S 48 KR 1330/08 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
48
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 48 KR 1330/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beigeladene wird vorläufig verpflichtet, die Kosten der häuslichen Krankenpflege der Antragstellerin im Rahmen der vertragsärztlichen Verordnung ab dem 05.12.2008 bis längstens zum 31.03.2009 zu übernehmen. 2. Die Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt.

Gründe:

Der nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Antrag, der auf die Kostenübernahme für das tägliche Anlegen von Kompressionsverbänden bei der in einer Behinderteneinrichtung lebenden Antragstellerin gerichtet ist, hat auch in der Sache Erfolg.

Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Der durch den beantragten vorläufigen Rechtsschutz zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit seiner vorläufigen Sicherung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung).

1. Der Anordnungsgrund folgt daraus, dass die Antragstellerin nach zuletzt am 16.12.2008 erfolgter Verordnung des Herrn A., Facharzt für Allgemeinmedizin, jedenfalls noch bis 31.03.2009 wegen eines chronischen Lymphödems einmal täglich auf das Anlegen von Kompressionsverbänden angewiesen ist. Diese Maßnahme wird gegenwärtig vom ambulanten Pflegedienst "J." durchgeführt. Die Antragsgegnerin lehnte die am 30.09.2008 beantragten Leistungen der häuslichen Krankenpflege mit Bescheid vom 23.10.2008 unter Hinweis auf die vollstationäre Unterbringung der Antragstellerin im "Haus T." ab. Wie dem Schreiben des Pflegedienstes vom 26.01.2009 entnommen werden kann, sind die seit 06.10.2008 gestellten Rechnungen nicht beglichen worden und droht deshalb die Einstellung der Pflegeleistungen. Die Antragstellerin kann die erforderlichen Mittel zur Beauftragung des Pflegedienstes nachgewiesenermaßen nicht aufbringen, da sie eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von EUR 724,67 bezieht und über ein Erwerbseinkommen aus ihrer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen in Höhe von ca. 160 EUR verfügt. Von diesem Einkommen muss die Antragstellerin zudem einen Kostenbeitrag in Höhe von ca. EUR 680 im Rahmen der durch die Beigeladene bewilligten Eingliederungshilfeleistungen leisten.

2. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach allen derzeit vorliegenden Erkenntnissen und der im Eilverfahren ausreichenden summarischen Prüfung der Rechtslage ist der beigeladene Sozialhilfeträger verpflichtet, die in Rede stehenden Kosten für die Inanspruchnahme des ambulanten Pflegedienstes zu übernehmen.

a.) Zunächst steht einem solchen Anspruch nicht der Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) entgegen. Denn es besteht weder eine Verpflichtung der Antragsgegnerin noch ihrer Pflegekasse, die begehrten Leistungen der Behandlungspflege zu übernehmen. Ebenso wenig dürfte der Einrichtungsträger verpflichtet sein, die Behandlungspflege der Antragstellerin zu übernehmen.

Ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin nach Maßgabe des § 37 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) kommt nicht in Betracht. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen neben der ärztlichen Behandlung als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Die bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragstellerin lebt weder in ihrer Familie, noch in einem eigenen Haushalt. Letzterer setzt eine eigenständige Wirtschaftsführung voraus (BSG, Urteil vom 01.09.2005, Az.: B 3 KR 19/04 R, juris; LSG Hamburg, Urteil vom 18.07.2007, Az.: L 1 KR 89/05), an der es vorliegend offensichtlich mangelt, da die Antragstellerin im "Haus T." voll verpflegt wird und eine tägliche Gesamtvergütung zu zahlen ist.

