L 8 R 11/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 55 (5) R 285/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 11/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.12.2007 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2005 verurteilt, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen E S für die Zeit vom 08.07.1997 bis zum 31.05.2004 Regelaltersrente und ab dem 01.06.2004 Witwenrente unter Berücksichtigung einer Ghettobeitragszeit von Juni 1942 bis Dezember 1942 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen zu 3/4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht zunächst einen Anspruch auf Altersrente als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 00.00.2004 verstorbenen Ehemannes für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 31.05.2004 und für die Zeit danach einen Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten im Ghetto Warschau, Generalgouvernement (GG), in der Zeit von Oktober 1940 bis Dezember 1942 geltend.

Der am 00.00.1922 in Warschau, Polen, geborene, am 00.00.2004 verstorbene jüdische Ehemann der Klägerin war zunächst polnischer Staatsangehöriger und nahm nach seiner Einreise nach Israel im Februar 1949 die israelische Staatsangehörigkeit an. Er ist als Verfolgter des Nationalsozialismus gem. § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt.

Am 18.08.1954 beantragte der Kläger die Gewährung von Leistungen nach dem BEG für den erlittenen Schaden an Freiheit. Im Formantrag gab er einen Ghettoaufenthalt in Warschau von Oktober 1940 bis April 1943 an. In seiner eidesstattlichen Erklärung vom 01.11.1955 ergänzte er hierzu: Im Oktober 1940 sei er verhaftet und ins Ghetto Warschau eingeliefert worden. Er habe dort in der N Straße 00 gewohnt. Auf dem Arm habe er eine weiße Armbinde mit dem Judenstern tragen und unter Zwang verschiedene öffentliche Arbeiten verrichten müssen. Im Innern des Ghettos habe jüdische Polizei für Ordnung gesorgt und der Judenrat, an dessen Spitze B D gestanden habe, habe die Rationen verteilt. Im April 1943 sei es ihm gelungen, auf die arische Seite zu entkommen und dort "auf arische Papiere bis Kriegsende" zu leben. 1946 sei er aus Polen nach Österreich, 1947 nach Italien und schließlich über Zypern im Jahre 1949 nach Israel ausgewandert. Sein Verfolgungsschicksal insbesondere für die Zeit nach der Flucht aus dem Ghetto konkretisierte er in einer weiteren eidlichen Versicherung vom 14.08.1957 (Blatt 22 EA). Er habe Warschau verlassen und zu Fuß und mit diversen Fahrgelegenheiten die Lubliner Wälder erreicht, wo er im Hochsommer 1944 durch die Rote Armee befreit worden sei.

Den Ghettoaufenthalt bestätigte der Zeuge M H in seiner eidlichen Erklärung vom 06.11.1955. Er sei im Oktober 1940 ins Ghetto Warschau eingeliefert worden und habe dort den Verstorbenen getroffen. Dieser habe in der N Straße 00 gewohnt und sie hätten sich oft nach der Arbeit gesehen. Sie hätten verschiedene Zwangsarbeiten im Auftrage des Judenrates ausführen und auf einer weißen Armbinde den blauen Judenstern tragen müssen. Im April 1943 seien sie (der Zeuge und der Kläger) aus dem Ghetto geflohen. Sie seien dann getrennter Wege gegangen. Dies bestätigte im Wesentlichen auch die Zeugin H X in ihrer Erklärung ebenfalls vom 06.11.1955. Im Oktober 1940 sei sie zusammen mit dem Verstorbenen in das Ghetto Warschau eingeliefert worden, und sie hätten beide in der N Straße gewohnt. Sie habe wegen ihres jugendlichen Alters noch keine Zwangsarbeit verrichten müssen, aber der Verstorbene sei zu verschiedenen Zwangsarbeiten herangezogen worden. Vom Judenrat hätten sie ihre Rationen erhalten. Im April 1943 sei ihnen, der Zeugin und dem Verstorbenen, die Flucht aus dem Ghetto gelungen, danach hätten sich allerdings ihre Wege separiert und sie hätten sich erst im Jahre 1949 in Israel wieder getroffen.

Den Ghettoaufenthalt des Verstorbenen bestätigten außerdem die Zeugen F N und B U in ihren eidlichen Erklärungen vom 25.01. bzw. 18.02.1957, wobei sich die Bestätigung der Zeugin N allerdings lediglich auf den Zeitraum bis Ende des Jahres 1942 bezieht, nachdem ihr zu diesem Zeitpunkt die Flucht aus dem Ghetto gelungen war. Zu einer Arbeitstätigkeit des Verstorbenen enthielten die Erklärungen keine Angaben.

Am 04.11.2002 beantragte der Verstorbene die Gewährung von Altersrente aufgrund von Ghettobeitragszeiten.

