Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 1875/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3789/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.05.2007 insoweit abgeändert, als die Verurteilung zur Leistungsgewährung unter Anrechnung der auf Grund der Bescheide vom 24.05.2006 und vom 10.08.2006 geleisteten Beträge erfolgt.
Im übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern ein Fünftel ihrer außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1.4.2006 bis 28.2.2007.
Die 1976 geborene Klägerin zu 1. ist die Mutter der 1998 geborenen Tochter V. (Klägerin zu 3.) und des 2001 geborenen Sohnes M. (Kläger zu 2.). Vater der Kinder ist S. S. (S.), der nach den Angaben der Klägerin zu 1. in einem Antrag vom Februar 2005 "zur Zeit auch Alg II-Empfänger" war. Die Beklagte bewilligte den Klägern mit mehreren Bescheiden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab 1.1.2005, zuletzt mit Bescheid vom 4.1.2006 für die Zeit vom 1.1. bis 31.3.2006.
In einer Mitteilung des Obergerichtsvollziehers W. vom 25.5.2005 an die Beklagte, äußerte dieser den Verdacht eines Sozialbetrugs. Die Klägerin zu 1. und der Vater S. lebten in einer eheähnlichen Gemeinschaft in der Wohnung der Kläger. Die Klägerin zu 1. gab dazu am 7.7.2005 an, sie lebe nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit S. Sie habe sich im September 2004 im Guten von ihm getrennt. Er könne allerdings die Wohnung noch mit ihrem Einverständnis betreten, wenn die Kinder zu Hause seien. Man wirtschafte auch nicht zusammen, es handele sich nur um Besuche der Kinder. Nach einer Auskunft des Einwohnermeldeamts war S. seit 25.8.2004 nicht mehr polizeilich bei den Klägern gemeldet. Die Abrechnung der Stadtwerke für die Wohnung lief jedoch weiterhin über ihn. Nach einem Aktenvermerk hatte sich S. ab 1.12.2005 als Kurierfahrer selbstständig gemacht. Nach einem weiteren Aktenvermerk vom 21.12.2005 bezog S. weiterhin Leistungen nach dem SGB II, eine eheähnliche Gemeinschaft könne jedoch derzeit nicht nachgewiesen werden.
Am 19.12.2005 teilte der Obergerichtsvollzieher W. erneut mit, S. lebe bei der Klägerin zu 1. und seinen Kindern unter der Anschrift der Kläger. Er sei am 2.12.2005 in der Wohnung gewesen und habe festgestellt, dass die Post für S. auf dem Küchentisch liege. Herrenschuhe und -hemden seien im Gang gewesen und das Kfz von S. habe vor dem Haus gestanden. Bei den letzten drei Besuchen vor Dezember 2005 im Zeitraum Herbst 2005 habe er jeweils S. schlafend auf der Couch vorgefunden.
Am 27.2.2006 wurde die Wohnung der Kläger vom Ermittlungsdienst der Beklagten (vormittags) besucht. Dabei wurden eine ältere Frau und S. angetroffen, der zunächst versucht habe, die Wohnung über die Terrasse zu verlassen, und dann, zur Rede gestellt, aggressiv geworden sei und den Ermittler aus der Wohnung gewiesen habe. Es seien aber auf den ersten Blick gebügelte Herrenhemden zu sehen gewesen.
Am 15.3.2006 beantragte die Klägerin zu 1. die Weitergewährung der Leistungen für sich und ihre beiden Kinder. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 29.3.2006 ab, da mit S. eine Bedarfsgemeinschaft bestehe und davon auszugehen sei, dass dieser die Klägerin zu 1. und ihre Kinder unterhalten könne. Der Widerspruch der Klägerin wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 5.4.2006 zurückgewiesen.
Dagegen haben die Kläger am 25.4.2006 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben.
