L 5 B 2325/08 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 158 AS 13593/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 2325/08 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird ihm unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 2008 für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. S ab dem 30. Mai 2008 gewährt. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Aufhebung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Kläger stand seit dem 01. Januar 2005, zunächst in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin, im Leistungsbezug beim Beklagten und erhielt zuletzt mit Änderungsbescheid vom 30. Mai 2007 für die Zeit vom 01. Juni bis 30. September 2007 neben anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung Sozialgeld als nicht erwerbsfähiger Angehöriger einer Bedarfsgemeinschaft. Nach einem Gutachten des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Nord vom 10. Februar 2006 ist der Kläger aufgrund seelischer Leiden für mehr als sechs Monate vermindert oder nicht leistungsfähig. Er leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, weshalb das Amtsgericht Mitte – Vormundschaftsgericht - mit Beschluss vom 18. Oktober 2007 (51 XVII 128/07), gestützt auf ein fachärztliches Gutachten von Dr. H vom 10. Oktober 2007, den Prozessbevollmächtigten des Klägers Rechtsanwalt Dr. S im Wege der einstweiligen Anordnung zum Betreuer mit den Aufgabenkreisen Vertretung vor Behörden, Gerichten und Einrichtungen, Gesundheitssorge und Heilbehandlungsbelange sowie dem Aufenthaltsbestimmungsrecht zum Zwecke der Heilbehandlung bestellte. Nach Angaben der ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers und nach eigenen Angaben des Klägers im Fortzahlungsantrag vom 03. September 2007 hatten sich beide im Mai 2007 getrennt und bildeten keine Bedarfsgemeinschaft mehr. Mit einem Schreiben vom 05. September 2007 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Leistungen zum 30. September 2007 eingestellt würden und er beim zuständigen Sozialamt einen Antrag auf Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) stellen solle. Wegen der Auflösung der Bedarfsgemeinschaft und der vom Beklagten angenommenen Erwerbsunfähigkeit des Klägers hob der Beklagte mit Bescheid ebenfalls vom 05. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2008 die Leistungsbewilligung mit Wirkung zum 01. Oktober 2007 auf. Am 27. September 2007 beantragte der Kläger beim Bezirksamt P von Berlin Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), die ihm seit dem 01. Oktober 2007 bis auf weiteres bewilligt wurden. Die vom Kläger wiederholt gestellten Rentenanträge wegen voller Erwerbsminderung wurden wegen Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen von der Deutschen Rentenversicherung zuletzt mit Bescheid vom 23. November 2007 abgelehnt. Dagegen erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Berlin (Az.: S 20 R 806/08) Klage. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakte bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 09. November 2007 dem Kläger zwar Leistungen für den Zeitraum vom 01. Oktober 2007 bis 31. März 2008, hob diese Bewilligung jedoch mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage wieder auf. Soweit ersichtlich, ist der Aufhebungsbescheid vom 09. November 2007 nicht mit einem Widerspruch angegriffen worden. Unklar ist allerdings, ob diese Bescheide überhaupt bekannt gegeben worden sind. Gegen die Aufhebung der Leistungen durch Bescheid vom 05. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2008 hat der Kläger am 22. April 2008 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er die Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung geltend macht, weil kein aktuelles fachärztliches Gutachten vorgelegen habe. Gleichzeitig hat er um Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten und Betreuers gebeten. Diesen Antrag hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 30. Oktober 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig ergangen. Dem Kläger stünde unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Leistungsanspruch nach dem SGB II zu. Auch fehle im Hinblick auf die Leistungsgewährung durch das Bezirksamt Pankow von Berlin ein Rechtschutzbedürfnis. Hiergegen richtet sich die am 28. November 2008 eingegangene Beschwerde. Die Voraussetzungen für eine Leistungseinsstellung lägen nicht vor. Erforderlich sei die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch eine aktuelle amtsärztliche Stellungnahme. Auf Verdacht hin sei dies nicht möglich. Leistungen seien bis zur Erstellung eines solchen Gutachtens zu erbringen. II. Die Beschwerde des Klägers ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Im Ergebnis zu Unrecht hat das Sozialgericht Berlin die beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. S abgelehnt. Die Klage hat hinreichende Erfolgsaussicht.

1. Einer Bewilligung steht nicht entgegen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers gleichzeitig dessen berufsmäßig bestellter Betreuer mit u. a. dem Aufgabenkreis der Vertretung in gerichtlichen Verfahren ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2006 – XII ZB 118/03 – juris). Denn der Rechtsanwalt, der eine Betreuertätigkeit gemäß §§ 1835 Abs. 3, 1908 i Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nach anwaltlichem Gebührenrecht abrechnen kann, wenn sich die zu bewältigende Aufgabe als für den Beruf des Rechtsanwalts spezifische Tätigkeit darstellt, ist unter dem Gesichtspunkt einer kostensparenden Amtsführung dazu verpflichtet, für die gerichtliche Vertretung des von ihm Betreuten Prozesskostenhilfe zu beantragen, weil er im Fall ihrer Bewilligung (nur) die Gebühren eines beigeordneten Rechtsanwalts nach § 49 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) erhält (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.12.2008 – L 25 B 1746/07 AS PKH – und Beschluss vom 12.08.2008 – L 15 B 162/08 SO –). Auch ein Rechtschutzbedürfnis dürfte wegen der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung im Falle des Leistungsbezugs nach dem SGB II und der daraus folgenden Zahlung von Pflichtbeiträgen gegeben sein (§§ 3 Satz 1 Nr. 3a, 166 Abs. 1 Nr. 2a, 170 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch [SGB VI]).

2. Schließlich ist auch eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage anzunehmen. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl. § 114 ZPO).

