L 8 SB 1447/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 6694/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1447/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.

Die am 1945 geborene Klägerin stellte am 15.05.2002 beim Versorgungsamt Stuttgart (VA) einen Erstantrag nach dem SGB IX und gab an, sie leide an Fibromyalgie, Beschwerden im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule, Schulterbeschwerden links, Schwindelanfällen und an Taubheit links. Nach Einholung von Befundberichten von dem HNO-Arzt Dr. S. (nebst Tonaudiogramm vom 30.01.2001 und weiteren Arztberichten) und ihrem Hausarzt Dr. A. sowie einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hierzu stellte das VA mit Bescheid vom 10.10.2002 unter Berücksichtigung eines Fibromyalgiesyndroms, degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule und eines Schulter-Arm-Syndroms sowie von Schwindel und Taubheit links einen GdB von 40 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz seit 15.05.2002 fest.

Dagegen legte die Klägerin am 08.11.2002 Widerspruch ein und machte einen GdB von mindestens 60 geltend. Zur Begründung brachte sie vor, die Auswirkungen des bei ihr vorliegendenFibromyalgiesyndroms, insbesondere auf ihre Erwerbsfähigkeit, seien nicht genügend berücksichtigt worden. Diese Erkrankung erfordere sehr viel Ruhepausen und verursache wegen unerträglicher Schmerzattacken tagelange Bewegungsunfähigkeit. Im Grunde seien die davon Betroffenen erwerbsunfähig und damit auch schwerbehindert. Die Klägerin legte den Untersuchungsbericht des Internisten und Rheumatologen Dr. W. vom 08.08.2002 (Diagnosen: Fibromyalgiesyndrom (sämtliche "Tenderpoints" positiv) und Wirbelsäulensyndrom) und den Bericht des Orthopäden Dr. K. vom 12.08.2002 vor. In seinem vom VA eingeholten Behandlungsbericht vom 16.07.2003 gab Dr. W. an, aufgrund der Anamnese und des klinischen Untersuchungsbefundes könne die Diagnose eines Fibromyalgiesyndroms gestellt werden. Außerdem bestünden bei der Klägerin ein chronisch-rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom bei vorbefundlich nachgewiesenen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen sowie eine linksseitige Periarthropathia humero scapularis. Wegen des glaubhaft hohen Leidensdrucks seitens des chronischen Schmerzsyndroms halte er einen Gesamt-GdB von 50 für gerechtfertigt. In der hierzu eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.08.2003 wurde die Auffassung vertreten, das außergewöhnliche Schmerzsyndrom sei berücksichtigt. Der Befund rechtfertige keinen höheren GdB. Berufliche Gesichtspunkte könnten nicht berücksichtigt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.2003 wies das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg den Widerspruch der Klägerin zurück.

Am 09.12.2003 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der sie einen GdB von 50 geltend machte. Schon das Fibromyalgiesyndrom beeinträchtige sie sowohl in ihrem Alltag als auch hinsichtlich ihrer Arbeitsfähigkeit derart, dass sie als erwerbsunfähig zu gelten habe. Hinzu komme, dass durch dieses Leiden die unstreitig bei ihr vorhandenen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und das Schulter-Arm-Syndrom extrem verstärkt würden. Durch die Verminderung des Hörvermögens und die ständigen Schwindelanfälle sei auch ihr Anpassungs- und Konzentrationsvermögen stark eingeschränkt. Das Ausmaß ihrer Beeinträchtigung entspreche entgegen der Behauptung des Beklagten durchaus dem Verlust einer Hand oder der vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule. Die Klägerin übersandte den Bericht des Facharztes für Anästhesiologie T. vom 17.12.2003 über die seit 13.06.2003 durchgeführte schmerztherapeutische Behandlung. Ferner übersandte sie den Bericht von Dr. E., Chefärztin des Rheumazentrums Oberammergau, vom 31.03.2005 über ihre stationäre Behandlung vom 02.03.2005 bis 16.03.2005 (Diagnosen: Fibromyalgiesyndrom mit generalisierten Schmerzen und druckschmerzhaften Tenderpoints, arterielle Hypertonie, chronisches Cervicalsyndrom bei Osteochondrose C4/C5 und C5 und C6), den Untersuchungsbericht des Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. B. vom 23.09.2004 (Beurteilung: Lungenfunktion regelrecht, keine Restriktion, Obstruktion oder Blähung) und den Bericht des Augenarztes Dr. W. vom 15.08.2005. Bei ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 16.12.2005 gab die Klägerin an, inzwischen habe sich bei ihr eine chronische Bronchitis entwickelt. Diese trete auf, sobald es feucht und kalt werde. Sie sei dann bei Tätigkeiten kurzatmig und habe starken Husten.