Am 26.4.2006 hat die Klägerin für sich und ihre Kinder einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Durch Beschluss vom 11.5.2006 hat das SG (S 7 AS 1876/06 ER) die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 26.4.2006 bis 30.9.2006, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, zu gewähren. Es sprächen zwar gewichtige Indizien dafür, dass die Wohnung der Klägerin zu 1. weiterhin der Lebensmittelpunkt des S. sei. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass zwischen der Klägerin zu 1. und S. eine eheähnliche Gemeinschaft bestehe. Die Angaben der Klägerin zu 1. könnten jedoch derzeit nicht widerlegt werden. Da somit eine Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich sei, sei anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, dass die Sicherung des Existenzminimums antragsgemäß - allerdings mit zeitlichen Beschränkungen - auszusprechen sei.
Die Beschwerde der Beklagten wurde vom 8. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg mit Beschluss vom 17.7.2006 (L 8 AS 2677/06 ER-B) zurückgewiesen. Es sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass die Klägerin 1. und S. in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebten. Es sei aber nicht geklärt, ob S. imstande sei, den Lebensunterhalt der Kläger aus seinem zu berücksichtigenden Einkommen und/oder Vermögen zu sichern. Dies sei im Hauptsacheverfahren weiter zu klären.
Im Hauptsacheverfahren haben die Kläger die Klage im wesentlichen wie im Widerspruchsverfahren und im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz begründet. Das SG hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22.5.2007 die Klägerin zu 1. persönlich gehört und S. und seine Mutter A. M.-S. als Zeugen vernommen, wobei sich letztere auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Großmutter der Kläger zu 2. und 3. berufen hat. Im übrigen wird wegen der Einzelheiten auf die Niederschrift Blatt 29/33 der SG-Akten Bezug genommen.
Durch Urteil vom 22.5.2007 hat das SG den Bescheid vom 29.3.2006 Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.4.2006 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Klägern für die Monate April bis August 2006 Arbeitslosengeld in Höhe von 1526 EUR monatlich, für die Monate September und Oktober 2006 761 EUR monatlich und für die Monate November 2006 bis Februar 2007 739 EUR monatlich zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Kläger bildeten eine Bedarfsgemeinschaft und seien hilfebedürftig. Ein Einkommen von S. könne nicht berücksichtigt werden. Unabhängig davon, dass bisher nicht nachgewiesen sei und anhand der Zeugenaussage von S. nicht habe nachgewiesen werden können, dass dieser überhaupt ausreichend Einkommen gehabt habe, um seine Kinder und die Klägerin zu 1. zu unterhalten, habe sich das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass zwischen den Klägern und S. eine Bedarfsgemeinschaft bestehe. Es habe nicht nachgewiesen werden können, dass die Partner in einem gemeinsamen Haushalt lebten. Vielmehr sprächen die übereinstimmende Zeugenaussage des S. und die Angaben der Klägerin zu 1. dafür, dass S. aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei, sich aber, um den Kontakt mit seinen Kindern aufrechtzuerhalten, häufig tagsüber in der Wohnung aufhalte. Der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse sei in der Wohnung seiner Mutter. Zwar habe das Gericht diese Angaben des Zeugen nicht prüfen können, allerdings stimmten seine Angaben mit den Daten der Beklagten und seiner Ummeldung beim Einwohnermeldeamt überein. Gegen ein Wohnen bei den Klägern spreche auch, dass S. nach übereinstimmenden Angaben keinen Schlüssel habe und diesen jedes Mal bei der Nachbarin oder unter der Fußmatte abholen müsse. Selbst wenn das Vorhandensein aufgebügelter Männerhemden in der Wohnung der Kläger dafür spreche, dass sich hier ein Mann mehr als nur im Rahmen der Ausübung seines Besuchsrechts aufhalte, reiche das nicht aus, die Zweifel an einem Zusammenleben der Kläger mit S. auszuräumen. Diese Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten.