Mit Schreiben vom 07.07.2004 teilte die Kläger-Bevollmächtigte den Tod des ursprünglichen Antragstellers mit und beantragte gleichzeitig die Gewährung von Witwenrente für die Klägerin. Gleichzeitig übermittelte sie den noch auf den Verstorbenen zurückgehenden Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Auf die dortigen Fragen gab der Verstorbene unter anderem an, er habe im Ghetto Warschau von 10/1940 bis 04/1943 innerhalb des Ghettos Reinigungsarbeiten, im Winter Schneeschaufeln, Straßenreinigung verrichtet. Der Arbeitseinsatz sei freiwillig durch Eigenbemühungen auf Vermittlung des Judenrates zustande gekommen. Für die Tätigkeiten habe er zusätzliche Versorgung und (wenig) Geld erhalten.

Ein Rentenformantrag wurde nicht zu den Akten gereicht.

Die Beklagte lehnte die Rentenanträge mit Bescheid vom 18.08.2004 ab. Schon im Entschädigungsverfahren habe der Verstorbene angegeben, dass er unter Zwang verschiedene öffentliche Arbeiten habe ausführen müssen. Es habe sich also nicht um eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt, sondern um typische Zwangsarbeiten gehandelt, die von den Vorschriften des ZRBG nicht erfasst würden. Auch ein Entgelt im Sinne des ZRBG sei nicht glaubhaft, da er lediglich Rationen vom Judenrat erhalten habe.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 20.09.2004 Widerspruch ein, der unbegründet blieb und von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2005 unter Verweis auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid zurückgewiesen wurde.

Hiergegen hat die Klägerin am 11.07.2007 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhoben, die sie mit Schriftsatz vom 06.06.2006 begründet hat. Eine Barentlohnung sei insbesondere angesichts der Ausführungen im historischen Gutachten von Prof. Dr. Frank Golczewski, erstellt für das Sozialgericht Hamburg am 09.09.2005 zum Aktenzeichen S 20 RJ 674/04, für die verrichteten Tätigkeiten glaubhaft. Im Übrigen hat die Klägerin auf die im Generalgouvernement bestehende Verordnungslage verwiesen, aus der ein Lohnanspruch der arbeitenden jüdischen Ghettoinsassen abzuleiten sei. Allein der bestehende Lohnanspruch führe zur Entgeltlichkeit der Tätigkeit des Verstorbenen im Sinne des ZRBG.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 18.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund ihrer Beschäftigung im Ghetto Warschau von Oktober 1940 bis April 1943 nach den Vorschriften des ZRBG und unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten wegen NS-Verfolgung nach dem SGB VI eine Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich insbesondere auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid bezogen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.12.2007 abgewiesen. Es fehle bereits an der Glaubhaftmachung einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss. Auch eine Entgeltlichkeit der Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Eine Beschäftigung komme aus eigenem Willensentschluss zu Stande, wenn sie freiwillig ausgeübt worden sei. Es dürfe sich folglich nicht um Zwangsarbeit gehandelt haben. Die überwiegenden Gesichtspunkte sprächen dafür, dass der Arbeitseinsatz des Verstorbenen Zwangsarbeit in diesem Sinne gewesen sei. Der Verstorbene und die im Entschädigungsverfahren benannten Zeugen hätten davon gesprochen, dass er die Arbeit hätte zwangsweise habe ausüben müssen. Zwar möge es zutreffen, dass dem Verstorbenen und den Zeugen nicht die rechtliche Ausprägung des Begriffs der Zwangsarbeit bekannt gewesen sei. Das Wort Zwang habe jedoch - neben seiner inhaltlich differenzierten Bedeutung im Zusammenhang mit dem Rechtsbegriff der Zwangsarbeit - auch und insbesondere einen allgemein gültigen Sinngehalt dahingehend, dass der Begriff des Zwangs gemeinhin als Gegenbegriff zur freien Willensentscheidung verstanden werde und das Merkmal der Freiwilligkeit ausschließe. Insoweit spreche vieles dafür, dass durch die Verwendung dieses Begriffs im Zusammenhang mit der Arbeit entsprechend seinem üblichen Verständnis zum Ausdruck gebracht werden solle, dass sich der Betroffene dem Arbeitseinsatz gerade nicht entziehen konnte und gegen seinen Willen zur Arbeit gezwungen worden sei. Selbst wenn noch von einem gewissen Maß an eigener Entscheidungsfreiheit des Ehemannes der Klägerin zur Beschäftigungsaufnahme und bei Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses selbst ausgegangen werde, sei es aber nicht glaubhaft, dass er entgeltlich im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG beschäftigt gewesen sei. Entgeltlichkeit der Beschäftigung liege nur dann vor, wenn dem Betroffenen für die Tätigkeit eine Gegenleistung gewährt worden sei, die zu Umfang und Art der geleisteten Arbeit noch in einem angemessenen Verhältnis stehe. Dies sei bei allzu geringfügigen Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zu den erbrachten Arbeiten nicht mehr der Fall, da es dann an dem notwendigen Bezug zur Versichertengemeinschaft fehle. Das Entgelt, welches sowohl aus Geld als auch aus Sachbezügen bestehen könne, müsse somit einen Mindestumfang erreichen, um von einer entgeltlichen versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgehen zu können. Vor diesem Hintergrund seien die Angaben des Ehemannes selbst und im Laufe des Verfahrens auch die der Klägerin zum Versicherungsleben ihres Ehemannes nicht geeignet, eine Entgeltlichkeit glaubhaft zu machen. So habe der Ehemann angegeben, er habe für die Arbeiten zusätzliche Verpflegung und wenig Geld erhalten. Diese Art der Entlohnung begründe kein versicherungspflichtiges Entgelt. Denn der Erhalt von zusätzlicher Verpflegung für die geleistete Arbeit sei als Gewährung freien Unterhalts anzusehen, die nicht vom Entgeltbegriff des Rentenversicherungsrechts erfasst sei. Diese Bezüge dienten insoweit nicht der Erbringung einer Gegenleistung für die individuelle Arbeitsleistung, sondern vornehmlich als Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft, wie es gerade typisch für Zwangsarbeitsverhältnisse sei. Darüber hinaus bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Ehemann der Klägerin die Lebensmittel in einer solchen Menge und Regelmäßigkeit gewährt worden seien, dass sie zu dem Umfang der geleisteten Arbeit (acht bis zehn Stunden täglich) noch in einem angemessenen Verhältnis gestanden hätten oder im über das zum unmittelbaren Verbrauch Benötigte hinaus noch zu freien Verfügung, etwa zum Tausch, verblieben wären. Gleiches gelte für die Entlohnung in Bargeld. Denn weder der Ehemann noch die Klägerin hätten dazu im gesamten Verfahren aussagekräftige Angaben machen können. Es fehle daher an einer hinreichenden Konkretisierung, mit welcher Regelmäßigkeit und welchem Umfang der Ehemann der Klägerin Barlohn erhalten haben wolle. Die Angaben zur Entlohnung seien nicht ausreichend substantiiert und eindeutig, um insbesondere die Höhe der Gegenleistung überprüfen zu können. Es fehle damit an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer rechtserheblichen Entlohnung im Sinne des ZRBG.

