L 8 SB 1978/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 SB 9653/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1978/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. April 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.

Der 1955 geborene Kläger stellte am 27.12.2004 beim Versorgungsamt Stuttgart einen Erstantrag nach dem SGB IX und machte zur Begründung in erster Linie Beschwerden im Bereich des rechten Kniegelenks geltend. Nach Einholung von Arzt- und Klinikberichten, insbesondere mehrerer Operationsberichte aus den Jahren 2003 und 2004 (Operationen am rechten Kniegelenk) und des Kurentlassungsberichts der Fachkliniken H. vom 09.02.2004 und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hierzu stellte das Landratsamt Böblingen (LRA) mit Bescheid vom 02.05.2005 unter Berücksichtigung von "Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Knorpelschäden am rechten Kniegelenk, operiert" einen GdB von 20 seit 27.12.2004 fest.

Dagegen legte der Kläger am 13.05.2005 Widerspruch ein und machte einen GdB von mindestens 50 geltend. Nach Einholung weiterer ärztlicher Unterlagen, insbesondere des Kurentlassungsberichts der Fachkliniken H. vom 07.06.2005 wurde versorgungsärztlicherseits ein GdB von 30 vorgeschlagen. Mit Teilabhilfebescheid vom 04.08.2005 stellte das LRA einen GdB von 30 seit 27.12.2004 fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2005, der nach dem aktenkundigen Vermerk am "08.09.2002" an den vertretenen Kläger selbst abgesandt wurde, wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch des Klägers zurück.

Mit Schreiben vom 11.08.2005 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers um Erlass eines Widerspruchsbescheides. Am 29.11.2006 - die auf die Erstattung höherer außergerichtlichen Kosten des Klägers gerichtete Klage S 17 SB 8281/05 war mit Urteil des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 22.11.2006 abgewiesen worden - wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an das LRA und teilte unter Hinweis auf die Ausführungen im Urteil vom 22.11.2006 mit, von dem dort genannten Widerspruchsbescheid vom 29.08.2005 sei dem Kläger nichts bekannt. Im Rahmen der vom Kläger gegen den Beklagten erhobenen Untätigkeitsklage S 17 SB 8425/06 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 12.12.2006 der Widerspruchsbescheid vom 29.08.2005 übersandt.

Am 18.12.2006 erhob der Kläger Klage zum SG und machte geltend, nachdem er den Widerspruchsbescheid nicht erhalten habe, sei die Klage auch jetzt noch zulässig. In der Sache brachte der Kläger vor, sein Gesundheitszustand sei vom Beklagten bisher nicht hinreichend berücksichtigt worden. Er leide unter vielfachen Gesundheitsstörungen, insbesondere auf orthopädischem Gebiet.

Das SG hörte zunächst den Radiologen Dr. B., den Orthopäden Dr. H., den Klinikarzt Dr. K. und Dr. M. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. H. gab am 12.03.2007 an, der Kläger leide unter einer Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks bei Knieteilendoprothese. Diese Gesundheitsstörung sei als schwer einzustufen und mit einem GdB von 40 zu bewerten. Daraufhin unterbreitete der Beklagte dem Kläger am 24.04.2007 ein Vergleichsangebot (GdB 40 ab 27.12.2004), das der Kläger ablehnte. Anschließend holte das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Orthopäden Dr. V. ein fachärztliches Gutachten ein. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers gelangte der Sachverständige am 15.01.2008 zu der Beurteilung, beim Kläger bestehe ein Zustand nach Implantation einer Knietotalendoprothese rechts mit verbliebenem Beuge- und Streckdefizit bei vorangegangenen mehrfachen Kniegelenksoperationen mit deutlichen Belastungsschmerzen bei retropatellarer Arthrose. Die Gesundheitsstörung sei als mittelgradig bis schwer zu beurteilen und mit einem GdB von 40 umfassend gewürdigt.

Mit Urteil vom 10.04.2008 hob das SG die angegriffenen Bescheide auf und verurteilte den Beklagten, beim Kläger einen GdB von 40 ab 27.12.2004 festzustellen. Im Wesentlichen gestützt auf die Angaben von Dr. H. und das Gutachten von Dr. V. sowie die Beurteilungskriterien der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", 2008 (AHP) hielt es einen GdB von 40 für das Kniegelenksleiden des Klägers für angemessen.

Dagegen hat der Kläger am 25.04.2008 Berufung eingelegt, mit der er weiterhin einen GdB von 50 geltend macht. Er bringt vor, eine einseitige Kniegelenksendoprothese bedinge einen Mindest-GdB von 30. Dieser Mindestwert sei aber nur dann gerechtfertigt, wenn weder eine Einschränkung der Bewegungsmöglichkeit noch eine Einschränkung der Belastungsmöglichkeit des betroffenen Gelenks vorliege. Außerdem dürften keine Weichteilveränderungen bestehen. Der Sachverständige Dr. V. habe aber sowohl eine erhebliche Bewegungseinschränkung als auch glaubhaft beklagte Belastungsschmerzen sowie erhebliche Weichteilveränderungen bescheinigt. Dies rechtfertige nicht nur die Annahme eines GdB von 40, sondern eines solchen von 50. Ein GdB von höchstens 40 für eine einseitige Kniegelenksendoprothese ergebe sich aus den AHP nicht. Vielmehr werde dort ausgeführt, dass ein Gliedmaßenschaden ungünstiger sein kann als ein Gliedmaßenverlust. Im Übrigen beanstande er die Kostenentscheidung (Erstattung von nur ein Drittel seiner außergerichtlichen Kosten), nachdem er genau zur Hälfte obsiegt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. April 2008 und den Be- scheid des Beklagten vom 4. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 29. August 2005 abzuändern und den Beklagten zu ver- urteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 seit 27. Dezember 2004 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und legt die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 14.11.2008 vor. Ein GdB von 40 sei nicht zu niedrig. Eine Gleichstellung des Klägers mit einem einseitig Unterschenkelamputierten sei nicht gerechtfertigt.

