Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 42 AS 1769/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 388/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 159/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 10. September 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Kläger sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig ist, ob die sozialgerichtlichen Verfahren S 42 AS 1568/07 und S 42 AS 516/08 durch den im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes abgeschlossenen Vergleich beendet wurden.
Die Kläger zu 1. bis 3. sind 1968, 1965 und 1988 geboren und leben in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Zweiten Buchs, Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit dem 01.01.2005 erhielten sie Leistungen nach dem SGB II. Nach einer Kostensenkungsaufforderung hinsichtlich der Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung erkannte die Beklagte ab dem 01.07.2005 nur noch die ortsüblichen angemessenen Kosten der Unterkunft als Bedarf an.
Die Kläger erhoben am 06.08.2007 gegen die Bescheide der Beklagten vom 15.01.2007 und vom 19.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2007 sowie gegen die Bescheide vom 18.01.2007 und vom 19.01.2007 in der Gestalt eines weiteren Widerspruchsbescheides vom 11.07.2007 Klage. Gegenstand dieser Klage war die Frage der Angemessenheit der Unterkunftskosten. Die Klage erhielt das Aktenzeichen S 42 AS 1568/07.
Am 28.02.2008 erhoben die Kläger eine weitere Klage zum Sozialgericht München gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2008. Diese Klage führte das Aktenzeichen S 42 AS 516/08. Gegenstand dieser Klage war eine Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2006.
Außerdem war ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wegen der Übernahme von Mietschulden (Az.: S 42 AS 931/08 ER) beim Sozialgericht München anhängig.
In allen Rechtsstreitigkeiten unterzeichneten die Kläger jeweils eine Vollmacht für die DGB Rechtsschutz GmbH.
Das Sozialgericht bestimmte einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage für alle drei Verfahren am 05.06.2008. Zu diesem Termin wurden die durch die DGB Rechtsschutz GmbH vertretenen Kläger mit Postzustellungsurkunde und gleichzeitiger Anordnung des persönlichen Erscheinens sowie die Prozessbevollmächtigte mit Empfangsbekenntnis geladen.
An dem Termin nahmen die Kläger zu 1 und zu 2 sowie ihre Prozessbevollmächtigte teil. Die Klägerin zu 3. wurde zum Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 05.06.2006 nicht ordnungsgemäß geladen. Die Bevollmächtigte der Kläger erklärte allerdings, dass auf eine ordnungsgemäße Ladung der Klägerin zu 3. verzichtet werde. Das Sozialgericht verband die Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung. Am Ende des Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage protokollierte das Sozialgericht folgenden Vergleich:
1. Die Beklagte und Antragsgegnerin wird für die Kosten der Unterkunft ab dem 01.07.2005 eine angemessene Bruttokaltmiete von 540,00 Euro zu Grunde legen und 2229,84 Euro für die Zeit vom 01.07.2005 bis 30.06.2008 nachzahlen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit die Rechtsstreitigkeiten zu den Aktenzeichen S 42 AS 931/08 ER, S 42 AS 1568/07 und S 42 AS 516/08 vollständig erledigt sind.
Aus dem Protokoll des Erörterungstermins ergibt sich, dass dieser Vergleich vorgelesen und genehmigt wurde.
Mit Schreiben vom 01.07.2008 haben die Kläger "eine Beschwerde und einen Überprüfungsantrag" gestellt. Die Klägerin zu 2. erklärte, dass sie und ihre Familie die Klagen nicht für erledigt erklären wollten. Sie hätten nicht gewusst, worum es in der Gerichtsverhandlung ginge. Sie hätten gedacht, dass es um die einstweilige Anordnung wegen der Mietschulden ginge. Auch seien sie nicht aufgeklärt worden, um was es genau ginge. Darum wollten sie die Klagen nicht für erledigt erklären.
Mit Schreiben vom 12.07.2008 erklärten die Kläger, dass sie die Anfechtung des Vergleichs vom 05.06.2008 nicht zurücknehmen wollten. Dieser Vergleich sei nicht in ihrem Sinne gewesen und sie seien nicht in ihrem Sinne vertreten worden.
Das Sozialgericht führte das Verfahren S 42 AS 516/08 unter dem Aktenzeichen S 42 AS 1769/08 fort. Das Verfahren S 42 AS 1568/07 wurde unter dem Aktenzeichen S 42 AS 1770/08 fortgeführt.