Gegen das der Klägerin am 21.12.2007 zugestellte Urteil hat sie am 16.01.2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung vertieft sie ihren erstinstanzlichen Vortrag und beantragt nunmehr noch,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.12.2007 sowie die Aufhebung des Bescheides vom 18.08.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2005 zu verurteilen, ihr als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 10.05.2004 verstorbenen Ehemannes E S Regelaltersrente vom 01.07.1997 bis zum 31.05.2004 und die sich aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes anschließend ergebende Witwenrente unter Anerkennung von Ghettobeitragszeiten von Oktober 1940 bis Dezember 1942 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verweist hierzu auf den Ausgangsbescheid und den erstinstanzlichen Schriftverkehr.

Auf Anfrage des Senats hat die Jewish Claims Conference (JCC) mitgeteilt, dass der Verstorbene bei dem Artikel 2-Fonds und dem Härtefonds nicht registriert sei, eine Entschädigung durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" habe er auf Grundlage der Entschädigungsakten erhalten. Aktuelle Anschriften der aus dem Entschädigungsverfahren bekannten Zeugen sind nicht mehr zu ermitteln gewesen. Nach Mitteilung der Deutschen Botschaft sind die Zeugen H, X und N verstorben, der Zeuge U ist seit dem 01.12.1964 in Israel nicht mehr administrativ erfasst. Die Klägerin hat ferner mitgeteilt, dass ihr verstorbener Ehemann keine Leistungen aus einem System der sozialen Sicherheit unter Beachtung von Ghettobeitragszeiten erhalten habe, Schilderungen seines Verfolgungsschicksals gegenüber Yad Vashem oder anderen Institutionen gebe es nicht, Zeugen könnten nicht mehr benannt werden.

Eine Bestätigung des Verfolgungsschicksals des Verstorbenen hat sich über den ITS nicht ermitteln lassen. Nach Mitteilung der Beklagten hat der Verstorbene in der israelischen Rentenversicherung seit April 1954 insgesamt 395 Monate zurückgelegt.

