L 1 B 375/08 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 1728/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 B 375/08 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 2008 wird abgeändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragsstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. Mai 2008 wird angeordnet, soweit darin Beiträge auch für die Zeit vor dem 1. März 2008 festgesetzt werden. Die Beschwerde wird im Übrigen zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragssteller die außergerichtlichen Kosten des gesamten vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe bewilligt für das Verfahren erster Instanz und sein Bevollmächtigter als Rechtsanwalt beigeordnet.

Gründe:

Das Sozialgericht (SG) hat das Begehren des Antragsstellers zutreffend als Antrag nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angesehen. Auf die entsprechenden Ausführungen wird nach § 142 Abs. 2 S. 3 SGG verwiesen.

Nach § 86 a Abs.1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese Wirkung entfällt bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten (§ 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG). Hier handelt es sich um einen solchen Beitragsfestsetzungs- und anforderungsbescheid. Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann jedoch das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG durch Beschluss die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Es handelt sich um eine gerichtliche Interessenabwägung nach pflichtgemäßem Ermessen, bei welcher die für und gegen einen Sofortvollzug sprechende Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen sind.

Hier überwiegt aufgrund der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und alleine möglichen summarischen und pauschalen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Ergebnis das Interesse des Antragsstellers, von einer Vollstreckung des angefochtenen Bescheides bis zu dessen Bestandskraft verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an zeitnaher Realisierung wirksam festgesetzter Beiträge bereits vor Bestandskraft zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger, soweit die Antragsgegnerin auch Beiträge für die Zeit vor März 2008 festgesetzt hat. Dies gilt auch unter Beachtung der grundsätzlichen Regel des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG. Nach § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG soll die Widerspruchsstelle bzw. -behörde die aufschiebende Wirkung (nur) anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Nach weit verbreiteter Auffassung, der das SG im angefochtenen Beschluss gefolgt ist, bestehen nur dann ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher sei als ein Misserfolg. Im Zweifel seien Beiträge zunächst zu erbringen. Das Risiko, im Ergebnis zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, treffe nach dieser Wertung den Zahlungspflichtigen (vgl. z.B. LSG Essen, B. vom 22.06.2006 - L 16 B 30/06 KR ER - veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005, § 86 b RdNr. 12f m.w.N.). Ob dem uneingeschränkt gefolgt werden kann erscheint eher zweifelhaft. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) betont, der aufgrund Art. 19 IV GG gebotene effektive Rechtsschutz gebiete eine Interessenabwägung, bei der es nicht entscheidend darauf ankomme, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen oder einer behördlichen Anordnung entspringe ( BVerfG, B. vom 10. April 2001 - 1 BvR 1577/00 - veröffentlicht unter www.bverfg.de mit Bezug auf BVerfGE 69, 220, 228f). Hier ist jedoch bereits von einem voraussichtlichen Erfolg des Widerspruches in diesem Umfang auszugehen:

Der Senat geht dabei zunächst für das vorläufige Rechtsschutzverfahren davon aus, dass die Antragsgegnerin auch für ihre bzw. auch als Pflegekasse auftritt.

Sie hat hier rückwirkend Beiträge für eine angebliche freiwillige Mitgliedschaft des Antragsstellers ab Oktober 2007 festgesetzt, weil das zuständige JobCenter den Antragssteller zu diesem Zeitpunkt abgemeldet hat. Dieser bezieht ab diesem Zeitraum Erwerbsminderungsrente.

Eine freiwillige Mitgliedschaft nach § 9 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) kann jedoch nur bestehen, solange der Betreffende nicht pflichtversichert ist. Beim Antragsteller liegen zwar die Voraussetzungen für eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Rentner nicht vor. Er ist allerdings bis zur Bekanntgabe, deren Datum hier nicht bekannt ist, des Änderungsbescheides des JobCenters vom 6. Februar 2008 pflichtversichert gewesen nach § 5 Nr. 2 a SGB V. Bei dieser Pflichtversicherung bleibt es nach dem Gesetz auch bei einer rückwirkenden Aufhebung, wie sie das JobCenter hier vorgenommen hat.

Für die Zeit danach sind Rechtmäßigkeitszweifel am angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich. Auf die Begründung der Antragszurückweisung durch das SG kann insoweit verwiesen werden. Wie speziell für den Monat Februar 2008 zu verfahren ist, kann im Hauptsacheverfahren geklärt werden, zumal der Antragsteller unwidersprochen zusätzlich vorbringt, die Beiträge nicht auf einmal leisten zu können, der Sofortvollzug also eine Härte bedeute.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass sich der Antragsteller ausweislich seines Antrages (gerichtet zunächst gegen die Mahnung vermeintlicher Beitragsrückstände) von Anfang an im Wesentlichen nur gegen die (großteils rückwirkende) Beitragsfestsetzung gewendet hat. Eine Belastung der Antragsgegnerin ist des Weiteren angemessen, weil sie ausweislich ihres Schreibens an das JobCenter vom 3. März 2008 mit der Bitte um Wiederanmeldung sich der Problematik durchaus bewusst gewesen ist.

Prozesskostenhilfe ist antragsgemäß zu bewilligen, weil das Begehren teilweise erfolgreich gewesen ist und deshalb hinreichende Erfolgsaussicht bestanden hat (§ 73 a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die Hinzuziehung eines bevollmächtigten Rechtsanwalts ist geboten gewesen (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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