Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 14 Ar 613/91
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 944/92
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 9. September 1992 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Ansprüchen auf Urlaubsabgeltung bei der Gewährung von Konkursausfallgeld (Kaug).
Die 1960 geborene Klägerin war bei der mit Sitz in beschäftigt.
Am 15. Februar 1991 kündigte die Klägerin nach ihren Angaben im Gerichtsverfahren das Arbeitsverhältnis per Telefax um 9.33 Uhr fristlos. Am selben Tag wurde um 17.00 Uhr das Konkursverfahren über ihre Arbeitgeberin eröffnet.
Gleichfalls am 15. Februar 1991 beantragte die Klägerin bei dem Arbeitsamt Gießen der Beklagten, das den Antrag an das Arbeitsamt Pirmasens weiterleitete, Kaug.
Der Konkursverwalter der Arbeitgeberin gab in einer ersten Verdienstbescheinigung vom 25. Februar 1991 an, das Arbeitsverhältnis sei durch Kündigung der Klägerin zum 15. Februar 1991 gelöst worden und diese habe einen Restanspruch auf 12 Urlaubstage. In einer weiteren Verdienstbescheinigung des Konkursverwalters vom 12. März 1991 wurde der Resturlaub mit 6 Tagen angegeben und in einer dritten Verdienstbescheinigung vom 14. März 1991 erfolgte zum Resturlaub überhaupt keine Angabe.
Mit Bescheid vom 18. März 1991 gewährte die Beklagte der Klägerin Kaug für die Zeit vom 15. November 1990 bis 15. Februar 1991 in Höhe von 2.898,54 DM. Ihren hiergegen am 27. März 1991 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin mit einem Schreiben ihres Rechtsanwaltes an den Konkursverwalter wegen dessen Angaben über die Urlaubstage in den Verdienstbescheinigungen. Letztlich reichte die Klägerin selbst eine Übersicht ein, nach der sie für 1990 noch einen Resturlaub von 11 Tagen sowie für 1991 ein Urlaubsanspruch von 3 Tagen hatte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 1991 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, weil der Urlaubsabgeltungsanspruch am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses entstehe und vorliegend das Arbeitsverhältnis nach dem Insolvenzereignis geendet habe.
In der hiergegen am 3. Juni 1991 erhobenen Klage hat die Klägerin ausgeführt, daß gem. § 108 Konkursordnung (KO) für die Konkurseröffnung die Stunde entscheidend sei. Dies sei im vorliegenden Fall 17.00 Uhr gewesen und ihre Kündigung sei schon morgens und damit früher erfolgt. In ihrer Klageerwiderung hat die Beklagte ausgeführt, der Insolvenztag zähle nicht zum Kaug-Zeitraum.
Mit Urteil vom 9. September 1992 hat das Sozialgericht Gießen der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Kaug unter Einbeziehung der Urlaubsabgeltung zu gewähren, und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. November 1977 – 12 RAr 99/76 (BSGE 45, 191 ff.) ausgeführt, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehe, sondern schon zuvor aufschiebend bedingt vorhanden sei.
Gegen dieses der Beklagten am 1. Oktober 1992 zugestellte Urteil richtet sich deren am 23. Oktober 1992 eingelegte Berufung, die im wesentlichen damit begründet wird, das Arbeitsverhältnis sei nicht vor Eintritt des Insolvenzereignisses beendet worden und der Tag des Insolvenzereignisses werde nicht mehr von dem Kaug-Zeitraum umfaßt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 9. September 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts Gießen für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 151, 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), da das Sozialgericht sie zugelassen hat (§ 150 Nr. 1 SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 9. September 1992 ist nicht aufzuheben, weil der Bescheid der Beklagten vom 18. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1991 insofern abzuändern ist, als der Klägerin Kaug unter Einbeziehung der Urlaubsabgeltung zu gewähren ist.
Nach § 141 b Abs. 1 und 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Kaug, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die unabhängig von der Zeit, für die sie geschuldet werden, Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO sein können.
Das grundsätzliche Vorliegen dieser Voraussetzungen ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten und steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der vorliegenden Akte fest.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das Kaug der Klägerin unter Einbeziehung einer Urlaubsabgeltung für 14 Tage zu berechnen. Denn dieser Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung gehört zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses.