Gegen dieses am 27.7.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2.8.2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, dass es bereits einen leistungsrechtlichen Versagungsgrund darstelle, dass S. durch sein Verhalten beim Hausbesuch des Außendienstmitarbeiters der Beklagten am 27.2.2006 den Abbruch des Hausbesuchs verursacht habe. Dies sei gleichbedeutend mit der Verweigerung der Durchführung eines Hausbesuches. Die Beklagte rüge auch die vom Gericht vorgenommene Beweiswürdigung ausdrücklich. Alle Indizien seien umfassend zu würdigen, wobei hier auch das "Vereitelungsverhalten" des S. eine Rolle spiele. Wer durch Schaffung einer Bedrohungs- oder Gefahrensituation zum Abbruch eines Hausbesuches beitrage, habe den Nachteil zu tragen, der mit der nicht vollständigen Amtsermittlung einhergehe. Anderes würde die Androhung oder gar Anwendung von Gewalt prämieren. Ferner habe weder die Klägerin zu 1. noch S. trotz entsprechender Aufforderung weitere Angaben zu einer von der Klägerin zu 1. eingeräumten und von S. nachweislich ausgeübten selbstständigen Tätigkeit und den daraus erzielten Einkünften gemacht. Unter diesen Umständen könne die Verurteilung der Beklagten zur Leistungsgewährung keinen Bestand haben. Im übrigen habe die Beklagte in Ausführung des Beschlusses vom 11.5.2006 für die Zeit von 26.4.2006 bis 30.9.2006 bereits Leistungen bewilligt. Diese Leistungen hätte das SG mindestens im Urteil wieder in Abzug bringen müssen, andernfalls wäre die Beklagte zu einer "Doppelleistung" verpflichtet.
Die Kläger haben sich trotz mehrmaliger Aufforderung im Berufungsverfahren nicht gemeldet.
Die Beklagte stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.5.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nur zu einem geringen Teil begründet.
Das angefochtene Urteil des SG ist lediglich insoweit zu beanstanden, als es im Tenor nicht die Anrechnung der von der Beklagten bereits geleisteten Beträge angeordnet hat. Im übrigen ist die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Das SG hat im angefochtenen Urteil die hier anzuwendenden Rechtsnormen zutreffend zitiert. Das SG hat auch unter sorgfältiger Abwägung aller vorliegenden Indizien und Aussagen ihn nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass zwischen den Klägern und S. keine Bedarfsgemeinschaft nachzuweisen ist. Der Senat weist nach eigener Überprüfung die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Er nimmt auf die Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils Bezug und verzichtet insoweit auf eine eigene Begründung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Das Berufungsvorbringen der Beklagten ist nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung als unrichtig erscheinen zu lassen. Auch für den Senat reichen die Indizien dafür, dass die Klägerin zu 1. und S. in einer eheähnlichen Gemeinschaft (nach § 7 Abs. 3 Buchst. b SGB II in der bis 31.7.2006 geltenden Fassung) bzw. in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft (nach § 7 Abs. 3 Buchst. c SGB II in der ab 1.8.2006 geltenden Fassung) und damit in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt haben, nicht aus. Den Ausführungen des SG ist insoweit nichts hinzuzufügen.
Dies gilt vor allem auch im Hinblick auf die seit 1.8.2006 geltende Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a SGB II, wonach ein wechselseitiger Wille, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen, vermutet wird, wenn Partner (Nr. 2) mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben. Insoweit wird zwar die Beweislast für eine objektiv nicht zweifelsfrei feststellbare Bedarfsgemeinschaft auf die Antragsteller verlagert, dies gilt jedoch ausdrücklich nur für die Vermutung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, nicht aber für das "Zusammenleben". Dieses folgt nach wie vor der allgemeinen Beweislastverteilung, wonach das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft eine anspruchsvernichtende Einwendung darstellt, die Beklagte also das Vorhandensein einer Bedarfsgemeinschaft nachweisen muss, um einen grundsätzlich bestehenden Anspruch zu vernichten (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.1.2006 - L 7 AS 5532/05). Nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I S. 1706) bewirkt die durch dieses Gesetz neu geschaffene Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a, die eine gesetzliche Tatsachenvermutung darstellt, eine "Beweislastumkehr" (Bundestags Drucks. 16/1410 S. 19). Dies verdeutlicht, dass der Gesetzgeber davon ausging und ausgeht, dass das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft grundsätzlich von dem SGB II-Träger nachzuweisen ist. Denn anderenfalls würde es keinen Sinn machen, von einer Beweislastumkehr zu sprechen.