Das SG hörte den Anästhesiologen T., Dr. A. und Dr. K. schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Schmerztherapeut T. schilderte am 30.04.2004 den Krankheits- und Behandlungsverlauf und gab an, die Klägerin leide an einem schweren Fibromyalgiesyndrom und an einer schweren segmentalen Bewegungsstörung. Das Fibromyalgiesyndrom in Kombination mit den degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und dem Schulter-Arm-Syndrom sei mit einem GdB von 30 deutlich zu niedrig bewertet. Allein wegen diesen Beschwerden sei sicherlich ein GdB von 50 angemessen. Nennenswerte psychische Begleiterscheinungen bestünden nicht. Eine Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sei nicht vorhanden. Unter dem 02.09.2004 ergänzte er unter Vorlage des Kurentlassungsberichts der Rheumaklinik Bad Säckingen vom 11.05.2004 seine Angaben und teilte mit, unter der angegebenen schweren segmentalen Bewegungsstörung seien funktionelle Störungen im Bereich der Wirbelsäule und der zugehörigen Muskulatur zu verstehen. Es lägen rezidivierende Wirbelkörperblockierungen, insbesondere in den Schlüsselregionen (CO, ZTÜ, TLÜ und ISG) vor, die mit muskulären Dysbalancen und aktivierten myofascialen Triggerpunkten kombiniert seien. Dr. A. gab am 09.05.2004 unter Beifügung weiterer ärztlicher Unterlagen an, entgegen der Auffassung des Beklagten sei bei der Klägerin seines Erachtens aufgrund der schweren Fibromyalgie und der fachärztlichen Auffassung, dass selbst leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verrichtet werden könnten, ein GdB von mindestens 60 anzunehmen. Dr. K. berichtete am 17.08.2004 über den Behandlungsverlauf seit August 2001 und gab an, das bei der Klägerin bestehende Lendenwirbelsäulensyndrom habe sich ab Herbst 2003 verschlechtert. Bei der letzten Untersuchung am 05.02.2004 habe sie insoweit über Schmerzen mit Ausstrahlung in beide Beine und Schmerzen überall mit Ausnahme der Nasenspitze geklagt.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und machte geltend, die derzeit bekannte Befundsituation rechtfertige keinen höheren GdB als 40. Berufliche Beeinträchtigungen könnten nicht berücksichtigt werden. Er legte die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 27.12.2004 und Dr. W. vom 10.08.2005 vor.

