L 5 R 6176/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1982/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 6176/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 29. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist (noch), ob die Klägerin vom 1. 1. 2004 bis 31. 12. 2004 als selbstständig tätige Handelsvertreterin nach § 2 Satz 1 Nr. 9 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) versicherungspflichtig war.

Die 1954 geborene Klägerin steht seit 1977 als Krankenschwester bei dem Universitätsklinikum Ulm in einem Beschäftigungsverhältnis. Seit 1. 8. 1993 arbeitete sie als Krankenschwester für Stomapflege und Inkontinenz in einer Teilzeitbeschäftigung von 75 % (28,88 Stunden je Woche). Aus dieser Tätigkeit verdiente sie vom 1. 1. 2000 bis 31. 12. 2000 45.609,00 DM (vgl. Versicherungsverlauf vor Bl. 1 der Verwaltungsakten) und vom 1.1.2004 bis 31.12.2004 24.639,63 EUR (Lohnsteuerkarte für das Kalenderjahr 2004 - Bl. 143 SG-Akte).

Unter dem 1. 1. 2000 schloss die Klägerin mit der Firma Bl. GmbH, Ne., einen Handelsvertretervertrag ab (vgl. Bl. 17 SG-Akte). Darin wurde u. a. folgendes vereinbart:

§ 1 Gegenstand der Tätigkeit

1. Frau Sche. wird als Handelsvertreterin im Nebenberuf mit der Vermittlung und dem Abschluss von Geschäften betraut. Sie wird hierbei Patienten, die mit Stoma versorgt werden, werben und betreuen sowie diese Patienten mit Produkten für die Stomaversorgung beliefern.

2. Frau Sche. wird die Stomaprodukte ausschließlich von der Bl. GmbH beziehen. Die Abrechnung erfolgt in der Weise, dass Frau Sche. die auf die Patienten ausgestellten Rezepte und die von den Patienten unterschriebenen Lieferscheine einmal wöchentlich an die Firma Bl. GmbH übermittelt.

§ 2 Art und Umfang der Tätigkeit

1. Frau Sche. wird ihre Tätigkeit als Handelsvertreterin nebenberuflich ausüben.

2. Frau Sche. ist in der zeitlichen Gestaltung ihrer Tätigkeit frei. Sie organisiert auch im übrigen ihre Tätigkeit nach eigenem Ermessen und unterliegt keinerlei Anwesenheitspflicht. 3. Frau Sche. kann Einrichtungen und Unterlagen, die sich in den Geschäftsräumen der Firma Bl. in Neu-Ulm befinden, in Abstimmung mit der Geschäftsleitung nutzen.

§ 3 Vergütung

1. Frau Sche. erhält für die gemäß § 1 des Vertrages an die Patienten abgegebenen Produkte eine Provision. Berechnungsgrundlage der Provision sind die Produktpreise, die von den Krankenkassen tatsächlich erstattet werden (ohne Umsatzsteuer). Die Provisionssätze betragen:

25 % für Produkte der Firmen D., Ho. und Co., 15 % für Produkte anderer Kernlieferanten

§ 4 Beginn und Dauer des Vertragsverhältnisses

Das Vertragsverhältnis beginnt vorbehaltlich der Vorlage der Zustimmungserklärung des Arbeitgebers gem. § 2 Abs. 1 des Vertrages ab 1. 1. 2000, Es hat zunächst eine feste Laufzeit von 1 Jahren und endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit dem 31.12.2000. Setzen die Parteien das Vertragsverhältnis über diesen Zeitraum hinaus einvernehmlich fort, so kann das Vertragsverhältnis sodann jederzeit mit einer Frist von einem Monat zum Quartalsende gekündigt werden.

Die Bruttoeinnahmen der Klägerin aus der Handelsvertretertätigkeit für die Firma Bl. bzw. später Ka. betrugen im Jahre 2000 27.188 DM und im Jahre 2004 26.334,87 EUR.

Anlässlich eines Statusfeststellungsverfahrens stellte die Beklagte mit Bescheid vom 14. 8. 2001 fest, dass die Klägerin die Tätigkeit als Handelsvertreterin für den Vertragspartner Bl. GmbH selbstständig ausübe. Eine abhängige Beschäftigung liege nicht vor (Bl. 6 Verwaltungsakte). Die Klägerin könne allerdings als selbstständig Tätige der Rentenversicherungspflicht Kraft Gesetzes unterliegen. Diesbezüglich würden noch Ermittlungen erfolgen. Mit Bescheid vom 21. 2. 2002 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin ab 1. 1. 2000 nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig ist. Ab 1. 1. 2000 seien deshalb 437,37 DM monatlich an Beiträgen zu entrichten.