Mit Beschluss vom 04.09.2008 wurden diese beiden Streitsachen gemäß § 113 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 42 AS 1769/08 fortgeführt.
Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten stellte das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 10.09.2008 fest, dass die oben genannten Klageverfahren durch gerichtlichen Vergleich am 05.06.2008 erledigt worden seien. Dieser sei wirksam abgeschlossen worden. Der Vergleich sei eine Sonderform eines öffentlich-rechtlichen Vertrages nach § 53 SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch). Die zum Vertragsschluss erforderlichen Willenserklärungen der Beteiligten hätten vorgelegen und seien auch nicht durch eine Anfechtung gemäß § 61 SGB X i.V.m. den §§ 119 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) beseitigt worden. Ein Anfechtungsgrund sei nicht ersichtlich. Die Kläger seien bei Vergleichsabschluss anwaltlich vertreten worden. Bei Vertretungen sei die Frage des Vorliegens von Willensmängeln nach § 166 Abs.1 BGB ausschließlich auf die Person des Vertreters abzustellen. Anhaltspunkte für einen Irrtum der Prozessbevollmächtigten der Kläger seien nicht ersichtlich.
Gegen den Gerichtsbescheid haben die Kläger am 15.09.2008 mit der Begründung Berufung eingelegt, dass sie der Ansicht seien, dass die Nebenkosten (Betriebs- und Warmwasserkosten) von der Beklagten übernommen werden müssten, dies aber beim gerichtlichen Vergleich nicht berücksichtigt worden sei. Die Miete müsse in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden. Außerdem könnten sie zu dem von der Beklagten geforderten Preis keine neue Wohnung finden. Auch die Mietnebenkosten und die Kosten für Wasser seien zu übernehmen.
Der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Akten des Sozialgerichts sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die von den Klägern form- und fristgerecht eingelegte statthafte Berufung ist gemäß §§ 143, 151 SGG zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Verfahren S 42 AS 1568/07 und S 42 AS 516/08 sind durch den gerichtlichen Vergleich im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 05.06.2008 erledigt worden. Dies wurde vom Sozialgericht ordnungsgemäß in der Sitzungsniederschrift protokolliert, vorgelesen und genehmigt (§§153 Abs.1, 123 SGG i.V.m. § 162 Zivilprozessordnung -ZPO-). Die Niederschrift wurde von der Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin gemäß § 163 ZPO unterschrieben.
Die Anfechtung dieses Prozessvergleichs ist nicht erfolgreich, da weder prozess- noch materiell-rechtliche Gründe vorliegen, die diesen Prozessvergleich unwirksam machen.
Ein solcher Prozessvergleich hat nach allgemeiner Meinung eine Doppelnatur (vgl. u.a. BSGE 19, 112 f; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 101 Rdnr. 3 ff.). Er ist zum einen in materiell-rechtlicher Hinsicht ein öffentlich-rechtlicher Vertrag und zum anderen eine Prozesshandlung, durch die der Rechtsstreit gemäß § 202 SGG i.V.m. § 91a Abs.1 Satz 1 ZPO beendet wird.
Als Prozesshandlung setzt er die Verfügungsbefugnis der Beteiligten über den Streitgegenstand sowie deren Prozess- und Beteiligtenfähigkeit und einen entsprechenden Handlungswillen bzw. ein Erklärungsbewusstsein voraus (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O.). Bei der Abgabe einer solchen Erklärung durch einen ordnungsgemäß Bevollmächtigten ist auf dessen Willen und Bewusstsein abzustellen (vgl. § 166 Abs. 1 BGB). Auf das vom Vertretenen Gewollte kommt es nicht an, solange die Bevollmächtigung ordnungsgemäß besteht. Hieran hat der Senat nach den vorliegenden, von den Klägern unterschriebenen Vollmachten keine Zweifel, so dass es keine Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit der Prozesshandlung gibt. Die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über Anfechtung und Nichtigkeit von Willenserklärungen sind nach herrschender Meinung nicht auf Prozesshandlungen anwendbar (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O.). Ein Widerruf einer Prozesshandlung ist nur unter engen Voraussetzungen möglich, wenn Restitutionsgründe im Sinne von § 580 ZPO vorliegen oder wenn sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung verbietet. Dies ist hier nicht ersichtlich, ebenso wenig wie Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 179, 180 SGG.
Auch eine Nichtigkeitsklage nach § 202 i.V.m. § 579 ZPO kann nicht erhoben werden, da solche schweren Verstöße gegen das Prozessrecht nicht ersichtlich sind.
