L 11 B 247/08 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AS 112/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 247/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichtes A-Stadt vom 19.02.2008 zu Pkt. I im Verfahren abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 05.02.2008 gegen den Bescheid vom 30.01.2008 (in Bezug auf die Ablehnung der Arbeitsgelegenheit) für den Zeitraum 01.02.2008 bis 29.02.2008 angeordnet. Der Vollzug des Bescheides vom 30.01.2008 wird für den Zeitraum 01.02.2008 bis 29.02.2008 ausgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller 1/ 3 der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist der Eintritt einer Sanktion nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Antragsteller (ASt) bezieht seit 01.01.2005 von der Antragsgegnerin (Ag) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), zuletzt mit Bescheid vom 25.10.2007 idF des Bescheides vom 11.01.2008 für den Zeitraum 01.11.2007 bis 30.04.2008.

Nachdem der ASt sich geweigert hatte, eine Eingliederungsvereinbarung (EGV) abzuschließen, verfügte die Ag mit Bescheid vom 15.11.2007 das Zustandekommen der EGV ersatzweise durch Verwaltungsakt. Hierin war u.a. festgelegt, dass der ASt Eigenbemühungen nachzuweisen habe. Gegen den Bescheid vom 15.11.2007 erhob der ASt am 10.12.2007 Widerspruch, den die Ag mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2008 zurückwies. Das eingeleitete Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) ist - soweit nach Lage der Akten ersichtlich - noch offen.

Am 24.11.2007 bot die Ag dem ASt eine Arbeitsgelegenheit (AGH) als Hilfsarbeiter/ Sozialarbeiter bei der Fa. N. gGmbH in A-Stadt an. Diese teilte der Ag am 10.12.2007 mit, dass sich der ASt nicht vorgestellt habe.

Nach den Anhörungen vom 10.01.2008 stellte die Ag mit den Bescheiden vom 30.01.2008 zum einen den Eintritt einer Sanktion für den Zeitraum 01.02.2008 bis 30.04.2008 fest (Kürzung um 30 v.H. der Regelleistung), weil der ASt die Verpflichtungen aus der EGV vom 15.11.2008, den Nachweis von Eigenbemühungen, nicht erfüllt habe. Zum anderen sei eine weitere Sanktion für den Zeitraum 01.02.2008 bis 30.04.2008 festzustellen (Kürzung um 30 v.H. der Regelleistung), weil der ASt ohne wichtigen Grund eine zumutbare Arbeitsgelegenheit abgelehnt habe.

Mit weiteren Schreiben vom 30.01.2008 hörte die Ag den ASt - mit Termin zum 16.02.2008 - zu weiteren sanktionswürdigen Verhaltensweisen an.

Am 01.02.2008 ist beim SG ein Antrag des ASt (Schreiben vom 01.02.2008) eingegangen, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Leistungen nach dem SGB II bis 30.04.2008 ordnungsgemäß weiterzuzahlen. Anlässlich einer Vorsprache bei der Ag am 30.01.2008 sei ihm von der zuständigen Sachbearbeiterin der Ag mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, seine laufenden Leistungen um 60 v.H. zu kürzen.

Mit Schriftsatz vom 01.02.2008, bei der Ag am 05.02.2008 eingegangen, hat der ASt - unter Bezugnahme auf das Schreiben der Ag vom 30.01.2008, mit dem er zur Stellungnahme bis 16.02.2008 aufgefordert worden war - u.a. geltend gemacht, dass eine Sanktionierung vor einer rechtskräftigen Entscheidung nicht möglich sei. Auf den Umstand, dass er eine zumutbare AGH nicht angetreten habe, ist der ASt - soweit seine Ausführungen nachzuvollziehen sind - nicht eingegangen.

