der Forderung nicht realisierte (erstmalige und nicht auf der Verwertung von anderen Vermögen beruhende) Einnahmen waren (Einkommen; s. hierzu ausführlich etwa Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 11 Rdnr. 11 ff.). Da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Abfindung etwa aus einer Ansparung des Klägers beim Arbeitgeber stammt (z.B. Verzicht auf die Auszahlung eines Teils seines Arbeitsentgelts, um dieses später verzinst ausgezahlt zu erhalten und/oder Verbindung dieser Auszahlung mit einer Abfindung), sind die Abfindungszahlungen als Einnahmen zu qualifizieren. Eine derartige "Ansparung" der Abfindungszahlungen kann auch nicht in der Wahl des Zeitpunkts der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen gesehen werden, weil der titulierte Anspruch durch die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen lediglich erfüllt, nicht aber vermehrt wird. Dem Einwand des Klägers, dass den Vollstreckungsmaßnahmen seine freie Willensentscheidung zu Grunde liege, weil er seinen Titel 30 Jahre lang vollstrecken könne, kommt daher keine Bedeutung zu. Entscheidend ist allein der Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses.

Der gerichtlich am 05.04.2005 festgestellte Abfindungsanspruch des Klägers, ein Vollstreckungstitel mit vollstreckbarer Ausfertigung, gehörte zwar als Forderung vor dem Leistungsbezug des Klägers zu dessen Vermögen. Maßgeblich ist aber eine wertende Betrachtungsweise, wonach der tatsächliche Zufluss gegenüber der bereits vorher als Vermögen vorhandenen Forderung im Vordergrund steht (so etwa Mecke a.a.O. § 11 Rdnr. 28). Denn entscheidend ist die tatsächliche Realisierung (Erfüllung) dieser Forderung. Selbst eine titulierte Geldforderung ist bei einem nicht zahlungsfähigen Schuldner wenig wert. Der Kläger hätte zwar - wie er vorträgt - seinen Abfindungsanspruch an ein Inkassounternehmen abtreten können, dies wäre aber nur mit einem erheblichen, je nach Liquidität des Schuldners und dem damit verbundenen Risiko bis hin zum nahezu völligen Wertverlust möglich gewesen. Die Anrechnung bereits einer während des Leistungsbezugs erworbenen Geldforderung als zu berücksichtigendes Einkommen im Sinn des § 11 SGB II würde wegen deren häufiger Nichtrealisierbarkeit zu untragbaren Ergebnissen für den Hilfebedürftigen führen. Allein das Abstellen auf den tatsächlichen Zufluss des Geldes entspricht Sinn und Zweck der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie der Anrechnung von Einkommen, weil die Leistungen zur Grundsicherung an die gegenwärtige Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen.

b) Eine Ausnahme von der Berücksichtigung der Abfindung als Einkommen im Sinn des § 11 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGB II folgt auch nicht aus § 11 Abs.3 SGB II. Die Abfindungsleistungen sind, wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, keine anrechnungsfreie Entschädigung. Auf Grund der Gesetzesgeschichte und des eindeutigen Wortlauts von § 11 Abs.2 SGB II verbietet sich eine analoge Anwendung der im SGB II normierten Ausnahmetatbestände (§ 11 Abs.3 Nr. 2, § 11 Abs.1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II) bereits wegen deren Ausnahmecharakter und mangels Vergleichbarkeit der Interessen (in vorgenannten gesetzlich geregelten Ausnahmefällen werden Leben und Körper, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung, d.h. Sonderopfer, geschützt - hier der Verlust des Arbeitsplatzes). Eine erweiternde Auslegung ist von Verfassungs wegen nicht geboten. Es kann auch keine planwidrige Regelungslücke angenommen werden, weil dem Gesetzgeber die Regelungen des § 138 Abs.3 Nr. 6 AFG und des § 194 Abs.3 Nr. 7 SGB III, wonach Abfindungen nicht als Einkommen gelten, bekannt waren und er diese Regelungen bewusst nicht in das SGB II übernommen, sondern sich am früheren Sozialhilferecht des BSHG orientiert hat. Diese Entscheidung des Gesetzgebers verstößt entgegen der Ansicht des Klägers nicht gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Gleichbehandlungsgebotes, sondern ist im Rahmen des ihm bei der Gewährung von Sozialleistungen, die an die Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen, zustehenden weiten Gestaltungsspielraums zulässig (vgl. BVerfGE 100, 165, 204; wegen der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Eingliederung der Arbeitslosenhilfe in das SGB II BSG, Urteil vom 23.11.2006, Az. B 11b AS 1/06). Es besteht insoweit eine andere Situation als bei den Anrechnungsregelungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe. Denn beim Arbeitslosengeld handelt es sich um durch eigene Beiträge erworbene Sozialleistungen, die nicht an die Bedürftigkeit des Betroffenen anknüpfen. Die ebenfalls bedürftigkeitsabhängige Arbeitslosenhilfe orientierte sich am zuletzt bezogenen Arbeitsentgelt ("Entgeltersatzprinzip"), so dass die Leistungen nach dem SGB II wegen ihrer Andersartigkeit als existenzsichernde Leistung nicht mit der Arbeitslosenhilfe vergleichbar sind.

c) Es liegt auch keine besondere Härte vor, die nach § 2 Abs.3 Satz 2 Alg II-V in der bis zum 30.09.2005 geltenden Fassung (a.F.) als atypischer Fall von der Beklagten im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen wäre. Nach § 6 Alg II-V in der ab 01.10.2005 geltenden Fassung ist § 2 Alg II-V a.F. weiterhin anzuwenden für Bewilligungszeiträume, die vor dem 1. Oktober 2005 beginnen. Dies ist hier der Fall, weil der Bewilligungszeitraum am 11.07.2005 begann.