Der Prozessvergleich ist aber auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam. Der Prozessvergleich entfaltet wegen seiner Doppelnatur keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben dies ist nicht ersichtlich, da die Prozessbevollmächtigte der Kläger zu 1 und zu 2 in deren Anwesenheit den Vergleich abgeschlossen hat, oder wenn der Prozessvergleich, als öffentlich-rechtlicher Vergleich gemäß § 58 SGB X nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts wirksam angefochten ist oder seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB festgestellt wurde.
Soweit die Kläger geltend machen, dass sie den Vergleich anfechten wollen, da sie die Übernahme der vollständigen Kosten der Unterkunft und Heizung verlangen, liegt in diesem Antrag die Weiterverfolgung des ursprünglich begehrten Klagezieles. Soweit sie geltend machen, sie seien über den Sachverhalt im Erörterungstermin nicht genügend aufgeklärt gewesen, so ist diesbezüglich einer Anfechtung nach §§ 116 ff BGB unbeachtlich. Soweit sich die Kläger beim Abschluss des Vergleichs über dessen wirtschaftliche Auswirkungen geirrt haben, handelt es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass es bei einer Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 BGB nicht auf die Person der Kläger ankommt, sondern auf die Person des Prozessbevollmächtigten abzustellen ist (§§ 81, 85, ZPO, §§ 164, 165 BGB). Ein Irrtum der Prozessbevollmächtigten der Kläger, einer in sozialgerichtlichen erfahrenen Vertreterin, wurde nicht vorgetragen und ist ebenfalls nicht ersichtlich. Soweit die Kläger sich durch ihre Prozessbevollmächtigte nicht ausreichend vertreten und informiert fühlen, gibt dies keinen Grund den gerichtlichen Vergleich anzufechten. Im Übrigen hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger in deren Anwesenheit die Erledigungserklärung abgegeben, so dass der Einwand der Kläger schwer nachvollziehbar ist.
Daher wurden die oben genannten Klagen im Erörterungstermin am 05.06.2008 erledigt und die Berufung ist zurückzuweisen. Eine Sachentscheidung ist nicht mehr zulässig.
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung keinen Erfolg hat.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten der Kläger sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig ist, ob die sozialgerichtlichen Verfahren S 42 AS 1568/07 und S 42 AS 516/08 durch den im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes abgeschlossenen Vergleich beendet wurden.
Die Kläger zu 1. bis 3. sind 1968, 1965 und 1988 geboren und leben in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Zweiten Buchs, Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit dem 01.01.2005 erhielten sie Leistungen nach dem SGB II. Nach einer Kostensenkungsaufforderung hinsichtlich der Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung erkannte die Beklagte ab dem 01.07.2005 nur noch die ortsüblichen angemessenen Kosten der Unterkunft als Bedarf an.
Die Kläger erhoben am 06.08.2007 gegen die Bescheide der Beklagten vom 15.01.2007 und vom 19.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2007 sowie gegen die Bescheide vom 18.01.2007 und vom 19.01.2007 in der Gestalt eines weiteren Widerspruchsbescheides vom 11.07.2007 Klage. Gegenstand dieser Klage war die Frage der Angemessenheit der Unterkunftskosten. Die Klage erhielt das Aktenzeichen S 42 AS 1568/07.
Am 28.02.2008 erhoben die Kläger eine weitere Klage zum Sozialgericht München gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2008. Diese Klage führte das Aktenzeichen S 42 AS 516/08. Gegenstand dieser Klage war eine Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2006.
Außerdem war ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wegen der Übernahme von Mietschulden (Az.: S 42 AS 931/08 ER) beim Sozialgericht München anhängig.
In allen Rechtsstreitigkeiten unterzeichneten die Kläger jeweils eine Vollmacht für die DGB Rechtsschutz GmbH.
Das Sozialgericht bestimmte einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage für alle drei Verfahren am 05.06.2008. Zu diesem Termin wurden die durch die DGB Rechtsschutz GmbH vertretenen Kläger mit Postzustellungsurkunde und gleichzeitiger Anordnung des persönlichen Erscheinens sowie die Prozessbevollmächtigte mit Empfangsbekenntnis geladen.
