L 6 Eg 2/93

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 13 Eg 1158/90
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Eg 2/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Mit dem Widerruf eines Verzichts nach § 46 Abs. 1 2. Hs. SGB I erlangt der Leistungsberechtigte ab dem Zeitpunkt des Widerrufs rechtlich genau diejenige Position wieder, die er ab diesem Zeitpunkt ohne eine vorherige Antragstellung auf die betreffende Sozialleistung gehabt hätte. Der Widerruf eines Verzichts läßt demzufolge Ansprüche, deren Voraussetzungen noch oder wieder vorliegen, erneut entstehen.
2) Das eigenständige Antragsrecht auf Berücksichtigung des geringeren Einkommens aus dem vorletzten Jahr vor der Geburt eines Kindes nach § 6 Abs. 4 BErzGG kann auch noch nach Ablauf des Erziehungsgeldzeitraumes geltend gemacht werden. Es unterliegt insoweit allerdings der Ausschlußfristenregelung nach § 4 Abs. 2 BErzGG.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 27. Oktober 1992 abgeändert. Unter Abänderung des Bescheides vom 24. August 1990 und des Widerspruchsbescheides vom 16. November 1990 wird das beklagte Land verurteilt, der Klägerin ab dem 1. September 1989 bis zum 6. Februar 1990 ein höheres Erziehungsgeld unter Zugrundelegung des im Jahre 1989 erzielten Einkommens zu gewähren.

II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Das beklagte Land hat der Klägerin 5/6 der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des der Klägerin zustehenden Erziehungsgeldes streitig. Umstritten ist der Zeitraum ab Beginn des 7. Lebensmonats bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats der Tochter V. der Klägerin.

Die Klägerin, von Beruf Bilanzbuchhalterin, ist seit dem 27. Februar 1988 verheiratet. Sie lebt mit ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt. Ihre Tochter V. wurde am 7. Februar 1989 geboren. V. wurde während des streitbefangenen Zeitraums von der Klägerin betreut. Innerhalb dieser Zeit übte die Klägerin keine Erwerbstätigkeit aus.

Für die Betreuung und Erziehung von V. beantragte die Klägerin am 28. Februar 1989 die Gewährung von Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für dessen Höchstdauer.

Durch Bescheid vom 15. März 1989 wurde der Klägerin für die Zeit vom 7. Februar 1989 bis 6. August 1989 unter Anrechnung des geleisteten Mutterschaftsgeldes einkommensunabhängiges Erziehungsgeld gewährt. Gleichzeitig wurde der Klägerin mitgeteilt, nach den noch erforderlichen Einkommenserhebungen erhalte sie für die Zeit ab Beginn des 7. Lebensmonats ihres Kindes einen weiteren Bescheid.

Nachdem die Klägerin den am 18. April 1989 ergangenen Einkommensteuerbescheid ihres Ehemannes für 1987 vorgelegt hatte, bewilligte das beklagte Land durch Bescheid vom 28. April 1989 Erziehungsgeld auch für die Zeit vom 7. August 1989 bis zum 6. Februar 1990. Unter Zugrundelegung der in § 6 BErzGG vorgegebenen Einkommensberechnung wurde dabei nach Maßgabe des Einkommensteuerbescheides des Ehemannes für 1987 von einem den Grenzwert nach § 5 Abs. 2 BErzGG von 29.400,– DM um 9.261,– DM überschreitenden Einkommen ausgegangen. Daraus wurde ein monatlicher Anrechnungsbetrag von 295,37 DM und damit ein Erziehungsgeld in Höhe von monatlich 304,63 DM errechnet. In dieser Höhe wurde der Klägerin in der Zeit ab dem 7. August 1989 Erziehungsgeld gewährt.

