L 7 SO 69/08 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 27 SO 2/08 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 SO 69/08 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 2008 wird zurückgewiesen.

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

III. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1939 geborene Antragstellerin bezieht von der Knappschaft Bahn See eine Regelaltersrente in Höhe von 873,78 EUR (netto). Sie ist zumindest seit dem Sommersemester 2006 - nach ihren Angaben sogar seit 1975 - bei der J. Universität in X. als Studentin eingeschrieben; für das Sommersemester 2006, das Wintersemester 2006/2007 und das Sommersemester 2007 entrichtete sie studentische Beiträge in Höhe von 243 EUR, 245 EUR und 247,50 EUR (Studiengebühren waren nicht zu entrichten).

Nach Zwangsräumung der damals von ihr bewohnten Doppel-Eigentumswohnung lebte sie seit Oktober 2005 in der Übergangsunterkunft F.-Straße in X. Laut einem Schreiben vom 22. Januar 2007 der Stadt Frankfurt am Main, die die Kosten für diese Unterkunft getragen hatte, war die Stadt bereit, für die Anmietung einer Wohnung mit etwa 50 m² baujahrabhängig eine Grundmiete von 450 bis 550 EUR anzuerkennen; für eine Kostenzusage müsse ein schriftliches Angebot vorliegen.

Im März 2007 zog die Antragstellerin in eine 76 m² große Wohnung in der A.-Straße in A. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners, der vorher von der Antragstellerin nicht kontaktiert worden war. Die Gesamtmiete für die Wohnung beträgt monatlich 750 EUR, davon 550 EUR Grundmiete und 200 EUR Abschlagszahlungen auf Heizung, Warmwasser und sonstige Betriebskosten. Die Umzugskosten trug die Stadt X ...

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2007 mahnte die Vermieterin der Wohnung in A. rückständige Mietkosten in Höhe von 2.401 EUR sowie eine Kaution in Höhe von 1.500 EUR an.

Am 3. September 2007 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner Leistungen nach dem 12. Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) sowie die Übernahme der Mietrückstände. Beide Anträge lehnte der Antragsgegner mit Bescheiden vom 15. November 2007 vor allem ab, weil eine Außenprüfung ergeben habe, dass die Antragstellerin nicht gewöhnlich in A. lebe; er sei daher nach § 98 SGB XII nicht örtlich zuständig. Hiergegen legte die Antragstellerin am 14. Dezember 2007 Widerspruch ein, über den bislang - soweit ersichtlich - nicht entschieden worden ist.

Am 3. Januar 2008 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt und die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII im gesetzlichen Umfang sowie dem Sinne nach die Übernahme der Mietschulden geltend gemacht.

Mit Schreiben vom 17. Februar 2008 hat die Vermieterin der Antragstellerin fristlos die Wohnung gekündigt und sie aufgefordert, diese bis zum 15. März 2008 zu räumen; die Mietrückstände wurden nunmehr mit 4.699 EUR beziffert.

Am 25. Februar 2008 hat das SG einen Erörterungstermin durchgeführt. Nach der Sitzungsniederschrift hat sich der Antragsgegner, der seine Auffassung, er sei örtlich unzuständig, nicht weiter aufrechterhalten hat, darin bereit erklärt, sich selbst um eine für die Antragstellerin angemessene Wohnung zu bemühen und ihr möglichst bald ein Angebot für eine angemessene Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners zu machen. Die Antragstellerin erklärte dazu, nicht bereit zu sein, in eine kleinere Wohnung umzuziehen. Als Grund gab sie an: "Ich muss meine Sachen unterbringen können, das kann ich in einer kleineren Wohnung nicht und ich muss erst die Schadensfeststellung machen. Und außerdem kann ich nicht heben und tragen und es kostet alles sehr viel Geld."