An dem Termin nahmen die Kläger zu 1 und zu 2 sowie ihre Prozessbevollmächtigte teil. Die Klägerin zu 3. wurde zum Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 05.06.2006 nicht ordnungsgemäß geladen. Die Bevollmächtigte der Kläger erklärte allerdings, dass auf eine ordnungsgemäße Ladung der Klägerin zu 3. verzichtet werde. Das Sozialgericht verband die Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung. Am Ende des Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage protokollierte das Sozialgericht folgenden Vergleich:
1. Die Beklagte und Antragsgegnerin wird für die Kosten der Unterkunft ab dem 01.07.2005 eine angemessene Bruttokaltmiete von 540,00 Euro zu Grunde legen und 2229,84 Euro für die Zeit vom 01.07.2005 bis 30.06.2008 nachzahlen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit die Rechtsstreitigkeiten zu den Aktenzeichen S 42 AS 931/08 ER, S 42 AS 1568/07 und S 42 AS 516/08 vollständig erledigt sind.
Aus dem Protokoll des Erörterungstermins ergibt sich, dass dieser Vergleich vorgelesen und genehmigt wurde.
Mit Schreiben vom 01.07.2008 haben die Kläger "eine Beschwerde und einen Überprüfungsantrag" gestellt. Die Klägerin zu 2. erklärte, dass sie und ihre Familie die Klagen nicht für erledigt erklären wollten. Sie hätten nicht gewusst, worum es in der Gerichtsverhandlung ginge. Sie hätten gedacht, dass es um die einstweilige Anordnung wegen der Mietschulden ginge. Auch seien sie nicht aufgeklärt worden, um was es genau ginge. Darum wollten sie die Klagen nicht für erledigt erklären.
Mit Schreiben vom 12.07.2008 erklärten die Kläger, dass sie die Anfechtung des Vergleichs vom 05.06.2008 nicht zurücknehmen wollten. Dieser Vergleich sei nicht in ihrem Sinne gewesen und sie seien nicht in ihrem Sinne vertreten worden.
Das Sozialgericht führte das Verfahren S 42 AS 516/08 unter dem Aktenzeichen S 42 AS 1769/08 fort. Das Verfahren S 42 AS 1568/07 wurde unter dem Aktenzeichen S 42 AS 1770/08 fortgeführt.
Mit Beschluss vom 04.09.2008 wurden diese beiden Streitsachen gemäß § 113 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 42 AS 1769/08 fortgeführt.
Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten stellte das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 10.09.2008 fest, dass die oben genannten Klageverfahren durch gerichtlichen Vergleich am 05.06.2008 erledigt worden seien. Dieser sei wirksam abgeschlossen worden. Der Vergleich sei eine Sonderform eines öffentlich-rechtlichen Vertrages nach § 53 SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch). Die zum Vertragsschluss erforderlichen Willenserklärungen der Beteiligten hätten vorgelegen und seien auch nicht durch eine Anfechtung gemäß § 61 SGB X i.V.m. den §§ 119 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) beseitigt worden. Ein Anfechtungsgrund sei nicht ersichtlich. Die Kläger seien bei Vergleichsabschluss anwaltlich vertreten worden. Bei Vertretungen sei die Frage des Vorliegens von Willensmängeln nach § 166 Abs.1 BGB ausschließlich auf die Person des Vertreters abzustellen. Anhaltspunkte für einen Irrtum der Prozessbevollmächtigten der Kläger seien nicht ersichtlich.
Gegen den Gerichtsbescheid haben die Kläger am 15.09.2008 mit der Begründung Berufung eingelegt, dass sie der Ansicht seien, dass die Nebenkosten (Betriebs- und Warmwasserkosten) von der Beklagten übernommen werden müssten, dies aber beim gerichtlichen Vergleich nicht berücksichtigt worden sei. Die Miete müsse in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden. Außerdem könnten sie zu dem von der Beklagten geforderten Preis keine neue Wohnung finden. Auch die Mietnebenkosten und die Kosten für Wasser seien zu übernehmen.
Der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Akten des Sozialgerichts sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die von den Klägern form- und fristgerecht eingelegte statthafte Berufung ist gemäß §§ 143, 151 SGG zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Verfahren S 42 AS 1568/07 und S 42 AS 516/08 sind durch den gerichtlichen Vergleich im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 05.06.2008 erledigt worden. Dies wurde vom Sozialgericht ordnungsgemäß in der Sitzungsniederschrift protokolliert, vorgelesen und genehmigt (§§153 Abs.1, 123 SGG i.V.m. § 162 Zivilprozessordnung -ZPO-). Die Niederschrift wurde von der Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin gemäß § 163 ZPO unterschrieben.