Auf den Widerspruch der Klägerin befreite die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 19. 7. 2002 für den Zeitraum vom 26. 6. 2000 bis 1. 1. 2003 von der Versicherungspflicht als Selbstständige mit einem Auftraggeber. Die Befreiung von der Versicherungspflicht erfolge, weil es sich bei der Aufnahme der jetzigen Tätigkeit der Klägerin um die erste Existenzgründung im Sinne der Befreiungsvorschrift des § 6 Abs. 1 a Satz 1 Nr. 1 SGB VI handele. Da der Antrag auf Befreiung erst am 26. 6. 2000 gestellt worden sei, könne die Befreiung erst mit diesem Tag beginnen. Für die Zeit vom 1. 1. 2000 bis 25. 6. 2000 habe Versicherungspflicht bestanden. Nach dem Ende der Befreiung am 1. 1. 2003 trete die Versicherungspflicht als Selbstständige mit einem Auftraggeber wieder ein, sofern zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht weiter vorliegen. Ein vorzeitiger Verzicht auf die Befreiung sei nicht möglich.

Die Klägerin erhob erneut Widerspruch und brachte diesmal vor, sie arbeite nicht nur für einen Auftraggeber. Den Kontakt mit den Patienten nehme sie hauptsächlich während ihrer beruflichen Tätigkeit an der Universitätsklinik Ulm auf, danach müssten diese Patienten als Auftraggeber angesehen werden. Dies bedeute, dass sie sich ihr Kundenpotenzial selbst bestimme bzw. ausbaue. Bei der Wahl der Produkte sei sie dabei frei und erhalte dementsprechend auch unterschiedliche Provisionssätze durch die jeweiligen Firmen (Hinweis auf § 3 des Handelsvertretervertrages). Soweit sie sämtliche Produkte von der Firma Bl. GmbH beziehe, habe das den Sinn, dass die Firma Bl. GmbH als Abrechnungsstelle auftrete. Dementsprechend sei vereinbart, dass die Abrechnung auf Grund der ausgestellten Rezepte bzw. Lieferscheine durch die einzelnen Patienten erfolge. Von einer selbstständigen Tätigkeit mit nur einem Auftraggeber könne in diesem Fall nicht ausgegangen werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. 7. 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 1 Nr. 2 des Handelsvertretervertrages vom 1. 1. 2000 seien die Produkte ausschließlich über die Firma Bl. GmbH zu beziehen. Ein Vertragsverhältnis mit den Herstellerfirmen bestehe nicht. Es sei deswegen unerheblich, ob die Klägerin Produkte verschiedener Herstellerfirmen vertreibe. Die Firma Bl. sei der alleinige und einzige Auftraggeber.

Mit ihrer hiergegen am 13. 8. 2003 bei dem Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen eine Versicherungspflicht aus ihrer selbstständigen Tätigkeit als Handelsvertreterin. Der Rechtsstreit ging dabei zunächst um die Frage, ob die Klägerin für weitere Auftraggeber (Firma B., Firma Ka. GmbH bzw. Firma GbR Sche./Sche.-Pagin, Textileinzelhandel Prien) beschäftigt war. Die Beweiserhebungen des SG ergaben dabei, dass die Klägerin während des Jahres 2004 ausschließlich für die Firma Ka. GmbH, die Rechtsnachfolgerin (seit 1. 10. 2003) der Firma Bl., tätig war und aus der Nebentätigkeit als Handelsvertreterin Provisionen im Jahr 2004 im Gesamtbetrag von 26.334,87 EUR bezogen hatte (vgl. Provisionsaufstellung Bl. 126 und 140 SG-Akte). Den Handelsvertretervertrag mit der Firma Bl./Ka. GmbH kündigte die Klägerin mit Ablauf des 31. 12. 2004. Seit 1. 1. 2005 ist sie für die Firma Ka. GmbH lediglich noch im Rahmen einer geringfügigen selbstständigen Tätigkeit tätig.