Mit Urteil vom 16.12.2005 wies das SG die Klage ab. Es hielt einen GdB von insgesamt 40 für angemessen und bewertete das bei der Klägerin vorliegende Fibromyalgiesyndrom mit einem GdB von 30, die Hörminderung mit einem GdB von 20, die nur mit geringen funktionellen Auswirkungen verbundenen Wirbelsäulenschäden mit einem GdB von 10 und die chronische Bronchitis ebenfalls mit einem GdB von 10. Eine einen GdB bedingende Sehminderung liege nicht vor. Wegen der weiteren Gründe im Einzelnen wird auf das schriftliche Urteil Bezug genommen.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 23.02.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.03.2006 Berufung eingelegt, mit der sie weiterhin einen GdB von 50 geltend macht. Sie bringt vor, das SG habe das bei ihr vorliegende Fibromyalgiesyndrom zu niedrig bewertet. Dies beeinträchtige sie derart, dass sie sowohl in ihrem Alltag wie auch in ihrer Arbeitsfähigkeit so beeinträchtigt sei, dass sie als erwerbsunfähig zu gelten habe. Sie habe sich im Hinblick auf die psychischen Begleiterscheinungen dieser Erkrankung gänzlich aus dem öffentlichen gesellschaftlichen Leben zurückgezogen. Die Fibromyalgie als Dauerschmerz überall, zum Teil besonders stark an den Beinen, Händen und im Schulterbereich, besonders extrem an feuchten und kalten Tagen, äußere sich bei ihr so, dass sie bereits morgens zerschlagen und mit Schmerzen aufwache und Mühe habe, ihre Glieder in Bewegung zu bringen. Sie benötige für die alltäglichen Dinge des Lebens die doppelte Zeit wie vorher. Sie halte es für unabdingbar, dass die Fibromyalgie von einem Sachverständigen beurteilt werde, der sich hiermit gut auskenne. Die Häufigkeit ihrer Klinikaufenthalte - jährlich mindestens ein- bis zweimal - zeige die Krankheitsintensität. Ferner verweist die Klägerin darauf, dass bei ihr nach dem Befundbericht von Dr. S. vom 17.05.2003 eine Taubheit des linken Ohres und ein Hörverlust auf dem rechten Ohr vorliege, was einen GdB von mindestens 20 bedinge. Der Zustand im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule habe sich weiter verschlechtert. Außerdem sei es ihr nicht möglich, ihren linken Arm bzw. ihre linke Schulter frei zu bewegen. Aufgrund der Bronchitis sei sie immer verschleimt und leide deshalb unter Atemnot. Die Klägerin legt den Entlassungsbericht der Rheumaklinik Oberammergau vom 26.01.2007 vor.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Dezember 2005 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 10. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. November 2003 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 50 seit 15. Mai 2002 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat den Chirurgen Dr. H. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat am 16.10.2006 angegeben, bei der Klägerin lägen Funktionsbeeinträchtigungen an der Wirbelsäule und an beiden Schultergelenken sowie eine Fibromyalgie vor. Erneut befragt, gab Dr. H. am 26.05.2008 an, im Bereich der Halswirbelsäule lägen mittel- bis schwergradige Funktionsbeeinträchtigungen vor, die sich gegenüber der Voruntersuchung vom 11.05.2006 bei zunehmender Nervenkompression verschlechtert hätten. Zudem bestünden mittelgradige Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und leichtgradige Funktionsbeeinträchtigungen an den Schultergelenken. Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat von dem Internisten und Rheumatologen Dr. B., Ludwigsburg, ein fachärztliches Gutachten eingeholt. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin hat der Sachverständige im Gutachten vom 15.09.2007 eine Fibromyalgie mit vegetativen Störungen, Schlafstörungen, Mattigkeit und algogenem Psychosyndrom (GdB 40), ein Halswirbelsäulensyndrom mit Verschleißerscheinungen, ein Lumbalsyndrom bei leichter Skoliose mit Bandscheibenvorfall, ein myofasciales Schmerzsyndrom und Tendomyopathien des Rückens (GdB 20) und eine Schädigung der Sehnen und Muskeln der Schultergelenke, links nach Operation (GdB 10) diagnostiziert und insgesamt einen GdB von mindestens 50 angenommen. Unter Berücksichtigung des psychischen Aspekts der Fibromyalgie - stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit seien nach den "Anhaltspunkten" mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten - sei hier allein ein GdB von 30 angemessen, wobei dann allerdings die körperlichen Auswirkungen des Leidens nicht ausreichend berücksichtigt seien. Es sei daher auch eine Analogie zu den Muskelkrankheiten zu ziehen, sodass sich - eine Muskelschwäche mit geringen Auswirkungen sei mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten - insgesamt ein GdB von 40 für die Fibromyalgie ergebe.

Anschließend hat der Senat von dem Orthopäden Dr. Z. ein orthopädisches Gutachten eingeholt. Dieser hat die Klägerin am 25.09.2008 ambulant untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, bei der Klägerin lägen ein Fibromyalgiesyndrom (derzeit eher inkomplett), ein Halswirbelsäulen-Schulter-Arm-Syndrom links bei degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule und Zustand nach Schulterdachoperation, ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit geringer Instabilität der unteren Lendenwirbelsäule und geringer Skoliose sowie eine geringe Gonarthrose links vor. Das Fibromyalgiesyndrom stufe er als leicht bis mittelgradig und die übrigen Veränderungen als leicht ein. Insgesamt halte er wie bisher einen GdB von 40 für angemessen.

Hierzu bringt die Klägerin vor, sie bestreite, dass der Sachverständige Dr. Z., der mit der Erstattung eines Gutachtens auf seinem Fachgebiet (Orthopädie) beauftragt worden sei, auf dem Gebiet der "Fibromyalgie" ebenfalls Fachkenntnisse habe. Der Sachverständige Dr. B. habe sich hingegen schon lange mit diesem Thema auseinandergesetzt. Dieser sowie sämtliche Kliniken, in denen sie bisher behandelt worden sei, seien zu dem Ergebnis gelangt, dass bei ihr ein komplett ausgebildetes Fibromyalgiesyndrom vorliege, das sie in großem Maße in ihrer täglichen Lebensführung beeinträchtige, insbesondere weil sie unter Dauerschmerzen leide und diese ständig mit Medikamenten und Therapien bekämpfen müsse. Zudem sei die Bewertung von Dr. Z. sehr subjektiv, weil ihre Untersuchung aus seiner Sicht sehr "harzig" gewesen sei. Er habe offensichtlich ihre Äußerungen immer zu ihren "Ungunsten" interpretiert.

