L 9 U 1035/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 106/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1035/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein "schweres Lumbalsyndrom" Folge des Arbeitsunfalles vom 15. November 1947 ist und der Kläger infolgedessen Anspruch auf höhere Verletztenrente hat.

Am 15. November 1947 erlitt der am 19. November 1937 geborene Kläger im landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters als mithelfender Familienangehöriger eine Verletzung der rechten Hand an einer Futterschneidemaschine. Dies führte zu einer Absetzung des Zeigefingers in der Mitte des Mittelgliedes, des Mittelfingers im Mittelgelenk sowie von Ring- und Kleinfinger im Grundgelenk. Nach seinem im März 1965 abgeschlossenen Studium arbeitete der Kläger als Diplomphysiker. Ab 31. März 1989 war er bei bestehenden psychischen Leiden erwerbsunfähig und bezog er ab 1. Juli 1990 Rente der gesetzlichen Rentenversicherung (Mitteilung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte).

Mit Bescheid vom 21. Juli 1950 bewilligte die Badische Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft (BLBG), Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem Kläger ab Ablauf August 1950 eine Rente in Höhe von 40 v.H. der Vollrente als Dauerrente. Grundlage waren u. a. ein Gutachten des Krankenhauses B. vom 24. Februar 1948 sowie Gutachten des Chirurgen Dr. N. vom 15. Juni 1949 und des Orthopäden Dr. W. vom 5. Juli 1950, auf die verwiesen wird. In einem wegen eines Antrages auf Abfindung der Rente eingeholten Gutachten vom 26. März 1982 kam die Gewerbeärztin Dr. H. u.a. zum Ergebnis, körperlichen Missbildungen, insbesondere des Brustkorbes oder der Wirbelsäule (WS) lägen nicht vor.

Einen Antrag des Klägers auf rückwirkende Neuberechnung der Verletztenrente, u. a. unter Zugrundelegung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes (JAV), und die im Widerspruchsverfahren geltend gemachte Anerkennung und Entschädigung einer Neurose bzw. Persönlichkeitsstörung und eines chronischen Magen-Darm-Leidens wie eine Berufskrankheit (BK) - wozu der Kläger ein psychosomatisches Gutachten vom 2. August 1985 des Prof. Dr. H., erstellt für das Sozialgericht Freiburg (SG) in einem Rentenverfahren, sowie ein Gutachten von Dr. H. vom 31. August 1992, für das SG in einem Schwerbehindertenverfahren erstellt, vorlegte - lehnte die BLBG mit Bescheid vom 6. Dezember 1993 und Widerspruchsbescheid vom 25. März 1994 ab. Die nachfolgende Klage zum SG (S 7 U 684/94) blieb nach Einholung eines Gutachtens - auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - des Prof. Dr. S., vom 28. Februar 1995, der eine berufsbedingte psychische Erkrankung verneinte, erfolglos (Urteil vom 11. April 1995), ebenso die Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG, Beschluss vom 14. Mai 1996, L 10 U 1755/95) und die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (BSG, Beschluss vom 23. August 1996, 2 BU 149/96).

Ein bereits am 28. Dezember 1994 gestellter Antrag auf Gewährung von Heilbehandlung (speziell Psychotherapie, wegen der geltend gemachten Neurose und Persönlichkeitsstörung sowie der daraus resultierenden Magen-Darm-Beschwerden), der wegen des vorgenannten Rechtsstreits zurückgestellt worden war, und der im Widerspruchsverfahren zusätzlich gestellte Antrag auf Rücknahme des die Anerkennung einer BK bzw. Entschädigung der Erkrankung wie eine BK ablehnenden bindend gewordenen Verwaltungsaktes blieben erfolglos (Schreiben der BLBG vom 13. Dezember 1996, 24. Februar 1997 und 14. April 1997 sowie Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 1997), ebenso die beim SG erhobene Klage (S 7 U 1178/97), mit welcher der Kläger die Gewährung von Heilbehandlung wegen seiner psychischen Erkrankung und die Rücknahme der früheren ablehnenden Entscheidungen sowie die Anerkennung seiner psychischen Erkrankung als bzw. wie eine BK erstrebte (Urteil vom 16. Oktober 1997) und die deswegen beim LSG eingelegte Berufung (Beschluss vom 3. September 1998, L 10 U 4281/97).