Mit Bescheid vom 27. 1. 2005 (Bl. 120 SG-Akte) stellte die Beklagte fest, dass durch die Aufgabe ihrer Selbstständigkeit die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht der Klägerin nicht mehr vorliegen. Sie schulde allerdings noch einen Betrag in Höhe von 10.158,54 EUR für nichtentrichtete Beiträge, wobei hinsichtlich des Zeitraums vom 1. 1. bis 25. 6. 2000 noch keine abschließende Entscheidung getroffen werden konnte. Der Bescheid enthielt den Zusatz, dass er Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens werde.

In der mündlichen Verhandlung vom 29. 6. 2005 schlossen die Beteiligten zur teilweisen Erledigung des Rechtsstreites folgenden

Vergleich:

1. Für die Zeit vom 02. 01. 2003 bis 31. 12. 2003 bestand keine Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI.

2. Für den Fall, dass rechtskräftig entschieden wird, dass die Klägerin auch im Jahr 2004 nicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig war, sind sich die Beteiligten einig, dass auch für den Zeitraum 01. 01. 2000 bis 25. 6. 2000 keine Versicherungspflicht der Klägerin nach § 2 Satz 1 Nr.9 SGB VI bestanden hat.

3. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Versicherungspflicht im Jahr 2004 werden Beiträge nicht fällig.

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil vorbehalten.

Durch Urteil vom 29. 6. 2005 hob das SG den Bescheid vom 21. 2. 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. 7. 2003 und den Bescheid vom 27. 1. 2005 auf.

Das SG verneinte die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung, weil die Klägerin wegen ihres Beschäftigungsverhältnisses mit dem Universitätsklinikum nicht nur für einen Auftraggeber tätig gewesen sei. Allerdings spreche vieles dafür, dass ohne Berücksichtigung dieser Beschäftigung Versicherungspflicht bestanden hätte, was das SG im einzelnen ausführte. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei bei der Frage, ob ein Selbstständiger auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sei, auch zu berücksichtigen, ob er neben der selbstständigen Tätigkeit noch einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehe. Der Wortlaut schließe die Beachtung eines gleichzeitig bestehenden Beschäftigungsverhältnisses jedenfalls nicht aus. Allerdings verweise der verwendete Begriff des Auftraggebers auf das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit, während ein Beschäftigter nicht für einen Auftraggeber, sondern einen Arbeitgeber tätig werde. Daraus könne hergeleitet werden, dass eine Versicherungspflicht nur dann entfalle, wenn der Selbstständige mindestens einen weiteren (wesentlichen) Auftraggeber habe. Andererseits lasse der Wortlaut auch eine Auslegung zu, wonach es allein maßgeblich sei, ob er überhaupt noch - sei es selbstständig oder unselbstständig - für eine andere Person tätig werde. Für diese zweite Auslegungsmöglichkeit und damit für die Berücksichtigung eines gleichzeitig bestehenden Beschäftigungsverhältnisses spreche ausschlaggebend der Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VI, der zum 1. 1. 1999 in Kraft getreten sei. Wegen seiner sozialen Schutzbedürftigkeit sollte der erfasste Personenkreis in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden und zugleich der zunehmenden Überführung bestehender Beschäftigungsverhältnisse in arbeitnehmerähnliche selbstständige Tätigkeiten entgegen gewirkt werden. Dieser Schutzzweck greife aber nicht bei den Selbstständigen ein, die in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stünden und daraus einen wesentlichen Teil ihrer Einkünfte erzielten. Konkurrenzregeln hinsichtlich einer Mehrfachversicherung seien hier nicht einschlägig, vielmehr sei bereits der Tatbestand des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI zu verneinen, wenn der Selbstständige auch in einem Beschäftigungsverhältnis stehe und hieraus im wesentlichen Umfang Einkünfte erziele, was hier mit der Tätigkeit der Klägerin für das Universitätsklinikum Ulm der Fall gewesen sei.