Der Senat hat die historischen Gutachten des Prof. Dr. Frank Golczewski vom 09.09.2005, erstellt für das SG Hamburg zum Aktenzeichen S 20 RJ 654/04, vom 31.01.2007, erstellt für den 13. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen zum Aktenzeichen L 13 R 133/06, und vom 05.02.2007, erstellt ebenfalls für den 13. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen zum Aktenzeichen L 13 R 73/06, zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Entschädigungsakte des verstorbenen Ehemannes der Klägerin Bezug genommen; die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Klägerin hat als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes sowohl einen Anspruch auf Regelaltersrente für die Zeit ab 01.07.1997 bis zum 31.05.2004 (dazu unter I.) als auch einen Anspruch auf Witwenrente ab dem 01.06.2004 (dazu unter II.). Dabei sind jeweils Ghettobeitragszeiten von Juni 1942 bis Dezember 1942 zu berücksichtigen. Soweit die Klägerin darüber hinaus die Anerkennung von Ghettobeitragszeiten bereits ab Oktober 1940 begehrt, ist die Berufung dagegen unbegründet.

I. Als Sonderrechtsnachfolgerin i.S.d. § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ihres am 10.05.2004 verstorbenen Ehegatten hat die Klägerin einen Anspruch auf Regelaltersrente. Der Anspruch folgt aus § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2007 maßgebenden Fassung (a.F.; vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI) auch dann, wenn er auf Ghettobeitragszeiten gestützt wird. Die Bestimmungen des ZRBG stellen demgegenüber keine eigenständige Anspruchsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente dar (BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 28/06, SozR 4-5075 § 1 Nr. 4). Die Vorschriften des SGB VI sind trotz des Auslandswohnsitzes des Verstorbenen und der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 1. Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 48 Nr. 17).

Nach § 35 SGB VI a.F. haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie (wie die am 25.12.1927 geborene Klägerin seit dem 25.12.1992) das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt haben. Die Wartezeit von 5 Jahren kann mit Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI erfüllt werden, wobei Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 SGB VI allerdings nur dann Berücksichtigung finden, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1, m.w.N.). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Der Verstorbene hat die Wartezeit von 60 Monaten mit 7 Monaten Ghettobeitragszeiten und (mehr als) 53 Monaten Beitragszeiten, die nach Art 20 Abs. 1 des deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommens (DISVA) anrechenbar sind, erfüllt.

Auf die Wartezeit sind Ghettobeitragszeiten von Juni 1942 bis Dezember 1942 nach § 2 Abs. 1 ZRBG anzurechnen. Nach dieser Vorschrift gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Gemäß § 1 ZRBG muss der Betroffene sich als Verfolgter (1.) in einem Ghetto (2.), das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat (3.), zwangsweise aufgehalten (4.) haben. Zudem muss er eine Arbeit (5.) in diesem Ghetto (6.) ausgeübt haben, die eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (7.) gegen Entgelt (8.) darstellte und für die er nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erhält (9.). Ferner darf die Anerkennung des Anspruchs nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen sein (10.). Beweismaßstab ist die Glaubhaftmachung (§ 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale muss also nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich sein, d. h. es muss mehr für als gegen sie sprechen, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss v. 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900, § 15 Nr. 4). Die genannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

1. Der verstorbene Ehemann der Klägerin ist Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG. Der Begriff des Verfolgten entspricht demjenigen des § 1 Abs. 1 BEG (BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3). Der Verstorbene ist als Verfolgter gemäß § 1 Abs. 1 BEG anerkannt (Vergleich für den Ersatz von Schaden an Freiheit vom 23.09.1959). Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der dem Vergleich zugrundeliegenden Annahme der Verfolgteneigenschaft, sodass seine Bindungswirkung für die Beklagte dahingestellt bleiben kann.

2. In Warschau hat zumindest im Zeitraum Juni bis Dezember 1942 ein Ghetto bestanden. Als Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG ist eine Stadt, ein Stadtteil oder -viertel anzusehen, in dem die jüdische Bevölkerung untergebracht wurde, und zwar im Wege der Absonderung, Konzentration und Internierung (vgl. Senat, Urteil v. 28.01.2008, L 8 RJ 139/04 [rkr.], sozialgerichtsbarkeit.de). Die Existenz eines diesen Erfordernissen entsprechenden Ghettos im Streitzeitraum ist durch das von Prof. Dr. Golcezwski am 09.09.2005 erstattete Gutachten belegt. Danach ist von der Schließung des Warschauer Ghettos am 16.11.1940 (S. 3 des Gutachtens) und der Räumung am 08.05.1943 (S. 4 des Gutachtens) auszugehen. Die Richtigkeit dieser Feststellungen ist im Übrigen von der Beklagten auch nicht bezweifelt worden.

3. Warschau hat im sog. Generalgouvernement und damit einem vom Deutschen Reich im Anspruchszeitraum besetzten und ihm angegliederten Gebiet gelegen (vgl. im Einzelnen BSG, Urteil v. 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17).

