L 16 B 619/08 AS PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 1159/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 B 619/08 AS PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 19. Juni 2008 aufgehoben.

Auf seinen Antrag vom 27.07.2006 wird dem Kläger mit Wirkung ab Antragstellung für das Verfahren vor dem Sozialgericht München (Az: S 13 AS 1159/06) Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt R. Hl, H.-Straße, M. beigeordnet.

Der Kläger hat keine Raten zu zahlen.



Gründe:


I.

Der 1957 geborene Kläger und seine 1966 geborene Ehefrau mit ukrainischer Staatsangehörigkeit (verheiratet seit 17.05.2004), deren beiden 1989 und 1995 geborenen Söhne in der Ukraine wohnen und für die ihr das Sorgerecht mit Beschluss vom 30.03.2004 zuerkannt worden ist, leben gemeinsam in einer 85 Quadratmeter großen 3-Zimmer-Wohnung in A-Stadt a. Inn mit einer Kaltmiete in Höhe von EUR 460,- zuzüglich Betriebs- und Nebenkosten in Höhe von EUR 130,- monatlich.

Sie beziehen seit 20.12.2005 Arbeitslosengeld II. Die Beklagte bewilligte ihnen mit Bescheid vom 15.02.2006 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich EUR 1.520,08 (Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe von EUR 578,08). Gleichzeitig wies diese darauf hin, dass nur eine Warmmiete in Höhe von EUR 436,58 angemessen sei und daher ab dem 01.06.2005 nur noch Kosten in dieser Höhe übernommen werden könnten.

Mit Bescheid vom 02.06.2006 bewilligte die Beklagte daher für den Zeitraum vom 01.06.2006 bis 30.11.2006 nur noch Leistungen in Höhe von EUR 1.378,58 monatlich, weil die Kosten für Unterkunft und Heizung nur noch in Höhe von EUR 436,58 zu zahlen seien.

Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Herabsetzung seiner Kosten der Unterkunft und Heizung. Die 3-Zimmer-Wohnung sei erforderlich, weil er und seine Ehefrau deren Sohn aus der Ukraine nachziehen lassen möchten. Bei einer kleineren Wohnung würde die Ausländerbehörde den Familiennachzug wegen Platzmangel verweigern. Er habe auch keine preiswertere Wohnung gefunden.

Dem Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2006 insoweit abgeholfen, als die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung bis 31.07.2006 übernommen wurden. Denn für den Kläger sei erst mit Erhalt des Bescheides vom 15.02.2006 die Notwendigkeit der Kostenreduzierung ersichtlich gewesen. Im Übrigen wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, weil nach den Bestimmungen des Landkreises A-Stadt für zwei Personen nur eine 65 Quadratmeter große Wohnung mit einer Kaltmiete in Höhe von EUR 292,50, Nebenkosten in Höhe von EUR 84,50 und Heizkosten in Höhe von EUR 59,58 (= 5/6 von EUR 71,50 wegen des Abzugs für Warmwasser), das heißt insgesamt in Höhe von EUR 436,58 angemessen sei. Der Kläger habe nicht dargelegt, welche Bemühungen er für eine Wohnungssuche bislang unternommen habe. Auch der beabsichtigte Zuzug des Sohnes der Ehefrau des Klägers stehe nicht entgegen. Denn nach den ausländerrechtlichen Bestimmungen sei ein Zuzug nur möglich, wenn eine Person dafür bürge, für den Lebensunterhalt des Sohnes aufzukommen. Da der Kläger und seine Ehefrau derzeit ohne eigenes Einkommen seien, käme hierfür nur eine Drittperson in Frage.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München wiederholte der Kläger im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend trug er vor, dass die Einsparungen der Miete bei einer kleineren Wohnung in keinem angemessenen Verhältnis zu den Mehrkosten, wie etwa Renovierung, Kaution, Maklergebühren, Neuanschaffungen u.s.w., die dem Kläger bei einem Umzug entstehen würden, ständen. Er habe keine geeignete günstigere Wohnung gefunden wegen fehlender finanzieller Mittel für Maklergebühren sowie des überlaufenen Wohnungsmarktes.

Den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Hl vom 27.07.2006, eingegangen beim Sozialgericht am gleichen Tag, lehnte das Sozialgericht mit Beschluss vom 19.06.2008 ab, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung des Klägers über den 31.07.2006 hinaus zu tragen. Denn die Wohnung des Klägers und seiner Ehefrau sei nicht angemessen im Sinn des § 22 Abs.1 Satz 1 SGB II. Abzustellen sei bei der Prüfung der Angemessenheit der Wohnung auf einen Zweipersonenhaushalt. Hierbei könne nicht der beabsichtigte Zuzug des Sohnes der Ehefrau aus der Ukraine berücksichtigt werden. Denn es komme allein auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Dass gegenwärtig nicht sicher sei, ob bzw. wann ein Sohn der Ehefrau des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland nachfolgen werde, könne nicht in der Weise berücksichtigt werden, dass dem Kläger gewissermaßen auf Vorrat größerer Wohnraum zugestanden werde für den Fall des Nachzugs des Sohnes. Die Beklagte habe auch die tatsächlichen Kosten für mehr als sieben Monate übernommen; bei der Sechsmonatsfrist nach § 22 Abs.1 Satz 3 SGB II handle es sich um eine Höchstgrenze. Im Übrigen habe der Kläger zu keiner Zeit glaubhaft gemacht, dass es ihm trotz zumutbarer Bemühungen nicht gelungen sei, angemessenen Wohnraum zu finden.