Gegen das ihr am 12. 7. 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. 8. 2005 Berufung eingelegt. Die nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtigen Selbstständigen seien nach Auffassung des Gesetzgebers ebenso sozial schutzbedürftig wie die in § 2 Satz 1 Nr. 1-7 SGB VI genannten Selbstständigen. Nach der Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger sei das Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit von einem Auftraggeber in Abhängigkeit von den erzielten Einnahmen aus der jeweiligen selbstständigen Tätigkeit zu beurteilen. Danach liege eine Tätigkeit im wesentlichen nur für einen Auftraggeber vor, soweit der Selbstständige mindestens 5/6 seiner gesamten Einkünfte aus den zu beurteilenden Tätigkeiten allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber erziele. Diese Rechtsauffassung sei an § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV angelehnt, wonach ein Arbeitsentgelt/Arbeitseinkommen, das 1/6 des Gesamteinkommens nicht übersteige, als geringfügig anzusehen sei. Die Auffassung des SG, bei der Prüfung der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI keine Trennung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung, sondern stattdessen eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des aus sämtlichen ausgeübten Erwerbstätigkeiten erzielten Gesamteinkommens vorzunehmen, widerspreche dem allgemeinen versicherungsrechtlichen Grundsatz einer jeweils getrennten Betrachtungsweise. Nebeneinander ausgeübte Tätigkeiten (seien es selbstständige Tätigkeiten und/oder abhängige Beschäftigungen) seien jeweils getrennt voneinander versicherungsrechtlich zu beurteilen. Die Auffassung des SG lasse sich auch weder aus dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzessystematik noch dem Gesetzeszweck ableiten. Mit der Verwendung des Begriffs "Auftraggeber" sollten insbesondere sogenannte Scheinselbstständige erfasst werden, also abhängig Beschäftigte, die nur zum Schein als Selbstständige auftreten. Versicherungspflichtig sollte somit ein faktisch abhängiges Beschäftigungsverhältnis werden. Dass der Gesetzgeber bei § 2 Satz 1 Nr. 9 b SGB VI nur an selbstständige Tätigkeiten gedacht habe, ergebe sich auch aus dem Begriff "tätig werden". Dieser Begriff beziehe sich nur auf Selbstständige, während für Arbeitnehmer der Ausdruck "beschäftigt" verwendet werde. Die soziale Schutzbedürftigkeit rechtfertige es schließlich nicht, bei der Frage nach der wirtschaftlichen Abhängigkeit von nur einem Auftraggeber eine Gesamtbetrachtung aller Einkünfte aus allen sozialversicherungsrechtlich relevanten Tätigkeiten und daneben ausgeübten Beschäftigungen vorzunehmen. Die Schutzbedürftigkeit von Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung werde seit je her nicht an deren tatsächlicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, sondern stattdessen allein auf Grund deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe bzw. auf Selbstständige mit bestimmten Tätigkeitsmerkmalen typisierend und pauschalierend angenommen. Zusammenfassend sei aus Sicht der Beklagten festzustellen, dass nur auf selbstständige Tätigkeiten, nicht jedoch auf abhängige Beschäftigungsverhältnisse abzustellen sei.

Durch Beschluss v. 20. 10. 2005 wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet, um eine Entscheidung des BSG abzuwarten. Nachdem dieses Urteil am 24. 11. 2005 - B 12 KR 18/04 R - ergangen war, ohne jedoch eine Klärung der ihr hier streitigen Rechtsfrage zu erbringen, rief die Beklagte mit Schreiben vom 5. 12. 2006 erneut das Verfahren an.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 29. Juni 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Berufungsausschlussgründe nach § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor. Der Rechtsstreit geht nicht um eine Sach- bzw. Geldleistung, sondern um das Vorliegen von Versicherungspflicht zur Rentenversicherung.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 21. 2. 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. 7. 2003 und den Bescheid vom 27. 1. 2005 zurecht aufgehoben, soweit diese Bescheide Regelungen für das Jahr 2004 getroffen haben. Insoweit waren diese Bescheide rechtswidrig. Die Klägerin war 2004 mit ihrer ausschließlich für die Firma Bl. ausgeübten Handelsvertretertätigkeit nicht als selbstständig Tätige zur Rentenversicherung versicherungspflichtig; die Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sind nicht erfüllt.

§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI in der 2004 unverändert gültigen Fassung des Gesetzes vom 23. 12. 2002, BGBl I S. 4621 lautet wie folgt: Versicherungspflichtig sind selbstständig tätige Personen, die a.) im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400,- EUR im Monat übersteigt und b.) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.

Allerdings hat die Beklagte gegen die genannten Bestimmungen nicht deshalb verstoßen, weil sie mit den angefochtenen Bescheiden nur einzelne Elemente des Versicherungspflichttatbestandes festgestellt hätte (vgl. dazu BSG Urteil vom 24. 11. 2005 - B 12 KR 18/04). Eine solche Sachverhaltskonstellation liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat über die Versicherungspflicht der Klägerin vielmehr insgesamt entschieden und außerdem die geschuldeten Beiträge festgesetzt (vgl. § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 169 Nr.1, 173 SGB VI).