Durch Beschluss vom 29. April 2008 hat das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch im Sinne des § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht glaubhaft gemacht. Sie beziehe eine Rente in einer Höhe, die es ihr grundsätzlich ermögliche, auf dem Stand eines Sozialhilfebeziehers ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Rechne man von ihrer Nettorente den Regelsatz von 347 EUR ab, so würden ihr 526,78 EUR zur Finanzierung einer Unterkunft verbleiben. Nach den Unterkunftsrichtlinien des Antragsgegners, die auch vom Hessischen Landessozialgericht mehrfach grundsätzlich als Maßstab für die Bemessung der angemessenen Kosten der Unterkunft gebilligt worden seien, sei für einen Einpersonenhaushalt in A. maximal eine Grundmiete von 374 EUR angemessen. Auch habe der Antragsgegner das Vorhandensein solchen Wohnraums konkret nachgewiesen. Die Antragstellerin sei damit grundsätzlich in der Lage, angemessenen Wohnraum und ihren allgemeinen Lebensunterhalt aus ihren eigenen Renteneinkünften zu decken, selbst wenn man ihr noch einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII zugestehe. Dass die Antragstellerin nicht in der Lage sein würde, die von ihr angemietete Wohnung mit einem gesamte Mietzins von 750 EUR im Monat aus eigener Kraft zu finanzieren, sei von vornherein klar gewesen. Der Antragsgegner habe eine Kostenübernahme abgelehnt und sei auch nicht verpflichtet gewesen, die angemietete Wohnung zu finanzieren, da diese nach den Maßstäben des SGB XII unter jedem Gesichtspunkt (Größe, Preis) offensichtlich unangemessen teuer sei. Insbesondere sei auch ein erhöhter Raumbedarf nicht glaubhaft gemacht. Wenn die Antragstellerin viele Kisten mit Papieren angesammelt habe, so folge daraus keine Rechtspflicht des Antragsgegners, für die Lagerung dieser Kisten Geld aufzuwenden. Ebenso wenig könne ein künstlerisches Hobby einen erhöhten Raumbedarf gegenüber dem Leistungsträger rechtfertigen. Die Wohnungsgröße bemesse sich nach der Personenzahl, nicht danach, welche Sachen diese Personen angesammelt hätten oder welchen Freizeitaktivitäten sie nachgehen möchten. Auch aus den von der Antragstellerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen lasse sich nichts für einen erhöhten Raumbedarf herleiten.

Durch weiteren Beschluss vom 29. April 2008 hat das SG auch den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sei ohne Aussicht auf Erfolg, wie sich aus den Gründen des den Antrag zurückweisenden Beschlusses vom gleichen Tage ergebe.

Gegen die ihr am 9. Mai 2008 zugestellten gerichtlichen Entscheidungen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 9. Juni 2008 eingegangenen Beschwerde. Sie trägt vor, dass sie seit Ende Januar/Anfang Februar 2008 an einer schweren Herzerkrankung leide, so dass sie nicht in der Lage gewesen sei "diese Rechtssachen" termingemäß zu erledigen. Außerdem sei sie "unrechtmäßig aus meiner Behindertenwohnung heraus gesetzt worden", so dass mit weiterem Verschulden der Behörden die Aktenvorgänge vermutlich abhanden gekommen seien.

Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),
unter Aufhebung der Beschlüsse des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 2008 den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB XII zu bewilligen, die Mietrückstände für die Wohnung A-Straße in A. zu übernehmen und ihr Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren sowie für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Nach seiner Auffassung gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidung des SG fehlerhaft ist.

Im Übrigen wird auf die Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerden sind unbegründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren und die Mietrückstände für die Wohnung A-Straße in A. zu übernehmen; desgleichen hat es zutreffend die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren abgelehnt.

Die grundsätzlichen Voraussetzungen, unter denen eine einstweilige Anordnung nach § 80b Abs. 2 SGG ergehen kann, hat das SG ausführlich und ohne Rechtsfehler dargestellt. Auf diese Darlegungen kann ebenso gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG Bezug genommen werden wie auf seine Ausführungen zum Fehlen eines Anordnungsanspruchs in Bezug auf die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41, 42 SGB XII). Tatsächlich ist es so, dass die Antragstellerin ihren notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann, da ihr anzurechnendes Einkommen in Höhe von 873,78 EUR ihren Grundsicherungsbedarf von 781 EUR (Regelsatz 347 EUR plus angemessene Unterkunftskosten: Grundmiete 374 EUR und Heizkosten 60 EUR) erheblich überschreitet, und zwar auch dann, wenn der Antragstellerin noch ein Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII für kostenaufwändige Ernährung zugestanden würde. Dabei hat das SG auch zutreffend auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats Bezug genommen, der zufolge die die Angemessenheit der Unterkunftskosten (§ 29 Abs. 1 SGB XII) konkretisierenden Richtlinien des Antragsgegners, die zu dem Grenzbetrag von 347 Euro führen, rechtlich unbedenklich sind (Beschluss vom 28. März 2006 – L 7 AS 122/05 ER und L 7 AS 121/05 ER).

