L 13 VU 37/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 41 VU 63/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VU 37/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. August 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf eine höhere Rente nach § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Verbindung mit dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) des Klägers.

Der 1946 geborene Kläger war aufgrund einer Verurteilung zu einer Haftstrafe wegen versuchter Republikflucht zu Unrecht vom April 1975 bis 1976 inhaftiert (Beschluss des Landgerichts Halle/Saale vom 20. Januar 1993). Er beantragte am 2. Dezember 1999 Beschädigtenversorgung nach § 21 StrRehaG wegen psychischer Folgeschäden der Haft und verwies in der Folgezeit auf ein durch die Schwerarbeit erworbenes Rückenleiden.

Der Beklagte zog die bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vorhandenen Unterlagen in Kopie bei und holte ein versorgungsärztlich-chirurgisches Gutachten von Dr. B vom 11. November 2002 ein, der zu dem Ergebnis gelangte, dass die von November 1975 bis März 1976 verrichtete Zwangsarbeit nach Umfang, Art und Schwere nicht geeignet gewesen sei, die seit der Haft geklagten rezidivierenden Beschwerden der unteren Wirbelsäulenabschnitte und die sich im Röntgenbefund vom November 2002 darstellenden leichten degenerativen Veränderungen sowie den Verdacht auf eine Spondylolyse zu begründen.

Der anschließend von dem Beklagten mit einer Begutachtung beauftragten Ärztin für Neurologie und Psychiatrie H schilderte der Kläger, der eine Facharbeiter- Ausbildung als Gebrauchswerber absolviert und vor der Haft überwiegend in diesem Beruf gearbeitet hatte, seinen beruflichen Werdegang nach der Haftentlassung. Die Sachverständige bewertete in ihrem Gutachten vom 27. November 2002 die vom Kläger geschilderten Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Angstzustände in geschlossenen Räumen sowie Situationen, die er nicht jederzeit verlassen könne, und Schweißausbrüche bei Erinnerungen an die Haft als inkomplette posttraumatische Belastungsstörung mit intrusiven Erlebnissen. Diese sei mit der phobischen Symptomatik im oberen Bereich der stärker behindernden seelischen Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einzuordnen. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte für ein vor der Haft bestehendes seelisches Leiden. Damals habe sich lediglich eine narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung gezeigt, in deren Rahmen die Anpassung an andere Menschen und Gruppen erschwert gewesen sei. Die MdE betrage 40 v.H., während im SB-Bereich das seelische Leiden wegen der Persönlichkeitsstörungen mit einem GdB von 50 zu bewerten sei.

Mit Bescheid vom 9. April 2003 erkannte der Beklagte eine partielle posttraumatische Belastungsstörung mit Klaustrophobie als Schädigungsfolge an. Die dadurch bedingte MdE betrage 40 v.H. und sei nach § 30 Abs. 2 BVG wegen besonderer beruflicher Betroffenheit um 10 v.H. höher zu bewerten. Die Gesamt-MdE betrage 50 v.H. Der Kläger habe einen Anspruch auf eine Ausgleichsrente, ihm stehe auch Berufsschadensausgleich dem Grunde nach zu. Ob aber das Erwerbseinkommen durch die anerkannten Gesundheitsstörungen gemindert sei, werde noch geprüft. Bei der nervenärztlichen Begutachtung sei eine bereits vor der Haft bestehende narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung festgestellt worden, in deren Rahmen es dem Kläger besonders schwer fiele, sich anderen Menschen anzupassen und sich mit den Bedingungen der Haft zurechtzufinden. Hierzu gehörten auch nach der Haft erlittene Kränkungen und Enttäuschungen im Berufsleben und in der Partnerschaft. Diese Generalisierung von Verletztheit und Gekränktsein sei nicht ursächlich auf die Haft zurückzuführen, sondern der vorbestehenden Akzentuierung zuzuschreiben, so dass keine Anerkennung nach dem StrehaG erfolgen könne.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die als Flash-Back- Erlebnisse bezeichneten Beschwerden hätten sich entgegen den Annahmen im Gutachten keineswegs zurückgebildet, so dass das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und zu bewerten sei. Diese sei als schwere Störung anzusehen und mit einer MdE von 50 bis 70 v.H. zu bewerten. Es sei auch zu prüfen, ob eine "andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung" als Schädigungsfolge anzuerkennen sei. In der Schlussbetrachtung des Gutachtens gewinne die diagnostizierte narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung an Bedeutung, indem ihr bei der Entstehung angeblich schädigungsunabhängiger Gesundheitsstörungen nach der Haft eine entscheidende Rolle beigemessen werde. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass als weiterer Entstehungsfaktor der Persönlichkeitsstörung schädigungsunabhängige Enttäuschungen aufgeführt würden, da der kausale Zusammenhang zwischen der Haft und den Beschwerden 20 Jahre lang verkannt worden sei. Die beruflichen Integrationsversuche seien überwiegend aus schädigungsabhängigen Gründen gescheitert.