Die Beklagte hat für die Zeit vom 1.1.2004 bis 31.12.2004 zu Unrecht das Bestehen eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Grund selbständiger Erwerbstätigkeit angenommen.

Die Klägerin hatte seinerzeit, neben der Beschäftigung als angestellte Krankenschwester am Universitätsklinikum Ulm, ohne eigene Arbeitnehmer das selbständige Gewerbe einer Handelsvertreterin (§ 84 Abs 1 Satz 2 HGB - zur Anknüpfung an die Wertungen des HGB etwa BSG, Urt. v. 22.6.2005, - B 12 KR 28/03 R -) ausgeübt, weshalb zunächst allerdings der Tatbestand der Nr. 9a des § 2 Satz 1 SGB VI erfüllt ist.

Hinsichtlich des im Handelsvertretervertrag mit der Firma Bl. (später Ka.) GmbH vom 01.01.2000 näher geregelten Vertriebs von Medizinprodukten war die Klägerin von einem Arbeitgeber nicht persönlich abhängig, insbesondere in einen fremden Betrieb nicht eingegliedert, und einem auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung gerichteten Weisungsrecht nicht unterworfen. Vielmehr konnte sie über ihre Arbeitskraft frei verfügen, ihre Tätigkeit und Arbeitszeit frei gestalten. Schließlich trug sie hinsichtlich des finanziellen Erfolgs ihrer Verkaufsbemühungen ein Unternehmer- und kein für den abhängig Beschäftigten typisches Arbeitsplatzrisiko (vgl. dazu etwa BSG, Urt. v. 25.1.2006, - B 12 KR 30/04 R -; Urt. v. 19.6.2001, - B 12 KR 44/00 R - m.w.N.; vgl. auch Senatsurteile vom 13.6.2007, - L 5 KR 2782/06 -; vom 25.4.2007, - L 5 KR 2056/06 -, vom 14.2.2007, - L 5 R 3363/06 -, vom 1.2.2006, - L 5 KR 3432/05 - und vom 11.10.2006, - L 5 KR 5117/04). Hierüber streiten die Beteiligten zu Recht nicht. Dass die Klägerin in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bei der Fa. Bl., der Rechtsvorgängerin der Fa. Ka. stand, steht zwischen den Beteiligten auf Grund des Bescheids vom 14.8.2001 auch bestandskräftig fest.

Sie war in der maßgeblichen Zeit jedoch im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI nicht (auf Dauer und) im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig, unbeschadet dessen, dass sie nur Produkte im Auftrag der Firma Ka. GmbH vertrieben hatte. Denn wegen des seinerzeit durchgehend bestehenden Versicherungspflichtverhältnisses als Beschäftigte beim Universitätsklinikum Ulm bestand für die Begründung eines weiteren Versicherungspflichtverhältnisses als Selbständige kein sozialer Schutzbedarf (zur an sich grundsätzlich möglichen Mehrfachversicherung KassKomm-Gürtner, SGB VI § 1 Rdnr. 6).