Die Anfechtung dieses Prozessvergleichs ist nicht erfolgreich, da weder prozess- noch materiell-rechtliche Gründe vorliegen, die diesen Prozessvergleich unwirksam machen.
Ein solcher Prozessvergleich hat nach allgemeiner Meinung eine Doppelnatur (vgl. u.a. BSGE 19, 112 f; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 101 Rdnr. 3 ff.). Er ist zum einen in materiell-rechtlicher Hinsicht ein öffentlich-rechtlicher Vertrag und zum anderen eine Prozesshandlung, durch die der Rechtsstreit gemäß § 202 SGG i.V.m. § 91a Abs.1 Satz 1 ZPO beendet wird.
Als Prozesshandlung setzt er die Verfügungsbefugnis der Beteiligten über den Streitgegenstand sowie deren Prozess- und Beteiligtenfähigkeit und einen entsprechenden Handlungswillen bzw. ein Erklärungsbewusstsein voraus (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O.). Bei der Abgabe einer solchen Erklärung durch einen ordnungsgemäß Bevollmächtigten ist auf dessen Willen und Bewusstsein abzustellen (vgl. § 166 Abs. 1 BGB). Auf das vom Vertretenen Gewollte kommt es nicht an, solange die Bevollmächtigung ordnungsgemäß besteht. Hieran hat der Senat nach den vorliegenden, von den Klägern unterschriebenen Vollmachten keine Zweifel, so dass es keine Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit der Prozesshandlung gibt. Die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über Anfechtung und Nichtigkeit von Willenserklärungen sind nach herrschender Meinung nicht auf Prozesshandlungen anwendbar (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O.). Ein Widerruf einer Prozesshandlung ist nur unter engen Voraussetzungen möglich, wenn Restitutionsgründe im Sinne von § 580 ZPO vorliegen oder wenn sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung verbietet. Dies ist hier nicht ersichtlich, ebenso wenig wie Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 179, 180 SGG.
Auch eine Nichtigkeitsklage nach § 202 i.V.m. § 579 ZPO kann nicht erhoben werden, da solche schweren Verstöße gegen das Prozessrecht nicht ersichtlich sind.
Der Prozessvergleich ist aber auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam. Der Prozessvergleich entfaltet wegen seiner Doppelnatur keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben dies ist nicht ersichtlich, da die Prozessbevollmächtigte der Kläger zu 1 und zu 2 in deren Anwesenheit den Vergleich abgeschlossen hat, oder wenn der Prozessvergleich, als öffentlich-rechtlicher Vergleich gemäß § 58 SGB X nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts wirksam angefochten ist oder seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB festgestellt wurde.
Soweit die Kläger geltend machen, dass sie den Vergleich anfechten wollen, da sie die Übernahme der vollständigen Kosten der Unterkunft und Heizung verlangen, liegt in diesem Antrag die Weiterverfolgung des ursprünglich begehrten Klagezieles. Soweit sie geltend machen, sie seien über den Sachverhalt im Erörterungstermin nicht genügend aufgeklärt gewesen, so ist diesbezüglich einer Anfechtung nach §§ 116 ff BGB unbeachtlich. Soweit sich die Kläger beim Abschluss des Vergleichs über dessen wirtschaftliche Auswirkungen geirrt haben, handelt es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass es bei einer Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 BGB nicht auf die Person der Kläger ankommt, sondern auf die Person des Prozessbevollmächtigten abzustellen ist (§§ 81, 85, ZPO, §§ 164, 165 BGB). Ein Irrtum der Prozessbevollmächtigten der Kläger, einer in sozialgerichtlichen erfahrenen Vertreterin, wurde nicht vorgetragen und ist ebenfalls nicht ersichtlich. Soweit die Kläger sich durch ihre Prozessbevollmächtigte nicht ausreichend vertreten und informiert fühlen, gibt dies keinen Grund den gerichtlichen Vergleich anzufechten. Im Übrigen hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger in deren Anwesenheit die Erledigungserklärung abgegeben, so dass der Einwand der Kläger schwer nachvollziehbar ist.
Daher wurden die oben genannten Klagen im Erörterungstermin am 05.06.2008 erledigt und die Berufung ist zurückzuweisen. Eine Sachentscheidung ist nicht mehr zulässig.
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung keinen Erfolg hat.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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