Nach § 2 Abs.3 Satz 2 Alg II-V a.F. sollen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zahl von ganzen Tagen nicht erbracht werden, die sich unter Berücksichtigung der monatlichen Einnahmen nach Abzug von Freibeträgen und Absetzbeträgen bei Teilung der Gesamteinnahmen durch den ermittelten täglichen Bedarf einschließlich der zu zahlenden Beiträge für eine freiwillige Weiterversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung ergibt.

Nach der Begründung des Verordnungsgebers und der entsprechend gefassten Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit kann in begründeten Einzelfällen von der Anrechnung des § 2 Abs.3 Alg II-V a.F. (hinsichtlich des Anrechnungsmodus und der Anrechnung überhaupt) abgewichen werden, wenn die Berücksichtigung als Einkommen eine "besondere Härte" bedeuten würde. Als Beispielfälle werden insbesondere die Nachzahlung einer Sozialleistung für einen Zeitraum vor Inkrafttreten des SGB II wegen Säumnis des Leistungsträgers oder in Umsetzung eines erfolgreichen Widerspruchs- und Klageverfahrens und ein entgegenstehender Zweck der zugeflossenen Leistung, z.B. bei Insolvenzgeld, genannt. Dabei wird nicht auf eine besondere Härte der Einkommensanrechnung selbst, sondern auf unangemessene Ergebnisse wegen der infolge der Zuflusstheorie regulären Anrechnung ab Beginn des Zuflussmonats abgestellt (so Geiger, info also 2005, S. 205, 208).

Soweit der Kläger aus vorgenannten Beispielen den allgemeinen Schluss zieht, dass eine besondere Härte bereits dann vorliege, wenn der Anspruch auf die Leistung vor Inkrafttreten des SGB II bzw. der Bedarfszeit entstanden sei und die Zahlung auf Grund nicht vom Hilfebedürftigen zu beeinflussender Faktoren erst während der Bedarfszeit erfolge, kann ihm nicht gefolgt werden. Denn zum einen sind bei einem erfolgreichen Widerspruchs- oder Klageverfahren die Voraussetzungen für den Anspruch erst nach Inkrafttreten des SGB II nachgewiesen worden; der Nachweis des Bestehens des Abfindungsanspruchs war hier bereits mit Abschluss des Vergleiches am 05.04.2005 erbracht. Zum anderen lag o.g. Beispielen ein dauernder - und nicht nur einmaliger - Bezug von Sozialleistungen, die entsprechend ihrer Zweckbestimmung für einen Zeitraum vor Inkrafttreten des SGB II bzw. vor der Bedarfszeit nachgezahlt wurden, durch einen liquiden Schuldner zugrunde. Die vom Hilfebedürftigen nicht zu vertretende Nichtrealisierbarkeit seines Anspruchs - diese Voraussetzung würde der Kläger hier erfüllen - darf nicht isoliert betrachtet und als einziges entscheidendes Kriterium bei der Beurteilung einer besonderen Härte herangezogen werden. Entscheidend sind vielmehr Art, Herkunft, Zweckbestimmung und Geltungsdauer der Forderung in Verbindung mit deren fehlender Durchsetzbarkeit. Während bei o.g. Beispielsfällen die laufenden Sozialleistungen und das beispielhaft genannte Insolvenzgeld für den Zeitraum vor Inkrafttreten des SGB II bzw. vor der Bedarfszeit bestimmt waren, ist der einmalige privatrechtliche Abfindungsanspruch, zuerkannt wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes, zeitlich keinem bestimmten, bereits abgeschlossenen Zeitraum (wie etwa laufendes Arbeitsentgelt oder Insolvenzgeld) zugeordnet. Eine Vergleichbarkeit dieser Ansprüche besteht nicht. Das obengenannte Zuflussprinzip darf nicht durch Annahme eines besonderen Härtefalls bei Geldforderungen, die bereits vor der Bedarfszeit entstanden sind und auf Grund von Vollstreckungsmaßnahmen erst während der Bedarfszeit zufließen, mit der Folge der Nichtanrechnung der Abfindung auf das Arbeitslosengeld II korrigiert werden. Eine besondere Härte liegt hier auch nicht insoweit vor, als die Anrechnung der Abfindung ab Beginn des Zuflussmonats zu unangenehmen Ergebnissen infolge des vollständigen Wegfalls von Arbeitslosengeld II für die Monate Oktober und November 2005 führt; eine Aufteilung der Anrechnung der Abfindung auf weitere Monate ist weder vom Kläger begehrt noch erforderlich.

Im übrigen hat die Beklagte den Abfindungsbetrag in Höhe von EUR 3.750,- nur für zwei Monate in Höhe von ca. EUR 1.500,- und nicht in vollem Umfang über den 30.11.2005 hinaus auf das Arbeitslosengeld II des Klägers angerechnet, so dass faktisch eine besondere Härte berücksichtigt worden ist.

2. Die Beklagte hat ihren Erstattungsanspruch zu Recht auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 50 Abs.1 SGB X unter Beachtung der Vorschrift des § 40 Abs.2 Satz 1 SGB II gestützt. Die Höhe des Erstattungsbetrages ist unter Berücksichtigung des Teilanerkenntnisses vom 13.11.2007 nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung keinen Erfolg hatte.

Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat. Denn es liegt keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der hier streitigen klärungsbedürftigen Frage vor, ob Abfindungszahlungen aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen während der Bedarfszeit, die auf einem vor der Bedarfszeit entstandenem titulierten Abfindungsanspruch beruhen, als Einkommen im Sinn des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu qualifizieren sind. Die Beurteilung dieser Rechtsfrage hat Bedeutung für alle Abfindungen und ist daher von grundsätzlicher Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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