L 27 P 51/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 111 P 40/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 51/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2007 wird zurückgewiesen.

2. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1942 geborene, geistig behinderte und bei der Beklagten versicherte Klägerin, die von ihrem Bruder als Betreuer vertreten wird, war ab 1. Juni 2003 im Wohnstättenwerk L (Wohnstättenwerk), einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe, vollstationär untergebracht. Das Bezirksamt – Amt für Soziale Dienste – (Sozialamt) übernahm im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Die Klägerin hielt sich in der Folgezeit teilweise auch beim Betreuer auf und wurde dort durch diesen oder einen gesondert beauftragten Pflegedienst gepflegt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin nach Einholung eines Pflegegutachtens mit Bescheid vom 2. November 2005 für die Zeit ab 1. September 2005 Pflegegeld nach der Pflegestufe II in Höhe von 410,00 EUR monatlich. Mit einem weiteren Bescheid vom 2. November 2005 bewilligte die Beklagte für die Zeit ab 1. November 2005 der Klägerin Kombinationspflegeleistungen nach der Pflegestufe II (Pflegegeld bis zu 410,00 EUR und Pflegesachleistungen bis zu 921,00 EUR monatlich).

Nachdem das Sozialamt im Hinblick auf die vollstationäre Unterbringung der Klägerin mit Erstattungsansprüchen an die Beklagte herangetreten war, bewilligt diese der Klägerin mit Bescheid vom 18. Januar 2006 für die Zeit ab 1. Februar 2006 Leistungen nach § 43a SGB XI in Höhe von 10 % des Heimentgelts bis zu einem Höchstbetrag von 256,00 EUR und wies die Klägerin mit Schreiben vom 24. März 2006 unter Hinweis auf ihre vollstationäre Unterbringung auf die beabsichtigte Aufhebung des Bescheids vom 2. November 2005 "über die Bewilligung von Pflegesachleistungen durch einen Vertragspartner oder Pflegegeld bis zu einem Höchstbetrag von 921,00 EUR" hin. Die Beklagte hob mit Bescheid vom 13. April 2006 die Bewilligung von häuslicher Pflege durch Vertragspartner oder Pflegegeld nach der Pflegestufe II vom 2. November 2005 mit Wirkung ab 1. Mai 2006 und mit der Begründung auf, dass die uneingeschränkte Bewilligung von Pflegeleistungen oder Pflegegeld der Pflegestufe II neben der pauschalen Abgeltung der Pflegekosten gemäß § 43a SGB XI nicht mehr in Betracht komme und der Bescheid vom 2. November 2005 dementsprechend gemäß § 45 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) aufzuheben sei, zumal ein schützenswertes Interesse am Fortbestand der bisher bewilligten Kombinationsleistungen nicht erkennbar sei. Die Klägerin erhob unter dem 17. April 2006 Widerspruch und führte zur Begründung aus, dass die Beklagte die ihr gewährte Anhörungsfrist nicht abgewartet habe, die erforderliche Pflege im Wohnheim nicht sichergestellt sei und die Klägerin auf die bislang erbrachten Pflegeleistungen weiterhin angewiesen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2006 bei im Wesentlichen gleich bleibender Begründung zurück. Versehentlich zahlte die Beklagte das Pflegegeld bis einschließlich September 2006 weiterhin an die Klägerin aus.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 20. Juni 2006 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie ist im Wesentlichen der Auffassung gewesen, dass ihr die bisherigen Pflegeleistungen weiterhin zu erbringen seien, weil die im Heim erbrachten Pflegeleistungen nicht ausreichen würden. Sie verweist zudem darauf, dass die bewilligten 256,00 EUR gar nicht ans Heim zur Auszahlung gebracht worden seien. Dieser Betrag würde zudem auch gar nicht zur Pflege ausreichen. Die Beklagte kontrolliere das Heim ferner in nur unzureichender Weise. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. August 2007 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Rücknahme der bewilligten Kombinationsleistungen angesichts der vollstationären Unterbringung der Klägerin, in deren Rahmen die notwendige Pflege zu erbringen sei, gerechtfertigt gewesen sei.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 1. Oktober 2007 zugestellte Urteil am 8. Oktober 2007 Berufung eingelegt und ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 13. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Januar 2007 die Kombinationsleistungen bei häuslicher Pflege auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, nach § 143 SGG statthafte sowie gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die angefochtenen Bescheide leiden zunächst – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht unter einem durchgreifenden Mangel der nach § 24 Abs. 1 des Zehnten Buchs des Sozialge-setzbuchs (SGB X) gebotenen Anhörung, wonach, bevor ein in die Rechte eines Beteiligten eingreifender Verwaltungsakt erlassen wird, dem Beteiligten Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Selbst wenn der Klägerin nicht die Gelegenheit gegeben worden sein sollte, sich innerhalb der im Anhörungsschreiben gesetzten Frist zu äußern, so ist ein hierin liegender Anhörungsmangel jedenfalls gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X geheilt, wonach eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, welche nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich ist, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Gerade so liegt es hier, indem die Beklagte bereits im
Widerspruchsbescheid ausdrücklich auch auf das Widerspruchsvorbringen der Klägerin einging.