Der Beklagte holte ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. S vom 4. Februar 2005 ein. Dem Gutachter machte der Kläger deutlich, an welchen Stellen er Korrekturbedarf an dem Gutachten der Ärztin H sehe. Dr. S konnte keine wesentlichen Vorschäden feststellen und wies darauf hin, dass die Persönlichkeitsentwicklung des Klägers, der zu Beginn der Haft 29 Jahre alt gewesen sei, zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen sei, so dass die nachfolgende Ausbildung der Persönlichkeitsstörung auf die Erlebnisse während der Haft zurückzuführen sei. Die notwendige Anzahl der Kriterien zur Diagnose des Vollbildes einer posttraumatischen Belastungsstörung liege vor. Es hätten auch soziale Anpassungsschwierigkeiten festgestellt werden können, die bei voller Ausschöpfung des Bewertungsrahmens dem unteren Bereich der mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten zuzuordnen, also mit einer MdE von 50 zu bewerten seien.

Mit Abhilfe-Bescheid vom 28. Februar 2005 stellte der Beklagte den Versorgungsanspruch neu fest. Durch die Schädigungsfolgen "posttraumatische Belastungsstörung mit vorwiegender phobischer und depressiver Symptomatik" betrage die MdE 50 v.H. und sei wegen einer Erhöhung nach § 30 Abs. 2 BVG um 10 v.H. insgesamt auf 60 v.H. festzusetzen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass Dr. S nunmehr von mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ausgehe, die im Rahmen einer von den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Anhaltpunkte) vorgegebenen MdE von 50 bis 70 im Regelfall mit einer MdE von 60 zu bewerten seien. Maßgeblich seien die Schwierigkeiten in den vier sozialen Bereichen Familie, Partnerschaft, Beruf und Gesellschaft, die jeweils als mittelgradig einzuschätzen seien.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 24. Mai 2005 hat Dr. S hinsichtlich der gegenüber der Ärztin H angegebenen beruflichen Tätigkeiten und deren Beendigung im Einzelnen dargestellt, welche durch die sozialen Anpassungsschwierigkeiten und welche durch äußere Gegebenheiten gescheitert seien. Insbesondere die Fähigkeit, partnerschaftliche Beziehungen zu knüpfen und über längere Zeiträume zu halten sowie die Entwicklung und Umsetzung beruflicher Ziele führe dazu, dass eine höhere Bewertung nicht möglich sei.

Dem folgend wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2005 zurück.

Mit der hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe seine beruflichen Ziele gerade nicht umsetzen können, sondern seine berufliche Integration sei gescheitert und von längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit geprägt. Er lebe vollkommen zurückgezogen und habe keine Freunde mehr. Es bestehe lediglich eine Partnerschaft zu einer Frau in distanziertem Umfang, wobei beide eine eigene Wohnung hätten. Er habe von 1976 bis 2005 insgesamt schädigungsbedingt 21, 3 Jahre lang keine vollschichtigen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben können. Das Sozialgericht hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. G vom 22. März 2006 eingeholt, der angegeben hat, orientiere man sich an Selbstbeschreibung und psychopathologischem Befund, so ergebe sich das Bild ängstlich- selbstunsicher geprägter Persönlichkeitszüge, während Kennzeichen einer feindlichen oder misstrauischen Haltung der Welt gegenüber als unabdingbare Voraussetzung zur Annahme einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung nicht feststellbar seien. Anamneseerhebung, Exploration nebst Verhaltensbeobachtung, systematische psychopathologische Merkmalserhebung und -abschätzung sowie psychodiagnostische/ psychometrische Einzelverfahren sprächen ebenso gegen das Vorliegen einer schwergradigen posttraumatischen Belastungsstörung wie das Fehlen einer konsequenten langfristigen traumaspezifischen psychotherapeutischen Behandlung. Die chronische Belastungsstörung gehe mit deutlich stärker behindernden Störungen mit ganz wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einher, es lasse sich jedoch keine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten feststellen. Die phobische Symptomatik sei Bestandteil der posttraumatischen Belastungsstörung. Die MdE betrage 40 v.H.