Auch soweit die Beklagte vorbringt, die Verweigerung der Durchführung eines Hausbesuches führe zu einer Umkehr der Beweislast, folgt ihr der Senat nicht. Die Beklagte meint, wer durch Schaffung einer Bedrohungs- oder Gefahrensituation zum Abbruch eines Hausbesuches beitrage, habe den Nachteil zu tragen, der mit der nicht vollständigen Amtsermittlung einhergehe. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Weigerung des Arbeitsuchenden, das Betreten seiner Wohnung zu dulden, darf im Rahmen der Beweiswürdigung nämlich keine Rolle spielen (Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. Anm. 22 vor § 56). Denn es existiert keine Rechtsvorschrift, die dem Arbeitssuchenden auferlegt, eine Besichtigung seiner Wohnung zu dulden. Die Weigerung darf dem Arbeitssuchenden also innerhalb der Beweiswürdigung nicht zu seinen Lasten entgegengehalten werden. Die Situation ist insofern vergleichbar mit der berechtigten Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts (wie vom SG bezüglich der Mutter des S. zutreffend gesehen). Dieses Berücksichtigungsverbot innerhalb der Beweiswürdigung ändert jedoch nichts an der Verteilung der objektiven Beweislast.
Insoweit ist also die Berufung der Beklagten nach der Überzeugung des Senats unbegründet. Der Senat sieht auch nicht als erwiesen an, dass die Klägerin zu 1. bezüglich einer selbstständigen Erwerbstätigkeit unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat. Auch insoweit sieht der Senat keine objektiven Gründe für eine Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils.
Nachdem auch keine Gründe gegen die Höhe der vom SG zugesprochenen Beträge vorgebracht wurden oder sonst ersichtlich sind und auch rechnerisch sind keine Fehler zu erkennen sind, ist auch insoweit die Berufung der Beklagten nicht begründet. Begründet ist die Berufung allerdings, soweit die Beklagte rügt, das SG habe ohne Anrechnung bereits geleisteter Beträge zur Leistungsgewährung verurteilt. Insoweit ist erheblich, dass die Beklagte in Erfüllung des Beschlusses des SG vom 11.5.2006 - S 7 AS 1876/06 ER mit Bescheiden vom 24.5.2006 und 10.8.2006 Leistungen vom 26.4.2006 bis 30.9.2006 gewährt hat. Diese sind anzurechnen. Lediglich insoweit ist also das angefochtene Urteil abzuändern.
Im wesentlichen ist die Berufung der Beklagten jedoch als begründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Im übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern ein Fünftel ihrer außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1.4.2006 bis 28.2.2007.
Die 1976 geborene Klägerin zu 1. ist die Mutter der 1998 geborenen Tochter V. (Klägerin zu 3.) und des 2001 geborenen Sohnes M. (Kläger zu 2.). Vater der Kinder ist S. S. (S.), der nach den Angaben der Klägerin zu 1. in einem Antrag vom Februar 2005 "zur Zeit auch Alg II-Empfänger" war. Die Beklagte bewilligte den Klägern mit mehreren Bescheiden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab 1.1.2005, zuletzt mit Bescheid vom 4.1.2006 für die Zeit vom 1.1. bis 31.3.2006.
In einer Mitteilung des Obergerichtsvollziehers W. vom 25.5.2005 an die Beklagte, äußerte dieser den Verdacht eines Sozialbetrugs. Die Klägerin zu 1. und der Vater S. lebten in einer eheähnlichen Gemeinschaft in der Wohnung der Kläger. Die Klägerin zu 1. gab dazu am 7.7.2005 an, sie lebe nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit S. Sie habe sich im September 2004 im Guten von ihm getrennt. Er könne allerdings die Wohnung noch mit ihrem Einverständnis betreten, wenn die Kinder zu Hause seien. Man wirtschafte auch nicht zusammen, es handele sich nur um Besuche der Kinder. Nach einer Auskunft des Einwohnermeldeamts war S. seit 25.8.2004 nicht mehr polizeilich bei den Klägern gemeldet. Die Abrechnung der Stadtwerke für die Wohnung lief jedoch weiterhin über ihn. Nach einem Aktenvermerk hatte sich S. ab 1.12.2005 als Kurierfahrer selbstständig gemacht. Nach einem weiteren Aktenvermerk vom 21.12.2005 bezog S. weiterhin Leistungen nach dem SGB II, eine eheähnliche Gemeinschaft könne jedoch derzeit nicht nachgewiesen werden.