4. Der Verstorbene hat sich jedenfalls in der Zeit von Juni bis Dezember 1942 zwangsweise im Ghetto Warschau aufgehalten. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig, aber auch durch die Zeugenaussagen im Entschädigungsverfahren des Verstorbenen zumindest glaubhaft gemacht. Der Verstorbene ist als Verfolgter iS des § 1 BEG anerkannt. Der Anerkennungszeitraum umfasst auch den Zeitraum des Aufenthalts im Ghetto Warschau. Damit ist zugleich der Tatbestand des zwangsweisen Aufenthalts dort glaubhaft.

5. Es ist glaubhaft, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin während seines Aufenthaltes im Ghetto Warschau zumindest in der Zeit von Juni bis Dezember 1942 Straßenreinigungs- und Aufräumarbeiten ausgeführt hat. Die Ausführung von Tätigkeiten wird von ihm selbst, aber auch von den Zeugen H und X bereits im Entschädigungsverfahren erwähnt. Zwar sind die Tätigkeiten im Entschädigungsverfahrne nicht konkret beschrieben worden. Jedoch korrespondiert die Beschreibung der Tätigkeit als "Öffentliche Arbeiten" z.B. in der Erklärung des Verstorbenen vom 01.11.1955 mit der später im Fragebogen behaupteten Verrichtung von Straßenreinigungsarbeiten etc., da diese von der 19. Abteilung des Judenrates (vgl. insofern Ausführungen Prof. Dr. Golczewski in seinem Gutachten vom 31.01.2007, erstellt für den 13. Senat, Blatt 5) organisiert wurden. Es liegt nahe, den Judenrat eines Ghettos insbesondere als juristischer Laie als "Öffentlichen" Arbeitgeber zu bezeichnen. Hinzu kommt, dass der im März 1922 geborene Verstorbene zu Beginn der Ghettohaft bereits 18 Jahre alt war und damit gut vorstellbar ist, dass er als für Aufräum- und Straßenreinigungsarbeiten geeignet gehalten wurde.

Eine Ausübung der Tätigkeit über Dezember 1942 hinaus ist jedoch unwahrscheinlich. Denn Prof. Dr. Golczewski beschreibt in seinem Gutachten vom 31.01.2007 sehr detailliert und damit für den Senat gut nachvollziehbar die Kasernierung der Straßenreinigungsarbeiter Ende 1942 in der Franziskaner Straße 22 (vgl. Blatt 6 des Gutachtens vom 31.01.2007). Eine solche Kasernierung ist weder im Entschädigungsverfahren, aber auch nicht im aktuellen Rentenverfahren erwähnt. Vielmehr haben die Zeugen H und X, aber auch der Verstorbene selbst die Wohnung des Verstorbenen im Ghetto mit der Anschrift N-straße 00 an; von einem Umzug in die Franziskaner Straße 22 ist dagegen nicht die Rede gewesen. Dementsprechend hält der Senat es nicht für überwiegend wahrscheinlich im Sinne der obigen Ausführungen, dass der Verstorbene Ehemann der Klägerin noch über das Jahr 1942 hinaus Straßenreinigungsarbeiten für den Judenrat im Ghetto Warschau ausgeführt hat.

Ob es glaubhaft ist, dass der Verstorbene die genannten Arbeiten auch schon vor Juni 1942 ausgeführt hat, kann dahingestellt bleiben, weil jedenfalls eine Entlohnung für diesen Zeitraum nicht überwiegend wahrscheinlich ist (dazu unter 8.).

6. Die Arbeit des Verstorbenen hat, wie § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG fordert, auch "in einem Ghetto" stattgefunden. Für eine Tätigkeit außerhalb der Ghettogrenzen bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

7. Bei den von dem Verstorbenen ausgeübten Reinigungsarbeiten hat es sich auch um eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist gehandelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a ZRBG).

a) Mit den in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG formulierten Tatbestandsmerkmalen der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt hat der Gesetzgeber an den Begriff des versicherungspflichtigen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses angeknüpft, wie es für Arbeitsverhältnisse unter Ghettobedingungen in der sog. Ghettorechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15; vom 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 16; v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1) konkretisiert worden ist (std. Rechtsprechung des Senates; vgl. nur Urteil v. 28.01.2008, L 8 RJ 139/04, sozialgerichtsbarkeit.de m.w.N.).

Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere (aber nicht notwendigerweise) in einem Arbeitsverhältnis. Arbeit in diesem Sinne ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete, planmäßige Arbeit eines Menschen, gleichviel ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden. Die Arbeit ist nichtselbstständig, wenn sie fremdbestimmt ist, d.h. der Arbeiter dem Weisungs- bzw. Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegt und in den organisatorischen Ablauf des Betriebs eingebunden ist. Maßgeblich ist dabei jeweils das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit.

