L 11 B 766/08 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AS 761/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 766/08 AS ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichtes A-Stadt vom 12.08.2008 abgeändert und die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab dem 12.08.2008 Alg II in Höhe von monatlich 305,00 EUR zu bewilligen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten zu 1/2 zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1967 geborene Antragsteller (ASt) beantragte bei der Antragsgegnerin (Ag) erstmals am 21.01.2008 (mit Wirkung zum 01.02.2008) Alg II. Er gab hierbei an, am 17.01.2008 in die Wohnung der Frau I. F. (F.) eingezogen zu sein. Die 1974 geborene F. sei jedoch nicht seine Partnerin im Sinne einer Einstandsgemeinschaft.

F. betrieb bis 31.12.2007 in S. einen gepachteten Kiosk, in dem der ASt beschäftigt war. Mit dem Auslaufen des Pachtvertrages - Übergabe des Kiosk zum 31.01.2008 - kündigte F. das Arbeitsverhältnis des ASt. F. selbst ging seit dem 01.11.2007 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach.

Zum Vermögen gab der ASt an, dass F. über zwei Kapital bildende Lebensversicherungen (LV 422643994.9 und LV 423278397.0) bzw. eine private Rentenversicherung (LV 480465992.2) mit einem Rückkaufswert von insgesamt 15.926,51 EUR verfüge, für die in Bezug auf eine der beiden Lebensversicherungen (LV 423278397.0 - Rückkaufswert 6.282,73 EUR) ein Verwertungsausschluss nach § 165 Abs 3 Satz 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Höhe von 200,00 EUR je Partner und Lebensjahr vereinbart sei. Des Weiteren habe F. einen Sparbrief im Wert von 5.112,92 EUR.

Nach Vorlage der Einkommensunterlagen der F. (Arbeitsentgelt: 1000,00 EUR brutto; 781,59 EUR monatlich) ermittelte die Ag einen Gesamtleistungsanspruch des ASt und der F. von 305,14 EUR monatlich. Sie lehnte jedoch mit Bescheid vom 31.03.2008 die Bewilligung der Leistungen ab, weil das Vermögen des ASt und der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden F. den maßgeblichen Freibetrag von 12.450,00 EUR übersteige.

Hiergegen wandte der ASt mit Widerspruch vom 10.04.2008 ein, dass die Lebensversicherungen für die Alterssicherung gedacht seien. Im Übrigen werde der Freibetrag von 26.000,00 EUR nicht überschritten. Mit Schreiben vom 02.06.2008 machte der Bewährungshelfer des ASt geltend, dass dieser durch die ausbleibenden Zahlungen wirtschaftlich extrem belastet sei und sich nur durch Zuwendungen seiner Lebensgefährtin über Wasser halten könnte.

Die Ag wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2008 zurück. Der ASt lebe mit F. in einer Bedarfsgemeinschaft, so dass deren Vermögen zu berücksichtigen sei. Als Altersvorsorge sei allein die Lebensversicherung mit der Nr. 423278397.0 (Rückkaufswert 6.282,73 EUR) anzusehen. Das übrige Vermögen sei lediglich im Rahmen der Grundfreibeträge in Höhe von insgesamt 12.450,00 EUR anspruchsunschädlich. Dieser Betrag sei jedoch überschritten.

Gegen diesen Bescheid hat der ASt am 02.07.2008 Klage (S 10 AS 766/08) zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und am gleichen Tag dort beantragt, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren (). Er wohne seit Januar 2008 bei F. und werde von dieser notgedrungen unterhalten.

Im Erörterungstermin vor dem SG am 12.08.2008 hat der ASt angegeben, dass er F. zwar seit zwei Jahren kenne und sie seine Freundin sei; man befinde sich jedoch noch in der Kennlernphase. Der ASt hat darüber hinaus Unterlagen über die Versicherungen der F. (LV 422643994.9 und LV 480465992.2) vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass in Bezug auf diese Versicherungen ebenfalls ein Verwertungsausschluss nach § 165 Abs 3 Satz 2 VVG (ohne Angabe eines Betrages) bereits seit dem 01.01.2005 vereinbart sei.

Das SG hat die Ag mit Beschluss vom 12.08.2008 verpflichtet, ab dem Datum des Beschlusses bis zur Entscheidung über die unter dem Aktenzeichen S 19 AS 766/08 geführte Klage dem ASt Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelsatzes von 351,00 EUR zuzüglich der hälftigen Kosten der Unterkunft zu bewilligen. Die Hinweistatsachen reichten nicht aus, um mit hinreichender Sicherheit nachzuweisen, dass zwischen dem ASt und F eine Einstandsgemeinschaft bestehe. Auch könne nicht auf die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs 3a SGB II abgestellt werden, weil der ASt und die F. noch kein Jahr zusammen leben würden.

Mit der hiergegen am 28.08.2008 zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Beschwerde hat die Ag geltend gemacht, dass nach ihrer Auffassung die Hinweistatsachen ausreichten, um eine Einstandsgemeinschaft nachweisen zu können. Die Beziehung zwischen dem ASt und F. bestehe schon länger, die häuslichen Verhältnisse ließen den Schluss auf eine eheähnliche Gemeinschaft zu und der ASt räume auch ein, dass F. für seinen Unterhalt sorge, womit eine Einstandsgemeinschaft zu belegen sei.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Ag sowie die gerichtlichen Akten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Ag ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch nur zum Teil begründet.

