Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 24 RJ 1404/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 R 658/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 09. Januar 2006 und der Bescheid der Beklagten vom 11. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2004 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01. März 2007 bis zum 28. Februar 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Berufungsverfahren noch eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1965 geborene Kläger stammt aus Serbien und lebt seit 1984 in Deutschland. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von vier minderjährigen Kindern; die älteste Tochter stammt aus erster Ehe.
Von 1980 bis 1984 absolvierte der Kläger in Jugoslawien erfolgreich eine Ausbildung zum Maschinenschlosser. Von März 1987 bis September 1988 war er als Schlosser, von Oktober 1988 bis Juni 1994 als Maschinenschlosser, von Juli 1994 bis Oktober 1996 als Haushandwerker, von November 1996 bis Juli 1997 als Wasser- und Heizungsinstallateur und von August 1997 bis Juni 2003 als Kundendienstmonteur im Bereich Pumpentechnik versicherungspflichtig beschäftigt; von August 1997 bis April 2001 übte er nebenberuflich eine Tätigkeit als Hauswart aus.
Im Januar 2001 erlitt der Kläger einen Bandscheibenvorfall (Massenprolaps). In der Zeit vom 7. Mai 2002 bis 28. Mai 2002 führte er eine von der Beklagten bewilligte medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Rehabilitationsklinik L in B S durch. Im ärztlichen Entlassungsbericht vom 13. Juni 2002 wurden ein lokales LWS-Syndrom bei NPP L 4/5 und ein psychovegetativer Erschöpfungszustand mit Albträumen und Verdacht auf Panikstörung diagnostiziert. Der Kläger wurde in seinem letzten Beruf noch für fähig gehalten, drei bis unter sechs Stunden tätig zu sein, im Übrigen hielt man ihn noch für fähig, sechs Stunden und mehr leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen und Sitzen sowie zeitweise im Gehen unter Vermeidung von schwerem Heben, häufigem Bücken und Zwangshaltungen in Tagesschicht zu verrichten. Der Kläger sei motiviert, die Prognose sei gut. Empfohlen wurden u. a. eine psychotherapeutische Betreuung und eine Arbeiterprobung.
Die Beklagte zog einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Orthopädie F vom 2. Juli 2002 bei und bewilligte dem Kläger mit Bescheiden vom 26. August 2002 und 4. März 2003 für die Auswahl von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung für die Dauer von sechs Wochen.
Am 16. April 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung.
Die für die Zeit vom 28. April 2003 bis 6. Juni 2003 vorgesehene Berufsfindung und Arbeitserprobung beim Berufsförderungswerk B wurde nach Ablauf der Grunderprobung am 23. Mai 2003 aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig beendet. Die Sozialpädagogin L führte in dem Ergebnisbericht vom 15. Juli 2003 aus, der Kläger wirke sehr motiviert und bemüht, einen beruflichen Wiedereinstieg zu finden, gleichzeitig aber sehr belastet durch körperliche Beschwerden und familiäre bzw. finanzielle Sorgen. Die psychische und physische Belastbarkeit sei deutlich eingeschränkt.
Die Beklagte veranlasste die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 6. August 2003 eine Lumboischialgie rechts und eine Anpassungsstörung. Für seine letzte Tätigkeit als Kundendiensttechniker mit zeitweise schwerer körperlicher Belastung sei der Kläger nicht mehr einsetzbar. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und zeitweise im Stehen und Gehen könnten jedoch sechs Stunden und mehr ausgeübt werden.
Hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 11. August 2003 ab. Hiergegen erhob der Kläger durch seinen Verfahrensbevollmächtigten am 11. September 2003 Widerspruch.
Die Beklage zog eine sozialmedizinisch-psychiatrische Stellungnahme des Berufsförderungswerkes B vom 7. Oktober 2003 in Ergänzung des Ergebnisberichtes vom 15. Juli 2003 bei. In dieser diagnostizierte die Fachärztin für Psychiatrie Dr. Z beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode mit Panikstörung und führte aus, es habe sich eine depressive Symptomatik entwickelt, seit der Kläger aus körperlichen Gründen nicht mehr arbeiten könne. Davon sei sein Selbstwertgefühl entscheidend abhängig. Am meisten belaste ihn die finanzielle Situation. Es habe sich eine depressive Krise mit Lebensüberdruss und Sinnlosigkeitsgefühl entwickelt, die in der Tendenz eher zuzunehmen scheine. Die gleichzeitige Herausforderung, mit einem vierten Kind Vater zu werden, spitze seine Drucksituation als "Versorger" der Familie weiterhin zu.
In der Zeit vom 3. Februar 2004 bis 16. März 2004 führte der Kläger eine von der Beklagten bewilligte medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der B-Klinik, Abteilung Psychosomatik, in B durch. Diagnostiziert wurden eine Anpassungsstörung, eine Panikstörung sowie eine Lumboischialgie rechts bei Massenprolaps L 4/5 und BS-Protusion L 5/S1. In dem Entlassungsbericht der Klinik vom 17. März 2004 ist ausgeführt, psychodynamisch liege beim Kläger ein narzisstischer Konflikt sowie fehlende Konflikt- und Gefühlswahrnehmung vor. Der Bandscheibenvorfall 2001 habe eine narzisstische Dekompensation ausgelöst. An die eingeschränkte Leistungsfähigkeit könne sich der Kläger nur schwer anpassen. Sein Leiden spüre er überwiegend über den Körper. Hauptabwehrmechanismen seien Affektisolierung und Somatisierung. Die Schmerzsymptomatik finde ihren konstitutionellen Boden in der Persönlichkeitsprägung, wobei negativ getönte Impulse das Schmerzerleben durch Defizite der Affektwahrnehmung und -differenzierung verstärken könnten. Der Kläger wurde mit der Leistungsbeurteilung entlassen, dass er eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wechsel von überwiegenden Stehen, Gehen und Sitzen noch sechs Stunden und mehr verrichten könne; das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg solle vermieden werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 19. Juli 2004 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben.
Der Kläger hat eine Bescheinigung des behandelnden Facharztes für Orthopädie F vom 8. November 2005 zur Gerichtsakte gereicht (Bl. 73 GA).
Der Kläger hat durch seinen Verfahrensbevollmächtigten schriftsätzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. April 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte des behandelnden Facharztes für Psychiatrie R vom 12. November 2004 und des Facharztes für Orthopädie F vom 16. November 2004 beigezogen. Ferner hat es die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L und den Facharzt für Orthopädie Dr. R veranlasst.
Der Arzt Dr. L ist in seinem Gutachten vom 16. März 2005 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger auf nervenärztlichem Fachgebiet bis auf eine nur noch gelegentlich auftretende Angstsymptomatik keine weiteren Beeinträchtigungen vorlägen. Eine depressive Störung bestehe nicht. Ausdauer, Auffassung und Konzentration des Klägers seien nicht beeinträchtigt, die affektive Schwingungsfähigkeit und mimische Beweglichkeit leicht reduziert, der Antrieb normal. Das verbliebene Leistungsvermögen reiche noch für eine Arbeitszeit von mindestens sechs Stunden täglich aus.
