S 37 AS 19304/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 19304/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 16.11.2006, Fassung Änderungsbescheid vom 22.1.2007 und 16.5.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.7.2007 verurteilt, der Klägerin zu 2) Sozialgeld nach § 28 SGB II, aufstockend zur Erwerbsminderungsrente zu gewähren. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 SGB II.

Die miteinander verheirateten Kläger leben in einer vom Kläger zu 1) als erwerbsfähigem Hilfebedürftigen gebildeten Bedarfsgemeinschaft (BG). Die Klägerin zu 2) ist dauerhaft erwerbsgemindert; sie bezieht eine Erwerbsminderungsrente von 369,98 EUR. Der Kläger zu 1) erhält Alg II in Höhe von 311,- bzw. 316 EUR Regelsatz plus die halben Unterkunftskosten von 192,62 EUR bzw. 205,99 EUR seit August 2007. Das gemeinsame Sparvermögen der 1946 und 1949 geborenen Kläger in Höhe von 19.986,22 EUR (Stand Oktober 2006), 19.086,52 EUR (Stand April 2007) ist nach § 12 SGB II geschützt.

Der Antrag der Klägerin auf ergänzendes Sozialgeld wurde unter Hinweis auf einen vor-rangigen Anspruch auf Grundsicherung nach § 41 SGB XII abgelehnt (Bescheide vom 16.11.2006, Änderungsbescheid vom 22.1.2007 und Bescheid vom 16.5.2007, alle bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 25.7.2007).

Mit der am 20.8.2007 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage machen die Kläger geltend, dass sie ohne ergänzendes Sozialgeld unter dem Existenzminimum leben müssten. Ein Anspruch auf Grundsicherung nach § 41 SGB XII bestehe wegen des nur nach Maßgabe des § 12 SGB II geschonten Sparvermögens nicht. Das Sparvermögen liege trotz des bereits erzwungenen Verbrauchs immer noch oberhalb der Freibeträge nach § 90 SGB XII. Eine Auflösung der Bedarfsgemeinschaft durch Trennung könne ebenso wenig gewollt sein wie ein Verbrauch des SGB II-Schonvermögens.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 16.11.2006, Fassung Änderungsbescheid vom 22.1.2007 und 16.5.2007 in der Fassung des Widerspruchs-bescheides vom 25.7.2007 zu verurteilen, ihr ergänzendes Sozialgeld nach § 28 SGB II zu gewähren.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf eine entsprechende Entscheidung des SG Berlin vom 11.Dezember 2007 – S 34 AS 6642/06.

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogene Leistungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Solange der Klägerin keine Grundsicherung gezahlt wird, hat sie Anspruch auf Sozialgeld, aufstockend zur Erwerbsminderungsrente. Die nicht erwerbsfähige Klägerin hat Anspruch auf Sozialgeld, denn nach § 28 Abs. 1 SGB II erhalten nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in BG leben, wie hier, Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches, d.h. nach den §§ 41 ff SGB XII haben. Zwar sind die Leistungen nach §§ 41 SGB XII ff gegenüber dem Sozialgeld vorrangig (§ 5 Abs. 2 S. 3 SGB II), der Nachrang des Sozialgeldes reicht aber nur soweit, als Leistungen nach den §§ 41 ff SGB XII gewährt werden (LSG Thüringen vom 7.7.2005 – L 7 AS 334/05 ER). Das vom SG Berlin im Urteil S 34 AS 6642/06 herangezogene Argument, ein aufstockender Sozialgeldbezug begünstige die Klägerin willkürlich im Vergleich zu einem allein stehenden Erwerbsminderungsrentner, überzeugt nicht. Zum einen bleibt die Besonderheit außer Acht, dass es in der BG abgeleitete Ansprüche auf Sozialgeld auch für dauerhaft nicht erwerbsfähige Personen geben kann mit der Folge ergänzender Sozialgeldansprüche zu Leistungen der Grundsicherung nach § 41 SGB XII (wenn z. B. die Berechnungsmaßstäbe vom SGB XII abweichen - dem SGB II Haushalt werden höhere Unterkunftskosten zugestanden etc.), zum anderen hätte die Klägerin als Bezieherin einer befristeten Erwerbsminderungsrente unstreitig Anspruch auf Sozialgeld, woraus deutlich wird, dass sich die Privilegierung gegenüber reinen SGB XII-Hilfebedürftigen aus dem speziellen Konstrukt der BG herleitet. Die Gruppe der allein stehenden, nicht erwerbsfähigen Hilfebedürftigen oder die Gruppe der reinen SGB XII-Einsatzgemeinschaften ist somit kein Vergleichsmaßstab für eine vermeintlich ungerecht-fertigte Besserstellung der Klägerin als Mitglied einer gemischten BG.

Da das SGB II keinen Ruhenstatbestand entsprechend § 142 SGB III kennt, kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin im Hinblick auf aktuelle Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18.3.2008 – B 8/9b SO 11/06 R) ungeachtet des Sparvermögens oberhalb der Freibeträge nach § 90 SGB XII Anspruch auf Grundsicherung haben dürfte. Das BSG hat im o.g. Urteil überzeugend herausgearbeitet, dass in einer gemischten BG, d.h. einer BG mit dem Grunde nach SGB II- und SGB XII-Anspruchsberechtigten, der Einsatz von Vermögen, dass nur nach § 12 SGB II, nicht aber nach § 90 SGB XII geschützt ist, regelmäßig eine besondere Härte i.S. von § 90 Abs. 3 SGB XII bedeutet.

Auch hier spiegelt sich die Besonderheit der BG als gegenseitige Einstandsgemeinschaft insofern wider, als beide BG-Mitglieder wechselseitig zum Einstand verpflichtet sind, so dass der Vermögensschutz nach § 12 SGB II leer liefe, wenn zur Erlangung eines Anspruchs auf Grundsicherung nach § 41 SGB II erst ein Verbrauch bis auf die SGB XII-Schonvermögens-grenze gefordert würde. Auf die Eigentumsverhältnisse an dem Vermögensgegenstand kommt es wegen der wechselseitigen Einstandpflicht nicht an.

Solange die Klägerin aber tatsächlich keine Grundsicherung vom Sozialamt erhält, hat sie zur Absicherung des Existenzminimums Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 SGB XII. Der SGB II-Träger hat die Möglichkeit, Sozialgeld unter Anmeldung eines Erstattungsanspruchs nach den §§ 102 SGB X und Aufforderung der Klägerin zur Beantragung von Grundsicherung (§ 12a SGB II) zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Haupt- sache.
Rechtskraft
Aus
Saved