Am 2. Januar 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten (die durch Zusammenschluss der BLBG mit der Württembergischen Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft entstanden ist) erneut die Neuberechnung seiner Verletztenrente unter Zugrundelegung eines höheren JAV, die Anerkennung seiner psychischen Erkrankung als bzw. wie eine BK sowie die Gewährung von Heilbehandlung hierfür und außerdem neu die Gewährung von Rente nach einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 15. November 1947, da ein unfallbedingtes schweres Lumbalsyndrom vorliege. Zu letzterem legte er einen Bericht des Orthopäden Dr. Schiefer vom 14. Januar 1998 vor. Mit Schreiben vom 31. Juli 2002 (ohne Rechtsmittelbelehrung) lehnte die Beklagte die Erteilung eines neuen Bescheides unter Hinweis auf die bestandskräftigen Entscheidungen ab. Dagegen erhob der Kläger am 19. September 2002 Widerspruch und machte geltend, bei den bindend gewordenen Entscheidungen sei man von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen bzw. das Recht unrichtig angewandt worden. Hinsichtlich der Anerkennung des Lumbalsyndroms als Unfallfolge sei es unzutreffend, dass es an neuen, noch unberücksichtigten Tatsachen fehle. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2002 als unbegründet zurückgewiesen, da keine neuen Tatsachen oder Erkenntnisse vorgebracht seien.

Die nachfolgende Klage (S 7 U 221/03), mit der der Kläger im Wesentlichen sein früheres Vorbringen wiederholte und geltend machte, das Lumbalsydrom sei nach Verletzung der rechten Hand als Überlastungsschaden links mit Verformung der Lendenwirbelsäule (LWS) eingetreten und zu entschädigen, wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 28. März 2003 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rücknahme der bindend gewordenen Bescheide und Anerkennung seines psychosomatischen Leidens in Form einer Neurose bzw. Persönlichkeitsstörung als BK sowie Gewährung von Leistungen wegen dieser Erkrankung und auch nicht auf Gewährung höherer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalles unter Zugrundelegung eines höheren JAV. Soweit der Kläger die Anerkennung eines "schweren Lumbalsyndroms" als Folge des Unfalles vom 15. November 1947 begehre, sei die Klage unzulässig, da es an einer vorangegangenen ablehnenden Verwaltungsentscheidung fehle. Die Beklagte werde über diesen Antrag noch zu entscheiden haben.

Während des anschließenden Berufungsverfahrens vor dem LSG (L 10 U 1690/03) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 2003 (mit der Rechtsmittelbelehrung, hiergegen sei das Rechtsmittel des Widerspruches möglich) die Anerkennung eines Lumbalsyndroms als Unfallfolge nach einer Stellungnahme von Dr. J. vom 23. Juni 2003 (ein Zusammenhang des Lumbalsyndroms mit den Unfallfolgen bestehe nicht) ab. Dagegen wandte sich der Kläger mit zunächst beim SG am 29. Juli 2003 eingegangenem Schreiben vom 27. Juli 2003, in dem er auch die Auffassung vertrat, der Bescheid werde Gegenstand des anhängigen Verfahrens. Mit Urteil vom 20. Oktober 2005 wies das LSG die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 28. März 2003 zurück und die Klage gegen den Bescheid vom 8. Juli 2003, der nicht Gegenstand des Verfahrens geworden sei und hinsichtlich dessen auch keine zulässige Klageänderung vorliege, als unzulässig ab. Den nachfolgenden Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (B 2 U 380/05 B) lehnte das BSG in mit Beschluss vom 13. Dezember 2005 ab, da der Antrag nicht innerhalb der Beschwerdefrist gestellt worden sei.