Bei der Auslegung des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI müssen im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber den von dieser Vorschrift erfassten selbstständig Tätigen sozialen, namentlich wirtschaftlichen Schutz durch die gesetzliche Rentenversicherung zukommen lassen will (vgl. BT.-Drs. 14/45 S. 20), vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Daher sind für das - Existenzgründungen erleichternde (vgl. BT.-Drs. 14/1855, S. 6 f.) - Erfordernis der dauerhaften Bindung an einen Auftraggeber nicht nur zeitliche Kriterien maßgeblich, sondern auch branchenspezifische Besonderheiten des jeweiligen Wirtschaftszweiges und ein etwaiges (hinreichend erfolgversprechendes) Unternehmenskonzept des Betroffenen von Belang (KassKomm-Gürtner, SGB VI § 2 Rdnr. 39). Hinsichtlich des hier im Vordergrund stehenden Erfordernisses, im Wesentlichen für nur einen Auftraggeber tätig zu sein, ist der Bestand rechtlicher, insbesondere vertraglicher Bindungen nicht allein ausschlaggebend. Es genügt auch eine tatsächliche - wirtschaftliche - Abhängigkeit im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber. (KassKomm-Gürtner, SGB VI § 2 Rdnr. 41; Boecken, in GK-SGB VI § 2 Rdnr. 201; vgl. auch BT.-Drs. 14/45 S. 20). Für diese Frage ist nicht auf die eingesetzte Arbeitszeit, sondern auf das erzielte Einkommen des Betroffenen abzustellen, da hierin maßgeblich der Grad wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Ausdruck kommt (vgl. Fichte, in Hauck/Noftz, SGB VI § 2 Rndr. 84; anders Hanau, ZIP 1999, 252, 253). Eine für alle Fallgestaltungen gleichermaßen gültige, zahlenmäßig exakte Festlegung der (einkommensbezogenen) Wesentlichkeitsgrenze des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI ist jedoch nicht möglich. Auf jeden Fall muss das Einkommen aus der zu beurteilenden selbständigen Tätigkeit aber deutlich mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens ausmachen (so auch Fichte, a. a. O.). Die Spitzenorganisation der Sozialversicherung hat im Gemeinsamen Rundschreiben vom 20.12.1999 (NZA 2000, 190 ff., dort Abt. 3.5.2) nähere Regelungen für die Verwaltungspraxis erlassen. Danach ist von wirtschaftlicher Abhängigkeit im beschriebenen Sinne auszugehen, wenn der Betroffene mindestens fünf Sechstel seiner gesamten Einkünfte aus den zu beurteilenden Tätigkeiten alleine aus einer dieser Tätigkeiten erzielt. Der Berechnung sind die Bruttoeinkünfte zugrunde zu legen. Diese Festlegungen binden die Gerichte bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI freilich nicht, können allerdings Interpretationshilfen geben.

Nach Auffassung des Senats sind bei der Anwendung des Wesentlichkeitsmerkmals in § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI - soweit dafür auf die Einkünfte des Betroffenen abgestellt wird - die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Denn mit dem Wesentlichkeitsmerkmal soll der Kreis derjenigen Selbständigen festgelegt werden, die nach Auffassung des Gesetzgebers den sozialen Schutz der Rentenversicherung benötigen (zur wirtschaftlichen Lage als Parameter der sozialen Schutzbedürftigkeit auch BSG, Urt. v. 10.5.2006, - B 12 RA 2/05 R - m. w. N. zur Rspr.). Ein solches Schutzbedürfnis ist anzunehmen, wenn die selbständig Tätigen die zur Lebensführung insgesamt erforderlichen Einkünfte im Wesentlichen von einem Auftraggeber beziehen, von diesem also in vergleichbarer Weise wirtschaftlich abhängig sind wie Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber. Das Maß wirtschaftlicher Abhängigkeit und das daran anknüpfende Maß sozialer Schutzbedürftigkeit ist zutreffend aber nur dann zu bestimmen, wenn neben den Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit auch etwaige weitere Einkünfte aus (rentenversicherungspflichtigen) abhängigen Beschäftigungen in die Würdigung einbezogen werden.

Der Gesetzeswortlaut des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI steht dem nicht entgegen (in diesem Sinne auch LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 30.6.2004, - L 11 KR 519/04 -, und Fichte, in Hauck/Noftz, SGB VI § 2 Rndr. 84). Indem er darauf abstellt, dass die Tätigkeit für nur einen Auftraggeber maßgebend sein soll, zwingt das Gesetz zugleich zu einem Vergleich mit Tätigkeiten und Einkünften aus anderen Erwerbsquellen. Insoweit kann der Beklagten auch nicht gefolgt werden, wenn sie unter Berufung auf allgemeine Grundsätze darauf abstellt, dass jedes Beschäftigungs/Versicherungsverhältnis für sich zu würdigen ist. Dieser Grundsatz der getrennten Betrachtungsweise wird vom Gesetzgeber eben in § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI für den vom Schutzzweck dieser Vorschrift erfassten Personenkreis durchbrochen. Durch das Abstellen auf "im Wesentlichen einen Auftraggeber" muss eben ein eventueller weiterer Auftraggeber in die Würdigung mit einbezogen werden.

Für diese Auslegung spricht auch, dass die Beklagte bereit ist, die Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI zu verneinen und Versicherungsfreiheit anzunehmen, wenn eine über 1/6 der Gesamteinkünfte ausmachende weitere selbständige Tätigkeit vorliegt, obwohl bei einem Tätigwerden im Umfang von ca. 80% der erzielten Einkünfte die Abhängigkeit von dem Hauptauftraggeber außerordentlich stark sein kann. Es ist insoweit von der Beklagten aber inkonsequent, dann abhängige Beschäftigungsverhältnisse (mit regelmäßig weit stärkerem sozialen Schutz) nicht zu berücksichtigen, weil es unter dem Aspekt der sozialen Schutzbedürftigkeit keinen Unterschied macht, ob der Betreffende eine selbständige oder eine abhängige Nebenbeschäftigung ausübt.