Am 19.12.2005 teilte der Obergerichtsvollzieher W. erneut mit, S. lebe bei der Klägerin zu 1. und seinen Kindern unter der Anschrift der Kläger. Er sei am 2.12.2005 in der Wohnung gewesen und habe festgestellt, dass die Post für S. auf dem Küchentisch liege. Herrenschuhe und -hemden seien im Gang gewesen und das Kfz von S. habe vor dem Haus gestanden. Bei den letzten drei Besuchen vor Dezember 2005 im Zeitraum Herbst 2005 habe er jeweils S. schlafend auf der Couch vorgefunden.
Am 27.2.2006 wurde die Wohnung der Kläger vom Ermittlungsdienst der Beklagten (vormittags) besucht. Dabei wurden eine ältere Frau und S. angetroffen, der zunächst versucht habe, die Wohnung über die Terrasse zu verlassen, und dann, zur Rede gestellt, aggressiv geworden sei und den Ermittler aus der Wohnung gewiesen habe. Es seien aber auf den ersten Blick gebügelte Herrenhemden zu sehen gewesen.
Am 15.3.2006 beantragte die Klägerin zu 1. die Weitergewährung der Leistungen für sich und ihre beiden Kinder. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 29.3.2006 ab, da mit S. eine Bedarfsgemeinschaft bestehe und davon auszugehen sei, dass dieser die Klägerin zu 1. und ihre Kinder unterhalten könne. Der Widerspruch der Klägerin wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 5.4.2006 zurückgewiesen.
Dagegen haben die Kläger am 25.4.2006 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben.
Am 26.4.2006 hat die Klägerin für sich und ihre Kinder einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Durch Beschluss vom 11.5.2006 hat das SG (S 7 AS 1876/06 ER) die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 26.4.2006 bis 30.9.2006, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, zu gewähren. Es sprächen zwar gewichtige Indizien dafür, dass die Wohnung der Klägerin zu 1. weiterhin der Lebensmittelpunkt des S. sei. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass zwischen der Klägerin zu 1. und S. eine eheähnliche Gemeinschaft bestehe. Die Angaben der Klägerin zu 1. könnten jedoch derzeit nicht widerlegt werden. Da somit eine Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich sei, sei anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, dass die Sicherung des Existenzminimums antragsgemäß - allerdings mit zeitlichen Beschränkungen - auszusprechen sei.
Die Beschwerde der Beklagten wurde vom 8. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg mit Beschluss vom 17.7.2006 (L 8 AS 2677/06 ER-B) zurückgewiesen. Es sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass die Klägerin 1. und S. in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebten. Es sei aber nicht geklärt, ob S. imstande sei, den Lebensunterhalt der Kläger aus seinem zu berücksichtigenden Einkommen und/oder Vermögen zu sichern. Dies sei im Hauptsacheverfahren weiter zu klären.
Im Hauptsacheverfahren haben die Kläger die Klage im wesentlichen wie im Widerspruchsverfahren und im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz begründet. Das SG hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22.5.2007 die Klägerin zu 1. persönlich gehört und S. und seine Mutter A. M.-S. als Zeugen vernommen, wobei sich letztere auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Großmutter der Kläger zu 2. und 3. berufen hat. Im übrigen wird wegen der Einzelheiten auf die Niederschrift Blatt 29/33 der SG-Akten Bezug genommen.