Nach dem insofern überzeugenden Urteil des BSG vom 30. November 1977 (a.a.O.), dem sich der Senat anschließt, ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ein Surrogat des Urlaubsanspruchs, der nach Erfüllen der Wartezeit zu einer Rechtsposition des Arbeitnehmers führt, die es diesem erlaubt, nach den gesetzlichen Voraussetzungen Urlaub zu verlangen. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht als Surrogat dieses Urlaubsanspruchs unter der aufschiebenden Bedingung, daß wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der eigentliche Urlaub nicht mehr gewährt werden kann. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der dadurch verursachten Möglichkeit, bezahlte Freizeit noch zu gewähren, tritt lediglich die aufschiebende Bedingung des bereits mit dem Urlaubsanspruch entstandenen Abgeltungsanspruchs ein. Hat der Arbeitnehmer diese Rechtsposition vor der Eröffnung des Konkursverfahrens bereits erworben, so fällt er mit diesem Anspruch aus.
Aus den Urteilen des BSG vom 20. August 1986 – 10 RAr 1/85 und vom 20. Mai 1987 – 10 RAr 11/86 – ergibt sich nichts anderes. Sie grenzen sich gegenüber dem zuvor genannten Urteil durch die zwischenzeitlich aufgrund des Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetzes (AFKG) geänderte Rechtslage ab. Danach (vgl. § 168 Abs. 1 Satz 2 AFG i.d.F. des AFKG vom 22. Dezember 1981, BGBl. I S. 1497) galt das bisherige Beschäftigungsverhältnis für die Zeit eines abgegoltenen Urlaubs als fortbestehend. Zwischenzeitlich ist diese Regelung aber durch das 7. Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1987 (BGBl. I S. 2484) wieder aufgehoben worden, weil sie sich u.a. aufgrund des mit ihr verbundenen hohen Verwaltungsaufwandes praktisch nicht bewährt hatte (vgl. Schönefelder/Kranz/Wanka, Arbeitsförderungsgesetz, § 168 Bl. 18/14).
Vor diesem Hintergrund ist an der obigen Rechtsprechung festzuhalten, die auch vom BSG in den Urteilen vom 11. März 1987 – 10 RAr 2/85 (SozR 4100 § 141 b Nr. 39) und vom 20. Juli 1988 – 12 RK 1/88 (SozR 7910 § 59 KO Nr. 24) bestätigt wurde, zumal der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, die Urlaubsabgeltung für Erholungszwecke zu verwenden. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung über das Kaug und des konkursrechtlichen Vorranges der rückständigen Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis im Konkursverfahren soll gerade im Interesse der Arbeitnehmer wie auch der Arbeitgeber ein Schutz vor Ausfällen geschaffen werden, die dadurch entstehen, daß Arbeitnehmer im Interesse der Erhaltung des Arbeitsplatzes auch ohne Lohnzahlungen noch einige Zeit weiterarbeiten. Dieser Zweck gilt für alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, deren Verwirklichung durch die Weiterarbeit bei einem in finanziellen Schwierigkeiten geratenen Unternehmer fraglich werden. Er umfaßt neben den Lohnansprüchen auch Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche. Es kann deshalb nicht darauf ankommen, für welchen Zeitraum der Urlaubsabgeltungsanspruch zum Lebensunterhalt bestimmt ist (BSG, Urt. v. 30. November 1977, a.a.O. S. 195 f.). Aus einer im AFKG für Zwecke des Versicherungsschutzes und der Beitragsberechnung vorgenommenen Fiktion der Ausdehnung des Beschäftigungsverhältnisses kann keine Änderung der arbeitsrechtlichen und konkursrechtlichem Bestimmungen geschlossen werden (vgl. BSG, Urt. v. 20. Juli 1988, a.a.O.).
Nach diesen Voraussetzungen hat die Klägerin einen Anspruch auf Einbeziehung ihrer Urlaubsabgeltung in die Berechnung des Kaug, weil ihr Arbeitsverhältnis vor der Konkurseröffnung beendet war. Nach dem insofern unwidersprochen gebliebenen und überzeugenden Vortrag der Klägerin hat sie ihr Arbeitsverhältnis mit ihrer früheren Arbeitgeberin am 15. Februar per Telefax um 9.33 Uhr fristlos gekündigt. Dies wurde auch von der Arbeitgeberin akzeptiert, wie sich aus der Verdienstbescheinigung des Konkursverwalters vom 25. Februar 1991 ergibt. Die Konkurseröffnung erfolgte zwar durch Beschluss des Amtsgerichts am selben Tag, jedoch erst um 17.00 Uhr.