Hiervon ausgehend war die Klägerin in der Zeit vom 1.1.2004 bis 31.12.2004 nicht gem. § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI im Wesentlichen für einen Auftraggeber, die Firma Ka. GmbH, tätig. Seinerzeit übte sie noch eine gem. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als Krankenschwester beim Universitätsklinikum Ulm aus. Ihr daraus erzieltes Gehalt betrug im Jahr 2004 24.639,63 EUR brutto, auf diesen Betrag wurden 3.379 EUR Lohnsteuer an das zuständige Finanzamt abgeführt (brutto nach Steuern somit 21.260,63 EUR). Aus der selbständigen Tätigkeit als Handelsvertreterin erzielte sie, wie aus den im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Provisionsabrechnungen für das Jahr 2004 hervorgeht (vgl. Bl. 126 und 140 SG-Akte) 26.334,87 EUR; von diesem Betrag gehen zunächst 16 % Mehrwertsteuer ab, sodass sich die Höhe der Nettoprovisionen auf 22.121,29 EUR belief, wobei aus diesem Betrag noch Einkommensteuer zu entrichten war. Damit dürfte das aus der Tätigkeit als selbständige Handelsvertreterin für die Firma Ka. GmbH in der hier streitigen Zeit erzielte Einkommen aber keinesfalls deutlich mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens ausgemacht haben. Ihr wirtschaftliches Auskommen bestritt die Klägerin somit aus zwei ungefähr gleich gewichtigen Einkommensquellen. Hierfür braucht der Senat eine verbindliche Quote nicht abschließend festzulegen und er muss auch über die Maßgeblichkeit der von der Beklagten praktizierten (bei Weitem nicht erreichten) "5/6-Grenze" nicht befinden. Es kann angesichts der aufgezeigten Einkommensverhältnisse keine Rede davon sein, dass die Klägerin im Jahr 2004 im Wesentlichen ihr Einkommen aus der Tätigkeit für die Firma Ka. GmbH erzielte.

Da die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide aus den vorstehenden Erwägungen folgt, käme es an sich nicht mehr darauf an, ob - worüber vor dem SG intensiv gestritten wurde - im vorliegenden Fall eine dauerhafte Tätigkeit für nur einen Auftraggeber i.S.d. § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI anzunehmen wäre, oder ob die Klägerin für mehrere Auftraggeber tätig war. Hinsichtlich dieser Frage haben allerdings die Ermittlungen des SG eindeutig ergeben (vgl. Aussage der Zeugin Dilger Bl. 149 SG-Akte; Gewerbeabmeldung der GbR mit Eleonore Sche.-Pagin zum 20.11.2003 - Bl. 82 SG-Akte), dass die Klägerin entgegen ihrem ursprünglichen Vorbringen im Jahre 2004 nur eine einzige selbständige Nebentätigkeit, nämlich die für die Firma Ka. GmbH ausgeübt hat. Hierüber herrscht zwischen den Beteiligten im Berufungsverfahren kein Streit (mehr).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Eine § 4 Nr. 2 Künstlersozialversicherungsgesetz vergleichbare Regelung enthält das SGB VI nicht. Die hier maßgebliche Rechtsfrage zur Auslegung des Wesentlichkeitsmerkmals in § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI bei gleichzeitigem Bezug von Einkünften aus selbständiger Tätigkeit und aus abhängiger Beschäftigung ist in der Rechtsprechung des BSG soweit ersichtlich nicht geklärt. Im Urteil des BSG vom 24.11.2005 (- B 12 KR 18/04 R -), das auf die im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30.6.2004 (- L 11 KR 519/04 -) wegen der gleichen Rechtsfrage zugelassene Revision ergangen ist, ist eine Entscheidung hierzu nicht getroffen worden, da die Revision aus anderen Gründen erfolgreich war. Über die Revision, die gegen das Urteil des Senats vom 24.09.2008 - L 5 R 4034/07 in einem vergleichbaren Falle beim BSG unter dem Az: B 12 R 7/08 anhängig ist, ist bislang noch nicht entscheiden worden.
Rechtskraft
Aus
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