Dem ASt ist im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zwar Alg II zu bewilligen. Der Anspruch ist jedoch auf einen monatlichen Betrag von 305,00 EUR zu beschränken bis über die Klage im Verfahren S 19 AS 766/08 entschieden ist.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr. 643)

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl, § 86b RdNr. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -).

Unter Beachtung dieser Kriterien ist zwar nicht zu beanstanden, dass das SG dem ASt vorläufig Leistungen nach dem SGB II zugesprochen hat; jedoch ist Rahmen einer Folgenabwägung zu beachten, dass erhebliche Hinweise vorliegen, die eine Einstandsgemeinschaft bereits vor Ablauf eines Jahres des Zusammenlebens als nachweisbar erscheinen lassen.

Alg II erhalten Personen, die ua hilfebedürftig sind, § 7 Abs 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält, § 9 Abs 1 Nr. 2 SGB II. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen, § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, § 7 Abs 3 Nr. 3c SGB II.

Das SG hat ausführlich und zutreffend die Voraussetzungen dargelegt, die vorliegen müssen, um von einer Einstandsgemeinschaft ausgehen zu können. Insoweit ist von einer weiteren Darstellung der Gründe abzusehen und auf den Beschluss des SG zu verweisen, § 142 Abs 2 Satz 3 SGG. Dem SG ist auch darin zu folgen, dass die vorliegenden Anhaltspunkte in einem Hauptsacheverfahren zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit zu dem Ergebnis führen werden, dass der ASt und F. eine Bedarfsgemeinschaft bilden.

Um jedoch eine Regelungsanordnung an den Erfolgsaussichten orientieren zu können, muss die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt sein, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO).

Im Ergebnis muss der Ausgang des Hauptsacheverfahrens daher noch als offen angesehen werden, weil nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist, dass der Ag der Nachweis einer Einstandsgemeinschaft - zumindest bis 16.01.2009, dem Zeitpunkt des einjährigen Zusammenlebens - misslingt, auch wenn für die Folgezeit - kraft gesetzlicher Vermutung (§ 7 Abs 3a Nr.1 SGB II) - diese zweifelsohne zu belegen ist.

Im Rahmen der vorzunehmenden Folgenabwägung ist einerseits zu berücksichtigen, dass - entgegen der Auffassung der Ag - die Lebensversicherungen der F. einem Verwertungsausschluss iSd § 165 Abs 3 Satz 2 VVG unterliegen, so dass die Freibeträge für die Alterssicherung (§ 12 Abs 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II) des ASt und der F. - soweit sie als Einstandsgemeinschaft zu behandeln sind - 18.250,00 EUR (= 33 x 250,00 EUR + 40 x 250,00 EUR) betragen (zur Berechnung des Freibetrages vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 12 RdNr. 53, 40f). Die streitgegenständlichen Versicherungen (Rückkaufswert: 15.926,51 EUR = 4.733,88 EUR + 6282,73 EUR + 4.909,90 EUR) erreichen diesen Betrag nicht und unter Berücksichtigung der weiteren Freibeträge nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr. 1 (Grundfreibetrag) und Nr. 4 (notwendige Anschaffungen) ist nicht ersichtlich, dass sich die ASt und F. auch als Bedarfsgemeinschaft auf die Verwertung des Vermögens verweisen lassen müssten.

Demgegenüber ist zu Lasten des ASt zu berücksichtigen, dass ihm tatsächlich keine Kosten für die Unterkunft und den Lebensunterhalt entstanden sind, denn - soweit ersichtlich - hat F. sämtliche Ausgaben hierfür getragen, und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der ASt - rechtlich verbindlich - verpflichtet wäre, F. diese Aufwendungen zu erstatten.

Im Ergebnis darf der ASt jedoch nicht schlechter gestellt werden, als dies im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft geschehen würde, so dass dem ASt zumindest der Betrag von 305,00 EUR (nach § 41 Abs 2 SGB II gerundet) zuzusprechen ist, den er nach den Berechnungen der Ag als Partner der F. - unter Berücksichtigung deren Einkommens - zu beanspruchen hätte.

Im Übrigen ist es dem ASt zumutbar, sich für die weitergehenden Ansprüche im Zeitraum vom 12.08.2008 (Beschlussdatum des SG) bis 16.01.2009 (Eintritt der gesetzlichen Vermutung der Einstandsgemeinschaft gemäß § 7 Abs 3a Nr. 1 SGB II), die möglicherweise bestehen, auf das Hauptsacheverfahren verweisen zu lassen. Für die Zeit ab dem 17.01.2009 ist nach dem derzeitigen Sachstand jedoch - mangels entgegenstehender Anhaltspunkte - von einer Einstandsgemeinschaft auszugehen, so dass der ASt ab diesem Zeitpunkt ohnehin keine höheren Leistungen zu beanspruchen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht im Umfang dem Obsiegen der Ag.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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