Der Arzt Dr. R ist in seinem Gutachten vom 2. Juni 2005 zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger leide an einem chronischen Lumbalsyndrom mit rezidivierenden Ischialgien bei Bandscheibenvorfall L 4/5, einem Cervicalsyndrom bei verspannter Schulter-Nackenmuskulatur sowie einem subjektiven Schwächeempfinden im Bereich beider Kniegelenke ohne pathologisches Substrat. Die Lendenwirbelsäulenbeweglichkeit sei nahezu aufgehoben bzw. schmerzbedingt erheblich eingeschränkt; das Laseque-Zeichen beidseits bei 40 ° positiv. Die körperlichen Untersuchungsbefunde hätten keine Hinweise auf eine Nervenwurzelreizirritation gegeben. Bei der körperlichen Untersuchung habe sich zunächst eine erheblich bewegungseingeschränkte Halswirbelsäule gezeigt, die sich jedoch im Verlauf der Begutachtung trotz Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich als frei beweglich erwiesen habe. Der Kläger könne noch mindestens acht Stunden täglich verrichten:
- körperlich leichte Arbeiten im Freien und/oder in geschlossenen Räumen, - im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, allerdings nur mit der Möglichkeit zum spontanen Haltungswechsel, - keine Arbeiten mit einseitiger körperlicher Belastung, in Zwangshaltungen, mit Bücken sowie mit Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, - keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, - keine Arbeiten, die eine besondere Belastung der Wirbelsäule voraussetzen.
Arbeiten unter Zeitdruck, an laufenden Maschinen und im Wechsel von Wechsel von Früh-, Spät- und Nachtschicht seien unbedenklich. Besonderheiten für den Weg zum Arbeitsplatz seien nicht zu berücksichtigen. Die üblichen Pausen reichten aus.
Mit Gerichtsbescheid vom 9. Januar 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung maßgeblich auf die Gutachten der Ärzte Dr. L und Dr. R gestützt.
Gegen den ihm am 21. Januar 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger durch seinen Verfahrensbevollmächtigten am 7. Februar 2006 Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren zunächst in vollem Umfang weiterverfolgt hat. Unter Bezugnahme auf die gutachterlichen Äußerungen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. F im Berufungsverfahren begehrt er nunmehr noch die Gewährung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Januar 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 11. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm - dem Kläger - ab dem 01. März 2007 (ausgehend von einem Leistungsfall am 28. August 2006) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum 28. Februar 2010 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, der Ausprägungsgrad der von dem Arzt Dr. F festgestellten Symptomatik werde durch die von ihm erhobenen Befunde nicht belegt. Die von ihm vorgelegten Tests basierten im Wesentlichen auf Selbstbeurteilungsskalen und seien keinesfalls als objektiv anzusehen. Auch das von ihm entwickelte Verfahren zur Schmerzdiagnostik sei nicht validiert und entspreche nicht der standardisierten Vorgehensweise zur Beurteilung von Leistungseinschränkungen im Zusammenhang mit Schmerzsymptomatik. Hierzu gehörten eine klinische Untersuchung, ein ausführlicher psychopathologischer Befund, eine ausführliche Beobachtung des Probanden und eine ausführliche Anamnese zur Quantifizierung der Symptomatik. Im vorliegenden Gutachten gerate die Beschreibung des Tagesablaufs zu kurz. Im psychischen Befund beschreibe der Gutachter Symptome, ohne diese genauer zu beschreiben. Eine psychiatrische Anamnese werde nicht erhoben. Ein genaueres Hinterfragen der Angaben des Klägers wäre notwendig gewesen. Bei einer langjährigen nervenärztlichen Behandlung wäre insbesondere zu hinterfragen gewesen, weshalb kein medikamentöser Behandlungsversuch unternommen worden sei. Entgegen der Auffassung des Gutachters sei von einem niedrigen Leidensdruck des Klägers auszugehen.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz hat das Landessozialgericht die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F veranlasst.
Dieser stellt in seinem Gutachten vom 6. Dezember 2006 nach Untersuchung des Klägers am 22. August 2006 folgende Diagnosen:
- Depressiv ängstliches Syndrom mit zahlreichen Somatisierungen - Generalisierte Angststörung mit Panikattacken - Dissoziative Störung - Somatoforme Schmerzstörung Stadium III - Ausgeprägte Anpassungsstörung - Fachfremd: Lumboischialgie rechts mit Massenprolaps L 4/5, Bandscheibenprotusion L 5/S1 mit ausgeprägter Spondyloosteochondrose der unteren LWS, seit zwei Jahren Allergie (Heuschnupfen).
Im Vordergrund stehe eine chronifizierte Schmerzsymptomatik, generalisiert, die sich zu einer chronischen Schmerzstörung im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung entwickelt habe. Die Schmerzsymptomatik habe einen psychodynamischen Hintergrund. Dreh- und Angelpunkt sei das Jahr 2001. Hier erscheine das Verhebetrauma während der Arbeit. Dieses habe zu einer komplexen Fehlentwicklung, Fehlanpassung und Anpassungsstörung geführt, insbesondere zu einer hochgradigen Verdrängung von Affektivität und Emotionalität und einer Projektion auf den körperlichen Bereich in Form von somatoformen Schmerzen, hier im Stadium III nach Gerbershagen. Zum Zeitpunkt der Abfassung des Gutachtens sei eine hochgradige Regression festzustellen mit Vermeidungsverhalten, Rückzugstendenzen, unbewussten Abwehrstrategien, hochgradig sublimierter Aggressivität und einer verhängnisvoll wirkenden hochgradig unbewussten Verdrängungsstrategie. Auch in der eigenen Familie erfolge zunehmende Isolierung und Inaktivität. Starke Auseinandersetzungen mit der Ehefrau ständen auf der Tagesordnung. Die drei kleinen Kinder überforderten ihn. Der ganze Prozess sei durch zunehmende Therapieresistenz und Progredienz bzw. durch hochgradige Rigidität und Fixierung gekennzeichnet. Auffällig sei, dass bisher eine spezielle Schmerztherapie und psychotherapeutische Intervention nicht stattgefunden habe. Mit Sicherheit spiele hierbei die - multifaktorell bedingte - unbewusste hochgradige Verdrängungshaltung eine überragende Rolle. Durch diese Verdrängungshaltung sei die Motivation zur psychischen Introspektion blockiert. Aus eigener Willenskraft könne sich der Kläger aus diesem Zustand nicht befreien.
Der Kläger könne noch vier bis fünf Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten im 15-20 minütigen Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen durchführen. Arbeiten mit Anforderungen an die grobe Kraft der Hände seien nicht möglich. Die Fingerfertigkeit sei voll und ganz vorhanden. Arbeiten im Freien sowie unter Lärm sowie unter Aussetzung von Hautreizstoffen, Staubentwicklung seien (zur Zeit) nicht durchführbar. Arbeiten in Zwangs- oder überwiegend einseitiger Körperhaltung mit Bücken, Heben, Tragen seien maximal 15-20 Minuten möglich, 10-15 kg seien zu heben. Überkopfarbeiten seien zu vermeiden, ebenso Arbeiten mit einer hohen Belastung der Stimme. Geistig seien einfache bis mittelschwere Arbeiten möglich. Arbeiten unter Zeitdruck sowie Arbeiten in Wechselschicht seien nur kurzzeitig möglich, die Umstellungsfähigkeit und geistige Flexibilität seien deutlich eingeschränkt. Besondere Anforderungen an Reaktionsvermögen, Aufmerksamkeit und Übersicht dürften aufgrund der depressiven Erkrankung nicht gestellt werden. Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit seien allerdings sehr positiv ausgeprägt.
Eine Behebung der Leistungseinschränkung sei innerhalb von drei Jahren unter Ausschöpfung aller Mittel wahrscheinlich. Wichtigste Voraussetzung sei, dass der Kläger zur psychischen Introspektion motiviert werde. Dann sei eine Behebung der Leistungseinschränkung innerhalb von 1 ½ bis 2 Jahren möglich.
In seinen ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen vom 18. Juli 2007 und vom 10. Dezember 2007 führt der Arzt Dr. F aus, er habe das Gutachten unter dem bio-psycho-sozialen Aspekt erstellt. Dazu gehörten das Herausarbeiten des "Bedingungsgefüges", insbesondere der psychosozialen Belastungsfaktoren und die Bedeutung der psychosozialen Belastungen und psychischen Komorbiditäten sowie die Analyse bzw. Interpretation der Wechselbeziehungen zwischen seelischer Konstellation und Schmerzbefund.
Als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie für spezielle Schmerztherapie sei er in der Lage, durch Abtasten, Beklopfen und Drücken von Nervenaustrittspunkten festzustellen, welche Nervenstrukturen oder welche Muskelstrukturen in einen krankhaften Prozess mit eingebunden seien. Sein Untersuchungsverfahren sei nicht neu und im Übrigen nur ein Baustein, der im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Schmerzfragebogens zu sehen sei. Die psychologischen Testverfahren seien integrativer Bestandteil des psychopathologischen und psychischen Befundes und erbrächten keine psychopathologische Diagnose; es erfolge lediglich eine Itembetrachtung, die in einem strukturierten Gespräch nachexploriert und analysiert werde. Im Bereich der Schmerzdiagnostik sei nach dem bisherigen Stand von Wissenschaft und Technik ohne "semiobjektive" Verfahren nicht auszukommen. Zwar sei es mittlerweile möglich, mit ganz bestimmten Verfahren Schmerz objektiv darzustellen; für die Praxis sei ein solches Verfahren aber noch nicht vorhanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit der Kläger noch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 01. März 2007 bis 28. Februar 2010 begehrt. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist in diesem Umfang rechtswidrig.
Der Kläger hat ab 01. März 2007 einen Anspruch auf Gewährung einer zeitlich befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung (§§ 43 Abs. 2, 102 Abs. 2 SGB VI). Er ist seit dem 22. August 2006 teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI. Die für die Rentengewährung nach §§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt. Dies ergibt sich aus der Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in dem angefochtenen Bescheid vom 11. August 2003. Danach waren zum Zeitpunkt des Rentenantrages vom 16. April 2003 die für eine Erwerbsminderungsrente erforderlichen Pflichtbeitragszeiten belegt, sodass nach §§ 241 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. 198 SGB VI für einen Rentenbeginn ab 01. März 2007 neben der gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erforderlichen Wartezeit auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen weiter vorliegen. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Danach ist der Kläger zwar nicht voll erwerbsgemindert, sondern nur teilweise erwerbsgemindert; er hat bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes jedoch Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist der Kläger nur noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes drei bis unter sechs Stunden tätig zu sein.
Der Kläger ist in seiner Leistungsfähigkeit durch die von dem Sachverständigen Dr. F in seinem Gutachten vom 6. Dezember 2006 festgestellten Gesundheitsstörungen in der Weise beeinträchtigt, dass er täglich nur noch 4-5 Stunden körperlich leichte und geistig einfache bis mittelschwere Arbeiten im 15-20 minütigen Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen unter Beachtung der von ihm genannten und oben aufgeführten weiteren qualitiativen Leistungseinschränkungen verrichten kann.
Auf nervenärztlichem Fachgebiet leidet der Kläger an einem depressiv ängstlichen Syndrom mit zahlreichen Somatisierungen, einer generalisierten Angststörung mit Panikattacken, einer dissoziativen Störung, einer somatoformen Schmerzstörung Stadium III und einer ausgeprägten Anpassungsstörung. Auf orthopädischem Fachgebiet leidet er insbesondere an einem chronischen Lumbalsyndrom bei rezidivierenden Ischialgien nach Bandscheibenvorfall L 4/5.
Wie der Gutachter Dr. F überzeugend dargelegt hat, steht die psychische Erkrankung des Klägers im Vordergrund. Diese hat sich seit seiner Entlassung aus der Rehabilitationsklinik B im März 2004 erheblich verschlimmert. Schlüssig und nachvollziebar beschreibt der Arzt, wie der Bandscheibenvorfall vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsstruktur des Klägers zu einer komplexen Fehlentwicklung geführt hat, die insbesondere durch regressives, ängstlich - vermeidendes Verhalten und eine unbewusste Verdrängungshaltung bei gleichzeitiger Projektion auf den körperlichen Bereich geprägt ist. Hieraus leitet der Gutachter überzeugend eine fortschreitende Chronifizierung und Verstärkung der Schmerzsymptomatik des Klägers bei wachsender Therapieresistenz ab.
Entgegen der Auffassung der Beklagten wird das von dem Gutachter beschriebene Ausmaß der psychischen Erkrankung des Klägers durch die von ihm erhobenen Befunde belegt. Soweit die Beklagte einen unzureichenden psychischen Befund bzw. das Fehlen einer psychiatrischen Anamnese, das Fehlen einer ausführlichen Anamnese zur Quantifizierung der Symptomatik und eine mangelnde Eignung der von ihm angewendeten psychologischen Testverfahren bzw. der Verfahren zur Schmerzdiagnostik für die Beurteilung von Leistungseinschränkungen im Zusammenhang mit Schmerzsymptomatik geltend macht, greifen die vorgebrachten Einwände nicht durch. Das Gutachten entspricht den von der Beklagten in Bezug genommenen Leitlinien zur Begutachtung von Schmerzen, wonach als Grundlage für die Diagnostik eine klinische Untersuchung, ein ausführlicher psychopathologischer Befund, eine ausführliche Beobachtung des Probanden und eine ausführliche Anamnese zur Quantifizierung der Symptomatik erforderlich sind. Grundlage der nervenärztlichen Diagnosen des Gutachters und seiner Leistungsbeurteilung sind insbesondere die von ihm durchgeführte biographische Anamnese, der psychische und psychopathologische Befund, der neurologische und der spezielle Schmerzbefund, die Ergebnisse der neurologischen Untersuchungen (EMG, SEP), ein allgemeiner Leistungstest zur Erfassung von Aufmerksamkeit und Konzentration (Cognitrone COG), eine Angst-Analyse mit Hilfe der Hamilton-Angst-Skala (HAMA), ein psychopathologisches Testverfahren (Freiburger Persönlichkeitsinventar - FPI - und Minnesota Multiphasic Personality Inventory Kurform - MMPI-K -), ein arbeitsbezogenes Testverfahren (AVEM) sowie die vorliegenden Vorgutachten, Entlassungsberichte und sonstigen ärztlichen Vorbefunde. Weder die von dem Gutachter erhobene Anamnese, noch die von ihm erhobenen Befunde lassen wesentliche Mängel erkennen.
Aufgrund der körperlichen Untersuchung hat der Gutachter schlüssig und nachvollziebar u. a. eine hochgradig verspannte quergestreifte Muskulatur im Bereich der oberen und unteren Extremitäten mit besonderer Bevorzugung der Rückenmuskulatur, einen deutlichen Hypertonus im Bereich der Rückenmuskulatur, eine deutliche Überempfindlichkeit (Hypästhesie) im Bereich des Bandscheibenvorfalls, eine erhebliche Einschränkung der Beweglichkeit und der groben Kraft durch Schmerzzustände insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie eine funktionelle Fehlhaltung im gesamten Becken, Kniegelenks- und Sprunggelenksbereich festgestellt. Rombergversuch, Seiltänzergang und Seiltänzerblindgang wiesen auf schmerzbedingte Gleichgewichtsstörungen hin.
Im psychischen Befund beschreibt der Gutachter anschaulich anhand von Mimik, Augen, Stimme und Psychomotorik eine ausgeprägte affektiv-emotionale Gespanntheit des Klägers, die ihr Korrelat in der von dem Gutachter festgestellten Verspannung der Rückenmuskulatur findet. Dann beschreibt der Gutachter nachvollziehbar, wie der Kläger durch seine nonverbale Kommunikation eine depressive Stimmung bzw. einen Gefühlszustand der Hilf- und Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck gebracht hat; dieser Eindruck wurde im tiefenpsychologisch explorativen Gespräch bestätigt. Ebenso schlüssig beschreibt der Arzt eine Verlangsamung der gesamten Denk- und motorischen Abläufe, multiple Ängste, die Überforderung als "Versorger" der Familie und Vater von drei minderjährigen Kindern, eine besorgte und misstrauische Grundhaltung mit Grübeltendenzen, eine narzisstische Kränkung des Männlichkeits- und Selbstwertgefühls ("Versager"), Verbitterung, Beziehungs- und Kontaktstörungen sowie eine Verdrängungshaltung, die zu einer Dauerspannungshaltung mit einer zunehmenden Zahl von körperlichen Symptomen geführt hat.
Anknüpfend an die von ihm erhobene Anamnese sowie den klinischen und psychischen Untersuchungsbefund sowie unter Würdigung der Vorgutachten und ärztlichen Entlassungsberichte der Klinik L und der B-Klinik legt der Gutachter überzeugend dar, wie sich beim Kläger seit dem Bandscheibenvorfall im Jahr 2001 ein psychodynamischer Prozess der Verdrängung und Abspaltung von Gefühlen mit der Folge der Somatisierung entwickelt hat, der durch zunehmende Therapieresistenz und Progredienz bzw. durch hochgradige Rigidität und Fixierung gekennzeichnet ist. Aus dem psychopathologischen Befund folgen schlüssig und nachvollziehbar die Diagnosen depressiv ängstliches Syndrom mit zahlreichen Somatisierungen, generalisierte Angststörung mit Panikattacken, Dissoziative Störung, Somatoforme Schmerzstörung Stadium III und ausgeprägte Anpassungsstörung.
Die Beurteilung der psychodynamischen Entwicklung und ihre Auswirkungen auf das Schmerzempfinden des Klägers wird auch dadurch gestützt, dass bereits im ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik L vom 13. Juni 2002 ein psychovegetativer Erschöpfungszustand mit Albträumen und Verdacht auf Panikstörung diagnostiziert und sich in der Folgezeit deutliche Hinweise auf eine fortschreitende Verfestigung und Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes des Klägers ergaben. So stellte der Arzt Dr. T in seinem Gutachten vom 6. August 2003 eine Anpassungsstörung fest, die Fachärztin für Psychiatrie Dr. Z in der sozialmedizinisch-psychiatrischen Stellungnahme des Berufsförderungswerkes B vom 7. Oktober 2003 eine in der Tendenz als zunehmend erscheinende depressive Krise mit Lebensüberdruss und Sinnlosigkeitsgefühl und die B-Klinik in ihrem ärztlichen Entlassungsbericht vom 17. März 2004 eine Anpassungsstörung und Panikstörung sowie eine Schmerzsymptomatik, die sich aufgrund der Persönlichkeitsprägung des Klägers weiter verstärken könnte. Vor diesem Hintergrund steht der Richtigkeit der Beurteilung des Sachverständigen Dr. F nicht entgegen, dass der Arzt Dr. L in seinem Gutachten vom 16. März 2005 nur noch eine gelegentlich auftretende Angstsymptomatik, aber keine depressive Störung festgestellt hat. Denn der von Dr. F im Einklang mit den Vorbefunden beschriebene psychodynamische Entwicklungsprozess schließt nicht aus, dass der Kläger auch Phasen ohne depressive Symptomatik hat.
Eine Aggravation und Simulation des Klägers hat der Gutachter aufgrund der von ihm festgestellten psychischen und körperlichen Befunde schlüssig und nachvollziehbar ausgeschlossen. Soweit die Angaben des Klägers zu seinen Fähigkeiten und Ressourcen nicht ohne weiteres nachvollziehbar sein mögen (Hausarbeiten schwer zu bewältigen, könne sich keine Brötchen schmieren, fallen aus der Hand, Theater- und Kinobesuche nicht mehr durchführbar, leichte Gartenarbeit, Kochen, Essen aufwärmen, gelegentliches Staubsaugen jedoch möglich), lässt sich dies anhand der von dem Arzt Dr. F beschriebenen Persönlichkeitsstörung - insbesondere der von ihm beschriebenen Regression - durchaus erklären. Ferner erklärt der Gutachter den Umstand, dass bisher eine spezielle Schmerztherapie und psychotherapeutische Intervention nicht stattgefunden hatte, überzeugend mit der hochgradigen unbewussten Verdrängungshaltung des Klägers, durch die die Motivation zur psychischen Introspektion blockiert wird und mit der ein manifestes Misstrauen und eine starke Abwehrhaltung gegenüber Therapieversuchen einher geht.
Dass die von dem Gutachter angewandten psychologischen Testverfahren nicht auf die Beurteilung des quantitativen und qualitativen Leistungsvermögens im Rahmen eines Rentenverfahrens zugeschnitten sind und wie auch der durch Beklopfen, Abtasten sowie Drücken von Nervenaustrittspunkten erhobene Schmerzbefund maßgeblich auf den Äußerungen des zu Untersuchenden basieren, vermag keine erheblichen Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung des Sachverständigen zu begründen. Diese findet schon in dem vorstehend dargestellten Untersuchungsbefund und den darüber hinaus vorliegenden ärztlichen Befunden eine hinreichende Grundlage. Zutreffend weist der Sachverständige darauf hin, dass es in der Praxis bisher kein objektives Verfahren gibt, um Schmerz zu "messen". Zudem hat er nachvollziehbar dargelegt, dass die körperliche Untersuchung der Nervenaustrittspunkte nur ein Baustein ist und die Äußerungen in den psychologischen Testverfahren einer Nachexploration und Analyse unterzogen werden. Dieses Verfahren ist nicht zu beanstanden,
Aufgrund des festgestellten Eintritts des Leistungsfalls der teilweisen Erwerbsminderung am 22. August 2006 hat der Kläger daher - wie beantragt - einen Anspruch auf eine zeitlich befristete Rente nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI. Da nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. F die Wiederherstellung eines Leistungsvermögens von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich nach therapeutischer Behandlung nicht unwahrscheinlich ist, kommt eine unbefristete Rentengewährung nicht in Betracht (§ 102 Abs. 2 Satz 1 und Satz 5 SGB VI). Die Rente ist auf die nach § 102 Abs.2 Satz 2 SGB VI zulässige Höchstdauer von drei Jahren zu befristen. Denn wie der Gutachter Dr. F schlüssig und nachvollziehbar dargelegt hat, ist für die Wiederherstellung eines täglichen Leistungsvermögens von mindestens sechs Stunden ein Zeitraum von drei Jahren erforderlich.
Der Rentenanspruch besteht dem Grunde nach ab 01. März 2007. Der Rentenbeginn folgt aus § 101 Abs. 1 SGB VI. Danach werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsminderung gewährt.
Der Kläger Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil der Arbeitsmarkt für Teilzeitarbeitskräfte als verschlossen gilt. Bei teilweise Erwerbsgeminderten ist die jeweilige Arbeitsmarktlage zu berücksichtigen, wie sich im Umkehrschluss dem Wortlaut des § 43 Abs. 3 SGB VI entnehmen lässt (vgl.: Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 102 SGB VI Rndr. 11; Kamprad in Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch, § 43 Rndr. 92, 94). Weder die Beklagte noch die Bundesagentur für Arbeit haben dem Kläger einen Teilzeitarbeitsplatz angeboten.
Nach allem hat der Kläger daher einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. März 2007 bis zum 28. Februar 2010. Das Urteil des Sozialgerichts sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten waren entsprechend abzuändern und die Beklagte insoweit zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG - und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG lagen nicht vor.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Berufungsverfahren noch eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1965 geborene Kläger stammt aus Serbien und lebt seit 1984 in Deutschland. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von vier minderjährigen Kindern; die älteste Tochter stammt aus erster Ehe.
Von 1980 bis 1984 absolvierte der Kläger in Jugoslawien erfolgreich eine Ausbildung zum Maschinenschlosser. Von März 1987 bis September 1988 war er als Schlosser, von Oktober 1988 bis Juni 1994 als Maschinenschlosser, von Juli 1994 bis Oktober 1996 als Haushandwerker, von November 1996 bis Juli 1997 als Wasser- und Heizungsinstallateur und von August 1997 bis Juni 2003 als Kundendienstmonteur im Bereich Pumpentechnik versicherungspflichtig beschäftigt; von August 1997 bis April 2001 übte er nebenberuflich eine Tätigkeit als Hauswart aus.
Im Januar 2001 erlitt der Kläger einen Bandscheibenvorfall (Massenprolaps). In der Zeit vom 7. Mai 2002 bis 28. Mai 2002 führte er eine von der Beklagten bewilligte medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Rehabilitationsklinik L in B S durch. Im ärztlichen Entlassungsbericht vom 13. Juni 2002 wurden ein lokales LWS-Syndrom bei NPP L 4/5 und ein psychovegetativer Erschöpfungszustand mit Albträumen und Verdacht auf Panikstörung diagnostiziert. Der Kläger wurde in seinem letzten Beruf noch für fähig gehalten, drei bis unter sechs Stunden tätig zu sein, im Übrigen hielt man ihn noch für fähig, sechs Stunden und mehr leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen und Sitzen sowie zeitweise im Gehen unter Vermeidung von schwerem Heben, häufigem Bücken und Zwangshaltungen in Tagesschicht zu verrichten. Der Kläger sei motiviert, die Prognose sei gut. Empfohlen wurden u. a. eine psychotherapeutische Betreuung und eine Arbeiterprobung.
Die Beklagte zog einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Orthopädie F vom 2. Juli 2002 bei und bewilligte dem Kläger mit Bescheiden vom 26. August 2002 und 4. März 2003 für die Auswahl von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung für die Dauer von sechs Wochen.
Am 16. April 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung.
Die für die Zeit vom 28. April 2003 bis 6. Juni 2003 vorgesehene Berufsfindung und Arbeitserprobung beim Berufsförderungswerk B wurde nach Ablauf der Grunderprobung am 23. Mai 2003 aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig beendet. Die Sozialpädagogin L führte in dem Ergebnisbericht vom 15. Juli 2003 aus, der Kläger wirke sehr motiviert und bemüht, einen beruflichen Wiedereinstieg zu finden, gleichzeitig aber sehr belastet durch körperliche Beschwerden und familiäre bzw. finanzielle Sorgen. Die psychische und physische Belastbarkeit sei deutlich eingeschränkt.
Die Beklagte veranlasste die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 6. August 2003 eine Lumboischialgie rechts und eine Anpassungsstörung. Für seine letzte Tätigkeit als Kundendiensttechniker mit zeitweise schwerer körperlicher Belastung sei der Kläger nicht mehr einsetzbar. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und zeitweise im Stehen und Gehen könnten jedoch sechs Stunden und mehr ausgeübt werden.
Hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 11. August 2003 ab. Hiergegen erhob der Kläger durch seinen Verfahrensbevollmächtigten am 11. September 2003 Widerspruch.
Die Beklage zog eine sozialmedizinisch-psychiatrische Stellungnahme des Berufsförderungswerkes B vom 7. Oktober 2003 in Ergänzung des Ergebnisberichtes vom 15. Juli 2003 bei. In dieser diagnostizierte die Fachärztin für Psychiatrie Dr. Z beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode mit Panikstörung und führte aus, es habe sich eine depressive Symptomatik entwickelt, seit der Kläger aus körperlichen Gründen nicht mehr arbeiten könne. Davon sei sein Selbstwertgefühl entscheidend abhängig. Am meisten belaste ihn die finanzielle Situation. Es habe sich eine depressive Krise mit Lebensüberdruss und Sinnlosigkeitsgefühl entwickelt, die in der Tendenz eher zuzunehmen scheine. Die gleichzeitige Herausforderung, mit einem vierten Kind Vater zu werden, spitze seine Drucksituation als "Versorger" der Familie weiterhin zu.
In der Zeit vom 3. Februar 2004 bis 16. März 2004 führte der Kläger eine von der Beklagten bewilligte medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der B-Klinik, Abteilung Psychosomatik, in B durch. Diagnostiziert wurden eine Anpassungsstörung, eine Panikstörung sowie eine Lumboischialgie rechts bei Massenprolaps L 4/5 und BS-Protusion L 5/S1. In dem Entlassungsbericht der Klinik vom 17. März 2004 ist ausgeführt, psychodynamisch liege beim Kläger ein narzisstischer Konflikt sowie fehlende Konflikt- und Gefühlswahrnehmung vor. Der Bandscheibenvorfall 2001 habe eine narzisstische Dekompensation ausgelöst. An die eingeschränkte Leistungsfähigkeit könne sich der Kläger nur schwer anpassen. Sein Leiden spüre er überwiegend über den Körper. Hauptabwehrmechanismen seien Affektisolierung und Somatisierung. Die Schmerzsymptomatik finde ihren konstitutionellen Boden in der Persönlichkeitsprägung, wobei negativ getönte Impulse das Schmerzerleben durch Defizite der Affektwahrnehmung und -differenzierung verstärken könnten. Der Kläger wurde mit der Leistungsbeurteilung entlassen, dass er eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wechsel von überwiegenden Stehen, Gehen und Sitzen noch sechs Stunden und mehr verrichten könne; das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg solle vermieden werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 19. Juli 2004 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben.
Der Kläger hat eine Bescheinigung des behandelnden Facharztes für Orthopädie F vom 8. November 2005 zur Gerichtsakte gereicht (Bl. 73 GA).
Der Kläger hat durch seinen Verfahrensbevollmächtigten schriftsätzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. April 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte des behandelnden Facharztes für Psychiatrie R vom 12. November 2004 und des Facharztes für Orthopädie F vom 16. November 2004 beigezogen. Ferner hat es die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L und den Facharzt für Orthopädie Dr. R veranlasst.
Der Arzt Dr. L ist in seinem Gutachten vom 16. März 2005 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger auf nervenärztlichem Fachgebiet bis auf eine nur noch gelegentlich auftretende Angstsymptomatik keine weiteren Beeinträchtigungen vorlägen. Eine depressive Störung bestehe nicht. Ausdauer, Auffassung und Konzentration des Klägers seien nicht beeinträchtigt, die affektive Schwingungsfähigkeit und mimische Beweglichkeit leicht reduziert, der Antrieb normal. Das verbliebene Leistungsvermögen reiche noch für eine Arbeitszeit von mindestens sechs Stunden täglich aus.
Der Arzt Dr. R ist in seinem Gutachten vom 2. Juni 2005 zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger leide an einem chronischen Lumbalsyndrom mit rezidivierenden Ischialgien bei Bandscheibenvorfall L 4/5, einem Cervicalsyndrom bei verspannter Schulter-Nackenmuskulatur sowie einem subjektiven Schwächeempfinden im Bereich beider Kniegelenke ohne pathologisches Substrat. Die Lendenwirbelsäulenbeweglichkeit sei nahezu aufgehoben bzw. schmerzbedingt erheblich eingeschränkt; das Laseque-Zeichen beidseits bei 40 ° positiv. Die körperlichen Untersuchungsbefunde hätten keine Hinweise auf eine Nervenwurzelreizirritation gegeben. Bei der körperlichen Untersuchung habe sich zunächst eine erheblich bewegungseingeschränkte Halswirbelsäule gezeigt, die sich jedoch im Verlauf der Begutachtung trotz Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich als frei beweglich erwiesen habe. Der Kläger könne noch mindestens acht Stunden täglich verrichten:
- körperlich leichte Arbeiten im Freien und/oder in geschlossenen Räumen, - im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, allerdings nur mit der Möglichkeit zum spontanen Haltungswechsel, - keine Arbeiten mit einseitiger körperlicher Belastung, in Zwangshaltungen, mit Bücken sowie mit Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, - keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, - keine Arbeiten, die eine besondere Belastung der Wirbelsäule voraussetzen.
Arbeiten unter Zeitdruck, an laufenden Maschinen und im Wechsel von Wechsel von Früh-, Spät- und Nachtschicht seien unbedenklich. Besonderheiten für den Weg zum Arbeitsplatz seien nicht zu berücksichtigen. Die üblichen Pausen reichten aus.
Mit Gerichtsbescheid vom 9. Januar 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung maßgeblich auf die Gutachten der Ärzte Dr. L und Dr. R gestützt.
Gegen den ihm am 21. Januar 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger durch seinen Verfahrensbevollmächtigten am 7. Februar 2006 Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren zunächst in vollem Umfang weiterverfolgt hat. Unter Bezugnahme auf die gutachterlichen Äußerungen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. F im Berufungsverfahren begehrt er nunmehr noch die Gewährung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Januar 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 11. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm - dem Kläger - ab dem 01. März 2007 (ausgehend von einem Leistungsfall am 28. August 2006) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum 28. Februar 2010 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, der Ausprägungsgrad der von dem Arzt Dr. F festgestellten Symptomatik werde durch die von ihm erhobenen Befunde nicht belegt. Die von ihm vorgelegten Tests basierten im Wesentlichen auf Selbstbeurteilungsskalen und seien keinesfalls als objektiv anzusehen. Auch das von ihm entwickelte Verfahren zur Schmerzdiagnostik sei nicht validiert und entspreche nicht der standardisierten Vorgehensweise zur Beurteilung von Leistungseinschränkungen im Zusammenhang mit Schmerzsymptomatik. Hierzu gehörten eine klinische Untersuchung, ein ausführlicher psychopathologischer Befund, eine ausführliche Beobachtung des Probanden und eine ausführliche Anamnese zur Quantifizierung der Symptomatik. Im vorliegenden Gutachten gerate die Beschreibung des Tagesablaufs zu kurz. Im psychischen Befund beschreibe der Gutachter Symptome, ohne diese genauer zu beschreiben. Eine psychiatrische Anamnese werde nicht erhoben. Ein genaueres Hinterfragen der Angaben des Klägers wäre notwendig gewesen. Bei einer langjährigen nervenärztlichen Behandlung wäre insbesondere zu hinterfragen gewesen, weshalb kein medikamentöser Behandlungsversuch unternommen worden sei. Entgegen der Auffassung des Gutachters sei von einem niedrigen Leidensdruck des Klägers auszugehen.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz hat das Landessozialgericht die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F veranlasst.
Dieser stellt in seinem Gutachten vom 6. Dezember 2006 nach Untersuchung des Klägers am 22. August 2006 folgende Diagnosen:
- Depressiv ängstliches Syndrom mit zahlreichen Somatisierungen - Generalisierte Angststörung mit Panikattacken - Dissoziative Störung - Somatoforme Schmerzstörung Stadium III - Ausgeprägte Anpassungsstörung - Fachfremd: Lumboischialgie rechts mit Massenprolaps L 4/5, Bandscheibenprotusion L 5/S1 mit ausgeprägter Spondyloosteochondrose der unteren LWS, seit zwei Jahren Allergie (Heuschnupfen).
Im Vordergrund stehe eine chronifizierte Schmerzsymptomatik, generalisiert, die sich zu einer chronischen Schmerzstörung im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung entwickelt habe. Die Schmerzsymptomatik habe einen psychodynamischen Hintergrund. Dreh- und Angelpunkt sei das Jahr 2001. Hier erscheine das Verhebetrauma während der Arbeit. Dieses habe zu einer komplexen Fehlentwicklung, Fehlanpassung und Anpassungsstörung geführt, insbesondere zu einer hochgradigen Verdrängung von Affektivität und Emotionalität und einer Projektion auf den körperlichen Bereich in Form von somatoformen Schmerzen, hier im Stadium III nach Gerbershagen. Zum Zeitpunkt der Abfassung des Gutachtens sei eine hochgradige Regression festzustellen mit Vermeidungsverhalten, Rückzugstendenzen, unbewussten Abwehrstrategien, hochgradig sublimierter Aggressivität und einer verhängnisvoll wirkenden hochgradig unbewussten Verdrängungsstrategie. Auch in der eigenen Familie erfolge zunehmende Isolierung und Inaktivität. Starke Auseinandersetzungen mit der Ehefrau ständen auf der Tagesordnung. Die drei kleinen Kinder überforderten ihn. Der ganze Prozess sei durch zunehmende Therapieresistenz und Progredienz bzw. durch hochgradige Rigidität und Fixierung gekennzeichnet. Auffällig sei, dass bisher eine spezielle Schmerztherapie und psychotherapeutische Intervention nicht stattgefunden habe. Mit Sicherheit spiele hierbei die - multifaktorell bedingte - unbewusste hochgradige Verdrängungshaltung eine überragende Rolle. Durch diese Verdrängungshaltung sei die Motivation zur psychischen Introspektion blockiert. Aus eigener Willenskraft könne sich der Kläger aus diesem Zustand nicht befreien.
Der Kläger könne noch vier bis fünf Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten im 15-20 minütigen Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen durchführen. Arbeiten mit Anforderungen an die grobe Kraft der Hände seien nicht möglich. Die Fingerfertigkeit sei voll und ganz vorhanden. Arbeiten im Freien sowie unter Lärm sowie unter Aussetzung von Hautreizstoffen, Staubentwicklung seien (zur Zeit) nicht durchführbar. Arbeiten in Zwangs- oder überwiegend einseitiger Körperhaltung mit Bücken, Heben, Tragen seien maximal 15-20 Minuten möglich, 10-15 kg seien zu heben. Überkopfarbeiten seien zu vermeiden, ebenso Arbeiten mit einer hohen Belastung der Stimme. Geistig seien einfache bis mittelschwere Arbeiten möglich. Arbeiten unter Zeitdruck sowie Arbeiten in Wechselschicht seien nur kurzzeitig möglich, die Umstellungsfähigkeit und geistige Flexibilität seien deutlich eingeschränkt. Besondere Anforderungen an Reaktionsvermögen, Aufmerksamkeit und Übersicht dürften aufgrund der depressiven Erkrankung nicht gestellt werden. Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit seien allerdings sehr positiv ausgeprägt.
Eine Behebung der Leistungseinschränkung sei innerhalb von drei Jahren unter Ausschöpfung aller Mittel wahrscheinlich. Wichtigste Voraussetzung sei, dass der Kläger zur psychischen Introspektion motiviert werde. Dann sei eine Behebung der Leistungseinschränkung innerhalb von 1 ½ bis 2 Jahren möglich.
In seinen ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen vom 18. Juli 2007 und vom 10. Dezember 2007 führt der Arzt Dr. F aus, er habe das Gutachten unter dem bio-psycho-sozialen Aspekt erstellt. Dazu gehörten das Herausarbeiten des "Bedingungsgefüges", insbesondere der psychosozialen Belastungsfaktoren und die Bedeutung der psychosozialen Belastungen und psychischen Komorbiditäten sowie die Analyse bzw. Interpretation der Wechselbeziehungen zwischen seelischer Konstellation und Schmerzbefund.
Als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie für spezielle Schmerztherapie sei er in der Lage, durch Abtasten, Beklopfen und Drücken von Nervenaustrittspunkten festzustellen, welche Nervenstrukturen oder welche Muskelstrukturen in einen krankhaften Prozess mit eingebunden seien. Sein Untersuchungsverfahren sei nicht neu und im Übrigen nur ein Baustein, der im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Schmerzfragebogens zu sehen sei. Die psychologischen Testverfahren seien integrativer Bestandteil des psychopathologischen und psychischen Befundes und erbrächten keine psychopathologische Diagnose; es erfolge lediglich eine Itembetrachtung, die in einem strukturierten Gespräch nachexploriert und analysiert werde. Im Bereich der Schmerzdiagnostik sei nach dem bisherigen Stand von Wissenschaft und Technik ohne "semiobjektive" Verfahren nicht auszukommen. Zwar sei es mittlerweile möglich, mit ganz bestimmten Verfahren Schmerz objektiv darzustellen; für die Praxis sei ein solches Verfahren aber noch nicht vorhanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit der Kläger noch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 01. März 2007 bis 28. Februar 2010 begehrt. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist in diesem Umfang rechtswidrig.
Der Kläger hat ab 01. März 2007 einen Anspruch auf Gewährung einer zeitlich befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung (§§ 43 Abs. 2, 102 Abs. 2 SGB VI). Er ist seit dem 22. August 2006 teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI. Die für die Rentengewährung nach §§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt. Dies ergibt sich aus der Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in dem angefochtenen Bescheid vom 11. August 2003. Danach waren zum Zeitpunkt des Rentenantrages vom 16. April 2003 die für eine Erwerbsminderungsrente erforderlichen Pflichtbeitragszeiten belegt, sodass nach §§ 241 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. 198 SGB VI für einen Rentenbeginn ab 01. März 2007 neben der gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erforderlichen Wartezeit auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen weiter vorliegen. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Danach ist der Kläger zwar nicht voll erwerbsgemindert, sondern nur teilweise erwerbsgemindert; er hat bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes jedoch Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist der Kläger nur noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes drei bis unter sechs Stunden tätig zu sein.
Der Kläger ist in seiner Leistungsfähigkeit durch die von dem Sachverständigen Dr. F in seinem Gutachten vom 6. Dezember 2006 festgestellten Gesundheitsstörungen in der Weise beeinträchtigt, dass er täglich nur noch 4-5 Stunden körperlich leichte und geistig einfache bis mittelschwere Arbeiten im 15-20 minütigen Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen unter Beachtung der von ihm genannten und oben aufgeführten weiteren qualitiativen Leistungseinschränkungen verrichten kann.
Auf nervenärztlichem Fachgebiet leidet der Kläger an einem depressiv ängstlichen Syndrom mit zahlreichen Somatisierungen, einer generalisierten Angststörung mit Panikattacken, einer dissoziativen Störung, einer somatoformen Schmerzstörung Stadium III und einer ausgeprägten Anpassungsstörung. Auf orthopädischem Fachgebiet leidet er insbesondere an einem chronischen Lumbalsyndrom bei rezidivierenden Ischialgien nach Bandscheibenvorfall L 4/5.
Wie der Gutachter Dr. F überzeugend dargelegt hat, steht die psychische Erkrankung des Klägers im Vordergrund. Diese hat sich seit seiner Entlassung aus der Rehabilitationsklinik B im März 2004 erheblich verschlimmert. Schlüssig und nachvollziebar beschreibt der Arzt, wie der Bandscheibenvorfall vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsstruktur des Klägers zu einer komplexen Fehlentwicklung geführt hat, die insbesondere durch regressives, ängstlich - vermeidendes Verhalten und eine unbewusste Verdrängungshaltung bei gleichzeitiger Projektion auf den körperlichen Bereich geprägt ist. Hieraus leitet der Gutachter überzeugend eine fortschreitende Chronifizierung und Verstärkung der Schmerzsymptomatik des Klägers bei wachsender Therapieresistenz ab.
Entgegen der Auffassung der Beklagten wird das von dem Gutachter beschriebene Ausmaß der psychischen Erkrankung des Klägers durch die von ihm erhobenen Befunde belegt. Soweit die Beklagte einen unzureichenden psychischen Befund bzw. das Fehlen einer psychiatrischen Anamnese, das Fehlen einer ausführlichen Anamnese zur Quantifizierung der Symptomatik und eine mangelnde Eignung der von ihm angewendeten psychologischen Testverfahren bzw. der Verfahren zur Schmerzdiagnostik für die Beurteilung von Leistungseinschränkungen im Zusammenhang mit Schmerzsymptomatik geltend macht, greifen die vorgebrachten Einwände nicht durch. Das Gutachten entspricht den von der Beklagten in Bezug genommenen Leitlinien zur Begutachtung von Schmerzen, wonach als Grundlage für die Diagnostik eine klinische Untersuchung, ein ausführlicher psychopathologischer Befund, eine ausführliche Beobachtung des Probanden und eine ausführliche Anamnese zur Quantifizierung der Symptomatik erforderlich sind. Grundlage der nervenärztlichen Diagnosen des Gutachters und seiner Leistungsbeurteilung sind insbesondere die von ihm durchgeführte biographische Anamnese, der psychische und psychopathologische Befund, der neurologische und der spezielle Schmerzbefund, die Ergebnisse der neurologischen Untersuchungen (EMG, SEP), ein allgemeiner Leistungstest zur Erfassung von Aufmerksamkeit und Konzentration (Cognitrone COG), eine Angst-Analyse mit Hilfe der Hamilton-Angst-Skala (HAMA), ein psychopathologisches Testverfahren (Freiburger Persönlichkeitsinventar - FPI - und Minnesota Multiphasic Personality Inventory Kurform - MMPI-K -), ein arbeitsbezogenes Testverfahren (AVEM) sowie die vorliegenden Vorgutachten, Entlassungsberichte und sonstigen ärztlichen Vorbefunde. Weder die von dem Gutachter erhobene Anamnese, noch die von ihm erhobenen Befunde lassen wesentliche Mängel erkennen.
Aufgrund der körperlichen Untersuchung hat der Gutachter schlüssig und nachvollziebar u. a. eine hochgradig verspannte quergestreifte Muskulatur im Bereich der oberen und unteren Extremitäten mit besonderer Bevorzugung der Rückenmuskulatur, einen deutlichen Hypertonus im Bereich der Rückenmuskulatur, eine deutliche Überempfindlichkeit (Hypästhesie) im Bereich des Bandscheibenvorfalls, eine erhebliche Einschränkung der Beweglichkeit und der groben Kraft durch Schmerzzustände insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie eine funktionelle Fehlhaltung im gesamten Becken, Kniegelenks- und Sprunggelenksbereich festgestellt. Rombergversuch, Seiltänzergang und Seiltänzerblindgang wiesen auf schmerzbedingte Gleichgewichtsstörungen hin.
Im psychischen Befund beschreibt der Gutachter anschaulich anhand von Mimik, Augen, Stimme und Psychomotorik eine ausgeprägte affektiv-emotionale Gespanntheit des Klägers, die ihr Korrelat in der von dem Gutachter festgestellten Verspannung der Rückenmuskulatur findet. Dann beschreibt der Gutachter nachvollziehbar, wie der Kläger durch seine nonverbale Kommunikation eine depressive Stimmung bzw. einen Gefühlszustand der Hilf- und Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck gebracht hat; dieser Eindruck wurde im tiefenpsychologisch explorativen Gespräch bestätigt. Ebenso schlüssig beschreibt der Arzt eine Verlangsamung der gesamten Denk- und motorischen Abläufe, multiple Ängste, die Überforderung als "Versorger" der Familie und Vater von drei minderjährigen Kindern, eine besorgte und misstrauische Grundhaltung mit Grübeltendenzen, eine narzisstische Kränkung des Männlichkeits- und Selbstwertgefühls ("Versager"), Verbitterung, Beziehungs- und Kontaktstörungen sowie eine Verdrängungshaltung, die zu einer Dauerspannungshaltung mit einer zunehmenden Zahl von körperlichen Symptomen geführt hat.
Anknüpfend an die von ihm erhobene Anamnese sowie den klinischen und psychischen Untersuchungsbefund sowie unter Würdigung der Vorgutachten und ärztlichen Entlassungsberichte der Klinik L und der B-Klinik legt der Gutachter überzeugend dar, wie sich beim Kläger seit dem Bandscheibenvorfall im Jahr 2001 ein psychodynamischer Prozess der Verdrängung und Abspaltung von Gefühlen mit der Folge der Somatisierung entwickelt hat, der durch zunehmende Therapieresistenz und Progredienz bzw. durch hochgradige Rigidität und Fixierung gekennzeichnet ist. Aus dem psychopathologischen Befund folgen schlüssig und nachvollziehbar die Diagnosen depressiv ängstliches Syndrom mit zahlreichen Somatisierungen, generalisierte Angststörung mit Panikattacken, Dissoziative Störung, Somatoforme Schmerzstörung Stadium III und ausgeprägte Anpassungsstörung.
Die Beurteilung der psychodynamischen Entwicklung und ihre Auswirkungen auf das Schmerzempfinden des Klägers wird auch dadurch gestützt, dass bereits im ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik L vom 13. Juni 2002 ein psychovegetativer Erschöpfungszustand mit Albträumen und Verdacht auf Panikstörung diagnostiziert und sich in der Folgezeit deutliche Hinweise auf eine fortschreitende Verfestigung und Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes des Klägers ergaben. So stellte der Arzt Dr. T in seinem Gutachten vom 6. August 2003 eine Anpassungsstörung fest, die Fachärztin für Psychiatrie Dr. Z in der sozialmedizinisch-psychiatrischen Stellungnahme des Berufsförderungswerkes B vom 7. Oktober 2003 eine in der Tendenz als zunehmend erscheinende depressive Krise mit Lebensüberdruss und Sinnlosigkeitsgefühl und die B-Klinik in ihrem ärztlichen Entlassungsbericht vom 17. März 2004 eine Anpassungsstörung und Panikstörung sowie eine Schmerzsymptomatik, die sich aufgrund der Persönlichkeitsprägung des Klägers weiter verstärken könnte. Vor diesem Hintergrund steht der Richtigkeit der Beurteilung des Sachverständigen Dr. F nicht entgegen, dass der Arzt Dr. L in seinem Gutachten vom 16. März 2005 nur noch eine gelegentlich auftretende Angstsymptomatik, aber keine depressive Störung festgestellt hat. Denn der von Dr. F im Einklang mit den Vorbefunden beschriebene psychodynamische Entwicklungsprozess schließt nicht aus, dass der Kläger auch Phasen ohne depressive Symptomatik hat.
Eine Aggravation und Simulation des Klägers hat der Gutachter aufgrund der von ihm festgestellten psychischen und körperlichen Befunde schlüssig und nachvollziehbar ausgeschlossen. Soweit die Angaben des Klägers zu seinen Fähigkeiten und Ressourcen nicht ohne weiteres nachvollziehbar sein mögen (Hausarbeiten schwer zu bewältigen, könne sich keine Brötchen schmieren, fallen aus der Hand, Theater- und Kinobesuche nicht mehr durchführbar, leichte Gartenarbeit, Kochen, Essen aufwärmen, gelegentliches Staubsaugen jedoch möglich), lässt sich dies anhand der von dem Arzt Dr. F beschriebenen Persönlichkeitsstörung - insbesondere der von ihm beschriebenen Regression - durchaus erklären. Ferner erklärt der Gutachter den Umstand, dass bisher eine spezielle Schmerztherapie und psychotherapeutische Intervention nicht stattgefunden hatte, überzeugend mit der hochgradigen unbewussten Verdrängungshaltung des Klägers, durch die die Motivation zur psychischen Introspektion blockiert wird und mit der ein manifestes Misstrauen und eine starke Abwehrhaltung gegenüber Therapieversuchen einher geht.
Dass die von dem Gutachter angewandten psychologischen Testverfahren nicht auf die Beurteilung des quantitativen und qualitativen Leistungsvermögens im Rahmen eines Rentenverfahrens zugeschnitten sind und wie auch der durch Beklopfen, Abtasten sowie Drücken von Nervenaustrittspunkten erhobene Schmerzbefund maßgeblich auf den Äußerungen des zu Untersuchenden basieren, vermag keine erheblichen Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung des Sachverständigen zu begründen. Diese findet schon in dem vorstehend dargestellten Untersuchungsbefund und den darüber hinaus vorliegenden ärztlichen Befunden eine hinreichende Grundlage. Zutreffend weist der Sachverständige darauf hin, dass es in der Praxis bisher kein objektives Verfahren gibt, um Schmerz zu "messen". Zudem hat er nachvollziehbar dargelegt, dass die körperliche Untersuchung der Nervenaustrittspunkte nur ein Baustein ist und die Äußerungen in den psychologischen Testverfahren einer Nachexploration und Analyse unterzogen werden. Dieses Verfahren ist nicht zu beanstanden,
Aufgrund des festgestellten Eintritts des Leistungsfalls der teilweisen Erwerbsminderung am 22. August 2006 hat der Kläger daher - wie beantragt - einen Anspruch auf eine zeitlich befristete Rente nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI. Da nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. F die Wiederherstellung eines Leistungsvermögens von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich nach therapeutischer Behandlung nicht unwahrscheinlich ist, kommt eine unbefristete Rentengewährung nicht in Betracht (§ 102 Abs. 2 Satz 1 und Satz 5 SGB VI). Die Rente ist auf die nach § 102 Abs.2 Satz 2 SGB VI zulässige Höchstdauer von drei Jahren zu befristen. Denn wie der Gutachter Dr. F schlüssig und nachvollziehbar dargelegt hat, ist für die Wiederherstellung eines täglichen Leistungsvermögens von mindestens sechs Stunden ein Zeitraum von drei Jahren erforderlich.
Der Rentenanspruch besteht dem Grunde nach ab 01. März 2007. Der Rentenbeginn folgt aus § 101 Abs. 1 SGB VI. Danach werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsminderung gewährt.
Der Kläger Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil der Arbeitsmarkt für Teilzeitarbeitskräfte als verschlossen gilt. Bei teilweise Erwerbsgeminderten ist die jeweilige Arbeitsmarktlage zu berücksichtigen, wie sich im Umkehrschluss dem Wortlaut des § 43 Abs. 3 SGB VI entnehmen lässt (vgl.: Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 102 SGB VI Rndr. 11; Kamprad in Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch, § 43 Rndr. 92, 94). Weder die Beklagte noch die Bundesagentur für Arbeit haben dem Kläger einen Teilzeitarbeitsplatz angeboten.
Nach allem hat der Kläger daher einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. März 2007 bis zum 28. Februar 2010. Das Urteil des Sozialgerichts sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten waren entsprechend abzuändern und die Beklagte insoweit zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG - und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG lagen nicht vor.
Rechtskraft
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