Nachdem der Kläger am 3. November 2005 im Hinblick auf das Urteil des LSG vom 20. Oktober 2005 die Erteilung eines Widerspruchsbescheides hinsichtlich des Bescheides vom 8. Juli 2003 anmahnte und auf sein Schreiben vom 27. Juli 2003 verwies, wies die Beklagte, ausgehend von einem am 3. November 2005 eingegangenen Widerspruch, den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2005 als unzulässig zurück.

Deswegen hat der Kläger am 5. Januar 2006 Klage beim SG erhoben.

Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht, das schwere Lumbalsyndrom sei mittelbare Folge der bei dem Arbeitsunfall erlittenen Handverletzung. Auf Grund der Verletzung der rechten Hand sei die linke Körperhälfte überlastet worden, wodurch es zu den Folgeschäden gekommen sei. Wegen der weiteren Unfallfolgen sei die Rente zu erhöhen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schreiben des Klägers verwiesen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das SG dann ein Sachverständigengutachten des Arztes für Orthopädie Prof. Dr. W. vom 18. September 2006 eingeholt. Er ist im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, unmittelbare Unfallfolgen sei der Verlust aller Langfinger der rechten Hand. Es gebe keine Hinweise dafür, dass es bei dem Unfall zu anderen Verletzungen gekommen sei. In den unfallbedingten Verhältnissen, die zur Zeit des Bescheides vom 5. (richtig: 21.) Juli 1950 vorgelegen hätten, dem das Gutachten von Dr. W. vom 05. Juli 1950 vorausgegangen sei, sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Nach der klinischen und radiologischen Symptomatologie bestehe beim Kläger eindeutig eine Skoliose, wobei nicht nur die LWS sondern auch die HWS und BWS skoliotisch verkrümmt seien. Es handle sich um eine sog. zusammengesetzte Skoliose, eine linkskonvexe cervikale, eine rechtskonvexe thorakale und eine linkskonvexe lumbale Krümmung. Die skoliotischen Krümmungen seien leichtgradig. Es sei davon auszugehen, dass es sich um eine idiopathische Skoliose handle. Ob der Kläger schon als Kleinkind unter Skoliose gelitten habe, lasse sich den Akten nicht entnehmen und auch im Nachhinein nicht mehr klären. Damit könne auch die Frage, ob es durch die angegebenen Arbeitsbelastungen im Kindes- und Jugendlichenalter zu einer Überbeanspruchung einer skoliotischen WS gekommen sei, nicht beantwortet werden. Bei der Begutachtung habe der Kläger angegeben, Schwerarbeit mit Mistgabeln und ähnlichem Gerät habe zu einer Überbeanspruchung seiner linken Körperhälfte geführt, auch das Tragen von Säcken auf der linken Schulter. Er habe angegeben, das Gerät vornehmlich mit der linken Hand gehalten zu haben. Das Bedienen von Arbeitsgeräten vornehmlich mit der linken Hand führe zu einer Seitneigung des Rumpfes nach rechts, das Tragen von Säcken auf der linken Schulter zu einer Seitneigung des Rumpfes nach links. Die WS sei nicht immer in der gleichen Richtung beansprucht worden. Der Orthopäde Dr. Schiefer habe als Schmerzursache offensichtlich Bandscheiben(BS)-Schäden an der unteren LWS im Sinne einer Osteochondrose L4 bis S1 und einer Spondylarthrose, einer Arthrose der Wirbelgelenke angenommen. Das Vorliegen von BS-Schäden an der unteren LWS im Sinne einer Osteochondrose ergebe sich aus der Auswertung der von ihm, Prof. Dr. W., 1999 gefertigten Röntgenbilder, die außerdem eine schwergradige Spondylarthrose in den Segmenten L4/5 und L5/ S1 auf beiden Seiten zeigten. Die Folgen der Lumbalskoliose hätten beim Kläger Beschwerden verursacht und verursachten solche noch. Es handle sich um BS-Schäden an der unteren LWS und arthrotische Veränderungen an den Wirbelgelenken. Die Skoliose an sich verursache keine Schmerzen, nur deren Folgen könnten schmerzhaft sein. Unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers sei die LWS vergleichsweise spät schmerzhaft geworden. Der Krankheitsverlauf sei insofern eher ungewöhnlich. Zu erwarten wäre an sich, dass ein Patient mit einer selbst leichten Skoliose, die durch mechanische Einwirkungen ungünstig beeinflusst werde, relativ früh anfange, über WS-Beschwerden zu klagen. Dies spreche also eher dagegen, dass beim Kläger in seiner Kindheit oder Jugend eine schon vorhandene WS-Deformität durch mechanische Einwirkungen ungünstig beeinflusst worden sei.

