S 5 AS 5410/08 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 AS 5410/08 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Die Möglichkeit, Leistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz oder Wohngeldgesetz zu beantragen, schließt den vorläufigen Weiterbezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht aus.
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (S 5 AS 5413/08) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2008 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Weiterzahlung der ihnen mit Bescheid vom 12.06.2008 bewilligten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) über den 31.10.2008 hinaus bis zum Ende des Bewilligungszeitraums in unveränderter Höhe.

Den Antragstellern wurden mit Bescheid vom 12.06.2008 für den Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2008 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von insgesamt lediglich 186,08 Euro monatlich bewilligt, da die Höhe des Erwerbseinkommens des Antragstellers zu 2. noch nicht feststand.

Mit Bescheid vom 07.10.2008 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, dass der Bewilligungsbescheid vom 12.06.2008 mit Wirkung zum 01.11.2008 aufgehoben werde. Die Antragsteller hätten voraussichtlich Anspruch auf einen Kindergeldzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz und auf Wohngeld. Diese Leistungen seien gegenüber den Leistungen nach dem SGB II vorrangig. Ein entsprechender Antrag sei von den Antragstellern umgehend bei der zuständigen Familienkasse bzw. Wohngeldstelle zu stellen.

Der hiergegen von den Antragstellern erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2008 zurückgewiesen. Wegen der Möglichkeit vorrangige Leistungen zu beantragen fehle es an Hilfebedürftigkeit.

Mit Schriftsatz vom 29.10.2008 erhoben die Antragsteller Klage und begehrten gleichzeitig im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen und ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in ursprünglicher Höhe vorläufig weiter zu gewähren. Die Möglichkeit andere Leistungen zu beantragen beseitige die Hilfebedürftigkeit noch nicht. Rückfragen bei der Wohngeldstelle der Landeshauptstadt Dresden hätten ergeben, dass die Bearbeitungszeit für Anträge derzeit acht bis zwölf Wochen betrage.

Die Antragsteller beantragen daher,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 07.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2008 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie glaubt, dass ein Anordnungsanspruch fehle. Von Amts wegen seien für die Antragsteller am 29.10.2008 Anträge bei der Familienkasse Bautzen und der Wohngeldstelle gestellt worden. Leistungen nach dem SGB II seien daher nach § 12 a SGB II ausgeschlossen.

II.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz im Sinne der begehrten Feststellung, dass der Klage gegen den Bescheid vom 07.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2008 aufschiebende Wirkung hat ist zulässig und begründet. Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, die mit Bescheid vom 12.06.2008 bewilligten Leistungen über den 31.10.2008 hinaus, längstens bis zum 31.12.2008 vorläufig in unveränderter Höhe weiterzuzahlen.

Rechtsgrundlage für das Antragsbegehren ist § 86 b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Vorliegend hat die Antragsgegnerin trotz der Klage die Zahlungen eingestellt und vollzogen. In den Fällen, in denen, wie hier, durch Einbehalt der Leistung unter Missachtung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs ein Verwaltungsakt faktisch vollzogen wird oder eine faktische Vollziehung droht, ist vorläufiger Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft. Letztlich streiten die Beteiligten um einen Fall des Eintritts oder Nichteintritts der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs im Sinne der Regelung des § 86 a Abs. 1 SGG. Ein solcher Streit ist nach der Systematik dem Absatz 1 des § 86 b SGG zuzuordnen (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.01.2006 - L 3 ER 128/05 AS -). Während Voraussetzung für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Anfechtungswiderspruchs ist, dass der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, ist Voraussetzung für die Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, dass dieser gemäß § 86 a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung entfaltet. Dies trifft auf die Widersprüche der Antragsteller zu. § 39 Nr. 1 SGB II, der regelt, dass Widersprüche und Klagen gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung entfaltet, ist nicht einschlägig.

Somit besteht ein Anordnungsanspruch im Sinne des § 86 b Abs. 1 SGG und es liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes ist es, einem Hilfebedürftigen den aktuellen Lebensunterhalt zu sichern. Dies bedeutet, dass eine einstweilige Anordnung nur für die Gegenwart und die Zukunft, aber nicht für zurückliegende Zeiträume zu treffen ist, da grundsätzlich der Hilfebedarf für die Vergangenheit gedeckt ist und nicht mehr im Wege der einstweiligen Anordnung erbracht werden kann.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet. Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer – einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden – besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung – im grundsätzlich vorrangigen Widerspruchs- oder Hauptsacheverfahren zu spät käme (Bundesverfassungsgericht Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 -). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt. Das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache oder in einem Widerspruchsverfahren über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsuchenden zumutbar. Vorliegend geht es aber um Leistungen für den laufenden Monat und Dezember 2008.

Über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das Gericht nach Ermessen und aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung. Sie ist in der Regel anzuordnen, wenn das Interesse des belasteten Leistungsempfängers an der aufschiebenden Wirkung überwiegt und die Behörde keine Umstände dargelegt hat, die einen Vorrang einer sofortigen Vollziehung erkennen lassen. Vorliegend überwiegt das Interesse der Antragsteller auch im November und Dezember 2008 von irgendetwas leben zu können. Auch wenn die von der Antragsgegnerin vorgenommene vorläufige Berechnung zutreffen und den Antragstellern Wohngeld und Kinderzuschlag zustehen sollte, rechtfertigt es dies nicht, den Antragstellern die bereits bewilligte Leistung zum Lebensunterhalt ohne verbindliche Prüfung anderer Leistungsansprüche zu entziehen. Es spricht aber nichts dagegen, dass die Antragsgegnerin gegenüber der Wohngeldstelle und der Familienkasse Bautzen auf den Leistungsbezug der Antragsteller nach dem SGB II hinweist und sich so etwaige Erstattungsansprüche offen hält.

Dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen, da in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre (§ 172 Abs. 3 Ziff. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. a SGG).
Rechtskraft
Aus
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