L 7 AS 4780/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 2201/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 4780/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 9. Oktober 2008 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Bescheid vom 22. April 2008 bewilligte die Beklagte dem am 1963 geborenen Kläger, der von der Beklagten laufende Leistungen nach dem SGB II bezieht, für den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Oktober 2008 monatlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 347,00 EUR. Durch Änderungsbescheid vom 17. Mai 2008, der eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, wurden die Leistungen für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Oktober 2008 auf 351,00 EUR monatlich erhöht.

Gegen den Bescheid vom 22. April 2008 legte der Kläger am 27. Mai 2008 Widerspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2008 zurückgewiesen wurde. In der Begründung des Widerspruchsbescheids wird ausgeführt, dass sich der Widerspruch auch gegen die im Änderungsbescheid bewilligten Regelleistungen richte und der Kläger in der Zeit vom 1. Mai bis 30. Juni 2008 einen Anspruch auf solche Leistungen in Höhe von 347,00 EUR und in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Oktober 2008 in Höhe von 351,00 EUR habe.

Am 2. Juli 2008 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und unter Bezugnahme auf bereits beim SG bzw. beim Senat anhängige Verfahren geltend gemacht, die für die Zeit von Mai bis Oktober 2008 gewährten Leistungen reichten zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus. Die seit drei Jahren unterlassene Anpassung der Regelleistungen an die Preissteigerungen sei mit der Verfassung nicht vereinbar, da deshalb ein menschenwürdiges Leben nicht mehr möglich sei. Wegen Verletzung der Art. 2 Abs. 1 und 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) hat der Kläger des Weiteren die Durchführung eines konkreten Normenkontrollverfahrens beantragt.

Mit Gerichtsbescheid vom 9. Oktober 2008 hat das SG die den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Oktober 2008 erfassende Klage abgewiesen und zur Begründung auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen Bezug genommen. Weiter hat es darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 7. November 2007 eine Verfassungsbeschwerde gegen die Höhe der Regelleistung nicht zur Entscheidung angenommen habe (1 BvR 1840/07). Schließlich wurde der Kläger darüber belehrt, dass der Gerichtsbescheid mit der Berufung angefochten werden könne.

Am 11. Oktober 2008 hat der Kläger beim SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) gegen den ihm am selben Tag zugestellten Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2008 eingelegt und die Verbindung dieses Verfahrens mit den Verfahren L 7 AS 3230/08 und L 7 AS 3231/08, in denen Berufung gegen zwei weitere Gerichtsbescheide des SG vom 28. Mai 2008 (S 11 AS 2120/07 und S 8 AS 88/08) eingelegt worden war, sowie die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens beantragt.

Auf Anfrage des Senats hat der Kläger die von ihm begehrten weiteren Leistungen mit Schriftsätzen vom 2. November 2008 und 5. Januar 2009 mit insgesamt 411,87 EUR für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2008 zuzüglich Zinsen aus den jeweiligen monatlichen Erhöhungsbeträgen in Höhe von 4 v. H. bis 1. November 2008 mit insgesamt 4, 63 EUR beziffert.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 9. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 22. April 2008 und 17. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2008 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2008 höhere monatliche Regelleistungen in Höhe von insgesamt 411,87 EUR sowie Zinsen hieraus bis 1. November 2008 in Höhe von insgesamt 4,63 EUR, also insgesamt einen Betrag von 416,50 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 4 v. H. seit 1. November 2008 zu gewähren und ein konkretes Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz durchzuführen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG sowie ihren Vortrag in erster Instanz verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakte des SG, die beigezogenen weiteren Gerichtsakten des SG (S 11 AS 2120/07, S 7 AS 2304/07, S 8 AS 88/08), die Berufungsakte des Senats sowie die weiteren Senatsakten (L 7 AS 3230/08 und L 7 AS 3231/08) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht statthaft und somit gem. § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen.

Die Berufung bedarf gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Die Berufung übersteigt nicht den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 29b des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 - BGBl I S. 444 - (SGGArbGGÄndG)) maßgeblichen Beschwerdewert von 750,00 EUR. Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, ob der bis zum 31. März 2008 nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG geltende Beschwerdewert von 500,00 EUR auch für nach dem 1. April 2008 eingelegte Berufungen weiter Anwendung findet, wenn die den Betroffenen beschwerende Entscheidung noch vor dem Inkrafttreten des SGGArbGGÄndG verkündet oder zugestellt wurde (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, vor § 143 Rdnr. 10e). Denn der hier angegriffene Gerichtsbescheid des SG wurde dem Kläger am 11. Oktober 2008 zugestellt.