Der Beklagte geht davon aus, dass die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 40 weiter angemessen bewertet seien und legt die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 13.02.2008 und Dr. K. vom 01.09.2008 vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angegriffene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 10.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2003, mit dem der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 40 seit 15.05.2002 festgestellt hat. Die Klägerin macht demgegenüber geltend, dass ihre Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere die Auswirkungen des bei ihr vorliegenden Fibromyalgiesyndroms, einen GdB von insgesamt 50 rechtfertigten.

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008, (AHP) nun als "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG-) weiter heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A Nr. 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Das SG ist unter Heranziehung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Beurteilungsgrundsätze der AHP zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet sind. Der Senat kommt unter zusätzlicher Berücksichtigung der Ergebnisse der im Berufungsverfahren erfolgten weiteren medizinischen Sachaufklärung zum selben Ergebnis. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin rechtfertigen keinen höheren GdB als 40. Diese Beurteilung des Senats gründet sich im Wesentlichen auf die Angaben der vom SG gehörten behandelnden Ärzte der Klägerin, das im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG eingeholte rheumatologische Gutachten von Dr. B., das im Berufungsverfahren von Dr. Z. erstattete orthopädische Gutachten, die Angaben des Chirurgen Dr. H. sowie auf die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte.

Eine Würdigung der genannten Gutachten und der weiteren ärztlichen Unterlagen ergibt, dass die Klägerin hauptsächlich durch das bei ihr vorliegende Fibromyalgiesyndrom und die Taubheit links beeinträchtigt ist. Hinzu kommen noch das Wirbelsäulenleiden, ein eher leichtgradiger Schwindel und die chronische Bronchitis, die jeweils keinen höheren GdB als 10 bedingen.

Bei der Klägerin liegt ein Fibromyalgiesyndrom vor, das mit einem GdB von 30 nicht zu niedrig bewertet ist. Dass die Klägerin an einem Fibromyalgiesyndrom leidet, steht für den Senat außer Zweifel. Alle sich zu diesem Krankheitsbild äußernden Ärzte, insbesondere die vom Senat gehörten Sachverständigen, aber auch der Rheumatologe Dr. W., Dr. E. vom Rheumazentrum Oberammergau und der Chirurg Dr. H. sowie nicht zuletzt die sich äußernden Ärzte des Beklagten, haben dies bestätigt. Dass der Sachverständige Dr. Z. in seinem orthopädischen Gutachten vom 26.09.2008 von einem derzeit eher inkompletten Fibromyalgiesyndrom spricht, ändert hieran nichts, da damit allein die Frage des derzeitigen Ausmaßes des Fibromyalgiesyndroms angesprochen wird.

Nach den VG (Teil B Nr. 18.4) sind die Fibromyalgie und ähnliche Somatisierungssyndrome (z.B. CFS/MCS) jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Dabei hält es der Senat - seiner bisherigen Rechtsprechung folgend (Senatsurteile vom 23.11.2007 - L 8 SB 4995/04, 29.08.2008 - L 8 SB 5525/06 und 19.12.2008 - L 8 SB 3720/07) für sachgerecht, die Auswirkungen eines Fibromyalgiesyndroms entsprechend den Maßstäben für psychovegetative oder psychische Störungen zu bewerten. Aufgrund der Schmerzangaben der Klägerin und den entsprechenden Schilderungen der sich hierzu äußernden Ärzte geht der Senat davon aus, dass das als somatoforme Schmerzstörung zu wertende Fibromyalgiesyndrom Beeinträchtigungen bei der Klägerin hervorruft, die als stärker behindernde psychische Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im Sinne von Teil B Nr. 3.7 der VG anzusehen sind. Hierfür ist ein GdB von 30 bis 40 vorgesehen. Dem entspricht die Bewertung durch den Beklagten, der einen GdB von 30 angenommen hat. Gründe, den vorgegebenen Bewertungsrahmen nach oben auszuschöpfen (GdB 40), sieht der Senat nicht, zumal auch der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. B. die seelischen Auswirkungen der Fibromyalgie ebenfalls mit einem GdB von 30 bewertet hat und der Sachverständige Dr. Z. wesentliche psychische Begleiterscheinungen der Schmerzerkrankung, insbesondere eine Einschränkung der Erlebnis- oder Gestaltungsfähigkeit, zur Zeit seiner Untersuchung (25.09.2008) sogar verneint hat.