Mit der dagegen eingelegten Beschwerde trägt der Kläger in Ergänzung seines bisherigen Vorbringens vor, dass er von der Beklagten keine verbindlichen Aussagen über die Höhe der Kosten für die Renovierung der alten Wohnung, Inserats- und Maklerkosten sowie für die Kaution für die neue Wohnung erhalten habe. Schließlich könne er wegen seiner Behinderung zahlreiche Arbeiten nicht selbst vornehmen.

Beigezogen wurden die Akten des Sozialgerichts und der Beklagten, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173, 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ) und in der Sache begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts steht dem Kläger Prozesskostenhilfe ab Antragstellung zu. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und Rechtsanwalt Hl im Wege der Prozesskostenhilfe beizuordnen.

Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG,
§§ 114 f. ZPO). Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint im vorliegenden Fall gemäß § 121 Abs. 2 ZPO erforderlich.

Auch erscheint die Klage weder mutwillig noch kann nach Auffassung des Senats die hinreichende Erfolgsaussicht ohne weiteres verneint werden. Dabei brauchen die Erfolgsaussichten nicht abschließend geprüft zu werden. Es reicht vielmehr eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit. Eine derartige Erfolgswahrscheinlichkeit ist bereits zu bejahen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (so etwa Leitherer in Meyer-Ladewig/Kel-
ler/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 73 a Rdnr. 7a m.w.N.).

Nach § 22 Abs.1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs.1 Satz 2 SGB II in der bis 31.07.2006 geltenden Fassung).

a) Die Angemessenheit der Wohnungskosten ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles in zwei Schritten zu prüfen:

Zunächst ist abstrakt zu bestimmen, welche Unterkunftskosten auf Grund der Wohnraumgröße und des Wohnungsstandards für den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarkt angemessen sind (Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter: abstrakte Angemessenheit). Die Größe des Wohnraums wird typisierend bestimmt anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus. Es ist der Wohnungsstandard eines einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrades der Wohnung am konkreten Wohnort des Hilfebedürftigen zu Grunde zu legen (so etwa BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 10/06 R)).

Weiter ist zu prüfen, ob nach der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes für den Hilfebedürftigen tatsächlich eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung - Unterkunftsalternative - konkret verfügbar und zugänglich ist (konkrete Angemessenheit; so BSG a.a.O.).

Die Beklagte ist zwar zutreffend von einer dem Kläger sowie seiner Ehefrau grundsätzlich zustehenden Wohnraumgröße bis zu 65 Quadratmeter für eine Zweizimmerwohnung ausgegangen (Wohnraumförderbestimmung 2003 des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren vom 11.11.2002 - AllMBl. Nr. 14/2002 - S.971). Sie hat aber wohl zu Unrecht eine Kaltmiete in Höhe von EUR 292,50 sowie pauschalisierte Nebenkosten in Höhe von EUR 84,50 und pauschalisierte Heizkosten in Höhe von EUR 59,58 monatlich - zulässig sind nur im Verhältnis der angemessenen zur tatsächlichen Fläche anteilige Betriebs- und Heizkosten - auf Grund der Bestimmung der Höhe der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung des Landkreises A-Stadt a. Inn, die sich an dem Gesetz über die soziale Wohnraumförderung orientiert, für diesen gesamten Landkreis als angemessen festgesetzt. Bei ihrer Berechnung hat sie nicht die für den konkreten Wohnort A-Stadt sowie dessen näherer Umgebung marktüblichen angemessenen Wohnungsmieten ermittelt; die konkreten örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt sind nicht ausreichend berücksichtigt. Die dem Sozialgericht mit Schriftsatz vom 04.06.2007 vorgelegte Tabelle lässt kein aktuelles schlüssiges Konzept der Beklagten erkennen. Es ist weder von der Beklagten dargelegt noch sonst erkennbar, auf welchen Erhebungen der Quadratmeterpreis von EUR 4,50 beruht, ob eine Differenzierung zwischen Bestands- und Neumieten gemacht wurde und ob das untere Segment des örtlichen Wohnungsmarktes zu Grunde gelegt worden ist. Insoweit bedarf es weiterer Ermittlungen. Im übrigen erfolgte auch der Abzug der Kosten für die Warmwasserversorgung zu Unrecht in Höhe von 1/6 der Heizkosten (s. BSG, Urteil vom 27.02.2008, Az. B 14/11b AS 15/07 R).

b) Ferner sind die die Angemessenheitsgrenze übersteigenden tatsächlichen Kosten in der Regel längstens für sechs Monate zu berücksichtigen nach § 22 Abs.1 Satz 2 SGB II in der bis 31.07.2006 geltenden Fassung.

Die 6-monatige Schonfrist, die vom Gesetzgeber als grundsätzlich ausreichend für die Durchführung entsprechender Kostensenkungsmaßnahmen erachtet wird, begann erst ab der Bekanntgabe des Bescheides vom 15.02.2006 mit der Kenntnis von der Kostensenkungsaufforderung (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 10/06 R) zu laufen und endete zum 31.08.2006, so dass die Beklagte auch für den Monat Juli 2006 die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu erstatten hat.

Der Kläger kann nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen, weil er nach seinen glaubhaften Angaben über kein eigenes Vermögen verfügt und laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 183 SGG) und ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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