Das Merkmal der "aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung" verdeutlicht dabei, dass der Typus des von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfassten Beschäftigungsverhältnisses abzugrenzen ist von einer unter Zwang zustande gekommenen oder verrichteten Arbeit. Diese Abgrenzung kann ebenfalls nur im Einzelfall erfolgen. Sie orientiert sich allerdings an der grundsätzlichen Überlegung, dass eine Arbeit sich um so mehr der Zwangsarbeit annähert, als sie von hoheitlichen Eingriffen überlagert ist, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann. In diesem Sinne kann für Zwangsarbeit z.B. die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an ein Unternehmen sprechen, auf die der Arbeiter keinen Einfluss hat. Je nach den Umständen des Einzelfalles gilt dasselbe für die Bewachung während der Arbeit oder die Züchtigung auf der Arbeitsstelle. Auch die Art der zu verrichtenden Arbeiten kann einen Hinweis auf Zwangsarbeit liefern, wenn sie von dem konkreten Betroffenen schlechterdings unter der Annahme eines eigenen Willensentschlusses nicht erwartet werden konnte (ausführlich Senat, Urteil v. 12.12.2007, L 8 R 187/07, sozialgerichtsbarkeit.de).

Demgegenüber ist es für den eigenen Willensentschluss des Arbeiters unerheblich, aus welchen weiteren Motiven die Arbeit aufgenommen wurde. Auch existenzielle Not (z.B. die Angst vor dem Verhungern oder der Deportation in ein Zwangsarbeits- oder Vernichtungslager) schließt das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses daher nicht aus. Dass derartige Motive außer Betracht zu bleiben haben, wird zusätzlich durch § 1 Abs. 1 ZRBG belegt, der den zwangsweisen Aufenthalt in einem Ghetto mit den damit typischerweise verbundenen Konsequenzen des Hungers und der Bedrohung mit Deportation und Vernichtung sogar als Tatbestandsmerkmal voraussetzt.

b) Auf dieser Grundlage ist es zunächst glaubhaft, dass der Verstorbene mit den Reinigungsarbeiten eine "Arbeit" in dem dargestellten Sinne verrichtet hat. Reinigungs- und Räumarbeiten sind jedenfalls dann, wenn sie - wie hier - von einer Ghettoautorität wie dem Judenrat systematisch organisiert werden, typischerweise planmäßig auf ein wirtschaftliches Ziel ausgerichtet. Ebenso ist es glaubhaft, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin die Arbeit nicht selbstständig, d.h. im Sinne einer Eingliederung in die Organisation einer Reinigungskolonne, ausgeübt hat. Für eine derartige Eingliederung spricht nicht zuletzt, dass die Reinigungsarbeiten nach Angaben von Prof. Dr. Golczewski der 19. Abteilung des Judenrates unterstellt waren (S. 5 des im Verfahren L 13 R 133/06 erstatteten Gutachtens).

Es ist auch glaubhaft, dass der Verstorbene aus eigenem Willensentschluss gearbeitet hat.

So hat er im ZRBG-Fragebogen der Beklagten angegeben, sich die Tätigkeiten freiwillig auf Vermittlung des Judenrates gesucht zu haben. Vor dem historischen Hintergrund ist dies glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit. Hierfür sprechen insbesondere die aus den Gutachten von Prof. Dr. Golczewski bekannten historischen Verhältnisse im Ghetto Warschau. So hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 05.02.2007 im Verfahren L 13 R 73/06 ausgeführt, dass es im Warschauer Ghetto nicht ausreichend Arbeitsstellen für Arbeitswillige gegeben habe. Im Juni 1942 hätten nur 80.000 Menschen offiziell Arbeit gehabt, während die Zeitungen voll von Anzeigen von Menschen gewesen seien, die ihre Arbeitskraft angeboten hätten. Bereits diese Verhältnisse zeigen, dass Arbeiten begehrt gewesen sind und ihre Aufnahme daher oftmals aus eigenem Willensentschluss erfolgt sein wird. Das gilt in Sonderheit für die Arbeiten in der Straßenreinigung. Schon in seinem für das SG Hamburg erstatteten Gutachten vom 09.09.2005 hat Prof. Dr. Golczewski überzeugend dargelegt, dass diese Arbeiten erstrebenswert gewesen seien, zumal das Städtische Straßenreinigungsamt seine Beschäftigten, wenn auch niedrig, ordnungsgemäß bezahlt habe. Die Arbeit bei der Straßenreinigung galt nicht zuletzt auch deshalb als attraktiv, da sie die Möglichkeit gab, das Ghetto legal zu verlassen und auf die arische Seite zu gelangen, was eine hervorragende Gelegenheit zum Schmuggel bot (Gutachten Prof. Dr. Golczewski vom 31.01.2007 im Verfahren L 13 R 133/06, insbesondere S. 6).

