L 9 U 5399/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 2278/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5399/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Februar 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2004 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 140,50 EUR zu erstatten.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Erstattung von Kosten für Pflegemittel von Kontaktlinsen.

Der 1945 geborene Kläger erlitt am 6.11.1978 bei seiner versicherten Tätigkeit im Steinbruch einen Arbeitsunfall, als bei der Arbeit an der Vorbrechanlage ein Stein von der Kette ab und gegen das rechte Auge des Klägers sprang.

Mit Bescheid vom 14.9.1979 anerkannte die Beklagte als Folgen des Arbeitsunfalls am rechten Auge: Hornhautnarbe mit hohem Astigmatismus, Linsenlosigkeit mit hinteren Synechien und Glaskörpervorfall in die Vorderkammer, Lichtscheu, Herabsetzung des Sehvermögens und dadurch bedingte Beeinträchtigung des beidäugigen räumlichen Sehens nach schwerer perforierender Verletzung des rechten Auges mit Wundstar und gewährte dem Kläger ab 12.3.1979 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH. Der Kläger erhielt wegen der Folgen des Arbeitsunfalls Kontaktlinsen für das rechte Auge; die Kosten für die Kontaktlinsenpflegemittel trug die Beklagte. Nachdem die Beklagte für die im Falle des Klägers erforderliche rotations-symmetrische asphärische weiche Kontaktlinse den vom behandelnden Arzt am 23.4.1998 in Rechnung gestellten Betrag von 205,00 DM noch übernommen hatte, erstattete sie seit Februar 2000 (vgl. Rechnungen vom 17.2.2000 und vom 18.7.2000) noch den in der Festbetragsregelung (Festbeträge für Sehhilfen gem. § 36 Abs. 2 SGB V für Baden-Württemberg) unter der Gruppe 25.21.53.1 ausgewiesenen Betrag von 140,00 DM pro Kontaktlinse.

Mit Schreiben vom 24.9.2003 übersandte die Beklagte dem Kläger ein Schreiben an den Optiker K. vom selben Tage, in dem sie ausführte, die Rechnung vom 9.9.2003 über Pflegemittel von 139,- EUR (Verordnungen vom 17.4.2003 und vom 2.7.2003) könne nicht beglichen werden, da entsprechend § 31 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII Festbeträge für Hilfsmittel gelten würden. Mit dem Festbetrag von Kontaktlinsen seien sämtliche im Zusammenhang mit der Abgabe von Kontaktlinsen entstandenen Kosten abgegolten. Neue Festbeträge für Sehhilfen seien in Baden-Württemberg mit Wirkung vom 1.1.1997 festgelegt. Auf den Anruf des Klägers vom 30.9.2003 erklärte sich die Beklagte bereit, letztmalig den Betrag für Pflegemittel zu übernehmen.

Mit Schreiben vom 10.3.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie die Rechnung vom 9.4.2003 über 140,50 EUR für Pflegemittel (Verordnungen vom 15.9.2003, 5.11.2003 und 4.2.2004) nicht begleichen werde. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.7.2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, soweit für Hilfsmittel Festbeträge im Sinne des § 36 SGB V festgesetzt worden seien, gelte § 29 Abs. 1 Satz 1 und 3 entsprechend. Diese gesetzliche Vorschrift sei am 1.1.1997 in Kraft getreten. Die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der Ersatzkassen hätten auf der Grundlage des von den Spitzenverbänden der Krankenkassen gem. § 36 Abs. 1 SGB V überarbeiteten Festbetragskopplungssystems für Sehhilfen vom 26.8.1996 und der Produktgruppe "Sehhilfen" im Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 SGB V gemeinsam und einheitlich im Bereich des Landes Baden-Württemberg betreffend Kontaktlinsen u. a. festgelegt, dass mit dem Festbetrag für Kontaktlinsen sämtliche im Zusammenhang mit der Abgabe von Kontaktlinsen entstehenden Kosten, d. h. insbesondere nachstehende Positionen, so u. a. die Abgabe mit Aufbewahrungsbehälter für die Nassaufbewahrung, Sauger, Reinigungs- und Aufbewahrungsflüssigkeiten abgegolten seien.

Hiergegen hat der Kläger am 29.7.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben, mit der er die Erstattung von 140,50 EUR für Pflegemittel begehrte.