Durch Urteil vom 1. August 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Nach Nr. 26.3 der Anhaltspunkte seien schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem MdE-Grad von 50 bis 70 zu bewerten. Diese lägen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme allerhöchstens grenzwertig vor. Die Biografie des Klägers zeige, dass die Schädigungsfolgen einer Berufstätigkeit insbesondere dann entgegenstünden, wenn sie an bestimmten Orten (enge Räume, vergitterte Fenster) verrichtet werden müsste. Dem Hauptberuf des Klägers, Dekorateur, sei eine derartige Arbeitsumgebung zu eigen, so dass der Beklagte zu Recht eine besondere berufliche Betroffenheit im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG bejaht habe. Da eine derartig beengte Arbeitsumgebung aber nicht für die meisten Berufe typisch sei, könne von einer psychischen Veränderung, die sich in den meisten Berufen auswirke, nicht gesprochen werden. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger im Beruf des Erziehers gescheitert sei. Es verwundere, dass er trotz seiner Hafterlebnisse überhaupt für diesen Beruf, der eine besonders hohe nervliche Belastbarkeit erfordere, umgeschult worden sei. Gescheitert sei der Kläger letztlich daran, dass er sich ausschließlich dem Sektor des Arbeitslebens gewidmet habe, den er aufgrund seiner Erkrankung nicht habe ausüben können. Soweit der Kläger darüber hinaus Misserfolge gehabt habe, weil er wegen Überschreitens der Altersgrenze eine Bildungsmaßnahme nicht mehr habe durchführen können, bei der Trennung von einer Frau wirtschaftlich übervorteilt worden sei oder als Verkäufer auf Flohmärkten bei geänderter Wettbewerbssituation rückläufige Umsätze habe hinnehmen müssen, sei ein Zusammenhang mit der Haft nicht erkennbar. Der Kläger habe trotz aller Rückschläge immer wieder einen Ansatz gefunden, eine Perspektive zu entwickeln. Er sei auch in der Lage, zu ihm unbekannten Menschen in Kontakt zu treten. Die demgegenüber bestehenden Einschränkungen wie massive Schlafstörungen mit Alpträumen, Angstzustände mit Meidungsverhalten, starke Reaktionen auf Situationen, in denen der Kläger sich nicht rasch entfernen könne, Auftreten vegetativer Begleiterscheinungen wie Herzrhythmusstörungen, Schwitzattacken, Konzentrations- und Leseschwierigkeiten, Grübeln, fehlender Freundeskreis, sehr eingeschränkte soziale Kontakte, erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, erhöhte Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit und Libidoverlust rechtfertigten es nicht, entgegen der Einschätzung der gehörten Gutachter die mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen mit einer MdE von 60 v.H. nach § 30 Abs. 1 BVG, erhöht nach § 30 Abs. 2 BVG auf insgesamt 70 v.H. zu bewerten.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, das Urteil des Sozialgerichts enthalte eine unzutreffende Tatbestandswürdigung, da bereits mittelgradige Anpassungsschwierigkeiten anerkannt seien, die mit einer höheren MdE zu bewerten seien. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts leide er unter Anpassungsschwierigkeiten in allen Bereichen, die zu einer sozialen Isolation geführt hätten. Nur mit Hilfe einer hohen Dosis von Beruhigungsmitteln sei es ihm möglich gewesen, die Anfahrt und die Untersuchung bei Dr. G ohne sichtbare Erregungszustände zu überstehen. Der Schweregrad der seelischen Erkrankung erschließe sich daraus, dass der Rentenversicherungsträger rückwirkend ab März 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung anerkannt und einen Kausalzusammenhang zur Schädigungsfolge angenommen habe.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2009 haben die Beteiligten erklärt, dass der vom Kläger mit Schriftsatz vom 21. Januar 2009 geltend gemachte Anspruch auf Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit mit einer MdE von 20 v.H. nicht Gegenstand des Verfahrens sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. August 2006 aufzuheben, den Bescheid vom 9. April 2003 in der Fassung des Bescheides vom 28. Februar 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2005 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab 1. Dezember 1999 eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. einem Grad der Schädigung von 60 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 BVGzu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Kläger hat das im Rentenverfahren von Dr. M erstattete nervenfachärztliche Gutachten vom 28. Juni 2006 eingereicht. Auf seinen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein psychosomatisch-psychotherapeutisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. S vom 20. Mai 2008 eingeholt. Der Gutachter hat auf psychiatrisch/psychosomatischem Fachgebiet folgende Gesundheitsstörungen als durch die Haft verursacht angesehen, deren Einzel-MdE-Bewertung sich aus dem Klammerzusatz ergibt: a. posttraumatische Belastungsstörung (50) b. Agoraphobie ohne Panikstörung (30) c. Spezifische Phobien (10) d. Spannungskopfschmerz (10).

Durch die Haft verschlimmert worden sei mit Wahrscheinlichkeit ein Lendenwirbelsäulensyndrom, das mit einer Einzel-MdE von 10 zu bewerten sei. Die Gesamt-MdE betrage 70 v.H. Entgegen der von Dr. S vertretenen Auffassung sei die ergänzende Bezeichnung der Belastungsstörung "mit vorwiegend phobischer und depressiver Symptomatik" unzutreffend, da es sich wegen des Ausprägungsgrades um eigenständige Krankheitsbilder einer Agoraphobie und einer Dysthymia handele.

Hiergegen hat der Beklagte unter Bezugnahme auf eine psychiatrische Stellungnahme von Dr. Saure eingewandt, dass in die Bewertung der posttraumatischen Belastungsstörung mit einer MdE von 50 die Gesamtheit der beeinträchtigenden Symptomatik einzubeziehen sei, also auch die phobische Symptomatik. Zwar sei dem Gutachten von Prof. Dr. S zu entnehmen, dass der Kläger sich in den letzten Jahren stärker zurückgezogen habe. Er lebe allerdings nach wie vor in Köpenick, wo nach seinen Angaben "viele Bonzen leben" würden. Auch sei dem geschilderten Tagesablauf keine Beeinträchtigung der Lebensqualität zu entnehmen, die eine höhere Bewertung der Schädigungsfolgen notwendig machen würde. Der Kläger lebe seit 15 Jahren in einer festen Beziehung und gehe zahlreichen Hobbys nach.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des Sozialgerichts) und der Versorgungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Änderung des Bescheides vom 28. Februar 2005, mit dem der Beklagte seinen ursprünglichen Bescheid vom 9. April 2003 dahingehend geändert hat, dass die – hier allein streitigen -Schädigungsfolgen nach § 30 Abs. 1 BVG mit einer MdE von 50 v.H. bewertet werden.

Als Schädigungsfolge ist eine posttraumatische Belastungsstörung von dem Beklagten mit einer MdE von 50 anerkannt und damit dem unteren Grad einer schweren Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen zugeordnet worden. Mittelgradige soziale Anpassungsstörungen hat der ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 18./19. März 1998 am Beispiel des schizophrenen Residualzustandes als " in den meisten Berufen sich auswirkende psychische Veränderung, die zwar weitere Tätigkeit grundsätzlich noch erlaubt, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingt, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt" beschrieben. Zugleich sollen "erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung, aber keine Isolierung, noch kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte" bestehen. Diese Kriterien können zur differenzierenden Einschätzung der in Nr. 26.3, S. 48 der Anhaltspunkte aufgeführten "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen" dem Tagungsprotokoll des Sachverständigenrates vom 8./9. November 2000 zufolge analog herangezogen werden.

Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten haben Dr. S und Prof. Dr. S bejaht. Zu einer höheren MdE als 50 für diese Schädigungsfolge konnte der Senat unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme nicht gelangen. Denn anders als Dr. S und Prof. Dr. S geht Dr. G lediglich von einer deutlich stärker behindernden Störung mit ganz wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit aus und begründet dies mit den von ihm erhobenen Werten verschiedener Tests, u. a. eines Selbstbeurteilungsverfahrens, bei dem der Kläger Werte aufgewiesen habe, die weit unter den Mittelwerten von Patienten lägen, die den relevanten Diagnosegruppen einschließlich einer posttraumatischen Belastungsstörung zuzuordnen seien. Auch wenn der Senat nicht zu entscheiden hat, ob dieser Bewertung zu folgen ist, da der Beklagte die posttraumatische Belastungsstörung mit einer MdE von 50 bewertet hat, sprechen die Feststellungen von Dr. G jedenfalls dagegen, die anerkannte schwere Störung mit einem höheren Wert zu bemessen. Ergänzend war zu berücksichtigen, dass der Gutachter die vom Kläger als situationsabhängig bzw. situationsbezogen an die Haft erinnernd beschriebenen Angstzustände als Teil der posttraumatischen Belastungsstörung angesehen und dies damit begründet hat, dass diese Beschwerden der Intrusions-, Vermeidungs- und Hyperarousal-Symptomatik als Hauptsymptomgruppen der posttraumatischen Belastungsstörung zuzuordnen seien.