Die angefochtenen Bescheide sind auch der in der Sache selbst rechtlich nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der in den Bescheiden vom 2. November 2005 enthaltenen Leistungsbewilligung ist § 45 SGB X. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 und 3 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist.

Der in der Bewilligung von Kombinationsleistungen vom 2. November 2005 liegende begünstigende Verwaltungsakt war rechtswidrig. Rechtsgrundlage für die Bewilligung war § 38 SGB XI, nach dessen Satz 1 der Pflegebedürftige, wenn er die ihm nach § 36 Abs. 3 SGB XI und 4 zustehende Sachleistung nur teilweise in Anspruch nimmt, daneben ein anteiliges Pflegegeld im Sinne von § 37 SGB XI erhält. Durch die Bezugnahme auf §§ 36 und 37 SGB XI wird deutlich, dass die Gewährung von Kombinationsleistungen eben so wie die Gewährung von
Pflegesachleistungen oder Pflegegeld häusliche Pflege voraussetzt und unzulässig ist, wenn Pflegebedürftige in einer stationären Pflegeeinrichtung oder in einer Einrichtung im Sinne von § 71 Abs. 4 SGB XI gepflegt werden, vgl. § 36 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 SGB XI. Einrichtungen im Sinne von § 71 Abs. 4 SGB XI sind stationäre Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizini-schen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker oder behinderter Menschen im Vordergrund des Zwecks der Einrichtung stehen und häusliche Pflege
zulasten der Pflegeversicherung nicht erbracht werden kann (Mühlenbruch in: Hauck/ Wilde, Sozialgesetzbuch SGB XI, 31. Lieferung 8/08, K § 36 Rn. 10).

Hieran gemessen bestand von Anfang an kein Anspruch auf die ohne Berücksichtigung der vollstationären Behindertenhilfe - einschränkungslos - bewilligten Kombinationsleistungen. Die Klägerin war bereits im Zeitpunkt der Leistungsbewilligung am 2. November 2005 im Wohnstättenwerk zur stationären Pflege untergebracht. Die von der Klägerin vorgebrachten Einwände, wonach im Wohnstättenwerk nur unzureichende Pflegeleistungen erbracht worden seien, sind hierfür unerheblich, solange sie dort gemäß einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung zur Inanspruchnahme der Pflegeleistungen untergebracht war und das Sozialamt für die Klägerin die Kosten der Unterbringung als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Rahmen der Eingliederungshilfe übernahm.

Daran, dass die Klägerin keinen Anspruch auf uneingeschränkte Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI hatte, ändert auch der Umstand nichts, dass sich die Klägerin gelegentlich bei ihrem Bruder aufhielt und dann von diesem oder einem hinzugezogenen Pflegedienst gepflegt wurde. § 43a S. 3 SGB XI lässt dieses Nebeneinander von häuslichen Pflegeleistungen beziehungsweise Pflegegeld und Leistungen zur Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen ausdrücklich zu, erlaubt indes – anders als unter dem 2. November 2005 bewilligt - nur eine anteilige Gewährung häuslicher Pflegeleistungen (Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 13. März 2001 – B 3 P 10/00 R -, zitiert nach juris Rn. 26 ff.).

Der Aufhebung stehen auch nicht die in § 45 Abs. 2 und 3 SGB X enthaltenen Einschränkungen entgegen.

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.

Vorliegend ist für Vertrauensschutz im vorstehenden Sinn weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Da die Leistungen hier lediglich für die Zukunft aufgehoben wurden, kommt – bezogen auf den hierfür maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids -
insbesondere (noch) kein Leistungsverbrauch in Betracht. Für irgendwelche Vermögensdispositionen, das heißt Anschaffungen oder Verpflichtungen, welche im Hinblick auf die Leistungsbewilligung getätigt wurden, liegt nichts vor.

Die zeitliche Grenze nach § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Abs. 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann, ist hier nicht überschritten, weil die
Leistungsbewilligung vom 2. November 2005 bereits mit Bescheid vom 13. April 2006 aufgehoben wurde.

Es fehlt es auch an den Voraussetzungen des im Rahmen eines Antrags nach § 131 Abs. 1 S. 1 und 2 SGG geltend gemachten Auszahlungsanspruchs für Oktober bis Januar 2007, weil der (rechtmäßige) Aufhebungsbescheid Bestand hat und damit der Rechtsgrund für die Weitergewährung der Kombinationsleistungen fortgefallen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2, Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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