Das angerufene Gericht beurteilt die Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht die "reale Chance zum Obsiegen" aus, nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance". Prozesskostenhilfe darf daher nur dann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache fern liegend ist (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2003 – 1 BvR 1152/02NJW 2003,3190; Beschluss vom 07. April 2000 – 1 BvR 81/00NJW 2000,1936). Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klage hinreichende Erfolgsaussicht. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige), Leistungen nach dem SGB II. Der Leistungsanspruch des Klägers nach dem SGB II setzt grundsätzlich Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 SGB II (hierzu ausführlich Rixen, info also 2006,153 ff.) voraus. Diese muss die Beklagte gemäß § 44 a SGB II - positiv oder negativ - feststellen. a) Ein Anspruch des Klägers folgt zwar vorliegend nicht aus § 44 a SGB II. Hiernach besteht eine Leistungsverpflichtung der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers zur Erbringung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Fällen der unterschiedlichen Beurteilung der Erwerbsfähigkeit "bis zur Entscheidung der Einigungsstelle" (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 RBSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 und § 44 Nr. 1 = SGb 2007,37). Ob ein solcher Fall hier überhaupt vorliegt, kann offen bleiben. Denn das Begehren des Klägers auf Gewährung vorläufiger Leistungen hat sich mittlerweile dadurch erledigt, dass der Sozialhilfeträger (Bezirksamt P) dem Kläger schließlich rückwirkend ab dem 01. Oktober 2007 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gewährt (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2008 – L 7 B 274/07 AS – juris). § 44a Satz 3 SGB II (in der Normfassung des Kommunalen Optionsgesetzes) enthält nämlich nicht die Anordnung einer vorläufigen Leistung (so aber: Berlit in LPK-SGB II, § 44a Rn. 20; Hänlein in Gagel, SGB III mit SGB II, § 44a Rn. 6,), sondern eine Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch [SGB III] (BSG, Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 10/06R – BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 44 Nr.1; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 44a Rn. 23; ders., SGb 2005,377 [380]). Damit wird gewährleistet, dass der Hilfebedürftige, bildlich gesprochen, nicht "zwischen zwei Stühlen sitzt". Diese zu verhindernde Situation kann vorliegend aufgrund der Leistungserbringung durch das Bezirksamt P nicht mehr eintreten. b) Die Frage der Erwerbsfähigkeit für die streitgegenständliche Zeit ab dem 01. Oktober 2007 lässt sich derzeit jedoch nicht abschließend beurteilen. Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs. 1 SGB II, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Dabei ist § 8 Abs. 1 SGB II richtigerweise so zu lesen, dass erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (vgl. Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 8 Rn. 27; Hänlein ,a. a. O., § 8 Rn. 34; Brühl in LPK-SGB II, § 8 Rn. 20). Unter " auf nicht absehbare Zeit" wird in Anlehnung an den Begriff der Erwerbsfähigkeit in der Rentenversicherung nach § 43 des Sechsten Buches (SGB VI) ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten verstanden (vgl. Blüggel, a. a. O., § 8 Rn. 28).

Hieran bestehen derzeit zwar erhebliche Zweifel. Aber eine fehlende hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung kann weder auf das (betagte) Gutachten der Agentur für Arbeit Nord vom 10. Februar 2006 noch auf das fachärztliche Gutachten von im Betreuungsverfahren vor dem Vormundschaftsgericht des Amtsgerichts Mitte gestützt werden, weil das Gutachten der Agentur für Arbeit nicht aktuell ist und das im Betreuungsverfahren erstellte Gutachten des Dr. H einen anderen Prüfungsgegenstand, nämlich die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung, hatte. Im Übrigen ist der Inhalt des im Betreuungsverfahren eingeholten Gutachtens nicht bekannt und das Gutachten der Agentur für Arbeit Nord enthält insoweit auch keine verlässliche Aussage. Dort heißt es vielmehr nur, der Kläger sei "voraussichtlich über sechs Monate vermindert oder nicht leistungsfähig".

Weiter ist zu berücksichtigen, dass es in der Hauptsache vorliegend nicht um die Aufhebung einer Leistungsbewilligung geht. Mit dem hier allein angefochtenen Bescheid vom 05. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2008 konnte keine Bewilligung für den Zeitraum ab dem 01. Oktober 2007 aufgehoben werden, weil eine solche in Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Bescheides nach Aktenlage gar nicht existierte. Der vorhergehende Bewilligungszeitraum (Bescheid vom 04. April 2007, geändert durch Änderungsbescheide vom 23. April 2007, vom 30. Mai 2007 und vom 20. Juni 2007) ist mit dem 30. September 2007 abgelaufen. Es kann auch dahinstehen, ob die Bescheide vom 09. November 2007 bekannt gegeben wurden oder nicht. Denn der Aufhebungsbescheid vom 05. September 2007 konnte einen Bewilligungsbescheid vom 09. November 2007 schon zeitlich nicht erfassen. Der Sache nach handelte es sich entgegen der Bezeichnung als Aufhebungsbescheid vielmehr um eine zeitlich unbegrenzte Totalablehnung des am 04. September 2007 beim Beklagten eingegangenen Fortzahlungsantrags auf Arbeitslosengeld II vom 03. September 2007. Die Klage gegen diesen zeitlich unbegrenzten Ablehnungsbescheid erfasst – je nach Klageantrag – dann die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit und macht sie zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 14/06 RBSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 = NZS 2007, 383). Deshalb ist im Hauptsacheverfahren aufzuklären, ob und ggf. bis wann der Kläger nicht erwerbsfähig war bzw. ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a SGG i. V. m. § 127 Absatz 4 ZPO. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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