Daraus, daß die fristlose Kündigung zwar vor der Konkurseröffnung, aber erst am Insolvenztag erfolgte, ergibt sich nichts anderes. Nach dem Wortlaut des § 141 b Abs. 1 AFG umfaßt das Kaug Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Nach dem überzeugenden Urteil des BSG vom 8. März 1979 – 12 RAr 54/77 (SozR 4100 § 141 b AFG Nr. 9) ist die Zeit vor dem genauen Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens am Insolvenztag bei der Gewährung von Kaug mit zu berücksichtigen. Die §§ 187, 188 BGB regeln lediglich, wie angesichts eines solchen in den Ablauf eines Tages fallenden Fristbeginns das Ende der Frist zu berechnen ist. § 187 Abs. 1 BGB sagt nicht, daß der Tag, in dessen Lauf das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, der Frist nicht zuzurechnen ist. Dies führt zu der Rechtswohltat, daß der Zeitraum, für den ein Anspruch auf Kaug ausgelöst werden kann, in Wirklichkeit drei Monate und die Stunden umfaßt, die am Insolvenztag dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung vorausgehen. Im übrigen wäre es unter Berücksichtigung des oben aufgeführten Sinn und Zwecks der gesetzlichen Regelungen über das Kaug unverständlich, die Stunden des Insolvenztages vor Konkurseröffnung schlechter zu behandeln, als die dem Insolvenztag vorausgegangenen Tage. Dem steht die von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 30. September 1991 angeführte Textpassage, "daß für den Anspruch auf Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld der Tag, an dem der Beschluss über die Eröffnung des Konkursverfahrens ergeht, nicht dem Zeitraum zuzurechnen ist, für den Kaug gezahlt werden kann (vergleiche BSG vom 30. November 1977 a.a.O. S. 197)”, nicht entgegen. Denn diese Textpassage betrifft gerade nicht die Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruches, sondern dessen Berechnung und Höhe. Sie beinhaltet, daß die Klägerin einen Urlaubsabgeltungsanspruch nicht für die gesamten 33 Urlaubstage des Jahres 1991, sondern anteilig nur für 3 Tage für die Zeit vom 1. Januar bis zum 14. Februar 1991 hat. Insgesamt also mit dem Restanspruch von 11 Tagen aus dem Vorjahr zusammen 14 Tage. Dies ergibt sich aus der für den Senat glaubwürdigen und überzeugenden Übersicht, die die Klägerin im Widerspruchsverfahren vorgelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Ansprüchen auf Urlaubsabgeltung bei der Gewährung von Konkursausfallgeld (Kaug).
Die 1960 geborene Klägerin war bei der mit Sitz in beschäftigt.
Am 15. Februar 1991 kündigte die Klägerin nach ihren Angaben im Gerichtsverfahren das Arbeitsverhältnis per Telefax um 9.33 Uhr fristlos. Am selben Tag wurde um 17.00 Uhr das Konkursverfahren über ihre Arbeitgeberin eröffnet.
Gleichfalls am 15. Februar 1991 beantragte die Klägerin bei dem Arbeitsamt Gießen der Beklagten, das den Antrag an das Arbeitsamt Pirmasens weiterleitete, Kaug.
Der Konkursverwalter der Arbeitgeberin gab in einer ersten Verdienstbescheinigung vom 25. Februar 1991 an, das Arbeitsverhältnis sei durch Kündigung der Klägerin zum 15. Februar 1991 gelöst worden und diese habe einen Restanspruch auf 12 Urlaubstage. In einer weiteren Verdienstbescheinigung des Konkursverwalters vom 12. März 1991 wurde der Resturlaub mit 6 Tagen angegeben und in einer dritten Verdienstbescheinigung vom 14. März 1991 erfolgte zum Resturlaub überhaupt keine Angabe.
Mit Bescheid vom 18. März 1991 gewährte die Beklagte der Klägerin Kaug für die Zeit vom 15. November 1990 bis 15. Februar 1991 in Höhe von 2.898,54 DM. Ihren hiergegen am 27. März 1991 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin mit einem Schreiben ihres Rechtsanwaltes an den Konkursverwalter wegen dessen Angaben über die Urlaubstage in den Verdienstbescheinigungen. Letztlich reichte die Klägerin selbst eine Übersicht ein, nach der sie für 1990 noch einen Resturlaub von 11 Tagen sowie für 1991 ein Urlaubsanspruch von 3 Tagen hatte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 1991 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, weil der Urlaubsabgeltungsanspruch am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses entstehe und vorliegend das Arbeitsverhältnis nach dem Insolvenzereignis geendet habe.