Der Auffassung des Sachverständigen Dr. B., wonach die körperlichen Auswirkungen der Fibromyalgie unter Anlehnung an die Bewertung von Muskelschwächen zusätzlich zu berücksichtigen seien und deshalb hier ein GdB von 40 vorliege, folgt der Senat nicht. Eine Muskelkrankheit im Sinne der VG besteht bei der Klägerin nicht. Die von Dr. B. einer Muskelschwäche mit geringen Auswirkungen gleichgesetzte funktionelle Beeinträchtigung der Fibromyalgie ist mit Berücksichtigung der psychischen Auswirkungen der Schmerzsymptomatik bereits erfasst. Die Bewegungseinschränkung ist hinsichtlich der betroffenen Organe einer gesonderten GdB-Wertung unterworfen. Die von Dr. B. erwähnten Veränderungen wie Gelenkkontrakturen, Gelenkdeformität, sowie die Funktionsminderungen wie Aufrichten aus dem Liegen nicht mehr möglich und Unmöglichkeit des Treppensteigens liegen bei der Klägerin ausdrücklich nicht vor. Bei der Klägerin bestehen nach dem vom Senat eingeholten orthopädischen Gutachten von Dr. Z. vom 26.09.2008 insoweit ein Halswirbelsäulen-Schulter-Arm-Syndrom links bei degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule und Zustand nach Schulterdach-Operation, ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit geringer Instabilität der unteren Lendenwirbelsäule und geringer Skoliose sowie eine geringe Gonarthrose links, die vom Sachverständigen als leicht bezeichnet werden. Dementsprechend ist für den bei der Klägerin vorliegenden Wirbelsäulenschaden - die geringe Gonarthrose links bedingt keinen GdB - nach Teil B Nr. 18.9 der VG ein GdB von 10, der für Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen vorgesehen ist, anzusetzen. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen bestehen nach diesem Gutachten, dem insoweit nicht zu folgen der Senat keinen Anlass sieht, nicht, sodass ein GdB von 20 überhöht wäre. Aber selbst wenn ein GdB von 20 anzunehmen wäre, müsste berücksichtigt werden, dass sich die Auswirkungen des Wirbelsäulenleidens und des Fibromyalgiesyndroms stark überschneiden. Der Senat hält es daher nicht für angemessen, von einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Behinderung der Klägerin infolge des Wirbelsäulenleidens auszugehen.

Die Einwände der Klägerin gegen das Gutachten von Dr. Z. sind nicht berechtigt. Soweit es sich auf die bei der Klägerin auf orthopädischem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen bezieht, ergibt sich dies schon daraus, dass es sich dabei um das ureigene Fachgebiet von Dr. Z. handelt, auf dem er seine Fachkenntnisse und große Kompetenz bereits durch viele dem Senat erstattete Gutachten nachgewiesen hat. Soweit die Klägerin geltend macht, Dr. Z. habe sich ungefragt auch zum Thema "Fibromyalgie" geäußert und bestreitet, dass der Sachverständige auf diesem Gebiet Fachkenntnisse hat, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Abgesehen davon, dass es sich bei der Fibromyalgie um ein chronisches Schmerzsyndrom handelt, das im engen Zusammenhang mit orthopädischen Gesundheitsstörungen steht und deshalb in aller Regel auch von Orthopäden beurteilt werden kann, hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, das Dr. Z. nicht die nötige Kompetenz hierfür hat. Vielmehr zeigt seine an den auch vom Senat für zutreffend gehaltenen Maßstäben orientierte Beurteilung der Fibromyalgie, dass er mit diesen Fragestellungen vertraut ist. Es ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht so, dass zur Beurteilung der nicht selten vorkommenden Fibromyalgie und ihren Auswirkungen nur ausgewiesene Spezialisten, wozu nach Ansicht der Klägerin Dr. B. gehört, als Sachverständige herangezogen werden können.

Insgesamt ergibt sich kein höherer GdB als 40. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist von der schwerwiegendsten Funktionsbeeinträchtigung, hier der Fibromyalgie (GdB 30), auszugehen. Hinzu kommt die Taubheit links, die unstreitig einen GdB von 20 bedingt. Das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung wird hierdurch erhöht, sodass dem GdB von 30 zehn Punkte hinzuzufügen sind, um den Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin insgesamt gerecht zu werden. Die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen (Wirbelsäulenleiden, Schwindel, Bronchitis) bedingen jeweils keinen höheren GdB als 10, sodass eine weitere Erhöhung im Hinblick auf die Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB (vgl. Teil A Nr. 3d) ee)) nicht gerechtfertigt ist. Diese Beurteilungsregel ist vom Bundessozialgericht ausdrücklich bestätigt worden (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 28). Ein Ausnahmefall, der mit der in Teil A Nr. 3 d) ee) der VG genannten Art vergleichbar wäre, liegt hier nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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