Bei der vorliegenden Einrichtung handelt es sich aber auch nicht um einen sonst "geeigneten Ort" i.S.d. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, insbesondere nicht um eine betreute Wohnform. Betreute Wohnformen sind insbesondere von Heimen im Sinne des Heimgesetzes (HeimG) abzugrenzen und gegenüber diesen durch eine größere Eigenständigkeit der Bewohner gekennzeichnet (vgl. zur Abgrenzung von Heim und betreutem Wohnen OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.02.2007, Az.: 8 W 519/06; SG Stuttgart, Urteil vom 27.09.2006, Az.: S 15 SO 6319/05; SG Dresden, Urteil vom 15.12.2005, Az.: S 18 KR 470/03, alle in juris). Gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG sind Heime im Sinne dieses Gesetzes Einrichtungen, die dem Zweck dienen, ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. § 1 Abs. 2 HeimG enthält Regelungen zur Abgrenzung gegenüber betreuten Wohnformen. Danach begründet die Tatsache, dass ein Vermieter von Wohnraum durch Verträge mit Dritten oder auf andere Weise sicherstellt, dass den Mietern Betreuung und Verpflegung angeboten werden, allein nicht die Anwendung des HeimG. Dies gilt auch dann, wenn die Mieter vertraglich verpflichtet sind, allgemeine Betreuungsleistungen wie Notrufdienste oder Vermittlung von Dienst- und Pflegeleistungen von bestimmten Anbietern anzunehmen und das Entgelt hierfür im Verhältnis zur Miete von untergeordneter Bedeutung ist. Das HeimG ist dagegen anzuwenden, wenn die Mieter vertraglich verpflichtet sind, Verpflegung und weitergehende Betreuungsleistungen von bestimmten Anbietern anzunehmen (vgl. zu allem SG Hamburg, Beschluss vom 17.12.2007, Az.: S 56 SO, 365/07 ER, unveröffentlicht).

Bei der Einrichtung "Haus T.", in dem die Antragstellerin lebt, handelt es sich um ein Heim i.S.d. § 1 Abs. 1 HeimG. § 1 Ziff. II des Wohnstättenvertrages regelt die Überlassung von Wohnraum zur alleinigen bzw. anteiligen Nutzung an die Antragstellerin. Nach § 1 Ziff. III des Vertrages werden Betreuungsleistungen für die Bewohner vorgehalten, im Falle der Antragstellerin gem. § 1 Ziff. 3 (2) im Bereich Alltagsbewältigung, Mobilität/Orientierung, Gestaltung/Aktivität, körperliches Wohl, Gesundheitsvor- und -fürsorge sowie psychisches Wohl. Nach § 1 Ziff. IV und V hält der Wohnstättenträger Verpflegungs- und hauswirtschaftliche Leistungen für die Antragstellerin vor. Sämtliche Leistungen – Wohnraumüberlassung, Betreuung, Verpflegung – werden also von der Einrichtung selbst erbracht. Zudem verweist der Wohnstättenvertrag verschiedentlich auf das Heimgesetz (Präambel, § 1 Ziff. II (9), § 5 (1), § 8 (1) und (2), § 14 (3)).

Die durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 02.02.2007 (BGBl. I 2007, 378) vorgenommene, ab 01.04.2007 geltende Ausweitung der häuslichen Krankenpflege über Haushalt und Familie hinaus kann nicht als so weitgehend verstanden werden, dass nunmehr auch Heime i.S.d. Heimgesetzes als "sonst geeigneter Ort" gelten müssten. Die Gesetzesänderung verfolgte ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes den Zweck, vorschnelle stationäre Einweisungen zu vermeiden und bewirke "durch eine vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Wohnformen, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen Haushalten nicht benachteiligt werden" (BT-Drs. 16/3100 zu § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Hätte der Gesetzgeber eine weitergehende Ausdehnung des Anwendungsbereichs der häuslichen Krankenpflege über die betreuten Wohnformen hinaus auch auf Heime beabsichtigt, so hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich zu formulieren. Er hat jedoch nur die betreute Wohnform, nicht aber das Heim explizit als Beispiel für einen geeigneten Ort genannt (so bereits SG Hamburg a.a.O.). Wegen des sonach weiterhin beabsichtigten Ausschlusses von Heimen stellt die vorliegende Einrichtung auch keinen sonstigen "geeigneten Ort" zur Erbringung der häuslichen Krankenpflege i.S.d. § 37 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB V dar.