In der hiergegen am 3. Juni 1991 erhobenen Klage hat die Klägerin ausgeführt, daß gem. § 108 Konkursordnung (KO) für die Konkurseröffnung die Stunde entscheidend sei. Dies sei im vorliegenden Fall 17.00 Uhr gewesen und ihre Kündigung sei schon morgens und damit früher erfolgt. In ihrer Klageerwiderung hat die Beklagte ausgeführt, der Insolvenztag zähle nicht zum Kaug-Zeitraum.
Mit Urteil vom 9. September 1992 hat das Sozialgericht Gießen der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Kaug unter Einbeziehung der Urlaubsabgeltung zu gewähren, und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. November 1977 – 12 RAr 99/76 (BSGE 45, 191 ff.) ausgeführt, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehe, sondern schon zuvor aufschiebend bedingt vorhanden sei.
Gegen dieses der Beklagten am 1. Oktober 1992 zugestellte Urteil richtet sich deren am 23. Oktober 1992 eingelegte Berufung, die im wesentlichen damit begründet wird, das Arbeitsverhältnis sei nicht vor Eintritt des Insolvenzereignisses beendet worden und der Tag des Insolvenzereignisses werde nicht mehr von dem Kaug-Zeitraum umfaßt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 9. September 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts Gießen für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 151, 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), da das Sozialgericht sie zugelassen hat (§ 150 Nr. 1 SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 9. September 1992 ist nicht aufzuheben, weil der Bescheid der Beklagten vom 18. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1991 insofern abzuändern ist, als der Klägerin Kaug unter Einbeziehung der Urlaubsabgeltung zu gewähren ist.
Nach § 141 b Abs. 1 und 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Kaug, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die unabhängig von der Zeit, für die sie geschuldet werden, Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO sein können.
Das grundsätzliche Vorliegen dieser Voraussetzungen ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten und steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der vorliegenden Akte fest.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das Kaug der Klägerin unter Einbeziehung einer Urlaubsabgeltung für 14 Tage zu berechnen. Denn dieser Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung gehört zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses.
Nach dem insofern überzeugenden Urteil des BSG vom 30. November 1977 (a.a.O.), dem sich der Senat anschließt, ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ein Surrogat des Urlaubsanspruchs, der nach Erfüllen der Wartezeit zu einer Rechtsposition des Arbeitnehmers führt, die es diesem erlaubt, nach den gesetzlichen Voraussetzungen Urlaub zu verlangen. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht als Surrogat dieses Urlaubsanspruchs unter der aufschiebenden Bedingung, daß wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der eigentliche Urlaub nicht mehr gewährt werden kann. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der dadurch verursachten Möglichkeit, bezahlte Freizeit noch zu gewähren, tritt lediglich die aufschiebende Bedingung des bereits mit dem Urlaubsanspruch entstandenen Abgeltungsanspruchs ein. Hat der Arbeitnehmer diese Rechtsposition vor der Eröffnung des Konkursverfahrens bereits erworben, so fällt er mit diesem Anspruch aus.
Aus den Urteilen des BSG vom 20. August 1986 – 10 RAr 1/85 und vom 20. Mai 1987 – 10 RAr 11/86 – ergibt sich nichts anderes. Sie grenzen sich gegenüber dem zuvor genannten Urteil durch die zwischenzeitlich aufgrund des Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetzes (AFKG) geänderte Rechtslage ab. Danach (vgl. § 168 Abs. 1 Satz 2 AFG i.d.F. des AFKG vom 22. Dezember 1981, BGBl. I S. 1497) galt das bisherige Beschäftigungsverhältnis für die Zeit eines abgegoltenen Urlaubs als fortbestehend. Zwischenzeitlich ist diese Regelung aber durch das 7. Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1987 (BGBl. I S. 2484) wieder aufgehoben worden, weil sie sich u.a. aufgrund des mit ihr verbundenen hohen Verwaltungsaufwandes praktisch nicht bewährt hatte (vgl. Schönefelder/Kranz/Wanka, Arbeitsförderungsgesetz, § 168 Bl. 18/14).