Durch Urteil vom 22.5.2007 hat das SG den Bescheid vom 29.3.2006 Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.4.2006 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Klägern für die Monate April bis August 2006 Arbeitslosengeld in Höhe von 1526 EUR monatlich, für die Monate September und Oktober 2006 761 EUR monatlich und für die Monate November 2006 bis Februar 2007 739 EUR monatlich zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Kläger bildeten eine Bedarfsgemeinschaft und seien hilfebedürftig. Ein Einkommen von S. könne nicht berücksichtigt werden. Unabhängig davon, dass bisher nicht nachgewiesen sei und anhand der Zeugenaussage von S. nicht habe nachgewiesen werden können, dass dieser überhaupt ausreichend Einkommen gehabt habe, um seine Kinder und die Klägerin zu 1. zu unterhalten, habe sich das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass zwischen den Klägern und S. eine Bedarfsgemeinschaft bestehe. Es habe nicht nachgewiesen werden können, dass die Partner in einem gemeinsamen Haushalt lebten. Vielmehr sprächen die übereinstimmende Zeugenaussage des S. und die Angaben der Klägerin zu 1. dafür, dass S. aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei, sich aber, um den Kontakt mit seinen Kindern aufrechtzuerhalten, häufig tagsüber in der Wohnung aufhalte. Der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse sei in der Wohnung seiner Mutter. Zwar habe das Gericht diese Angaben des Zeugen nicht prüfen können, allerdings stimmten seine Angaben mit den Daten der Beklagten und seiner Ummeldung beim Einwohnermeldeamt überein. Gegen ein Wohnen bei den Klägern spreche auch, dass S. nach übereinstimmenden Angaben keinen Schlüssel habe und diesen jedes Mal bei der Nachbarin oder unter der Fußmatte abholen müsse. Selbst wenn das Vorhandensein aufgebügelter Männerhemden in der Wohnung der Kläger dafür spreche, dass sich hier ein Mann mehr als nur im Rahmen der Ausübung seines Besuchsrechts aufhalte, reiche das nicht aus, die Zweifel an einem Zusammenleben der Kläger mit S. auszuräumen. Diese Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten.
Gegen dieses am 27.7.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2.8.2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, dass es bereits einen leistungsrechtlichen Versagungsgrund darstelle, dass S. durch sein Verhalten beim Hausbesuch des Außendienstmitarbeiters der Beklagten am 27.2.2006 den Abbruch des Hausbesuchs verursacht habe. Dies sei gleichbedeutend mit der Verweigerung der Durchführung eines Hausbesuches. Die Beklagte rüge auch die vom Gericht vorgenommene Beweiswürdigung ausdrücklich. Alle Indizien seien umfassend zu würdigen, wobei hier auch das "Vereitelungsverhalten" des S. eine Rolle spiele. Wer durch Schaffung einer Bedrohungs- oder Gefahrensituation zum Abbruch eines Hausbesuches beitrage, habe den Nachteil zu tragen, der mit der nicht vollständigen Amtsermittlung einhergehe. Anderes würde die Androhung oder gar Anwendung von Gewalt prämieren. Ferner habe weder die Klägerin zu 1. noch S. trotz entsprechender Aufforderung weitere Angaben zu einer von der Klägerin zu 1. eingeräumten und von S. nachweislich ausgeübten selbstständigen Tätigkeit und den daraus erzielten Einkünften gemacht. Unter diesen Umständen könne die Verurteilung der Beklagten zur Leistungsgewährung keinen Bestand haben. Im übrigen habe die Beklagte in Ausführung des Beschlusses vom 11.5.2006 für die Zeit von 26.4.2006 bis 30.9.2006 bereits Leistungen bewilligt. Diese Leistungen hätte das SG mindestens im Urteil wieder in Abzug bringen müssen, andernfalls wäre die Beklagte zu einer "Doppelleistung" verpflichtet.
Die Kläger haben sich trotz mehrmaliger Aufforderung im Berufungsverfahren nicht gemeldet.
Die Beklagte stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.5.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nur zu einem geringen Teil begründet.
Das angefochtene Urteil des SG ist lediglich insoweit zu beanstanden, als es im Tenor nicht die Anrechnung der von der Beklagten bereits geleisteten Beträge angeordnet hat. Im übrigen ist die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Das SG hat im angefochtenen Urteil die hier anzuwendenden Rechtsnormen zutreffend zitiert. Das SG hat auch unter sorgfältiger Abwägung aller vorliegenden Indizien und Aussagen ihn nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass zwischen den Klägern und S. keine Bedarfsgemeinschaft nachzuweisen ist. Der Senat weist nach eigener Überprüfung die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Er nimmt auf die Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils Bezug und verzichtet insoweit auf eine eigene Begründung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Das Berufungsvorbringen der Beklagten ist nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung als unrichtig erscheinen zu lassen. Auch für den Senat reichen die Indizien dafür, dass die Klägerin zu 1. und S. in einer eheähnlichen Gemeinschaft (nach § 7 Abs. 3 Buchst. b SGB II in der bis 31.7.2006 geltenden Fassung) bzw. in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft (nach § 7 Abs. 3 Buchst. c SGB II in der ab 1.8.2006 geltenden Fassung) und damit in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt haben, nicht aus. Den Ausführungen des SG ist insoweit nichts hinzuzufügen.