Mit Schreiben vom 13. Juli 1989 teilte die Klägerin dem Versorgungsamt Wiesbaden mit, bedingt durch die Krankheit ihres Ehemannes werde "das Einkommen” weit unter demjenigen des Jahres 1987 liegen. Sie stelle daher den Antrag, das Erziehungsgeld ab dem 7. August 1989 neu festzusetzen. Durch Schreiben vom 18. Juli 1989 forderte das Versorgungsamt eine aktuelle Verdienstbescheinigung an und teilte zugleich mit, daß dann, falls sich nach dieser Verdienstbescheinigung ein erhöhtes Erziehungsgeld errechnen lasse, dieses nur unter Vorbehalt gezahlt werde. Endgültig werde das Erziehungsgeld erst nach Vorlage des Steuerbescheides 1989 festgestellt. Evtl. entstehende Überzahlungen müßten zurückgezahlt werden.

In der Folgezeit legte die Klägerin eine Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers ihres Ehemannes sowie weitere Unterlagen der V. AG über die ab dem 28. März 1989 eingetretene Arbeitsunfähigkeit ihres Ehemannes vor. Das Versorgungsamt teilte daraufhin der Klägerin mit Schreiben vom 22. August 1989 mit, daß es vorerst bei der mit Bescheid vom 28. April 1989 getroffenen Regelung über die Höhe des Erziehungsgeldes verbleiben müsse, da sich nach den getroffenen Feststellungen keine wesentliche Änderung gegenüber diesem Bescheid ergeben habe. Diese Entscheidung ergehe vorbehaltlich des Steuerbescheides von 1989. Nach dessen Vorlage erfolge eine rückwirkende Neuberechnung des Erziehungsgeldes.

Am 27. November 1989 führte die Klägerin mit der Erziehungsgeldstelle des Versorgungsamtes Wiesbaden ein Telefongespräch. Vom Versorgungsamt wurde darüber folgender Aktenvermerk gefertigt:

"Frau Sch. teilte mit, daß sie den Antrag auf aktuelles EK ab 7. LM zurückziehen will. Sie wurde darauf aufmerksam gemacht, daß sich evtl. eine Nachzahlung ergeben wird. Trotzdem will sie den Antrag zurückziehen. Schriftliche Mitteilung folgt”.

Noch am selben Tag teilte die Klägerin dem Versorgungsamt schriftlich mit, sie ziehe hiermit ihren Antrag auf Neufeststellung des Erziehungsgeldes zurück, da sich tatsächlich keine wesentliche Änderung gegenüber dem Bescheid vom 28. April 1989 ergeben würde.

Mit dem am 1. März 1990 beim Versorgungsamt Wiesbaden eingegangenen Schreiben vom 28. Februar 1990 wies die Klägerin gegenüber dem Versorgungsamt daraufhin, nach ihren neuesten Erkenntnissen werde das Einkommen ihres Mannes für das Jahr 1989 ohne Berücksichtigung der Einkommensteuer und der Sonderausgaben ca. 35.000,– DM betragen. Dies stelle eine wesentliche Änderung gegenüber dem Bescheid vom 28. April 1989 dar, so daß sie ihren Antrag vom 13. Juli 1989 neu aufleben lasse wolle. Den Einkommensteuerbescheid von 1989 legte die Klägerin in der Folgezeit vor. Aus diesem Einkommensteuerbescheid ergibt sich unter Zugrundelegung der Einkommensberechnung nach § 6 BErzGG für 1989 tatsächlich ein geringeres Einkommen als für 1987.

Die Neufeststellung des Erziehungsgeldes für V. lehnte das beklagte Land durch Bescheid vom 24. August 1990 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die erneute Antragstellung auf Berücksichtigung des aktuellen Einkommens sei erst nach Ablauf des Bezugszeitraums erfolgt. Die Antragsrückwirkung nach § 2 Abs. 2 BErzGG könne daher keine Anwendung mehr finden, so daß der Antrag insgesamt habe abgelehnt werden müssen.

Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 16. November 1990 zurückgewiesen. Im Widerspruchsbescheid wurde ausgeführt, gemäß §§ 5, 6 BErzGG sei für die Berechnung des Erziehungsgeldes im einkommensabhängigen Zeitraum der Beginn des 7. Monats maßgebend. Eine Abweichung in der Berechnung des einkommensabhängigen Erziehungsgeldes sei nur dann möglich, wenn sich nach diesem Zeitpunkt Änderungen in den Einkommensverhältnissen der Antragstellerin z.B. durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im 10. Monat und damit die Notwendigkeit der Berücksichtigung des eigenen Einkommens ergäben. Sofern in den Verhältnissen keine Änderungen dieser Art eintreten, sei eine Umstellung der Berechnungsgrundlage nach § 6 BErzGG indes nur innerhalb des Bezugszeitraums möglich. Die Klägerin habe unter Berücksichtigung der damals gültigen Bewilligungsdauer sechs Monate Zeit gehabt, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Zu einer solchen Antragstellung sei es auch gekommen, die Klägerin habe aber mit Schreiben vom 27. November 1989 diesen Antrag zurückgezogen. Der erneute Antrag sei nach Ablauf der Bezugszeit gestellt und deshalb zu Recht abgelehnt worden.

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Wiesbaden unter Zulassung der Berufung durch Urteil vom 27. Oktober 1992 abgewiesen. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, den ursprünglich gestellten Antrag auf Neufeststellung des Erziehungsgeldes habe die Klägerin mit Schreiben vom 27. November 1989 wirksam zurückgenommen. Durch diese Rücknahme habe die Klägerin auf ein evtl. ihr zustehendes höheres Erziehungsgeld ab dem 7. Lebensmonat verzichtet. Da der Verzicht nach § 46 Sozialgesetzbuch I (SGB I) eine einseitige empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung sei, durch die über den Anspruch auf eine Sozialleistung verfügt werde, habe es einer Annahmeerklärung des beklagten Landes insoweit nicht bedurft. Der Anspruch der Klägerin auf ein höheres Erziehungsgeld ab dem 7. Lebensmonat sei infolge des Verzichts erloschen. Ihre Erklärung vom 27. November 1989 könne die Klägerin auch nicht wegen Irrtums anfechten. Ihr Vortrag, in dem Telefongespräch vom 27. November 1989 sei das Wort "Nachzahlung” gefallen, so daß sie angenommen habe, daß möglicherweise sie selbst etwas nachzahlen müsse, stelle keinen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum dar. Diese mögliche Folge einer Erstattung ergebe sich vielmehr aus § 6 Abs. 4 BErzGG. Die Klägerin könne sich deshalb auch nicht auf eine fehlerhafte Beratung durch das beklagte Land berufen. Der Verzicht könne auch nicht wirksam für die Vergangenheit widerrufen werden. Denn nach § 46 Abs. 1 Satz 2 SGB I sei der Verzicht lediglich mit Wirkung für die Zukunft möglich. Als zweiter Antrag im Sinne von § 6 Abs. 4 BErzGG sei der erneute Antrag unzulässig, denn die Entscheidung über die Höhe des Erziehungsgeldes ab dem 7. Lebensmonat sei bindend geworden. Der Antrag vom 28. Februar 1990 sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 44 Sozialgesetzbuch X (SGB X) begründet. Denn das beklagte Land habe weder das beim Erlaß des ursprünglichen Bescheides maßgebliche Recht unrichtig angewandt, noch sei es von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen habe.

Gegen das der Klägerin am 8. Dezember 1992 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. Januar 1993 eingegangene Berufung. Die Klägerin ist der Auffassung, es treffe nicht zu, daß der Antrag vom 13. Juli 1989 mit Schreiben vom 27. November 1989 rechtswirksam zurückgenommen worden sei. Zwar seien Anträge während des Verwaltungsverfahrens noch zurücknehmbar. Dies gelte jedoch nicht, wenn die auf diese Anträge ergangenen Bescheide bereits bindend geworden seien (Hinweis auf BSG, Urteil vom 13. September 1979 – 12 RK 60/78 = SozR 5750 Nr. 2 zu Art. 2 § 51 a ArVNG; BHG MDR 1959, Seite 653; Kopp Anm. 33 zu § 9 VwVfG). Da der auf den Antrag vom 13. Juli 1989 erteilte Bescheid vom 22. August 1989 bereits bestandskräftig gewesen sei, sei eine Antragsrücknahme rechtlich nicht mehr zulässig gewesen.