Vor diesem Hintergrund ist an der obigen Rechtsprechung festzuhalten, die auch vom BSG in den Urteilen vom 11. März 1987 – 10 RAr 2/85 (SozR 4100 § 141 b Nr. 39) und vom 20. Juli 1988 – 12 RK 1/88 (SozR 7910 § 59 KO Nr. 24) bestätigt wurde, zumal der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, die Urlaubsabgeltung für Erholungszwecke zu verwenden. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung über das Kaug und des konkursrechtlichen Vorranges der rückständigen Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis im Konkursverfahren soll gerade im Interesse der Arbeitnehmer wie auch der Arbeitgeber ein Schutz vor Ausfällen geschaffen werden, die dadurch entstehen, daß Arbeitnehmer im Interesse der Erhaltung des Arbeitsplatzes auch ohne Lohnzahlungen noch einige Zeit weiterarbeiten. Dieser Zweck gilt für alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, deren Verwirklichung durch die Weiterarbeit bei einem in finanziellen Schwierigkeiten geratenen Unternehmer fraglich werden. Er umfaßt neben den Lohnansprüchen auch Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche. Es kann deshalb nicht darauf ankommen, für welchen Zeitraum der Urlaubsabgeltungsanspruch zum Lebensunterhalt bestimmt ist (BSG, Urt. v. 30. November 1977, a.a.O. S. 195 f.). Aus einer im AFKG für Zwecke des Versicherungsschutzes und der Beitragsberechnung vorgenommenen Fiktion der Ausdehnung des Beschäftigungsverhältnisses kann keine Änderung der arbeitsrechtlichen und konkursrechtlichem Bestimmungen geschlossen werden (vgl. BSG, Urt. v. 20. Juli 1988, a.a.O.).
Nach diesen Voraussetzungen hat die Klägerin einen Anspruch auf Einbeziehung ihrer Urlaubsabgeltung in die Berechnung des Kaug, weil ihr Arbeitsverhältnis vor der Konkurseröffnung beendet war. Nach dem insofern unwidersprochen gebliebenen und überzeugenden Vortrag der Klägerin hat sie ihr Arbeitsverhältnis mit ihrer früheren Arbeitgeberin am 15. Februar per Telefax um 9.33 Uhr fristlos gekündigt. Dies wurde auch von der Arbeitgeberin akzeptiert, wie sich aus der Verdienstbescheinigung des Konkursverwalters vom 25. Februar 1991 ergibt. Die Konkurseröffnung erfolgte zwar durch Beschluss des Amtsgerichts am selben Tag, jedoch erst um 17.00 Uhr.
Daraus, daß die fristlose Kündigung zwar vor der Konkurseröffnung, aber erst am Insolvenztag erfolgte, ergibt sich nichts anderes. Nach dem Wortlaut des § 141 b Abs. 1 AFG umfaßt das Kaug Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Nach dem überzeugenden Urteil des BSG vom 8. März 1979 – 12 RAr 54/77 (SozR 4100 § 141 b AFG Nr. 9) ist die Zeit vor dem genauen Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens am Insolvenztag bei der Gewährung von Kaug mit zu berücksichtigen. Die §§ 187, 188 BGB regeln lediglich, wie angesichts eines solchen in den Ablauf eines Tages fallenden Fristbeginns das Ende der Frist zu berechnen ist. § 187 Abs. 1 BGB sagt nicht, daß der Tag, in dessen Lauf das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, der Frist nicht zuzurechnen ist. Dies führt zu der Rechtswohltat, daß der Zeitraum, für den ein Anspruch auf Kaug ausgelöst werden kann, in Wirklichkeit drei Monate und die Stunden umfaßt, die am Insolvenztag dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung vorausgehen. Im übrigen wäre es unter Berücksichtigung des oben aufgeführten Sinn und Zwecks der gesetzlichen Regelungen über das Kaug unverständlich, die Stunden des Insolvenztages vor Konkurseröffnung schlechter zu behandeln, als die dem Insolvenztag vorausgegangenen Tage. Dem steht die von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 30. September 1991 angeführte Textpassage, "daß für den Anspruch auf Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld der Tag, an dem der Beschluss über die Eröffnung des Konkursverfahrens ergeht, nicht dem Zeitraum zuzurechnen ist, für den Kaug gezahlt werden kann (vergleiche BSG vom 30. November 1977 a.a.O. S. 197)”, nicht entgegen. Denn diese Textpassage betrifft gerade nicht die Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruches, sondern dessen Berechnung und Höhe. Sie beinhaltet, daß die Klägerin einen Urlaubsabgeltungsanspruch nicht für die gesamten 33 Urlaubstage des Jahres 1991, sondern anteilig nur für 3 Tage für die Zeit vom 1. Januar bis zum 14. Februar 1991 hat. Insgesamt also mit dem Restanspruch von 11 Tagen aus dem Vorjahr zusammen 14 Tage. Dies ergibt sich aus der für den Senat glaubwürdigen und überzeugenden Übersicht, die die Klägerin im Widerspruchsverfahren vorgelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
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