Dies gilt vor allem auch im Hinblick auf die seit 1.8.2006 geltende Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a SGB II, wonach ein wechselseitiger Wille, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen, vermutet wird, wenn Partner (Nr. 2) mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben. Insoweit wird zwar die Beweislast für eine objektiv nicht zweifelsfrei feststellbare Bedarfsgemeinschaft auf die Antragsteller verlagert, dies gilt jedoch ausdrücklich nur für die Vermutung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, nicht aber für das "Zusammenleben". Dieses folgt nach wie vor der allgemeinen Beweislastverteilung, wonach das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft eine anspruchsvernichtende Einwendung darstellt, die Beklagte also das Vorhandensein einer Bedarfsgemeinschaft nachweisen muss, um einen grundsätzlich bestehenden Anspruch zu vernichten (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.1.2006 - L 7 AS 5532/05). Nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I S. 1706) bewirkt die durch dieses Gesetz neu geschaffene Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a, die eine gesetzliche Tatsachenvermutung darstellt, eine "Beweislastumkehr" (Bundestags Drucks. 16/1410 S. 19). Dies verdeutlicht, dass der Gesetzgeber davon ausging und ausgeht, dass das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft grundsätzlich von dem SGB II-Träger nachzuweisen ist. Denn anderenfalls würde es keinen Sinn machen, von einer Beweislastumkehr zu sprechen.
Auch soweit die Beklagte vorbringt, die Verweigerung der Durchführung eines Hausbesuches führe zu einer Umkehr der Beweislast, folgt ihr der Senat nicht. Die Beklagte meint, wer durch Schaffung einer Bedrohungs- oder Gefahrensituation zum Abbruch eines Hausbesuches beitrage, habe den Nachteil zu tragen, der mit der nicht vollständigen Amtsermittlung einhergehe. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Weigerung des Arbeitsuchenden, das Betreten seiner Wohnung zu dulden, darf im Rahmen der Beweiswürdigung nämlich keine Rolle spielen (Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. Anm. 22 vor § 56). Denn es existiert keine Rechtsvorschrift, die dem Arbeitssuchenden auferlegt, eine Besichtigung seiner Wohnung zu dulden. Die Weigerung darf dem Arbeitssuchenden also innerhalb der Beweiswürdigung nicht zu seinen Lasten entgegengehalten werden. Die Situation ist insofern vergleichbar mit der berechtigten Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts (wie vom SG bezüglich der Mutter des S. zutreffend gesehen). Dieses Berücksichtigungsverbot innerhalb der Beweiswürdigung ändert jedoch nichts an der Verteilung der objektiven Beweislast.
Insoweit ist also die Berufung der Beklagten nach der Überzeugung des Senats unbegründet. Der Senat sieht auch nicht als erwiesen an, dass die Klägerin zu 1. bezüglich einer selbstständigen Erwerbstätigkeit unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat. Auch insoweit sieht der Senat keine objektiven Gründe für eine Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils.
Nachdem auch keine Gründe gegen die Höhe der vom SG zugesprochenen Beträge vorgebracht wurden oder sonst ersichtlich sind und auch rechnerisch sind keine Fehler zu erkennen sind, ist auch insoweit die Berufung der Beklagten nicht begründet. Begründet ist die Berufung allerdings, soweit die Beklagte rügt, das SG habe ohne Anrechnung bereits geleisteter Beträge zur Leistungsgewährung verurteilt. Insoweit ist erheblich, dass die Beklagte in Erfüllung des Beschlusses des SG vom 11.5.2006 - S 7 AS 1876/06 ER mit Bescheiden vom 24.5.2006 und 10.8.2006 Leistungen vom 26.4.2006 bis 30.9.2006 gewährt hat. Diese sind anzurechnen. Lediglich insoweit ist also das angefochtene Urteil abzuändern.
Im wesentlichen ist die Berufung der Beklagten jedoch als begründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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