In Kenntnis des Gutachtens hat der Kläger an seinem Begehren festgehalten. Hinsichtlich der Einwände wird auf dessen Schreiben vom 25. November 2006 und weitere Anlagen dazu sowie die Schreiben vom 04. Dezember 2006 und 10. Dezember 2006 sowie 19. Dezember 2006 verwiesen. U. a. hat er geltend gemacht, der Sachverständige sei von unzutreffenden Auswirkungen der Belastungen ausgegangen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08. Februar 2007 abgewiesen. Das vom Kläger geltend gemachte schwere Lumbalsyndrom sei nicht rechtlich wesentlich auf den Arbeitsunfall vom 15. November 1947 zurückzuführen. Dies sei dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. W. zu entnehmen. Im übrigen bestehe auch kein Anspruch auf höhere Verletztenrente wegen der Unfallfolgen.

Gegen den am 13. Februar 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. Februar 2007 Berufung eingelegt und zur Begründung auf die Klagebegründung verwiesen. Ergänzend hat er u. a. vorgetragen, dem Gutachter Prof. Dr. W. sei die Verformung der WS eines Gesunden bei Arbeiten mit Heu- und Mistgabel oder Schaufel oder beim Tragen zentnerschwerer Säcke auf der Schulter im Heranwachsendenalter offenbar nicht zu vermitteln gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Februar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2005 aufzuheben, ein schweres Lumbalsyndrom als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 15. November 1947 festzustellen sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 40 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat bei Prof. Dr. W. von Amts wegen eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 9. August 2007 nach Aktenlage zu den vom Kläger zu seinem Gutachten erhobenen Einwänden eingeholt. Er führt aus, er habe in seinem Gutachten dargestellt, in welche Richtungen sich die WS bei den angegebenen Belastungen verkrümme. Dies ergebe sich auch aus der biomechanischen Analyse der Bewegungsvorgänge bei den genannten Tätigkeiten und werde unterstützt durch kinesiologische Studien mit Hilfe elektronischer Datenerfassung. Im Übrigen handle es sich um eine linkskonvexe Lumbalskoliose mit rechtskonvexer Thorakalskoliose, die nicht mit einer Seitneigedeformität zu verwechseln sei, wie er bereits in seinem Gutachten dargelegt habe. Es sei auch nicht mehr feststellbar, wann die Skoliose tatsächlich entstanden sei, insbesondere könne dies nicht den anamnestischen Angaben des Klägers entnommen werden. Nachvollziehbar sei nur, dass die Skoliose möglicherweise 1965 erstmals festgestellt worden sei.

Der Senat hat die Vorakte L 6 SB 1234/99 beigezogen, in welcher das auf Antrag des Klägers eingeholte Gutachten von Prof. Dr. W. vom 8. September 1999 enthalten ist. Bei der gutachterlichen Untersuchung am 31. August 1999 hatte der Kläger gegenüber Prof. Dr. W. angegeben, er leide seit etwa fünf Jahren unter WS-Beschwerden, wobei es sich ausschließlich um Kreuzschmerzen handele. Eine Behandlung der WS-Beschwerden habe bisher noch nicht stattgefunden. Im Gutachten vom 8. September 1999 hat Prof. Dr. W. Röntgenaufnahmen der LWS vom 13. Januar 1998 und am Untersuchungstag gefertigte Röntgenaufnahmen der LWS befundet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässig, aber nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines "schweren Lumbalsyndroms" als Folge des Arbeitsunfalls vom 15. November 1947 sowie auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 40 v.H. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2005 ist im Ergebnis rechtmäßig.

Nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), der hier zur Anwendung kommt, weil der Versicherungsfall vom 15. November 1947 vor dem Außerkrafttreten des Dritten Buches der RVO am 31. Dezember 1996 eingetreten ist ( Art 35 Nr. 1, 36 Unfallversicherungseinordnungsgesetz (UVEG) vom 7. August 1996 ( BGBl. I S. 1254, 1317) i.V.m. §§ 212, 214 Abs. 3, 73 SGB VII, § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X )) wird, solange in Folge eines Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, als Verletztenrente der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grade der MdE entspricht.

Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (hier der Bescheid vom 21. Juli 1950) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung erfordert einen Vergleich zwischen den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten rechtsverbindlich gewordenen Feststellung und dem Zustand der Neufeststellung, wobei es auf die bei der letzten Rentenfeststellung maßgeblichen objektiven Verhältnisse ankommt. Bei der Feststellung der MdE ist eine Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 SGB X nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt (§ 214 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 73 Abs. 3 SGB VII).

Voraussetzung für die Anerkennung bz Feststellung einer Gesundheitsstörung als - weitere - Folge des Arbeitsunfalles vom 15. November 1947 und auch ihrer Berücksichtigung bei der der Bemessung der MdE bz der Verletztenrente ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich- philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bz denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 17= BSGE 96, 196-209).

Gemessen an den vorstehenden Voraussetzungen hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung des "schweren Lumbalsyndroms" als - weitere - Folge des Arbeitsunfalles vom 15. November 1947 sowie auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 40 v.H.

Nach den Feststellungen von Prof. Dr. W. liegen den unter dem Begriff des "schweren Lumbalsyndroms" zusammengefassten Beschwerden im LWS-Bereich BS-Schäden an der unteren LWS und spondylarthrotische Veränderungen zu Grunde, die Prof. Dr. W. bereits anlässlich der Begutachtung im Verfahren L 6 SB 1234/99 mit Hilfe von seinerzeit gefertigten Röntgenaufnahmen der LWS gefunden hatte. Diese degenerativen Veränderungen sind nach der schlüssigen Darstellung von Prof. Dr. W. ihrerseits auf die beim Kläger festgestellte Skoliose der LWS zurückzuführen, da eine Skoliose eine sogenannte prädiskotische Deformität ist, die mit einem erhöhten BS-Schadenrisiko und einem erhöhten Risiko für spondylarthrotische Veränderungen einhergeht. Beim Kläger liegen aber nicht nur skoliotische Veränderungen der LWS im Sinne einer linkskonvexen Krümmung, sondern auch eine rechtskonvexe Krümmung der BWS und eine linkskonvexe Krümmung der HWS im Sinne einer sogenannten zusammengesetzten Skoliose vor. Die skoliotischen Krümmungen sind dabei alle leichtgradig. Sie sind nach den nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. W. im Falle des Klägers anlagebedingt bz idiopathisch, nachdem Erkrankungen der WS, die zu einer Krümmung derselben geführt haben, beim Kläger nicht vorliegen. Schwere körperliche Arbeit als solche verursacht keine Skoliose.

Mit Prof. Dr. W. kann der Senat auch nicht feststellen, dass die skoliotischen Veränderungen der WS des Klägers mit Wahrscheinlichkeit durch die vom Kläger behaupteten und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2009 anschaulich gemachten mechanischen Einwirkungen im Anschluss an die Schädigung der rechten Hand durch den Arbeitsunfall vom 15. November 1947 verschlimmert wurden. Soweit der Kläger angibt, er habe - auch nach dem Unfall - Schwerarbeit verrichten müssen und das Gerät vornehmlich mit der linken Hand halten müssen und auch Säcke auf der linken Schulter getragen, hat Prof. Dr. W. schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass das Bedienen von Arbeitsgeräten vornehmlich mit der linken Hand zu einer Seitneigung des Rumpfes nach rechts führte, wohingegen das Tragen von Säcken auf der linken Schulter zu einer Seitneigung des Rumpfes nach links führt. Damit waren die Seitneigungsrichtungen je nach Arbeitsbelastung antagonistisch und wurde die WS insofern nicht immer in der gleichen Richtung beansprucht.