Die Klägerin die zur mündlichen Verhandlung weder erschienen war, noch sich vertreten ließ, beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 27. Oktober 1992 aufzuheben und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 24. August 1990 und des Widerspruchsbescheides vom 16. November 1990 zu verurteilen, ihr in der Zeit vom 7. August 1989 bis zum 6. Februar 1990 ein höheres Erziehungsgeld zu gewähren.

Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Das beklagte Land hält die sozialgerichtliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie beigezogene Verwaltungsakte (Gz. xxxxx W BErzGG) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie kraft Zulassung statthafte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –, §§ 13 BErzGG, 150 Nr. 2 SGG, jeweils in der bis zum 28. Februar 1993 maßgeblichen Fassung) ist zum überwiegenden Teil begründet. Der Klägerin steht für die Zeit ab dem 1. September 1989 bis zum 6. Februar 1990 ein höheres Erziehungsgeld für ihre Tochter V. zu.

Sämtliche Voraussetzungen für ein höheres Erziehungsgeld sind ab diesem Zeitpunkt gegeben. Insbesondere kann bei der Klägerin von einem geringeren Einkommen gem. § 6 Abs. 1 BErzGG ausgegangen werden, als dies von der Beklagten angenommen wurde. Zugrundezulegen ist nämlich vorliegend nach § 6 Abs. 4 BErzGG das im Jahre 1989 erzielte Einkommen ihres Ehemannes, das nach dem vorgelegten Steuerbescheid für 1989 tatsächlich geringer ist als dasjenige für das Jahr 1987, das vom beklagten Land der ursprünglichen Bemessung des Erziehungsgeldes zugrunde gelegt worden ist. Dies führt zu einer Verringerung des Anrechnungsbetrages nach § 5 Abs. 2 BErzGG, so daß der Klägerin im Ergebnis ein höheres Erziehungsgeld zu gewähren ist.

Hinsichtlich der Berechnungsgrundlage ist dies zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten. Das beklagte Land meint jedoch, ebenso wie das Sozialgericht, auf das geringere Einkommen im Jahr 1989 komme es nicht an, da der Anspruch der Klägerin auf ein höheres Erziehungsgeld ab dem 7. Lebensmonat ihrer Tochter infolge des mit Schreiben vom 27. November 1989 ausgesprochenen Verzichts erloschen sei.

Dieser Auffassung vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen.

So erscheint es bereits zweifelhaft, ob aus dem Inhalt des von der Klägerin abgefaßten Schreibens vom 27. November 1989 ein Verzichtswille auf eine der Klägerin ansonsten zustehende Sozialleistung abgeleitet werden kann. Denn zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärung war nach den zwischen der Klägerin und dem Versorgungsamt XY. geführten Gesprächen allenfalls die Möglichkeit gegeben, daß sich ein höherer Leistungsanspruch ergeben könnte. Im Aktenvermerk des Versorgungsamtes vom 27. November 1989 wird dies in der Form zum Ausdruck gebracht, als davon gesprochen wird, es werde sich "evtl.” eine Nachzahlung ergeben. Der Senat neigt insoweit zu der Auffassung, daß einer Verzichtserklärung nach § 46 Abs. 1 SGB I nur insoweit Wirkung zukommen kann, als der Umfang des Verzichts für den Verzichtenden bereits feststeht (so auch Meyer, Verfügung über Leistungsansprüche im Sozialrecht, SGb 1978, S. 504, 512).

Ob und in welchem Umfang in der Nichtweiterverfolgung eines keinesfalls als sicher anzusehenden Anspruchs bereits ein Verzicht auf eine Sozialleistung nach Maßgabe von § 46 Abs. 1 SGB I liegt, kann vorliegend jedoch ebenso dahingestellt bleiben, wie die Klärung der Frage, inwieweit und mit welchen Rechtsfolgen eine Verzichtserklärung von der möglicherweise in ihren Folgen weniger einschneidenden Erklärung über die Rücknahme eines einmal gestellten Leistungsantrags abzugrenzen ist. Denn selbst dann, wenn man von einem Verzicht nach § 46 Abs. 1 SGB I ausgehen sollte, kann diesem Verzicht nicht diejenige Rechtsfolge zukommen, die ihm das Sozialgericht beimessen will.