Mit Beschluss vom 19.02.2008 hat das SG die Auffassung vertreten, das Schreiben des ASt, das am 05.02.2008 bei der Ag eingegangen war, sei als Widerspruch gegen die Bescheide vom 30.01.2008 aufzufassen, so dass das vom ASt in die Wege geleitete Rechtsmittel als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche auszulegen sei. Diese aufschiebende Wirkung sei zumindest in Bezug auf den Widerspruch gegen die Sanktion wegen der fehlenden Eigenbemühungen anzuordnen. Die dieser Entscheidung zugrunde liegende EGV sei mit Widerspruch angegriffen, und dieser habe aufschiebende Wirkung, da hinsichtlich einer EGV § 39 Nr.1 SGB II nicht einschlägig sei, und der Sofortvollzug der EGV nicht angeordnet worden sei. In der Folge könne auch eine Sanktion nicht rechtmäßig auf die Nichteinhaltung der EGV gestützt werden. Im Übrigen sei der Antrag zurückzuweisen, weil der ASt eine zumutbare AGH ohne wichtigen Grund abgelehnt habe, so dass eine offenkundige Rechtswidrigkeit der Sanktionsentscheidung (in Bezug auf die Ablehnung der AGH) nicht zu erkennen sei, und dem kraft Gesetzes angeordneten Sofortvollzug der Sanktionsentscheidung im Rahmen des Eilverfahrens der Vorzug zu geben sei.

Am 20.02.2008 ist beim SG - in einem weiteren Verfahren des ASt (S 19 AS 1400/07 ER) - ein Schriftsatz des ASt vom 19.02.2008 eingegangen, in dem er unter anderem geltend gemacht hat, dass die Sanktionen vom 30.01.2008 rechtswidrig seien.

Gegen den Beschluss vom 19.02.2008 hat der ASt am 25.03.2008 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Aufnahme einer Tätigkeit bei der Fa. N. gGmbH sei ihm nicht zumutbar, denn dort würden seine persönlichen Daten - wie auch bei der Ag - nicht hinreichend geschützt.

Die Ag hat bestätigt, dass die Sanktionsbescheide vom 30.01.2008 per Post versandt worden seien; eine persönliche Aushändigung sei nicht erfolgt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die gerichtlichen Akten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des ASt ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, § 174 SGG (in der bis 31.03.2008 maßgeblichen Fassung).

Das Rechtsmittel des ASt erweist sich als teilweise begründet, weil der ASt - zumindest für den Monat Februar 2008 - ein überwiegendes Interesse belegen kann, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches anzuordnen und die Vollziehung des Bescheides rückgängig zu machen.

Vorliegend ist allein ein Rechtsmittel des ASt zu prüfen, so dass offen bleiben kann, ob der Auffassung des SG zu folgen ist, dass einem Widerspruch gegen eine durch Verwaltungsakt verfügte EGV aufschiebende Wirkung zukommen kann.

Hinsichtlich der Sanktion, die sich auf die Ablehnung der AGH bezieht, hat das SG unterstellt, dass es sich bei dem Schreiben vom 01.02.2008, bei der Ag am 05.02.2008 eingegangen, um einen Widerspruch gegen den entsprechenden Bescheid vom 30.01.2008 handeln würde.

Hinsichtlich dieser im Beschwerdeverfahren allein noch streitigen Sanktion erscheint diese Auffassung allenfalls vertretbar, wenn das Vorbringen des ASt in den an das SG gerichteten Schreiben vom 01.02.2008 und 19.02.2008 berücksichtigt wird, denn mit dem an die Ag gerichteten Schriftsatz vom 01.02.2008 hat der ASt die Frage der Ablehnung der AGH - soweit ersichtlich - nicht problematisiert.

Soweit man nunmehr das an die Ag gerichtete Schreiben vom 01.02.2008 als Widerspruch auffasst, wovon wohl auch die Ag ausgeht, ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, mit dem Ziel, Zahlungen bis 30.04.2008 nach Maßgabe der erteilten Bewilligungsbescheide zu erhalten, als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches vom 05.02.2008 auszulegen. Ein Widerspruchsbescheid ist in diesem Zusammenhang - soweit nach Lage der Akten nachvollziehbar - bisher nicht ergangen.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 30.01.2008 hat keine aufschiebende Wirkung, denn mit diesem Bescheid hat die Ag über eine Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende entschieden und der Widerspruch dagegen hat keine aufschiebende Wirkung, § 86a Absatz 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr.1 SGB II.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, § 86b Absatz 1 Nr. 2 SGG. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage ist nur möglich, wenn das besondere Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, wobei bei der Prüfung der Interessen zuerst auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen ist. Ebenso wenig wie ein offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakt ein öffentliches Interesse an der Vollziehbarkeit begründen kann, so dass in diesen Fällen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu erfolgen hat, kann eine Klage, die offensichtlich keinen Erfolg haben kann, ein überwiegendes privates Interesse begründen, das die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage rechtfertigen würde (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86b Rn.12a).

Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in diesem Sinne nicht abschätzbar, bleibt eine Interessenabwägung, wobei an das Aussetzungsinteresse grundsätzlich umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je höher die Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in der Hauptsache ist (vgl. Keller aaO § 86b Rn.12c).

Unter Beachtung dieser Kriterien ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruches zumindest für den Monat Februar 2008 anzuordnen und die Vollziehung des Bescheides auszusetzen. Die Feststellung des Sanktionseintrittes bereits ab 01.02.2008 ist offenkundig rechtswidrig. Die von der Ag festgestellte Sanktion beginnt - entgegen den Ausführungen der Ag im streitgegenständlichen Bescheid vom 30.01.2008 - frühestens am 01.03.2008.

Absenkung und Wegfall treten mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt, § 31 Abs 6 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II. Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird, § 39 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Ein schriftlicher Verwaltungsakt gilt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post, ein Verwaltungsakt, der elektronisch übermittelt wird, am dritten Tage nach der Absendung als bekannt gegeben, § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X.

Vorliegend ist der Sanktionsbescheid vom 30.01.2008 frühestens an diesem Tag zur Post gegeben worden, so dass dieser - unabhängig vom tatsächlichen Zugang (vgl. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005. § 37 Rn.12) - nicht vor dem 02.02.2008 als bekannt gegeben gilt und damit wirksam werden konnte. Insofern ist die Feststellung der Sanktion und die Absenkung der Leistungen zumindest für den Monat Februar 2008 offenkundig rechtswidrig, so dass ein Vollzugsinteresse der Ag nicht zu belegen ist. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, die Vollziehung des Bescheides bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache aufrecht zu erhalten, so dass die Ag verpflichtet ist, dem ASt die einbehaltenen Leistungen für Februar 2008 nachzuzahlen.

Weitergehend bleibt die Beschwerde jedoch erfolglos, denn es sind keine Aspekte zu erkennen, die es rechtfertigen würden, das in § 39 Nr.1 SGB II gesetzlich angeordnete Vollzugsinteresse in den Hintergrund treten zu lassen.

Die Erfolgsaussichten im laufenden Widerspruchsverfahren sind zwar offen, weil einerseits zu prüfen sein wird, ob die Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Monate März und April 2008 - im Hinblick auf die unzutreffende Feststellung des Sanktionsbeginnes - aufrecht erhalten werden kann, und die Ag darzulegen haben wird, dass das Angebot der AGH den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat; letzteres ist nach Lage der Akten bisher nicht nachvollziehbar. Zudem wird zu prüfen sein, ob vorliegend beide Sanktionen nicht für dasselbe Verhalten des ASt erfolgt sind. Andererseits ist offenkundig, dass die vom ASt vorgebrachten datenschutzrechtlichen Bedenken in keiner Weise geeignet sind, einen wichtigen Grund i.S.d. § 31 SGB II darzustellen, der es rechtfertigen würde, eine ordnungsgemäß angebotene AGH abzulehnen.

Im Hinblick auf diese offenen Erfolgsaussichten des Widerspruches ist dem gesetzlich angeordneten Vollzugsinteresse der Vorzug zu geben, insbesondere weil der ASt kein entgegenstehendes besonderes Interesse dargelegt hat; das Aussetzungsinteresse lässt sich nicht allein durch eine möglicherweise vorliegende, sondern allenfalls durch eine offenkundige Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung begründen, die hier jedoch - zumindest in Bezug auf die Monate März und April 2008 - nicht gegeben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht im Umfang dem Erfolg des vom ASt eingelegten Rechtsmittels.
Rechtskraft
Aus
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