Dieser Bewertung stehen auch die am 17.01.2008 auf Grund von §§ 37 Abs. 6 Satz 1, 92 SGB V erlassenen und am 11.06.2008 in Kraft getretenen Häusliche Krankenpflege Richtlinien (HKP-Richtlinien) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nicht entgegen. In der ursprünglichen Beschlussfassung durch den G-BA stellten die Richtlinien zunächst in Nummer 6 ausdrücklich klar, dass – wie bisher – der Anspruch auf häusliche Krankenpflege während der Aufenthaltes in Einrichtungen, in denen ein Anspruch auf Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht, ausgeschlossen ist. Beispielhaft wurden u. a. "grundsätzlich Behinderteneinrichtungen" genannt. Nachdem das Bundesministerium für Gesundheit das Inkrafttreten der Richtlinien mit der Auflage verbunden hatte, den Wortlaut dahingehend abzuändern, dass "Behinderteneinrichtungen nicht grundsätzlich von der Verordnung häuslicher Krankenpflege ausgeschlossen werden", wurde der beispielhafte Hinweis auf Behinderteneinrichtungen gestrichen. Der in Nummer 6 Abs. 1 Satz 1 der HKP-Richtlinien nunmehr allein enthaltene Hinweis auf einen möglichen Anspruch auf Behandlungspflege gegen die Einrichtung ist aber nicht dahingehend zu verstehen, dass bei Fehlen eines solchen vertraglichen Anspruchs in sämtlichen Wohnformen der Behindertenhilfe – und damit auch in Heimen i.S.d. Heimgesetzes – häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V durch die Krankenkassen zu erbringen wäre. Vielmehr verbleibt es weiterhin in einem ersten Schritt bei der Abgrenzung zwischen Heimen und betreuten Wohnformen, um sodann bei letzteren, die grundsätzlich geeignete Orte für die Erbringung der häuslichen Krankenpflege darstellen, zu prüfen, ob ein vorrangiger vertraglicher Anspruch auf Behandlungspflege besteht. Ist dies der Fall, entfällt die Leistungspflicht der Krankenkasse. Befindet sich der Versicherte hingegen in einem Heim i.S.d. Heimgesetzes, steht dies dem Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V aus o. g. Gründen von vornherein entgegen. Dieser Befund ändert sich sodann auch nicht dadurch, dass sich die Einrichtung ggf. ihrerseits vertraglich nicht zur Erbringung von Behandlungspflege verpflichtet hat, wie es vorliegend der Fall ist (dazu sogleich).

Auch ein Anspruch der in Pflegestufe I eingestuften Antragstellerin gegen die Pflegekasse nach den Vorschriften des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) scheidet aus, da im Falle der vollstationären Unterbringung in einer Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen im Sinne der §§ 43a, 71 Abs. 4 SGB XI die Pflegekasse ihre Leistungsverpflichtung durch Übernahme des Pauschalbetrages von derzeit EUR 256 je Einzelfall erfüllt.

Vorliegend dürfte sich die Antragstellerin mit ihrem Begehren auch nicht erfolgreich an die Einrichtung bzw. den Einrichtungsträger halten können. Zwar findet sich in § 1 Ziff. 3 (1) des Vertrages der Hinweis auf die Gesundheitsvor- und -fürsorge als Betreuungsleistung des Wohnstättenträgers. Dies kann nach überschlägiger Prüfung aber nicht im Sinne einer Verpflichtung des Trägers ausgelegt werden, auch Behandlungspflege durch eigenes Personal zu erbringen. Nach Anlage 2 Ziff. 4 zum Wohnstättenvertrag zielt der Leistungsbereich Gesundheitsförderung und Gesundheitserhaltung auf die "Erfüllung der medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Erfordernisse". Innerhalb sämtlicher Leistungsbereiche erfolge die Leistungserbringung mit direkten und indirekten Leistungen. Im Bereich Gesundheitsförderung und Gesundheitserhaltung sollen darunter beim "Ausführen ärztlicher oder therapeutischer Verordnungen" die "Bereitstellung, Dosierung und Einnahme von Medikamenten" sowie "(Körper-) Übungen" fallen. Die ärztliche verordnete Behandlungspflege kann nicht darunter subsumiert werden und fällt auch nicht unter die ebenfalls genannten "speziellen pflegerischen Erfordernisse", zu denen beispielhaft die Dekubitusprophylaxe usw. gehören soll. Die genannten vertraglichen Bestimmungen dürften deshalb dahingehen zu verstehen sein, dass im Rahmen der Fürsorgeleistungen entsprechende Hilfen für die Behandlungspflege – wie hier durch den ambulanten Pflegdienst J. – lediglich durch das Heim vermittelt werden. Die genannten Vertragsbestimmungen konnten von der Antragstellerin bzw. ihrem gesetzlichen Betreuer nach verständiger Würdigung auch nur im genannten Sinne verstanden werden (§§ 133, 157 BGB), da bekannt gewesen sein dürfte, dass die Einrichtung lediglich über sozialpädagogische Kräfte, nicht aber über medizinisch-pflegerisches Fachpersonal verfügt.

b.) Sind weder Einrichtung noch Kranken- oder Pflegekasse zur Gewährung der Behandlungspflege verpflichtet, muss der Sozialhilfeträger den diesbezüglichen Bedarf der Betroffenen decken.