Konkrete Anhaltspunkte hatte der Kläger dafür, dass die posttraumatische Belastungsstörung mit einer höheren MdE zu bewerten sein könnte, zunächst nicht dargelegt. Soweit er geltend gemacht hatte, dass eine MdE von 60 als Mittelwert dem "Normalfall" entspreche, kann dem für den hier zu bewertenden Einzelfall nichts entnommen werden, zumal den Schilderungen des Klägers lediglich leichte Einschränkungen der Bewegungs- und Gestaltungsfreiheit im gegenwärtigen Lebensalltag zu entnehmen sind und auch der auf Antrag des Klägers gehörte Gutachter diese Schädigungsfolge mit einer MdE von 50 bewertet. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Kläger rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab 1. März 2005 gewährt worden ist und hierfür die Haft als ursächlich angesehen worden ist. Zwar wird eine Gefährdung bzw. die Unmöglichkeit, überhaupt eine berufliche Tätigkeit noch auszuüben, vom Sachverständigenbeirat als Kriterium für schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten aufgeführt, was grundsätzlich eine höhere Bewertung nicht ausgeschlossen erscheinen lässt. Dies kann jedoch im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil der Kläger nach dem nunmehr angenommenen Datum des Rentenbeginns sowohl von Dr. G (am 20. März 2006) als auch von Prof. Dr. S im Frühjahr 2008 untersucht worden ist, die jedenfalls übereinstimmend die noch vorhandenen Fähigkeiten des Klägers abweichend bewertet haben.

Zu einer höheren MdE konnte der Senat auch nicht unter Berücksichtigung einer von Prof. Dr. S als eigenständige Schädigungsfolge bewerteten Agoraphobie gelangen. Zwar begründet der Gutachter diese Bewertung damit, dass er wegen des Ausprägungsgrades der Symptomatik von eigenständigen Krankheitsbildern ausgehe. Ein eigenständiges Erkrankungsbild als weitere Schädigungsfolge wäre jedoch im Wege des Vollbeweises festzustellen. Zu dieser Einschätzung konnte der Senat jedoch insbesondere unter Beachtung der Ausführungen von Dr. G, der schlüssig und nachvollziehbar dargelegt hat, dass diese Beschwerden der Intrusions-, Vermeidungs- und Hyperarousal-Symptomatik als Hauptsymptomgruppen der posttraumatischen Belastungsstörung zuzuordnen seien, nicht gelangen, zumal Prof. Dr. S für seine abweichende Einschätzung gegenüber Dr. G keine Begründung außer dem Hinweis auf die Einschätzung des Schweregrades gegeben hat. Diese Gewichtung konnte den Senat ohne Angabe konkreter Anknüpfungstatsachen nicht überzeugen. Dabei hat er maßgeblich auf die von dem Gutachter erhobenen "Psychosomatisch-psychotherapeutischen Befunde" abgestellt, in denen lediglich ausgeführt ist "das allgemeine Lebensgefühl ist durch die seelischen und körperlichen Beschwerden und durch die finanziell eingeschränkten Lebensmöglichkeiten negativ getrübt".

Ist danach allein die MdE aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung festzustellen, folgt der Senat der Bewertung durch Dr. S.

Infolge der Tatsache, dass die MdE nunmehr in § 30 Abs. 1 BVG als Grad der Schädigungsfolge bezeichnet wird, hat sich keine Änderung ergeben. Denn durch die Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG durch das G v. 13.12.2007 BGBL.I, 2904 mit Wirkung vom 21.12.2007sollte lediglich klargestellt werden, dass nichtursächliche Gesundheitsfolgen von der Bewertung nicht mit erfasst werden sollen (vgl. Bundestagsdrucksache 16/6541 S. 1).

Auch durch die Verrechtlichung der Anhaltspunkte durch die ab 1. Januar 2009 geltende Versorgungsmedizin-Verordnung hat sich keine Änderung der Bewertung der Folgen psychischer Traumen ergeben, Nr. 3.7, S. 27 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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