Letztlich kann aber Art und Umfang der Einwirkungen dahingestellt bleiben, denn es lässt sich schon nicht klären, wann die skoliotischen Veränderungen an der WS des Klägers entstanden sind, insbesondere, ob der Kläger schon als Kleinkind, Kind oder Jugendlicher an einer Skoliose gelitten hat. Idiopathische Skoliosen werden - so Prof. Dr. W. - nicht nur nach dem Schweregrad und ihrer Ursache differenziert, sondern auch nach dem Zeitpunkt ihrer Erstmanifestation bz dem Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung, was nicht identisch ist. Insofern ist zu unterscheiden zwischen infantilen, juvenilen und adoleszenten Skoliosen. Damit kann auch die Frage, ob es durch die behaupteten Arbeitsbelastungen nach dem Unfallereignis im Kindes- und Jugendlichenalter zu einer Überbeanspruchung einer skoliotischen WS gekommen ist, nicht beantwortet werden. Der Kläger selbst hat gegenüber dem Sachverständigen angegeben, seit 1965, also seinem 28. Lebensjahr, sei eine Skoliose bekannt. Daraus ist - wie Prof. Dr. W. nachvollziehbar dargelegt hat - zwar nicht zu folgern, dass die Skoliose erst 1965 entstanden ist, zumal leichtgradige Skoliosen zumindest von Nicht-Orthopäden leicht übersehen werden können und den Betroffenen häufig nicht auffallen. Andererseits hat der Kläger aber anlässlich der Begutachtung am 31. August 1999 gegenüber Prof. Dr. W. angegeben, seit ca. fünf Jahren unter Kreuzschmerzen zu leiden, wobei eine Behandlung dieser Beschwerden bis zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht erforderlich gewesen war. Damit ist aber die LWS vergleichsweise spät schmerzhaft geworden, nachdem - so Prof. Dr. W. - im allgemeinen die Inzidenz von bandscheibenbedingten Kreuzschmerzen im vierten Dezennium am größten ist. Wäre eine selbst leichtgradige Skoliose durch die vom Kläger behaupteten mechanischen Einwirkungen im Kindes- und Jugendalter ungünstig beeinflusst worden, wäre ein deutlich früherer Beginn der Beschwerden zu erwarten gewesen. Dies spricht dagegen, dass eine in der Kindheit oder Jugend schon vorhandene WS-Deformität durch mechanische Einwirkungen ungünstig beeinflusst worden ist. Im Übrigen hat der Kläger auch erst ab 2001 WS-Beschwerden als mittelbare Unfallfolgen geltend gemacht.

Da bereits aus medizinischen Gründen - vor allem mangels Nachweises des Vorhandenseins der Skoliose im Kindes- und Jugendalter - eine Verschlimmerung dieser (ohne äußere Einwirkungen entstandenen) Erkrankung durch die behaupteten schweren Arbeiten nicht wahrscheinlich ist, kommt es auch nicht darauf an, ob und welche konkreten Einwirkungen - auch nach dem Unfall - durch schwere Arbeiten im Kindes- und Jugendalter stattfanden und inwieweit die Unfallfolgen (Verlust der Finger) dabei die Belastung ungünstig beeinflussten.

Im Übrigen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 40 v.H., weil sich die anerkannten Unfallfolgen an der rechten Hand gegenüber dem Vergleichsgutachten von Dr. W. vom 5. Juli 1950 nicht wesentlich verändert haben. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme von Dr. J. und den Ausführungen von Prof. Dr. W ...

Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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