L 11 B 552/08 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 465/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 552/08 AS ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 17.06.2008 aufgehoben.
II. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 25.04.2008 wird angeordnet.
III. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 01.05.2008 bis 18.06.2008 in Höhe von 685,00 EUR monatlich zu erbringen.

IV. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu tragen.



Gründe:

I.
Streitig ist, ob dem Antragsteller (ASt) im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II –Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.05.2008 bis 18.06.2008 zu bewilligen sind und ob der Widerspruch gegen die Absenkung der Leistung um 30 vH für die Zeit vom 01.05.2008 bis 31.07.2008 aufschiebende Wirkung hat.
Der ASt bezog zuletzt aufgrund des Bescheides vom 21.04.2008 Alg II in Höhe von 685,17 EUR (davon Unterkunfts- und Heizungskosten in Höhe von 338,17 EUR) bis 30.04.2008. Im Rahmen dieser Leistungsbewilligung teilte der Antragsgegner (Ag) dem ASt mit, es bestünden Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit, er bemühe sich nicht ausreichend um Arbeit. Er werde gebeten, sich auf fünf am 17.04.2008 ausgehändigte Arbeitsangebote zu bewerben und die entsprechenden Bemühungen vorzulegen. Anschließend werde über die Bewilligung von Leistungen ab 01.05.2008 entschieden werden.

Wegen der Nichtbewerbung auf einen mit Schreiben vom 17.04.2008 unterbreiteten Vermittlungsvorschlag für die Fa. H. hin senkte der Ag die Leistungen für die Zeit vom 01.05.2008 bis 31.07.2008 – soweit Leistungen überhaupt bewilligt würden - gemäß § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst.a SGB II ab. Gegen diesen Bescheid vom 25.04.2008 legte der ASt Widerspruch ein, über den bislang nicht entschieden ist.

Am 24.04.2008 beantragte der ASt die Fortzahlung von Alg II über den 30.04.2008 hinaus. Bemühungen um Arbeit nahm er nicht vor. Mit Bescheid vom 09.06.2008 lehnte der Ag die Bewilligung von Alg II ab 01.05.2008 ab. Der ASt nütze nicht die Möglichkeit zur Selbsthilfe durch Aufnahme einer Arbeit. Er sei daher nicht hilfebedürftig. Gegen diesen Bescheid legte der ASt ebenfalls Widerspruch ein. Auch hierüber hat der Ag bislang nicht entschieden.

Am 19.06.2008 beantragte der ASt erneut Alg II. Über diesen Antrag ist ebenfalls noch nicht entschieden worden.

Bereits am 23.05.2008 hat der ASt beim Sozialgericht Würzburg (SG) einstweiligen Rechtsschutz dahingehend beantragt, sofort die Auszahlung von Alg II zu veranlassen. Einer Leistungskürzung gemäß § 31 SGB II mit Bescheid vom 25.04.2008 werde widersprochen.

Mit Beschluss vom 17.06.2008 hat das SG allein den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen. Der Ast bemühe sich nur um die Wiedereinstellung in seine 2002 von ihm selbst aufgegebene Tätigkeit als Polizist in
Baden-Württemberg. Arbeitsangebote des Ag beachte er nicht, obwohl ihm die angebotenen Tätigkeiten zumutbar seien. Es bestehe keine Arbeitsbereitschaft i.S. des § 65 Abs 4 SGB II.

Dagegen hat der ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz –SGG-) ist zulässig und auch begründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 25.04.2008 ist anzuordnen. Zudem ist der Ag zu verpflichten, vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.05.2008 bis 18.06.2008 in Höhe von 685,00 EUR monatlich zu bewilligen.

Streitgegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist dabei der Absenkungsbescheid vom 25.04.2008 sowie die Leistungsablehnung mit Bescheid vom 09.06.2008 aufgrund des Fortzahlungsantrages vom 24.04.2008, denn der ASt wandte sich mit seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sowohl gegen die Leistungskürzung als auch gegen die Nichtbewilligung von Alg II ab 01.05.2008. Dies hat das SG nicht erkannt. Es hat vielmehr allein über die Leistungsablehnung ab 01.05.2008 entschieden.

Hinsichtlich der Absenkung der Leistung handelt es sich vorliegend um einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Bescheid vom 25.04.2008 eingelegten Widerspruches gemäß § 86b Abs 1 Nr 2 SGG.

Hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise in Fällen anordnen, in denen der Widerspruch und die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Vorliegend hat der Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.04.2008 gemäß § 39 Nr 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

Unter Berücksichtigung des § 39 Nr 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Suspensiveffektes auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten festzustellen ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b Rdnr 12a). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr 1 SGB II mitberücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen: Keller aaO Rdnr 12c).

Vorliegend ist der Absenkungsbescheid offensichtlich rechtswidrig. Der unterbreitete Vermittlungsvorschlag für die Fa. H. vom 17.04.2008 – soweit dieser überhaupt inhaltlich als ausreichend angesehen werden kann –, enthält nämlich keine zur Absenkung gemäß § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst.a SGB II bzw. § 31 Abs 1 Nr 1 Buchst.c SGB II ausreichende Rechtsfolgenbelehrung. Es fehlen insbesondere Hinweise auf die Sanktionsmöglichkeiten nach § 31 SGB II. Offen bleiben kann deshalb, ob ein Absenkungsbescheid erlassen werden kann, ohne dass für den entsprechenden Zeitraum bereits Alg II bewilligt worden ist, denn ohne den Bezug von Leistungen ist der ASt evtl. nicht gehalten, sich um Arbeit zu bemühen.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Absenkungsbescheid war somit anzuordnen.

Für die Zeit vom 01.05.2008 bis 18.06.2008 hat der Ag auch vorläufig Alg II in Höhe von 685,00 EUR zu erbringen. Hierbei handelt es sich um eine einstweilige Anordnung gemäß § 86b Abs 2 SGG.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. Rdnr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiellrechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO -; Keller in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b Rdnr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 –1 BvR 2971/06 -).

In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO).

Vorliegend besteht ein Anordnungsanspruch. Dem ASt stehen für die Zeit vom 01.05.2008 bis 18.06.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu. Für die Zeit ab 19.06.2008 hat der ASt einen neuen Antrag auf Leistungen gestellt, über den der Ag gesondert zu entscheiden hat und der nicht Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/B AS 59/06 R -). Die Hilfebedürftigkeit des ASt ist vorliegend nicht dadurch entfallen, dass er sich auf die Vermittlungsvorschläge des Ag hin nicht bei den potenziellen Arbeitgebern beworben hat. Das Nichtbewerben auf Vermittlungsvorschläge hin kann nicht zur Leistungsablehnung führen (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2.Aufl, § 9 Rdnr 14). Für derartige Pflichtverletzungen ist das Sanktionssystem des § 31 SGB II geschaffen worden.

An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind damit weniger strenge Anforderungen zu stellen, insbesondere nachdem es sich um existenzsichernde Leistungen handelt. Auch wenn es sich vorliegend nur um Leistungen für einen bereits vergangenen Zeitraum handelt (01.05.2008 bis 18.06.2008) und diese nach der ständigen Rechtsprechung des Senates i.d.R nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zugesprochen werden können, so ist vorliegend von einer Ausnahmesituation auszugehen. Dies ergibt sich nämlich bereits daraus, dass dem weiterhin mittellosen ASt Alg II für die streitgegenständliche Zeit vom 01.05.2008 bis 18.06.2008 zweifellos zusteht. Eine Ablehnung der Leistung mit der von dem Ag vorgebrachten Begründung ist nicht rechtens. Aufgrund der klar und deutlich bestehenden Erfolgaussichten für den gegen die Leistungsablehnung eingelegten Widerspruch ist daher hier eine Ausnahme vom Grundsatz, keine Leistungen für bereits vergangene Zeiten zuzusprechen, zu machen.

Nach alledem war der Ag für die Zeit vom 01.05.2008 bis 18.06.2008 zur Erbringung vorläufiger Leistungen zu verpflichten. Die Leistungshöhe ergibt sich dabei aus der Höhe der bis 30.04.2008 bewilligten Leistung.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

\X9350138sgEUREKALSGschreibwerkspk11L 11 B 552 08 AS ER€80723073113 Beschluss11 B 552 08 AS ER.DOC
Rechtskraft
Aus
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