Die Einschränkung in § 46 Abs. 1 SGB I, wonach der Verzicht lediglich mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann, bedeutet nach Auffassung des Senats nicht, daß durch eine solche Erklärung vorliegend für den streitbefangenen Zeitraum der Anspruch auf ein höheres Erziehungsgeld tatsächlich ausgeschlossen wäre. Mit dem Widerruf des Verzichts lebt nämlich der Anspruch auf eine Sozialleistung in der Form wieder auf, wie er im Zeitpunkt des Widerrufs des Verzichts bestehen würde, wenn es zu dem Verzicht nicht gekommen wäre. Mit dem Widerruf eines Verzichts erlangt der Leistungsberechtigte ab dem Zeitpunkt des Widerrufs rechtlich also genau diejenige Position wieder, die er ab diesem Zeitpunkt ohne eine vorherige Antragstellung auf die betreffende Sozialleistung gehabt hätte. Eine weitergehende Einschränkung ist in § 46 Abs. 1 2. Halbsatz SGB I nach Auffassung des Senats nicht enthalten. Die im Gesetz vorgesehene Widerrufsmöglichkeit "für die Zukunft” bedeutet nicht zugleich den Ausschluß jeglicher Rechte für die Vergangenheit. Der Widerruf läßt vielmehr Ansprüche, deren Voraussetzungen noch oder wieder vorliegen, erneut entstehen (Meyer a.a.O.). Für eine Auslegung dergestalt, daß ein Leistungsempfänger, der auf die Weiterverfolgung eines einmal gestellten Antrages verzichtet, durch § 46 Abs. 1 2. Hs. schlechter gestellt werden soll, als jemand der – bisher – überhaupt noch keinen Antrag gestellt hatte, gibt es im Gesetz keinerlei Anhaltspunkte.

Durch einen vom Sozialleistungsempfänger ausgesprochenen Verzicht sollen also im Falle dessen Widerruf nicht stets alle Leistungsansprüche für die Vergangenheit entfallen, vielmehr soll dies nur insoweit der Fall sein, als solche Leistungsansprüche im Zeitpunkt des Widerrufs – etwa durch Ausschlußfristen oder Verjährungsregelungen u.a.m. – bereits ausgeschlossen sind.

Im Falle der Klägerin heißt dies, daß diese mit dem am 1. März 1990 eingegangenen Schreiben so zu behandeln ist, als handelte es sich dabei um einen Neuantrag, den das Bundeserziehungsgeldgesetz für die Fälle der eingetretenen Einkommensänderung in § 6 Abs. 4 BErzGG in eigenständiger Form ausdrücklich vorsieht, ohne daß insoweit auf die Regelungen der §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch X (SGB X) zurückgegriffen werden müßte.

Dies hat zur Folge, daß der Klägerin rückwirkend ab dem 1. September 1989 ein höheres Erziehungsgeld zu gewähren ist. Ein weitergehender Anspruch ist dagegen nach § 4 Abs. 2 BErzGG, der nach Auffassung des Senats auch für die Fälle des § 6 Abs. 4 BErzGG Anwendung findet, ausgeschlossen.

Die Auffassung der Klägerin, durch ihr Schreiben vom 27. November 1989 sei keinerlei Rechtsverlust eingetreten, teilt der Senat insoweit nicht. Zumindest hat diese Erklärung den ursprünglich gestellten Antrag der Klägerin beseitigt, so daß erstmals wieder mit dem 1. März 1990 ein Antrag nach § 6 Abs. 4 BErzGG vorgelegen hat. An der Wirksamkeit der Erklärung vom 27. November 1989 bestehen für den Senat keine Zweifel. Selbst wenn die Klägerin den Inhalt des an diesem Tage mit dem Versorgungsamt XY. geführten Telefongesprächs mißverstanden haben sollte, stellt dies allenfalls einen nicht zur Anfechtung berechtigenden Motivirrtum dar. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts kann nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen werden. Ohnehin liegt eine Anfechtungserklärung der Klägerin nicht vor. Auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann die Klägerin aus dem Inhalt des Gespräches vom 27. November 1989 keine für sie günstige Rechtsfolge ableiten. Ein Beratungsfehler liegt, wie das Sozialgericht ebenfalls zu Recht ausgeführt hat, insoweit auf selten des beklagten Landes gleichfalls nicht vor, da die mögliche Folge einer Erstattung sich aus § 6 Abs. 4 BErzGG ergibt, falls die Einkommenshöhe tatsächlich denjenigen Betrag übersteigt, der sich zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag feststellen läßt. Da das Gespräch zwischen der Klägerin und dem Versorgungsamt XY. am 27. November 1989, also noch vor Ablauf des maßgeblichen Kalenderjahres, stattgefunden hat, war jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt diese Rechtsfolge noch nicht ausgeschlossen.

Daß der Neuantrag von der Klägerin erst am 1. März 1990, und damit außerhalb des Erziehungsgeld-Zeitraums, gestellt worden ist, steht einer rückwirkenden Leistungsgewährung nicht entgegen. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte zur Begründung ihrer anders lautenden Auffassung auf die Regelung des § 6 Abs. 4 Satz 1 BErzGG. Zwar wird danach auf das voraussichtliche Einkommen des Kalenderjahres abgestellt, in dem der 7. Lebensmonat des Kindes beginnt. Aus der Zukunftsbezogenheit ("voraussichtlich”), die im Wortlaut dieser Regelung zum Ausdruck kommt, kann jedoch nicht geschlossen werden, daß auch der Antrag innerhalb dieses Zeitraums gestellt werden muß. Zum Zeitpunkt einer möglichen Antragstellung ist in § 6 Abs. 4 BErzGG vielmehr gerade keine Aussage enthalten. Der Hinweis auf das "voraussichtliche” Einkommen im Sinne von § 6 Abs. 4 Satz 1 BErzGG bezieht sich vielmehr lediglich darauf, daß die tatsächliche Einkommenshöhe in aller Regel erst mit dem Einkommensteuerbescheid feststeht, der nach Abschluß des maßgeblichen Kalenderjahres ergeht. Darauf beruht auch der Rückforderungsvorbehalt in § 6 Abs. 4 Satz 2 BErzGG. Eine weitergehende Bedeutung in bezug auf die Antragstellung kommt § 6 Abs. 4 BErzGG nicht zu. Insbesondere ist in § 6 Abs. 4 BErzGG auch keine über § 4 Abs. 2 BErzGG hinausgehende Ausschlußfristenregelung enthalten.

Da nach § 4 Abs. 2 BErzGG Erziehungsgeld auch noch – wenn auch mit der möglichen Folge eines ggf. teilweisen Ausschlusses – zu einem Zeitpunkt beantragt werden kann, zu dem der Erziehungsgeldzeitraum bereits vollständig abgelaufen ist, muß es auch möglich sein, zu einem solchen Zeitpunkt noch das Einkommen zugrunde zu legen zu lassen, das für die Zeit ab Beginn des 7. Lebensmonats maßgeblich war. Den einzigen Nachteil, den der Erziehungsgeldberechtigte insoweit – sieht man von dem Ausschluß innerhalb der Fristen des § 4 Abs. 2 BErzGG ab – erleidet, ist derjenige, daß die Zahlung des ggf. höheren Erziehungsgeldes nicht bereits während des Erziehungsgeldzeitraums erfolgt. Weitere Rechtsfolgen zu Lasten des Erziehungsgeldberechtigten hat eine Antragstellung außerhalb des Erziehungsgeldzeitraums jedoch nicht.

Da auch eine Verjährung der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche nicht eingetreten ist, konnte der Berufung für die Zeit ab dem 1. November 1989 stattgegeben werden. Für die Zeit davor war die Berufung demgegenüber zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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