Diese Einschätzung wird auch nicht durch die Angaben des Verstorbenen und der Zeugen im Entschädigungsverfahren in Zweifel gezogen. Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass der Verstorbene bzw. die Zeugen die Tätigkeiten als "Zwangsarbeit" bezeichnet haben. Die Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeit" gibt, wie das BSG bereits ausdrücklich entschieden hat, wegen seiner subjektiven Prägung keinen Aufschluss über die konkreten Arbeitsbedingungen (BSG, Urteil vom 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R). Im Gegenteil ist es ohne Weiteres nachvollziehbar, dass Verfolgte alle während ihres zwangsweisen Aufenthaltes in einem Ghetto ausgeübten Beschäftigungen auch im Nachhinein als Zwangsarbeit empfunden haben. Es kommt hinzu, dass die hier maßgebende Differenzierung zwischen "freier" Beschäftigung und "unfreier" Zwangsarbeit auf den Besonderheiten der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung beruht und weder im allgemeinen Sprachgebrauch, noch im historischen Verständnis zwingend in gleicher Weise nachvollzogen werden muss. Dementsprechend ist in der Literatur noch im Jahre 2001 mit Blick auf das Gesetz zur Entrichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) die - im nachhinein bestätigte - Annahme geäußert worden, die Partnerorganisationen der Stiftung würden im Rahmen der von Ihnen festzustellenden Leistungsberechtigung den Begriff der "Zwangsarbeit" nicht in gleicher Weise abgrenzen, wie die deutsche Rentenversicherung (vgl. Gerhard, Amtliche Mitteilungen LVA Rheinprovinz 2001, 36, 38).

8. Schließlich ist glaubhaft, dass der Verstorbene seine Beschäftigung in der Kaserne gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b ZRBG) ausgeübt hat.

Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (a.F.). Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 RVO a.F. neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO a.F.; vgl. zum Folgenden außerdem BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anm. 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt i.S.v. § 1227 RVO a.F. ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Das ist der Fall, wenn sie in geringem Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten gewährt werden. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es z.B. bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist unter anderem dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Werden demgegenüber anstelle des freien Unterhalts auch nur geringe Geldbeträge zur Bestreitung des notwendigen Unterhalts gegeben, so ist dies keine freie Unterhaltsgewährung mehr. Geldleistungen stehen demnach der Gewährung des freien Unterhalts nicht gleich, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht übersteigen und nicht einmal erreichen. Allerdings geht die bisherige Rechtsprechung davon aus, dass das Entgelt eine Mindesthöhe erreichen muss, damit man von einer entgeltlichen versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgehen kann. Bei Barzahlung neben freiem Unterhalt reicht es aus, wenn das Entgelt die Grenze von einem Sechstel bis einem Drittel Ortslohn überschritt.

Der Verstorbene hat zunächst in Beantwortung des ZRBG-Fragebogens der Beklagten glaubhaft erklärt, Sachbezüge in Form von zusätzlicher Versorgung und (wenig) Geld erhalten zu haben. Vor dem historischen Hintergrund ist der Erhalt einer Gegenleistung für die angegebene Tätigkeit (Reinigungsarbeiten, Schneeschaufeln und bei der Straßenreinigung) jedenfalls überwiegend wahrscheinlich. Nach den überzeugenden Feststellungen von Prof. Dr. Golczewski ist davon auszugehen, dass zumindest ab Juni 1942 eine ergänzende Barentlohnung der Straßenreinigungsarbeiter durch den Judenrat stattgefunden hat. So legt Prof. Dr. Golczewski in seinem Gutachten vom 31.01.2007 (a.a.O., S. 6) anschaulich dar, dass im Februar 1942 die Müllabfuhr durch die Immobilienabteilung des Judenrates übernommen worden sei, wobei die Kosten durch eine Umlage auf die gesamte Bewohnerschaft des Ghettos erhoben worden seien. Hieraus folgert der Gutachter nachvollziehbar, dass die Straßenreiniger regelmäßige Gehälter (ob nun in bar, oder in natura) erhalten haben. Am 01.06.1942 sei dieser Zustand (weiter) formalisiert worden, indem die Straßenkehrer nun offiziell aus dem Etat des Judenrates ein Gehalt erhalten hätten. Hieran anknüpfend geht der Senat davon aus, dass ab dem 01.06.1942 eine Barentlohnung der Straßenkehrer, also auch des Verstorbenen, überwiegend wahrscheinlich ist. Demgegenüber erscheint eine Barentlohnung jedenfalls des Verstorbenen vor diesem Zeitpunkt lediglich möglich, aber nicht überwiegend wahrscheinlich im Sinne der Glaubhaftmachung, nachdem sich auch der Sachverständige Prof. Dr. Golczewski auf die Art der Entlohnung vor dem 01.06.1942 nicht festgelegt und damit eine (ausschließliche) Entlohnung durch Sachbezüge jedenfalls nicht mit dem erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen hat.