Krankenhilfeleistungen nach § 48 SGB XII scheiden indes insoweit aus, da diese gem. § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen und demnach auch hier die Unterbringung in einem Heim einem Anspruch entsprechend § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V aus o. g. Erwägungen entgegensteht.

Grundlage des geltend gemachten Anspruchs bilden vielmehr die Vorschriften über die Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Die Antragstellerin bezieht Leistungen der Eingliederungshilfe durch die Beigeladene, so dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 SGB XII in ihrer Person unstreitig vorliegen. Dabei kann der Anspruch zunächst nicht auf § 55 Satz 1 SGB XII gestützt werden. Danach umfassen die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, sofern sie in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen im Sinne des § 43a SGB XI erbracht werden, auch die Pflegeleistungen in der Einrichtung. Durch diese Regelung soll aber lediglich klargestellt werden, dass bei vollstationärer Unterbringung in einer Einrichtung nach § 43a SGB XI die durch die Einrichtung erbrachten Pflegeleistungen sachlich der Eingliederungshilfe zuzuordnen sind, um damit die oftmals schwierige Abgrenzung zwischen Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege zu vermeiden (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 55 Rn. 1). Vorliegend werden durch die Einrichtung aber gerade keine Pflegeleistungen erbracht.

Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zählen zu den Leistungen der Eingliederungshilfe aber u. a. die Leistungen nach den §§ 26, 33 und 55 des Neuntes Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Bei der Behandlungspflege handelt es sich zwar nicht um eine medizinische Rehabilitationsleistung i.S.d. § 26 SGB IX, da diese als Komplexleistungen erbracht wird, während die Behandlungspflege eine isolierte Maßnahme darstellt. Die Behandlungspflege ist aber im vorliegenden Fall als eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft i.S.v. § 55 Abs. 1 SGB IX zu qualifizieren. Nach § 55 Abs. 1 SGB IX werden solche Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden. Unter die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind sämtliche Maßnahmen zu fassen, die dem Ausgleich der gesamten im Einzelfall beeinträchtigten Fähigkeiten dienen, die notwendige Voraussetzung dafür sind, um wie nicht behinderte Menschen an Kontakten und Betätigungen in der Gesellschaft teilhaben zu können (Wollschläger, in: Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 2. Aufl. 2006, § 55 Rn. 2). In § 55 Abs. 2 SGB IX werden lediglich beispielhaft Leistungen genannt, durch die die Teilhabeziele ermöglicht oder gesichert werden. Der Leistungskatalog ist damit nicht abschließend (Wollschläger a.a.O. Rn. 1). Weder Wortlaut noch Systematik der §§ 53 ff. SGB XII sowie des § 55 SGB IX sprechen insoweit dagegen, im Einzelfall auch die häusliche Krankenpflege als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu qualifizieren, wenn keine andere der im SGB IX aufgeführten Leistungsarten den offenen Bedarf abdeckt. Eine solche Auslegung entspricht auch Sinn und Zweck der Vorschriften des SGB IX, die gleichberechtigte Teilhabe behinderter oder von einer Behinderung bedrohter Menschen am Leben in der Gemeinschaft zu fördern (vgl. § 1 Satz 1 SGB IX). Vorliegend ist es der Antragstellerin nur bei Durchführung der Behandlungspflege möglich, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen, insbesondere auch ihrer Arbeit in der Werkstatt für behinderte Menschen an vier Tagen in der Woche nachzugehen und auf diese Weise auch die dort bestehenden sozialen Kontakte aufrechtzuerhalten. Die Gesundheitsleistung wird in diesem Fall zur sozialen Teilhabeleistung (Pöld-Krämer, RdL 2006, S. 110, 111).

3. Die Beigeladene war daher nach § 75 Abs. 5 SGG, der auch im einstweiligen Anordnungsverfahren Anwendung findet, vorläufig zur Leistung zu verpflichten. Der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 75 Rn. 18b). Die Verpflichtung der Beigeladenen war ab Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auszusprechen und gilt längstens bis zum Ende der letzten ärztlichen Verordnung der Behandlungspflege, dem 31.03.2009.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved