L 2 U 36/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 54/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 36/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02. Dezember 2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen "Kopf-, Hals- und Nackenschmerzen, Muskelverspannungen sowie Schwindelgefühle" Folgen eines am 30. März 1995 erlittenen Arbeitsunfalls sind.

Der 1955 geborene Kläger, ein selbständiger Taxiunternehmer, erlitt am 30. März 1995 um 0.30 Uhr einen Unfall, den er in seiner Unfallanzeige vom 07. April 1995 dahin beschrieb, dass ihm, der bei rotem Wechsellicht angehalten habe, ein anderer Verkehrsteilnehmer auf seinen stehenden Pkw aufgefahren sei, nachdem dieser zuvor eine Vollbremsung unternommen hatte. Der Kläger fuhr sein beschädigtes Fahrzeug im Anschluss an den Unfall zunächst zu einer Werkstatt und begab sich dann nach Hause. Um 14.21 Uhr desselben Tages begab er sich zum Facharzt für Chirurgie und Durchgangsarzt Dr. H, der eine Zerrung der Halswirbelsäule (HWS) nach Schleudertrauma feststellte. Mit Zwischenbericht vom 12. April 1995 teilte Dr. H mit, dass auf Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule (BWS) Verletzungsfolgen nicht erkennbar gewesen seien. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch, der gegenüber der Kläger angegeben hatte, seit dem Unfall Hinterkopfschmerzen, Schmerzen und Knacken im Nacken, Verspannungen im Schulterbereich und zeitweises Kribbeln in der rechten Hand zu
verspüren, diagnostizierte am 20. April 1995 symptomatische Kopfschmerzen nach HWS Kontusion, Spannungs KS bei ängstlicher Persönlichkeit. Am 23. Mai 1995 stellte sie die Diagnose "symptomatische Kopfschmerzen nach Distorsion der HWS. Sekundäre psychische Überlagerung durch ängstlich-nachhaltige Verarbeitung" und am 06. Juli 1995 "Zustand nach Distorsion der HWS. Sec. neurotische Fehlhaltung". Am 22. Mai 1995 nahm der Kläger seine frühere Tätigkeit wieder auf. Aufgrund anhaltender Beschwerden wurde in der Folgezeit u. a. ein MRT der HWS durchgeführt, welches am 23. Oktober 1995 einen unauffälligen Befund ergab.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H kam am 03. Dezember 1995 im Rahmen einer durch die Beklagte veranlassten Zusammenhangsbegutachtung zu dem Ergebnis, dass der Unfall lediglich zu einer HWS Distorsion geführt habe. Neurologisch liege kein pathognostisch verwertbarer Fund vor, die HWS sei insoweit vollkommen unauffällig. Irgendwelche Hinweise auf eine radikuläre oder medulläre Schädigung seien nicht vorhanden. Eine substantielle Schädigung des Kopfhalteapparates sei auszuschließen. Objektivierbare Ausfallerscheinungen seien nicht eingetreten. Die geklagten Beschwerden in Form chronischer Schmerzen hätten eine mögliche Erklärung nur in der unfallunabhängigen Persönlichkeitsstruktur, die sicher deutlich überlagernd und überbewertend verarbeite. Bis auf die psychische Grundstruktur, die unfallu-nabhängig charaktereigen sei, liege kein verwertbarer Befund vor. Es liege auch keine Minde-rung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und keine Arbeitsunfähigkeit vor. Empfohlen werde eine orthopädische Begutachtung.

Die Beklagte veranlasste sodann eine orthopädisch-traumatologische Zusammenhangsbegutachtung durch Dr. S, der am 27. Juni 1996 zu dem Ergebnis kam, dass ein leichtes Zervikalsyndrom als Folge einer Fehlform des Achsorgans bestehe; darüber hinaus sei ein geringes Muskelverkürzungssyndrom vorhanden. Unfallfolgen habe die Untersuchung des Stütz- und Bewegungsapparates, der Wirbelsäule und der oberen Extremitäten nicht gezeigt.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H teilte der Beklagten am 10. Juli 1996 in einem "neurologischen Befundbericht unter Berücksichtigung manualmedizinischer Aspekte" mit, beim Kläger bestünden ein posttraumatisches Zervikalsyndrom, chronisch, bei arthro-muskulärer Dysfunktion (Gelenk- und Muskelfunktionsstörung), eine HWS Distorsion mit Schädelprellung ohne sichere Hinweise auf eine Schädel-Hirn-Verletzung, mit LWS Symptomatik (unfallunabhängig), mit anfänglicher neurologischer Symptomatik, die inzwischen jedoch abgeklungen sei, weiterhin jedoch bestehende Schmerzsymptomatik sowie klinische Symptomatik mit dezenten Hinweisen auf das Segment C2/3, mit psychischer Symptomatik (Verdacht auf Beschwerdefehlverarbeitung, posttraumatische Belastungsstörung), ohne relevante bzw. nicht bekannte Vorerkrankungen/Vorschäden. Die psychiatrische Problematik sei weiter abzuklären.

Am 19. Juli 1999 führten Dr. H/St aus, dass ein chronischer therapieresistenter Unfallfolgezu-stand bestehe. Eine Reaktion auf die manualmedizinische Behandlung sei bislang nicht zu verzeichnen. Der Kläger wünsche trotzdem eine Behandlung in der Hoffnung, dass es eines Tages eine Lösung für sein Problem gäbe. Nach Einholung einer Stellungnahme des Chirurgen Dr. P vom 19. August 1999 teilte die Beklagte durch Bescheid vom 08. September 1999 daraufhin mit, dass weitere Behandlungsmaßnahmen wegen Unfallfolgen nicht mehr erforderlich seien und dass ihre Leistungspflicht im Zusammenhang mit dem Unfall nicht mehr gegeben sei.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er auf die fortdauernde Behandlung durch Dr. H verwies. Ferner übersandte er ein Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Oktober 1999 (Az.: 58 S 103/99 LG Berlin/102 C 315/98 AG Mitte), in welchem der Unfallverursacher und die Allianz Versicherungs AG als Gesamtschuldner zur Leistung von Schadenssatz und von Schmerzensgeld verurteilt worden waren unter Bezugnahme auf eine schriftliche Aussage des Dr. H als sachverständigem Zeugen vom 06. September 1999, der den Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und den Beschwerden des Klägers bestätigt habe. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 1999 zurück. Die infolge des Unfalles erlittene Verletzung sei folgenlos ausgeheilt. Dr. H habe sich nicht mit dem Kausalzusammenhang auseinandergesetzt. Die Gutachten von Dr. H und Dr. S seien hingegen in sich schlüssig und überzeugend.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht ein Gutachten des Arztes für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. B eingeholt, der mit Datum vom 17. November 2000 zu dem Ergebnis kam, dass beim Kläger eine durch den streitgegenständlichen Auffahrunfall vom 30.3.95 mit der Folge einer Zerrung der Halswirbelsäule aktualisierte "Angstneurose", die ihre
symptomatische Ausgestaltung führend in "psychovegetativ vermittelten funktionellen körperlichen Symptomen" finde, bestehe. Neben einer mittelgradig ausgeprägten vegetativen Unausgewogenheit und Überstimulation seien hierzu wesentlich die funktionellen Beschwerden von Seiten der Halswirbelsäule und des Schultergürtels zu rechnen. Diese Gesundheitsstörungen seien im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung der schon unfallunabhängig vorbestehenden neurotischen Entwicklung ursächlich auf den Unfall zurückzuführen. Die MdE sei seit dem 22. Mai 1995 mit 20 v. H. zu bemessen. Auf Befundebene bestehe ein regelrechter neurologischer Status, insbesondere würden keine cervikoradikulären Funktions- oder gar Defektbefunde greifbar. Auch der Schmerz sei in seiner Ausstrahlung schwerlich radikulär zu verstehen. Von Seiten des Stütz- und Bewegungsapparates werde in statischer Untersuchung eine leichte rechtsbetonte Anspannung der paravertebralen Muskulatur in Höhe der HWS und BWS tastbar. Dem Orthopäden Dr. S sei insoweit zu folgen, als orthopädischerseits keine Unfallfolgen festzustellen seien.

Die Diskussion des Dr. Hinzmann um eine "Cervikomotographie, computergestützte Bewegungsanalyse der HWS Bewegungen, Elektromyographie der Nackenmuskulatur,
Gleichgewichtsanalysesysteme " scheine gutachterlich eher fehlleitend, da der auch von diesem dokumentierte Gesichtspunkt eines Verdachtes auf Fixierung bzw. psychische Fehlverarbeitung der unfallbedingten Beschwerden schwerer wiege, in seiner Berücksichtigung auf eben diese unfallbedingten Beschwerden zu berücksichtigen sei, seinerseits im Sinne der "Verschlimmerung" als Schädigungsfolge zu erkennen sei und vorliegend gutachtenentscheidend werde.

Die wesentliche Frage liege in der unfallrechtlichen Kausalität dessen, was Frau Dr. Sch mit einer sekundärneurotischen Fehlhaltung beschrieben habe. Denn es komme kaum ein Zweifel auf, dass der Kläger auch unfallunabhängig und vor dem in Frage stehenden schädigenden Ereignis psychisch erheblich belastet gewesen sei, wenn er dies auch selber nicht erkennen könne. Die von Dr. H erkannte psychische Grundstruktur, die ja unfallunabhängig "charaktereigen" sei, lasse unberücksichtigt, dass die vorbestehende besondere Vulnerabilität den Unfall selbst nicht aus seiner kausalen Bedeutung für eine wesentliche Verschlimmerung entlasse. Vorbestehend sei eine deutliche angstneurotische Prädisposition, verstärkt durch die Erfahrung eines schicksalhaft, unerwartet und daher nicht abwendbaren Verlustes der Mutter durch einen Unfall oder ein anderes Unglück (Ertrinken). Die daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit resultierende existentielle Verunsicherung sei natürlich keine Schädigungsfolge. Diese Prädisposition bestimme aber als besondere Vulnerabilität die Situation vor dem Unfall. Der in Frage stehende Auffahrunfall habe zu einer Aktualisierung und Dekompensation der im Wesentlichen psychosomatisch manifestierten Angst geführt. Hierzu sei der Unfall besonders dadurch geeignet, als er den Kläger ohne Vorwarnung gänzlich unerwartet getroffen habe. Dem Auffahrunfall komme mehr als die Bedeutung einer Gelegenheitsursache zu. Seine überwertige Bedeutung könne der Auffahrunfall nur vor dem Hintergrund der aktual-neurotischen Prädisposition erhalten. Das diese Argumentation unterstützende Brückenphänomen sei in der Unvorhersehbarkeit des schädigenden Ereignisses aus heiterem Himmel zu sehen, welches die angstvolle
Erwartung des Klägers einer jederzeitigen Bedrohung bestätige und beeinträchtigend fortwirke. Der Unfall habe genau in die Kerbe getroffen und sei für die wesentliche Verschlimmerung der vorbestehenden Angstneurose als Schädigungsfolge verantwortlich zu machen.

Nachdem die Beklagte hiergegen eingewandt hatte, dass der Kläger von einem Bagatellgeschehen betroffen worden sei, nach dem Unfall an der Unfallaufnahme hätte teilnehmen und anschließend sein fahrbereites Fahrzeug in die Werkstatt fahren können und nach nicht langer Arbeitsunfähigkeit seine Tätigkeit als Taxiunternehmer wieder aufgenommen habe, so dass weder ersichtlich sei, wo das erhebliche und eingreifende Trauma hergeleitet werden könne, noch, in welcher "vorbestehenden existentiellen Verunsicherung an besonders empfindlicher Stelle" der Kläger getroffen worden sei, sowie, dass psychische Reaktionen auf ein Ereignis mit steigendem zeitlichen Abstand allmählich überwunden würden, so dass nicht erklärbar sei, weshalb jetzt, fast sechs Jahre nach dem Unfall, noch eine unfallbedingte Angstneurose beste-hen solle, antwortete Dr. B hierzu in einer Rückäußerung vom 10. Juli 2002, dass eine derart anhaltende psychovegetative Reaktion, darin sei der Beklagten zu folgen, ungewöhnlich sei. Gleichfalls unterstreiche dies die Bedeutung der ungünstigen Prädisposition.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 02. Dezember 2003 festgestellt, dass die bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen "Kopf-, Hals- und Nackenschmerzen, Muskelverspannungen sowie Schwindelgefühle" Folgen des Arbeitsunfalls seien. Alle Behandler hätten darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Kläger um eine ängstliche Persönlichkeit handele. Dr. B habe eine vorbestehende neurotische Entwicklung dargelegt, die eine wesentliche Verschlimmerung erfahren habe. Die vor dem Unfall zweifellos vorhandene Neurose äußere sich nunmehr fortdauernd und anhaltend verstärkt in der geschilderten Symptomatik. Ohne das Unfallgeschehen wäre das nunmehr bestehende Ausmaß der Symptomatik nicht eingetreten. Der Umstand, dass es sich bei dem Verletzungsauslöser um ein Bagatellgeschehen handele und dass auch der lange Zeitablauf nicht vermochte, die Beschwerden verschwinden zu lassen, zeige, dass der Krankheitsanteil der vorbestehenden Neurose bei dem Kläger doch sehr hoch sei. Zutreffend habe dementsprechend der Kläger – wie aus seinem Klageantrag deutlich werde - von Anfang erkannt, dass entgegen den Darlegungen des Dr. B bei Annahme einer wesentlichen Verschlimmerung der unfallunabhängig vorbestehenden neurotischen Entwicklung eine MdE von 20 nach den Erfahrungsrichtlinien für die Bemessung der MdE nicht gerechtfertigt sei und damit auch nur die getroffene Feststellung erfolgen könne. Mit ihr sei gerade nicht die Aussage verbunden, dass die vom Kläger geklagten Beschwerden gänzlich, d. h. in ihrem vollen Ausmaß, unfallbedingt seien.

Gegen dieses ihr am 26. April 2004 zugegangene Urteil richtet sich die am 18. Mai 2004 eingegangene Berufung der Beklagten. Die Beklagte hat ein nach Aktenlage erstelltes Gutachten des Dr. F vom Medizinischen Gutachteninstitut Hamburg, den der Kläger aus mehreren zur Auswahl gestellten Ärzten ausgewählt hatte, beigebracht und verweist auf dieses. Dr. F komme in diesem Zusammenhang zu dem schlüssigen und überzeugenden Ergebnis, dass das Bagatelltrauma, von welchem der Kläger betroffen worden sei, in keiner Weise geeignet gewesen sei, organische oder psychische Gesundheitsstörungen, die über die erlittene leichte Halswirbelsäulenzerrung hinaus gingen, rechtlich wesentlich zu verursachen. Es sei auch keinesfalls bewiesen, dass es anlässlich des Arbeitsunfalls zu einem seelischen Primärschaden gekommen sei. Das Unfallgeschehen erfülle zweifelsfrei nicht die Entstehungskriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch das Vorliegen einer Anpassungsstörung halte Dr. F nicht für bewiesen. Aber selbst wenn man eine Anpassungsstörung unterstellen wollte, hätten deren Symptome spätestens nach neun Monaten nach dem Unfall abgeklungen sein müssen. Es sei nicht erklärbar, warum die vom Kläger beinahe 9 ½ Jahren nach dem Unfallgeschehen nach wie vor geschilderten Beschwerden noch rechtlich wesentlich mit dem Unfallgeschehen in einem ursächlichen Zusammenhang stehen sollten. Diese bestünden unfallunabhängig.

Dr. F führt in seinem Gutachten vom 02. November 2004 weiter aus, dass eine Bezeichnung der beim Kläger bestehenden Einschränkungen als "Angstneurose" nicht statthaft sei, weil es sich dabei nicht um eine nach den internationalen Diagnosemanualen festzustellende
Störungsbezeichnung handele und weil die alleinige Charakterisierung als "Angstneurose" den für den Begutachtenden subjektiv im Vordergrund stehenden Schmerz außer Acht ließe. Festzustellen gewesen wären im Gegenteil eine generalisierte Angststörung sowie eine somatoforme Schmerzstörung. Die psychogene Störung bestehe in ihrer Gesamtheit unfallunabhängig, und zwar spätestens mit dem Ende des neunten Unfallmonats, welches der Zeitpunkt sei, an dem nach der Definition des DSM IV und der ICD 10 eine Anpassungsstörung mit entsprechender Symptomatik abgeklungen sei. Auch unter dem nicht bewiesenen Gesichtspunkt eines etwaigen seelischen Erstschadens scheide eine psychogene Symptomatik im Unfallzusammenhang, die über den neunten Unfallmonat hinausginge, aus.

Dr. B könne nicht gefolgt werden. Dr. B vertrete die Ansicht, dass der Kläger ein ausschließlich psychogenes Störungsbild als Unfallfolge davongetragen habe. Er gehe von einer bereits vorbestehenden "Angstneurose" aus, die sich als Schädigungsfolge verschlimmert habe. Ein Folgeschaden, wie ihn Dr. B festgestellt habe, setze jedoch voraus, dass ein Vorschaden festgestellt worden sei. Ein Vorschaden sei jedoch nicht festgestellt worden. Vorausgehend erhobene ärztliche Befunde, die einen Vorschaden belegten, lägen nicht vor. Auch Dr. B erhebe auf der Befundebene weder die Symptome einer Angststörung noch einer Depression und führe sogar aus, dass "ein eigentlich depressives Syndrom nicht zur Geltung" gekommen sei. Für seine Einschätzung mache sich Dr. B zum einen die Einschätzung des Dr. H zu Eigen, dass beim Kläger eine seelische Störung vorbestanden habe. Dies habe Dr. H jedoch nicht ausgeführt. Wenn dieser von einer "psychischen Grundstruktur, die unfallunabhängig charaktereigen sei", spreche, sei damit kein Vorschaden, sondern allenfalls eine Schadensanlage gemeint. Allein aus der Tatsache, dass jemand nach einem Unfall eine psychogene Symptomatik entwickle, die durch den Unfall und den durch ihn gesetzten Erst- oder Primärschaden respektive Folgeschaden nicht erklärt wer-den könne, auf einen Vorschaden rückzuschließen, sei nicht statthaft. Dr. B mache also einen Denkfehler, wenn er davon ausgehe, dass sich etwas "Grenzkompensiertes", mithin eine Scha-densanlage, "verschlimmert" habe. Dies sei nicht möglich, verschlimmern könnte sich nur ein Vorschaden, nicht hingegen eine Schadensanlage. Zum anderen stütze sich Dr. B auf eine Aussage der Nervenärztin Dr. Sch, die jedoch die Diagnose "Angstneurose" oder Angststörung nicht gestellt habe, sondern lediglich eine "sekundäre neurotische Fehlhaltung" benenne und damit keine krankheitswertige seelische Störung beschrieben habe. So habe denn auch eine Behandlung wegen psychischer Störungen zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, wie Dr. B als Unfallfolge eine ausschließlich psychogene Störung feststelle, die er im unfallbedingten Verschlimmerungsanteil mit einer MdE von 20 v. H. bewerte.

Auch ein Erst- oder Primärschaden im psychischen Bereich sei vorliegend nicht nachgewiesen. Ein Erst- oder Primärschaden habe vorliegend allein in der Zerrung der Halswirbelsäule bestanden. Ein seelischer Erst- oder Primärschaden sei hingegen nicht entstanden, ein solcher wäre in Anbetracht des an sich lapidaren Unfallherganges auch nicht plausibel und sei weder vom Verletzten jemals behauptet worden noch habe er entsprechende Symptome geklagt. Auch Dr. H und Dr. B gingen von einem seelischen Erstschaden, d. h. einer nachhaltigen seelischen Beeindruckung durch das Unfallerleben mit der Folge einer nachhaltigen Verschiebung des seelischen Gleichgewichtes des Verletzten, nicht aus. Eine posttraumatische Belastungsstörung als Reaktion auf eine extreme Belastung komme vorliegend nicht in Betracht. Die allein in Betracht kommende Anpassungsstörung könne jedoch nicht einen über fast zehn Jahre
gehenden Verlauf erklären.

Damit verbliebe lediglich die Möglichkeit, eine psychogene Störung im Wege der Fehlverarbeitung der körperlichen Unfallfolgen zu erklären. Für eine solche Fehlverarbeitung sei aber eine Halswirbelsäulenzerrung, welche innerhalb weniger Wochen ausgeheilt sei, keine geeignete Verletzung. Es sei von einem Ausheilen der Unfallfolgen innerhalb von vier, allenfalls sechs Wochen, auszugehen, so dass sich nur ein äußerst kurzes Intervall ergäbe, in dem der Kläger Gelegenheit gehabt hätte, die Folgen seiner Halswirbelsäulenzerrung "fehlzuverarbeiten", wogegen alle spätere "Fehlverarbeitung" nicht mehr Unfallfolgen zuzurechnen gewesen sei.

Dr. H, der sich in seiner Einschätzung fundamental von Dr. B unterscheide, könne nicht gefolgt werden. Dr. H meine, dass der Kläger sein anhaltendes Beschwerdebild aufgrund bleibender Folgen der Halswirbelsäulenverletzung, also eines Organschadens an der HWS, davongetragen habe und dass man mit den heute zur Verfügung stehenden diagnostischen Mitteln lediglich die Art der Verletzung und ihre Auswirkungen nicht habe darstellen können. Dr. H gehe dabei von einem nicht im Vollbeweis nachgewiesenen Erst- oder Primärschaden aus. Ein Erstschaden sei lediglich an den Halsweichteilen, d. h. vornehmlich der neben der HWS gelegenen Muskulatur, entstanden; auch hier sei aber ein Dauerschaden bzw. Folgeschaden nicht eingetreten, denn ein solcher hätte sich im MRT nachweisen lassen. Vor diesem Hintergrund seien die Ausführungen des Dr. H reine Spekulation, er gehe immer vom unzulässigen Satz "danach also dadurch" aus. Eine Begründung für die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung von
Dauerfolgen erfolge nicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02. Dezember 2003 aufzuhe-ben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verweist weiter auf die Ausführungen der Dr. B und Dr. H. Er leide seit dem Verkehrsunfall fortdauernd an Kopf-, Hals- und Nackenschmerzen, Muskelverspannungen sowie Schwindelgefühlen. Diese Gesundheitsbeeinträchtigungen seien zeitnah nach dem Verkehrsun-fall als auch fortlaufend durch mehrere ärztliche Gutachten festgestellt und diagnostiziert worden. Er habe im Übrigen bei dem Unfall einen Totalschaden mit Instandsetzungskosten von über 20 000,00 DM erlitten. Bei einem Unfall dieser Intensität lägen gesundheitliche Folgen auf der Hand, die zu Beweiserleichterungen für ihn führten. Die Beweisaufnahme habe seine Gesundheitsbeeinträchtigungen jedoch bestätigt.

Dr. B hat in einer Rückäußerung vom 26. Juni 2005 zu Dr. F ausgeführt, dass sich deutliche Hinweise auf eine neurotische Entwicklung und Einengung der Bewältigungsmöglichkeiten bereits vor dem Unfall ergäben, ohne dass im Rahmen einer gutachterlichen Untersuchung eine tiefenpsychologische Untersuchung hätte geführt werden können. Dies sei schon deshalb nicht denkbar, weil der Untersucher in erster Linie dem Gericht verpflichtet sei und auch alle anderen Verfahrensbeteiligten über die Schulter schauten. Es könne nicht sachdienlich genannt werden, den Argumenten Dr. F im Einzelnen nachzugehen. Die Beantwortung der Fragen der Beweisanordnung hätte jedoch präziser geführt werden sollen. Das schädigende Ereignis habe strikt genommen nicht zu einer Verschlimmerung der vorbestehenden neurotischen Entwick-lung vom Prägnanztyp einer Angstneurose geführt. Eine "Angstneurose" als Unfallfolge werde in seinem Gutachten an keiner Stelle vorgestellt. Eine solche Auffassung stünde nicht nur im Widerspruch zur Neurosenlehre, sondern auch im Widerspruch zur Feststellung der Verschlimmerung. Was unbegründet verschlimmert zu befunden gewesen sei, sei die mit einer vorbestehenden neurotischen Fehlhaltung verbundene Anspannung in ihrer psychosomatisch symptomatischen Ausgestaltung. Ein psychischer Primärschaden könne auch nicht ausschließlich in Form einer Anpassungsstörung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung
auftreten, als dritte Möglichkeit sei vielmehr die psychosomatische Zirkularität der Ereignisfolgen mit ihrer homoiostatischen Stabilität (Selbstregulation/Autopoiese) zu sehen. Genauer, aber auch komplizierter sei daher zu formulieren, dass die psychosomatisch akzentuierte
Symptomausgestaltung der neurotischen Grundstörung unfallbegründet sich in der Weise verschlimmert habe, dass dadurch bereitliegende Störungen über die Manifestationsschwelle gehoben worden seien. Die symptomatische Ausgestaltung erfolge vermittels psychovegetativer Übersteuerung und muskulärer Überspannung und Dysbalance.

Hiergegen hat Dr. F am 22. September 2005 vorgetragen, das Dr. B die Begriffe "Vorschaden" und "Vorschadensanlage" nicht auseinander halte. Er habe den Erstschaden nicht benennen können. Die internationalen Diagnosesysteme sähen als Reaktionen auf belastende äußere
Lebensereignisse die vier Krankheitseinheiten

- akute Belastungsreaktion - posttraumatische Belastungsstörung - Anpassungsstörungen - andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung

(letztere nur in der ICD 10) vor. Die akute Belastungsreaktion ende in der Regel innerhalb weniger Stunden oder Tage, spätestens aber nach vier Wochen, die andauernde Persönlichkeits-änderung nach Extrembelastung sei ein Störungsbild, welches nach der ICD 10 lang anhaltenden und wiederkehrenden Belastungen, wie sie etwa KZ Häftlinge, Opfer politischer Gewalt, Folteropfer u. a. ausgesetzt sind, vorbehalten seien. Anhaltende psychogene Störungen nach belastenden Lebensereignissen seien damit entweder in die Kategorie der Anpassungsstörungen oder der psychosomatischen Störungsbilder, für die paradigmatisch die posttraumatische Belastungsstörung stehe, einzuordnen. Erforderlich hierfür sei das Erfülltsein des Traumakriteriums; der Kläger sei durch das Erleben des Unfalles des Jahres 1995 jedoch nicht seelisch traumatisiert worden. Sei dieses Kriterium nicht erfüllt, bleibe lediglich die Einordnung in die Kategorie der Anpassungsstörung mit den daraus erwachsenden Konsequenzen für Symptomverlauf und Dauer des Störungsbildes im Ereigniszusammenhang. Für einen Kausalzusammenhang zwischen jahrelang anhaltendem psychogenen Störungsbild und dem Unfall fehle es dem Unfallgeschehen jedoch an Spezifität für die Entstehung der psychogenen Symptomatik. Allein die Tatsache, etwas zu erleben, was nicht beeinflusst werden könne, sei nicht geeignet, eine psychogene Störung im Unfallzusammenhang zu erklären. Um eine über viele Jahre gehende seelische Störung als Unfallfolge zu begründen, müsste ein nachhaltiger körperlicher und nachhaltiger seelischer Erstschaden vorgelegen haben, was nicht der Fall sei. Es möge sein, dass beim Kläger eine psychische Anspannung vorliege, diese allerdings werde ausweislich der Geringfügigkeit des Unfallereignisses durch ganz andere Faktoren herbeigeführt. Soweit Dr. B darauf abhebe, dass der Kläger mit dem eigenen Unfall des Jahres 1995 den Unfalltod seiner Mutter gewissermaßen innerseelisch reaktiviert habe, so könne hieraus keine rechtlich wesentlich mitwirkende Teilursache hergeleitet werden, da das Erleben des Verletzten von den Gegebenheiten des Unfalles völlig losgelöst gewesen sei. Die Bedeutung des leichten Auffahrunfalls gehe allein auf das Vorerleben und die Persönlichkeit des Klägers zurück. Jedes andere Ereignis, was ihn an den Tod seiner Mutter erinnert hätte, hätte dabei ganz gleiche Beschwerden hervorgerufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben.

Die vom Kläger gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) begehrte Feststellung, dass die von ihm geltend gemachten Gesundheitsstörungen Folge eines Arbeitsunfalls sind, setzt voraus, dass dieser Kausalzusammenhang festgestellt werden kann. Vorliegend konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass die vom Sozialgericht festgestellten Gesundheitsstörungen Folge des am 30. März 1995 erlittenen Unfalls waren.

Erforderlich ist die Feststellung, dass über einen längeren Zeitraum andauernde Unfallfolgen vorliegen. Nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit der Ursache ist maßgebend, dass es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben kann. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Eine Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Er-scheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens wobei eine Ursache nicht deswegen wesentlich ist, weil sie letzte war , weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Auch allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang sind zu berücksichtigen, was eine Prüfung einschließt, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss und dass es keine Beweisregel gibt, wonach bei fehlender Alternativursache die naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist. Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs genügt dann die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernsthafte Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (so insgesamt BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R).

Vorliegend konnte nicht festgestellt werden, dass die geklagten Gesundheitsstörungen "Kopf-, Hals- und Nackenschmerzen, Muskelverspannungen sowie Schwindelgefühle" überwiegend wahrscheinlich auf den vom Kläger erlittenen Unfall zurückzuführen sind. Das Auftreten lediglich zeitlich nach dem erlittenen Unfall reicht hierfür aus den bereits genannten Gründen nicht aus. Ebenfalls nicht ausreichend ist das Fehlen von Alternativursachen, da es aus den ausgeführten Gründen keine Beweisregel gibt, dass bei fehlender Alternativursache die naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist.

Die geklagten und vom Sozialgericht festgestellten körperlichen Beschwerden sind zunächst nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Dauerfolgen eines Organschadens. Diese Auffassung ist der Diagnose des Dr. H und der Durchführung einer manualtherapeutischen Behandlung durch ihn zu entnehmen. Eine Auseinandersetzung mit Kausalitätsfragen ist in den Be-fundberichten des Dr. H jedoch nicht erfolgt, eine Begründung für die hinreichende Wahr-scheinlichkeit einer Verursachung von Dauerfolgen wird nicht gegeben. Zudem führt auch Dr. H aus, dass beim Kläger der psychische Faktor "ausnahmsweise im Vordergrund" stehe.

Die Beschwerden des Klägers sind auch nicht als psychogene Störung im Wege der Fehlverarbeitung der körperlichen Unfallfolgen zu erklären. Hierzu hat Dr. F überzeugend ausgeführt, dass eine Halswirbelsäulenzerrung, welche innerhalb weniger Wochen ausgeheilt sei, für eine solche Fehlverarbeitung keine geeignete Verletzung sei. Es sei von einem Ausheilen der Unfallfolgen innerhalb von vier, allenfalls sechs Wochen, auszugehen, so dass sich nur ein äußerst kurzes Intervall ergäbe, in dem der Kläger Gelegenheit gehabt hätte, die Folgen seiner Hals-wirbelsäulenzerrung "fehlzuverarbeiten", wogegen alle spätere "Fehlverarbeitung" nicht mehr Unfallfolgen zuzurechnen gewesen sei.

Die Beschwerden sind auch nicht als psychischer Erst- oder Primärschaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch den Unfall verursacht worden. Diese Auffassung vertritt offenbar der Gutachter Dr. B in seiner zweiten Rückäußerung, wenn er auf den Einwand, dass ein Vorscha-den, der sich möglicherweise verschlimmert habe, nicht habe festgestellt werden können, aus-führt, dass bereitliegende Störungen durch den Unfall über die Manifestationsschwelle gehoben worden seien. Den Feststellungen des Dr. B vermochte das Gericht nicht zu folgen. Dessen Gutachten und die Rückäußerungen waren wenig überzeugend. Zunächst einmal ist zur
Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD 10, DSM IV) erforderlich (BSG, a. a. O.). Eine derartige Diagnose hat Dr. B nicht gestellt. In seinem Gutachten vom 17. November 2000 hat er als Unfallfolge zunächst eine aktualisierte "Angstneurose" beschrieben. Eine derartige Diagnose entspricht nicht den genannten international anerkannten Diagnosesystemen. Nach einem entsprechenden Hinweis des Dr. F ist Dr. B denn auch mit Rückäußerung vom 26. Juni 2005 (Bl. 5 und 12 der Rückäußerung) von dem von ihm gefundenen Ergebnis ausdrücklich abgewichen und hat nunmehr ausgeführt, dass gegen die Annahme einer Verschlimmerung einer vorbestehenden neurotischen Entwicklung vom Prägnanztyp einer Angstneurose Gesichtspunkte unfallrechtlicher Kausalität und Grundsätze der Neurosenlehre stünden, was insgesamt nicht für die rechtliche Qualität seines Gutachtens spricht. Wenn Dr. B nunmehr ausführt, dass die psychosomatisch akzentuierte Symptomausgestaltung der neurotischen Grundstörung sich unfallbegründet in der Weise verschlimmert entwickelt habe, dass dadurch bereitliegende Störungen über die Manifestationsschwelle gehoben worden seien, so lässt sich auch dies nicht einer Diagnose im Sinne der international anerkannten Diagnose-systeme zuordnen; es bleibt offen, welche (psychische) Erkrankung nun als Unfallfolge anerkannt werden sollte. Nicht nachvollziehbar waren unter diesem Gesichtspunkt auch die Ausführungen des Dr. B zu einem psychischen Primärschaden in Form einer "psychomotorischen Zirkularität der Ereignisfolgen" (Seite 9 der zweiten Rückäußerung); auch hierzu findet sich keine Entsprechung im ICD-10. Insgesamt vermochte Dr. B den durchaus berechtigten Einwänden des Dr. F keine nachvollziehbaren Begründungen seiner Auffassung entgegenzusetzen. Von einem durch das Unfallereignis verursachten Erstschaden ist daher nicht auszugehen. Eine psychische Schädigung ist durch den Unfall nicht hervorgerufen worden. Das Gericht folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen der Dr. H und Dr. F, dass der Kläger infolge des Unfalles vom 30. März 1995 lediglich eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitten habe. Ein psychotraumatisches Störungsbild liege beim Kläger allein schon deshalb nicht vor, weil weder unter Berücksichtigung des objektiven Ereignisablaufs noch der subjektiven Reaktion des Klägers von einer entsprechenden und geeigneten psychischen Einwirkung auszugehen sei. Es hätte ein nachhaltiger körperlicher bzw. nachhaltiger seelischer Erstschaden vorgelegen haben müssen, um eine über viele Jahre gehende seelische Störung als Unfallfolge begründen zu können. Ein derartiger Erst- oder Primärschaden liege beim Kläger jedoch gerade nicht vor. Hierfür käme nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. F allein eine Anpassungsstörung in Betracht. Die Bejahung einer derartigen Anpassungsstörung setzt jedoch einen bestimmten Symptomverlauf voraus, ferner muss die Dauer des Störungsbildes mit dem Ereigniszusammenhang in Übereinstimmung zu bringen sein. Dr. F führt hierzu aus, dass nach dem DSM IV Symptome einer Anpassungsstörung spätestens drei bis sechs Monate nach dem auslösenden Ereignis aufgetreten und neun Monate nach Symptombeginn verschwunden sein müssten. Ein nunmehr über mehr als zehn Jahre gehender Verlauf lasse sich auf diesem Wege nicht erklären. Dies gelte umso mehr, als psychische Symptome im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an den Unfallhergang nicht beschrieben worden seien. Einziger Anhaltspunkt war insoweit die Diagnose der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 20. April 1995, die symptomatische Kopfschmerzen bei ängstlicher Persönlichkeit beschrieb. Auch Dr. B bezeichnet die anhaltende psychovegetative Reaktion des Klägers als "ungewöhnlich" (Seite 2 der Rückäußerung vom 10. Juli 2002), hält dies jedoch im Ergebnis nicht für relevant, da das Gewicht der ungünstigen Prädisposition nichts an der Zusammenhangsfrage ändere. Dem kann nicht gefolgt werden. Wie bereits (unter Verweis auf BSG, a. a. O.) ausgeführt, muss für die Frage der Wesentlich-keit einer Ursache die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage verglichen und abgewogen werden, was eine Gewichtung der Prädisposition wie auch des Unfallereignisses gerade voraussetzt. Hier war die Banali-tät des Unfallereignisses durchaus relevant. Dieses war angesichts des auch von Dr. B gesehenen erheblichen Gewichts der Prädisposition bedingt durch die ängstliche psychische Grundstruktur des Klägers (der laut Dr. B "tiefgreifend verunsichert und unflexibel" von dem "ansonsten harmlosen" Unfall getroffen worden sei, Seite 11 der zweiten Rückäußerung) lediglich ein auslösendes Moment für die beim Kläger bestehenden Störungen, wobei davon ausgegangen werden muss, dass jedes andere Ereignis, welches den Kläger an den Tod seiner Mutter erinnert hätte, ganz gleiche Beschwerden hervorgerufen hätte (so Dr. F, Seite 14 der Rückäußerung vom 22. September 2005).

Die geklagten Beschwerden sind auch nicht als Verschlimmerung eines vorbestehenden Schadens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Unfall zurückzuführen. Diese Auffassung zur Verschlimmerung einer vorbestehenden Angstneurose wurde nur durch Dr. B in seinem Gutachten vertreten; hiervon ist dieser, wie bereits ausgeführt, in seiner zweiten Rückäußerung vom 26. Juni 2005 ausdrücklich abgerückt.

Den Einwänden des Klägers konnte nicht gefolgt werden. Irgendwelche Beweiserleichterungen zu seinen Gunsten sieht das geltende Recht entgegen dessen Ansicht nicht vor; insbesondere folgen solche nicht aus der Höhe des am Fahrzeug entstandenen Sachschadens.

Nach alledem war der Berufung der Beklagten daher stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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