Der Senat hat von Dr. V. eine ergänzende Stellungnahme eingeholt. Dieser hat am 19.09.2008 ausgeführt, angesichts der vorhandenen Narbenbildung nach insgesamt 5 operativen Eingriffen am rechten Kniegelenk und der auch für eine Kniegelenksendoprothese verminderten Beweglichkeit mit Beugung/Streckung von 90/5/0 ° und verbliebener Retropatellararthrose könne auch eine Gleichstellung des Klägers mit einem Behinderten, der bei gutem postoperativem Ergebnis beidseits endoprothetisch versorgt und deshalb ein GdB von 50 anzunehmen ist, vertreten werden. Anschließend hat der Senat von dem Orthopäden Dr. Z. ein fachärztliches Gutachten eingeholt. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 26.01.2009 ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, beim Kläger bestehe ein Zustand nach Kniegelenksteilersatzoperation, die zu einer Funktionseinschränkung hinsichtlich der Beuge- und Streckfähigkeit des Kniegelenks rechts geführt habe. Er stufe dieses Leiden als mittelschwer ein. Angesichts des in den AHP bei einem endoprothetischen Ersatz des Kniegelenks vorgesehenen Mindest-GdB von 30 und der hier vorliegenden Bewegungseinschränkung von 0/10/90 für die Streckung und Beugung, die einen GdB von 20 bedinge, sei für das Kniegelenk zusammenfassend ein GdB von 40 gerechtfertigt. Die Wirbelsäulenschäden des Klägers seien mit einem GdB von 10 zu bewerten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann über die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, da er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Das SG hat mit dem vom Kläger angefochtenen Urteil den Beklagten zu Recht zur Feststellung eines GdB von (nur) 40 verurteilt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50.

Das SG ist unter Heranziehung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften (§ 69 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 SGB IX) und der zum damaligen Entscheidungszeitpunkt maßgebenden Beurteilungsgrundsätze der AHP sowie gestützt auf das orthopädische Gutachten von Dr. V. vom 15.01.2008, die Angaben der behandelnden Ärzte des Klägers und den Kurentlassungsbericht vom 07.06.2005 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Behinderung des Klägers mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet ist. Der Senat, der zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vom SG zitierten Rechtsgrundlagen und Bewertungsregeln Bezug nimmt, kommt unter zusätzlicher Berücksichtigung der im Berufungsverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme von Dr. V. und dem von Amts wegen eingeholten orthopädischen Gutachten von Dr. Z. zum selben Ergebnis. Die Funktionsbeeinträchtigung des Klägers im Bereich des rechten Kniegelenks rechtfertigt keinen höheren GdB als 40. Diese Beurteilung des Senats gründet sich - neben den vom SG zugrunde gelegten ärztlichen Äußerungen - in erster Linie auf das vom Senat eingeholte orthopädische Gutachten von Dr. Z. vom 29.01.2009. Aus diesem Gutachten, das den Senat überzeugt, ergibt sich, dass das Kniegelenksleiden des Klägers mit einem GdB von 40 nicht zu niedrig bewertet ist. Zu dieser Beurteilung war auch bereits der auf Antrag des Klägers gehörte Orthopäde Dr. V. in seinem für das SG erstatteten Gutachten vom 15.01.2008 gekommen. Soweit Dr. V. in seiner ergänzenden Stellungnahme gegenüber dem Senat vom 19.09.2008 seine Bewertung dahingehend relativiert hat, dass auch eine Gleichstellung des Klägers mit einem an beiden Kniegelenken endoprothetisch versorgten Behinderten vertreten werden könne, folgt ihm der Senat nicht. Nach Teil B Nr. 18. 12, S. 92 der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VG), die seit 01.01.2009 an die Stelle der AHP getreten sind, ist bei Endoprothesen der Gelenke die Höhe des GdB abhängig von der verbliebenen Bewegungseinschränkung und Belastbarkeit. Bei einem einseitigen endoprothetischen Kniegelenksersatz sehen die VG einen Mindest-GdB von 30 vor. Unter Berücksichtigung der verbliebenen Bewegungseinschränkung im Kniegelenk, die nach dem Gutachten von Dr. Z. für die Streckung und Beugung 0/10/90 beträgt, würde sich nach Nr. 18.14, S. 100 der VG bei isolierter Betrachtungsweise der Bewegungseinschränkung ein GdB von 20 ergeben. Diese Bewegungseinschränkung mittleren Grades rechtfertigt es nach Auffassung des Senats, den Mindest-GdB für den endoprothetischen Kniegelenksersatz von 30 auf 40 zu erhöhen. Eine Addition der genannten Teil-GdB-Werte ist auch in diesem Fall nicht zulässig. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es trotz dieser Bewegungseinschränkung mittleren Grades nicht vertretbar erscheint, einen GdB von 50 anzunehmen, der erst bei einem beidseitigen endoprothetischen Kniegelenksersatz vorgesehen ist. Die unterschiedlichen Beeinträchtigungen bei einem einseitigen künstlichen Kniegelenk gegenüber beidseitigen künstlichen Kniegelenken andererseits müssen bei der Bewertung zum Ausdruck kommen und dürfen nach Auffassung des Senats nicht nivelliert werden. Die einseitige Beeinträchtigung des Klägers erreicht nicht die mit einem GdB von 50 bewertete Funktionsminderung einer einseitigen Unterschenkelamputation.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts lässt keine Ermessensfehler erkennen.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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