Für den Umstand, dass die vor einem Zeitpunkt Juni 1942 erhaltene zusätzliche Versorgung in ihrem Umfang über den so genannten "freien Unterhalt" hinausging, gibt es nicht in ausreichendem Maße Anhaltspunkte. Wie das SG insoweit zutreffend ausgeführt hat, haben weder der Verstorbene selbst noch die Klägerin ausreichend substantiierte Angaben zur Menge der erhaltenen Lebensmittel gemacht. Auch Prof. Dr. Golczewski hat in den vorliegenden Gutachten die erhaltenen Sachbezüge nach Art und Menge nicht näher konkretisieren können.

Der Senat hat aber keine durchgreifenden und der Glaubhaftmachung entgegenstehenden Zweifel daran, dass die Höhe der erhaltenen Entlohnung zumindest 1/6 des üblichen Ortslohnes erreicht hat. Zwar konnte der Verstorbene, was nach einem Zeitraum von mehr als 60 Jahren ohne Weiteres nachvollziehbar ist, sich an die Höhe des erhaltenen Barentgelts beim Ausfüllen des ZRBG-Fragebogens der Beklagten offensichtlich nicht mehr erinnern. Möglichkeiten zu einer Aufklärung des Sachverhaltes durch Zeugen oder aus historischer Sicht sind nicht ersichtlich. Angesichts der damit entstandenen und von dem Verstorbenen nicht zu vertretenden Beweisnot gibt es andererseits keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verstorbene, der ja Arbeitnehmer des Judenrates war, von diesem für seine Leistungen weniger Entgelt erhalten haben könnte, als es 1/6 des Ortslohnes eines polnischen Hilfsarbeiters entsprach.

9. Der Verstorbene erhielt für seine Arbeit im Ghetto auch keine anderweitigen Leistungen aus einem System sozialer Sicherheit. Da er sich seit 1949 in Israel aufgehalten hat, kommen insoweit nur Leistungen aus dem dortigen Sicherungssystem in Betracht. Insofern ist für den Senat aus einer Vielzahl von Streitverfahren nach dem ZRBG offenkundig (§ 202 SGG i.V.m. § 291 ZPO) und im Übrigen zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass in den Leistungen der israelischen Nationalversicherung ausschließlich Zeiten ab deren Einrichtung im April 1954 Berücksichtigung finden, nicht jedoch Zeiten nationalsozialistischer Verfolgung.

10. Die Anerkennung von Beitragszeiten scheitert schließlich nicht daran, dass der Verstorbene eine Entschädigung nach dem EVZStiftG erhalten hat. Wie der Senat nämlich bereits entschieden hat, erstrecken sich die in § 16 Abs. 1 S. 2 EVZStiftG geregelte Ausschlusswirkung und die Verzichtswirkung des § 16 Abs. 2 S. 2 EVZStiftG nicht auf den Anspruch auf Zahlung einer Rente aufgrund von Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1 ZRBG (Senat, Urteil vom 18.06.2008, L 8 R 298/07, sozialgerichtsbarkeit.de, mit eingehender Begründung).

Auf die Wartezeit von 60 Monaten sind neben den sieben Monaten Beschäftigungszeiten Beitragsmonate anrechenbar, die der Betroffene in Israel in ausreichender Zahl (insgesamt 395) zurückgelegt hat (Art 20 Abs. 1 DISVA).

Da der Verstorbene den Rentenantrag am 04.11.2002 gestellt hat, beginnt die Regelaltersrente am 01.07.1997 (§ 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG i.V.m. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Sie endet gemäß § 102 Abs. 5 SGB VI am 31.05.2004, da der Ehemann der Klägerin am 10.05.2004 gestorben ist.

II. Für die Zeit ab 01.06.2004 hat die Klägerin Anspruch auf die Gewährung von Witwenrente. Nach § 46 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB VI in der bis zum 31.12.2007 maßgebenden Fassung (a.F., vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI) haben Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, insbesondere unter der Voraussetzung, dass sie das 45. Lebensjahr vollendet haben, Anspruch auf kleine oder große Witwenrente, wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Die für den Rentenanspruch erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§§ 35 Nr. 2, 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) ist erfüllt, weil auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten im Sinne des SGB VI gemäß den obigen Ausführungen zur Erfüllung der Wartezeit für die Regelaltersrente vorliegen. Die übrigen Voraussetzungen, unter ihnen die unterbliebene Wiederheirat der Klägerin, deren Vorliegen zwischen den Beteiligten nicht im Streit liegt - sind ebenfalls gegeben.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat überdies keinen Anlass gehabt, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG). Sämtliche angesprochenen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des BSG bereits hinreichend geklärt. Der vorliegende Rechtsstreit wirft ausschließlich Fragen der einzelfallbezogenen Beweiswürdigung auf.
Rechtskraft
Aus
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