Die Höhe der Beschwer ergibt sich nicht aus dem Gegenstandswert des Verfahrens erster oder zweiter Instanz, sondern entspricht dem Unterschied der Werte zwischen dem Antrag des Klägers in der ersten Instanz und dem, was ihm ausweislich des Entscheidungstenors zugesprochen worden ist, d. h. sie entspricht im Ergebnis dem, was das Sozialgericht dem Kläger versagt hat. Im vorliegenden Fall erfassen die streitgegenständlichen Bescheide vom 22. April 2008 und 17. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2008 den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Oktober 2008. Für diesen Zeitraum hat der Kläger im Verfahren vor dem SG höhere Regelleistungen erstreiten wollen. Zwar wurde der Bescheid vom 22. April 2008 durch den Bescheid vom 17. Mai 2008 für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Oktober 2008 aufgehoben und besaß somit für diesen Zeitraum keine Regelungswirkung mehr. Obwohl der Kläger gegen diesen Änderungsbescheid soweit ersichtlich nicht ausdrücklich Widerspruch eingelegt hat, hat die Beklagte seinen Widerspruch vom 27. Mai 2008 gegen den Bescheid vom 22. April 2008 auch als Widerspruch gegen den Änderungsbescheid ausgelegt. Nachdem der Kläger dem im Klage- und Berufungsverfahren nicht entgegengetreten ist, sondern ebenfalls den gesamten Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Oktober 2008 zur gerichtlichen Überprüfung stellt, kann davon ausgegangen werden, dass der Änderungsbescheid nicht bestandskräftig geworden ist und daher nicht nur der Zeitraum vom 1. Mai bis 30. Juni 2008, sondern auch der im Änderungsbescheid geregelte Bewilligungszeitraum Gegenstand des Rechtsstreits ist. Dass der Kläger die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung und damit des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für die Zeit seit Anfang 2007 bestreitet, wirkt sich hingegen bei der Berechnung des Beschwerdewerts nicht aus. Es handelt sich insoweit nicht um einen eigenen Streitgegenstand, der im Wege der objektiven Klagehäufung dem übrigen Begehren des Klägers hinzuzurechnen wäre, sondern um eine abstrakte Rechtsfrage, die zwar für den geltend gemachten Anspruch rechtliche Bedeutung hat, jedoch nicht hiervon unabhängig isoliert einer Entscheidung zugänglich ist. Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm fällt gem. § 51 SGG nicht in den Zuständigkeitsbereich der Sozialgerichtsbarkeit, sondern ist dem BVerfG vorbehalten.

Mit seinen Schreiben vom 2. November 2008 und 5. Januar 2009 hat der Kläger, allerdings erstmals im Berufungsverfahren, klar gestellt, in welcher Höhe er für den genannten Zeitraum höhere Regelleistungen begehrt. Da er durch die Abweisung der Klage nicht mit einem höheren Wert beschwert sein kann, als ihm im Erfolgsfall zugesprochen worden wäre (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), NVwZ 1987, 219; Bundesgerichtshof, NJW 2002, 2720), beträgt die Beschwer des Klägers insgesamt 416,50 EUR. Keiner Entscheidung bedarf es darüber, ob bei Zahlungsansprüchen auf den Geldbetrag abzustellen ist, um den unmittelbar gestritten wird, oder ob Zinsen und andere Nebenforderungen entgegen § 4 Zivilprozessordnung (ZPO) hinzuzurechnen sind (ablehnend: Leitherer, a.a.O., § 144 Rdnr. 15). Denn auch bei Hinzurechnung der geltend gemachten Zinsen von 4 v. H. aus 416,50 EUR seit 1. November 2008 wäre der nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG maßgebliche Beschwerdewert von 750,00 EUR nicht überschritten.

Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft. Danach ist unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstands die Berufung zulässig, wenn sie wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Auch hier ist darauf abzustellen, für welche Leistungsdauer in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Leistungen beantragt worden waren und inwieweit dem durch die Entscheidung des Gerichts entsprochen wurde (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. Januar 2006 - B 3 KR 4/05 R - SozR 4-2500 § 37 Nr. 7; BSGE 2, 135, 137). Werden durch den Urteilsausspruch des Sozialgerichts dem Betroffenen wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr versagt, ist unabhängig vom Wert dieser Leistungen die Berufung zulässig, wenn und soweit im Berufungsverfahren der Zeitraum nicht weiter eingeschränkt wird.

Da vorliegend das SG lediglich über den Bewilligungszeitraum vom 1. Mai bis 31. Oktober 2008 zu entscheiden hatte, betrifft die Berufung des Klägers nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr.

Der Senat hat von der Möglichkeit, dieses Verfahren mit den Verfahren L 7 AS 3230/08 und L 7 AS 3231/08 zu verbinden, entgegen dem Antrag des Klägers keinen Gebrauch gemacht, da dies weder zur Beschleunigung noch zur Vereinfachung des Verfahrens beigetragen hätte. Das Interesse eines Beteiligten an der Berufungsfähigkeit eines Urteils, bleibt bei der im Ermessen des Gerichts liegenden Entscheidung über eine mögliche Verbindung grundsätzlich außer Betracht (BSG, Beschluss vom 2. August 1973 - 6 RKa 15/73 - DÖV 1974, 319).

Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich auch nicht daraus, dass in der dem Gerichtsbescheid des SG vom 9. Oktober 2008 angefügten Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen wird, der Gerichtsbescheid könne mit der Berufung angefochten werden. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG bedarf die Berufung, wenn die Berufungssumme nicht erreicht ist und wiederkehrende oder laufende Leistungen für bis zu einem Jahr begehrt werden, der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts. Auch wenn die Zulassung nicht notwendigerweise im Tenor des Urteils auszusprechen ist, muss sich doch bei insoweit fehlender Tenorierung eindeutig aus den Entscheidungsgründen ergeben, dass das Gericht die Berufung für zulässig hält (Leitherer, a.a.O., § 144 Rdnrn. 39 ff. m.w.N.). Wird - wie hier - lediglich in der Rechtsmittelbelehrung der Entscheidung die Berufung als das statthafte Rechtsmittel bezeichnet, genügt dies nach ständiger Rechtsprechung nicht für die Zulassung der Berufung (BSGE 5, 92, 95; Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 B - (juris)). Die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung eröffnet nach § 66 Abs. 2 SGG zwar die Möglichkeit, Rechtsmittel oder andere Rechtsbehelfe binnen Jahresfrist einzulegen, macht eine unstatthafte Berufung jedoch nicht zum zulässigen Rechtsmittel.

Soweit der Kläger beantragt, im Wege der Durchführung eines Normenkontrollverfahrens die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II durch das BVerfG überprüfen zu lassen, fehlt es insoweit an einem subjektiven öffentlichen Recht des Klägers. Denn nach § 80 Abs. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist der Antrag des Gerichts nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG unabhängig von der Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch einen Prozessbeteiligten. Voraussetzung für die Einholung einer Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ist u. a., dass das vorlegende Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig hält. Dies setzt subjektiv die Überzeugung von der Ungültigkeit der Norm beim erkennenden Gericht voraus, Zweifel oder bloße Bedenken im Sinne eines "Für-möglich-Haltens" reichen nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nicht aus (BVerfGE 1, 189; 2, 411; 4, 218; 7, 35). Erlangt das Gericht diese Überzeugung nicht, so hat es die Norm anzuwenden. Danach bestand auch für den Senat keine Veranlassung, dem BVerfG § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zur Überprüfung auf seine Verfassungsmäßigkeit vorzulegen. Denn der Senat ist unter Bezugnahme auf die im Gerichtsbescheid des SG zitierte Rechtsprechung des BSG, die in dessen Vorlagebeschluss vom 27. Januar 2009 (B 14 AS 5/08 R) hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung für alleinstehende Erwachsene ausdrücklich bestätigt wird und keineswegs nur - wie vom Kläger angenommen - die konkrete Festsetzung der Regelleistung auf 345,00 EUR/Monat, sondern auch die Festlegung dieses Betrags als Basiswert für die Anpassung nach § 20 Abs. 4 SGB II betrifft, nicht von der Ungültigkeit dieser Rechtsnorm überzeugt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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