Der Senat vermag in Übereinstimmung mit dem SG einen individuellen Mehrbedarf der Antragstellerin auch nicht wegen eines zusätzlich beanspruchten Wohnraums anzuerkennen. Den diesbezüglichen Ausführungen des SG ist nichts hinzuzufügen. Soweit die Antragstellerin darauf hinweist, sie leide seit Ende Januar/Anfang Februar 2008 an einer schweren Herzerkrankung, weshalb sie nicht in der Lage gewesen sei, "diese Rechtssachen termingemäß zu erledigen", vermag ebenfalls einen Mehrbedarf nicht zu begründen. In dem von ihr vorgelegten Attest des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie A. W. vom 15. Juli 2008 wird zwar erklärt, dass wegen der weiteren gesundheitlichen Verschlimmerungen seit Ende Januar/Anfang Februar 2008 und wegen der bevorstehenden Diplomprüfung ein Verbleib der Antragstellerin in der jetzigen Wohnung notwendig sei; wegen ihrer chronischen Erkrankungen sei die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Wiederaufrollen der Verfahren)" notwendig. Erkennbar handelt es sich bei diesem Attest, zumal es weder Befunde noch Diagnosen enthält, um ein Gefälligkeitsattest, da der Arzt ohne nähere Erläuterung die von der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 9. Juni 2008 gewählten Begrifflichkeiten (Wiederaufrollung des Prozesses) aufgreift. Dass es sich bei dem Attest um eine Gefälligkeit ohne besonderen Aussage handelt, entnimmt der Senat auch der Tatsache, dass von der Antragstellerin trotz der nunmehr geltend gemachten Verschlimmerungen anlässlich ihrer persönlichen Anhörung im Erörterungstermin des SG am 25. Februar 2008 keine Rede davon gewesen ist, zu einem Umzug aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage zu sein. Lediglich davon war die Rede, dass sie vorhabe, eine Krankenanstalt in K. aufzusuchen, weil dort das einzige Krankenhaus sei, das sich mit Organ-TBC auskenne. Dass sie nicht schwer Heben und Tragen kann ist, ist glaubhaft, vor dem Hintergrund, dass sie sich bei einem Umzug der Hilfe Dritter bedienen könnte, jedoch unerheblich.

Auch einen Anordnungsanspruch auf Übernahme der rückständigen Mietkosten hat das SG zu Recht verneint. Zwar können nach § 34 Abs. 1 SGB XII Schulden übernommen werden, dies aber nur, wenn die Übernahme zur Sicherung der Unterkunft und zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (S. 1). Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (S. 2). Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden (S. 3).

Vorliegend erscheint die Übernahme der Mietschulden nicht gerechtfertigt. Zweck einer solchen Schuldenübernahme ist es, die bisherige Wohnung als Unterkunft zu erhalten. Kann dieser Zweck nicht erreicht werden, weil die Wohnung auf Dauer nicht gehalten werden kann, scheidet eine Schuldenübernahme aus. Das ist hier der Fall, weil die Antragstellerin mit ihrem Renteneinkommen objektiv nicht in der Lage sein wird, einen Gesamtmietzins von 750 EUR im Monat aus eigener Kraft zu finanzieren. Die Prognose eines längerfristigen Fortbestandes des Mietverhältnisses über die Wohnung in A. fällt damit negativ aus. Darüber hinaus ist die Schuldenübernahme auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil es sich bei der Wohnung der Antragstellerin um eine unangemessen teure Unterkunft handelt. Insoweit gilt für Leistungen nach § 34 Abs. 1 SGB XII dasselbe wie für Leistungen nach der Parallelvorschrift des § 22 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). Diese sind zur Sicherung einer in Bezug auf die Kosten nicht angemessenen Unterkunft grundsätzlich ebenfalls nicht gerechtfertigt (vgl. dazu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Januar 2008 - L 26 B 203/07 AS ER, juris, mit weiteren Nachweisen).

Mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO) ist schließlich zu Recht auch der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagende Beschluss des SG ergangen. Aus der gleichen rechtlichen Erwägung kam die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ebenfalls nicht in Betracht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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