Mit Gerichtsbescheid vom 6.2.2007 hat das SG die Klage abgewiesen und auf die Gründe im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.9.2001 - B 2 U 38/00 R - (HVBG-Info 2001, 2765-2772 und Juris) könne sich der Kläger nicht stützen, da diesem ein anderer Sachverhalt - Zerstörung einer Brille durch Arbeitsunfall - zu Grunde liege.

Gegen den am 12.2.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.2.2007 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 13.11.2007 hat der Senat die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn zugelassen.

Zur Begründung der Berufung hat der Kläger ausgeführt, wenn für Hilfsmittel Festbeträge festgesetzt sein, seien diese in der gesetzlichen Unfallversicherung nur dann leistungsbegrenzend, wenn die zu diesen Festbeträgen gelieferten oder lieferbaren Hilfsmittel die Unfallfolgen optimal ausglichen oder milderten, wie sich aus dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Schleswig-Holstein vom 19.12.2001 - L 8 U 80/01 - ergebe. Dies bedeute auch, dass abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles ein in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherter Verletzter einen weitergehenden Leistungsanspruch haben könne als ein in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherter Erkrankter.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Februar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 140,50 EUR zu erstatten, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Sie erwidert, mit der in § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB VII erfolgten Bezugnahme auf § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VII werde deutlich, dass der Gesetzgeber die Kostenerstattung für Hilfsmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich gleich regeln wollte. Es gebe auch keinen sachlichen Grund für eine Kostenübernahme der Pflegemittel für Kontaktlinsen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung, obwohl eine solche im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung nicht möglich sei.

Die Beklagte hat auf Anforderung des Senats die von den Landesverbänden der Krankenkassen sowie den Verbänden der Ersatzkassen im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung festgesetzten Festbeträge für Sehhilfen gem. § 36 Abs. 2 SGB V für Baden-Württemberg vorgelegt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die durch den Senat zugelassene Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Pflegemittel für Kontaktlinsen. Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers sind §§ 26 Abs. 1, 27 Abs.1 Ziff. 4 und 31 Abs. 1 SGB VII. Danach hat der Kläger nach Maßgabe der dem § 26 SGB VII folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Anspruch auf Heilbehandlung, wozu insbesondere auch die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln gehört. Hilfsmittel sind alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen (§ 31 Abs.1 Satz 1 SGB VII). Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel (Satz 2). Soweit für Hilfsmittel Festbeträge im Sinne des § 36 des Fünften Buches festgesetzt sind, gilt § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 entsprechend (Satz 3). § 29 Abs. 1 Satz 2 SGB VII bestimmt, dass der Unfallversicherungsträger die Kosten bis zur Höhe der Festbeträge trägt, wenn das Ziel der Heilbehandlung mit Arznei- und Verbandmittel zu erreichen ist, für die Festbeträge im Sinne des §§ 35 oder 35a des Fünften Buches festgesetzt sind.

Der Kläger hat seit seinem Arbeitsunfall im Jahr 1978 - unstreitig - Anspruch auf Kontaktlinsen für das rechte Auge, die ausweislich der Akten vor der hier streitigen Rechnung vom 9.4.2003 zuletzt im Jahr 2000 verordnet und von der Beklagten mit dem den in der Festbetragsregelung unter der Gruppe 25.21.53.1 ausgewiesenen Betrag von 140,00 DM pro Kontaktlinse übernommen wurden (vgl. Rechnungen vom 17.2.2000 und vom 18.7.2000).

Zur ordnungsgemäßen Benutzung der Kontaktlinsen benutzt und benötigt der Kläger Pflegemittel für die Kontaktlinsen, die ärztlich verordnet wurden. Hierfür fielen vierteljährlich Kosten in Höhe von 69,50 EUR an (vgl. Verordnungen vom 17.4.2003, 2.7.2003 und vom 4.2.2004). Die Notwendigkeit von Pflegemittel beim Gebrauch von Kontaktlinsen durch den Kläger bestreitet die Beklagte nicht.

Nach der Rechtsprechung des BSG umfasst der Anspruch auf Hilfsmittel alles, was erforderlich ist, um den Versicherten den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Hilfsmittels zu ermöglichen (BSG, Urt. vom 22.6.2004 -B 2 U 11/03 R- SozR 4-2700 § 31 Nr. 1 m. w. N.) und somit auch die erforderlichen Pflegemittel für die Kontaktlinsen.

Der Senat vermag aus § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB VII auch nicht zu entnehmen, dass mit der Verweisung auf die Festbeträge für bestimmte Hilfsmittel (hier: Kontaktlinsen) eine Erstattung für die Pflegemittel der Hilfsmittel in der gesetzlichen Unfallversicherung ausgeschlossen wurde. Nach dem Wortlaut verweist § 31 Abs.1 Satz 3 SGB VII auf Festbetragsregelungen für Hilfsmittel im Sinne des § 36 SGB V. Aus diesen ergibt sich ein Ausschluss von Pflegemittel für Kontaktlinsen nicht. Die in der Festbetragsfestsetzung für Sehhilfen gem. § 36 Abs. 2 SGB V unter Abschnitt II enthaltene Regelung, wonach mit dem Festbetrag für Kontaktlinsen sämtliche im Zusammenhang mit der Abgabe von Kontaktlinsen entstehenden Kosten, insbesondere 5. die Abgabe mit Aufbewahrungsbehälter für die Nassaufbewahrung, Sauger, Reinigungs- und Aufbewahrungsflüssigkeiten abgegolten sind, umfasst nach dem Wortlaut lediglich die Kosten für die Aufbewahrungsbehälter u.a. für Reinigungs- und Aufbewahrungsflüssigkeiten, schließt jedoch die Erstattung der Kosten für die Pflegemittel nicht aus. Im Übrigen bedarf es im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auch keines Ausschlusses der Kosten für Pflegemittel für Kontaktlinsen durch die Festbetragsregelung auf der Grundlage des § 36 SGB V, weil gemäß § 33 Abs. 3 Satz 4 SGB V schon von Gesetzes wegen die Kosten für Pflegemittel nicht übernommen werden.

Die vom BSG im Urteil vom 11.9.2001 - B 2 U 38/00 R - (aaO) in den die Entscheidung nicht tragenden Ausführungen vertretene Auffassung, es wäre auch vertretbar, die gesamten Regelungen über Hilfsmittel in der GKV als durch § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB VII geltend anzusehen, wovon auch § 33 Abs. 3 Satz 4 SGB V umfasst wäre, kann der Senat schon anhand des Wortlauts nicht nachvollziehen. Eine Geltung des § 33 Abs. 3 Satz 4 SGB V über § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB VII würde aber auch den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung widersprechen. Der 3. Senat des BSG (Urteil vom 9.3.1994 - 3/1 RK 11/93 - SozR 3-2500 § 33 Nr. 6) hat den Leistungsausschluss für Pflegemittel auch bei der Versorgung mit Kontaktlinsen in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen damit gerechtfertigt, dass sich Kontaktlinsen wegen ihrer praktischeren Handhabung den Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens annäherten, die von der Leistungspflicht der GKV ausgenommen seien, und dass der Gesetzgeber durch den Leistungsausschluss den praktizierten medizinischen Anwendungsbereich der Kontaktlinsen insgesamt nicht als notwendig ansehe.

Diese Überlegungen verbieten sich im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn Kontaktlinsen, wie im Falle des Klägers, wegen des Ausgleichs von unfallbedingten Sehstörungen unabdingbar erforderlich sind. Denn anders als in der Krankenversicherung, die nur notwendige Leistung zu erbringen hat (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V), hat der Unfallversicherungsträger zur Heilbehandlung alle geeigneten Mittel einzusetzen (§ 26 Abs. 2 SGB VII). Dementsprechend muss im Konfliktfall die Kostendämpfung hinter der Qualität der medizinischen Versorgung zurücktreten; entscheidend ist, ob das Rehabilitationsziel erreicht wird (Benz in Hauck, Sozialgesetzbuch, SGB VII, Gesetzliche Unfallversicherung, § 31 Rdnr. 23 u. 23a).

Nach alledem waren die angefochtenen Bescheide der Beklagten und der angefochtene Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für die Pflegemittel von Kontaktlinsen in Höhe von 140,50 EUR zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG zugelassen, weil der Umfang der Verweisung in § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB VII auf Regelungen des SGB V höchstrichterlich nicht geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
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