L 7 AL 5238/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AL 2988/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 5238/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2008 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld (Alg) von 18 Monaten auf 24 Monate.

Der am 1943 geborene Kläger meldete sich am 20. Juni 2006 wegen der zum 30. Juni 2006 eintretenden Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 1. Juli 2006 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Aus der seitens seines Arbeitgebers ( ) vorgelegten Arbeitsbescheinigung vom 2. August 2006 ergibt sich, dass der Kläger dort vom 1. März 1963 bis 30. Juni 2006 als Abteilungsleiter beschäftigt war. In der Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni 2006 erzielte der Kläger ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 62.700,00 Euro.

Mit Bescheid vom 17. August 2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg vom 1. Juli 2006 an für 540 Kalendertage bis zum 30. Dezember 2007 in Höhe von 62,99 Euro täglich. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger keinen Rechtsbehelf eingelegt.

Auf Antrag des Klägers vom 13. Juli 2007 hat die Deutsche Rentenversicherung Bund mit Rentenbescheid vom 29. November 2007 dem Kläger Altersrente für langjährig Versicherte ab 1. Januar 2008 als Vollrente in Höhe von 1.668,44 Euro monatlich bewilligt.

Mit Schreiben vom 19. November 2007 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass sein Anspruch auf Alg voraussichtlich am 30. Dezember 2007 ende. Der daraufhin seitens des Klägers gestellte Antrag auf Verlängerung der Anspruchsdauer des Alg wurde durch Bescheid der Beklagten vom 18. März 2008 mit der Begründung zurückgewiesen, er habe mit Ablauf des 31. Dezembers 2007 keinen Restanspruch mehr auf Alg gehabt.

Mit Schreiben vom 24. März 2008 hat der Kläger hiergegen Widerspruch eingelegt und zur Begründung geltend gemacht, er sei vom 1. Juli 2006 bis einschließlich 31. Dezember 2007 volle 18 Monate arbeitslos gewesen. Dies bedeute, dass sein Anspruch am 31. Dezember 2007 noch nicht erschöpft gewesen sei. § 434r Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sei bewusst rückwirkend zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten, damit ein Anschluss gewährleistet sei und eine Frühverrentung nicht relevant werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2008 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt, dass am 1. Dezember 2007 noch ein Restanspruch des Klägers auf Alg von 30 Tagen bestanden habe. Es sei daher zutreffend Alg vom 1. Dezember 2007 bis 30. Dezember 2007 gezahlt worden. Am 31. Dezember 2007 sei der Anspruch auf Alg erschöpft gewesen, sodass die Voraussetzungen der Übergangsregelung des § 434r SGB III nicht vorlägen.

Am 17. April 2008 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und zur Begründung nochmals auf § 434r SGB III hingewiesen. Außerdem wurde geltend gemacht, dass in dem Leistungsnachweis/der Entgeltbescheinigung der Beklagten vom 19. Dezember 2007 die Anspruchsdauer des Alg im Jahr 2006 am 31. Dezember 2006, im Jahr 2007 hingegen am 30. Dezember 2007 ende. Dies sei in sich ein Widerspruch. Würde das Alg am 30. Dezember 2007 enden, wäre unklar, welchen Status alle Betroffenen am 31. Dezember 2007 hätten. Sie wären weder arbeitslos noch Rentenempfänger.

Mit Urteil vom 6. Oktober 2008 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2008 verurteilt, dem Kläger unter Heraufsetzung der Anspruchsdauer von 18 Monaten auf 24 Monate Alg über den 30. Dezember 2007 hinaus zu gewähren. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch des Klägers auf Alg sei am 31. Dezember 2007 noch nicht erschöpft gewesen. Nach § 339 Satz 2 SGB III entspreche bei der Anwendung der Vorschriften über die Dauer eines Anspruchs auf Alg ein Monat 30 Kalendertagen. Für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 30. November 2007 seien daher unstreitig monatlich 30 Tage anzusetzen, sodass der Kläger ab 1. Dezember 2007 noch einen Restanspruch von 30 Tagen gehabt habe. Der Anspruch des Klägers auf Alg habe gleichwohl nicht am 30. Dezember 2007, sondern erst am 31. Dezember 2007 geendet, da analog § 339 Satz 2 SGB III nicht nur ein Monat 30 Kalendertagen entspreche, sondern auch 30 Tage einem Kalendermonat entsprächen. Aus dem Restanspruch von 30 Tagen ergäbe sich daher ein Anspruch auf Alg für den vollen Kalendermonat Dezember 2007 und mithin bis zum 31. Dezember 2007. Die Anspruchsdauer habe sich daher zugunsten des Klägers gemäß § 434r Abs. 1 SGB III von 18 auf 24 Monate erhöht. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger eine Altersrente beziehe, da in analoger Anwendung des § 142 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b SGB III in den Fällen, in denen Alg zu Unrecht abgelehnt werde und der Versicherte deshalb Altersrente beantrage und erhalte, das Alg nur bis zur Höhe der zuerkannten Leistung ruhe.

Gegen das der Beklagten am 22. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat diese am 13. November 2008 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Voraussetzungen des § 434r SGB III seien im Falle des Klägers nicht erfüllt. Eine Analogie zu § 339 Satz 2 SGB III, wie sie das SG gebildet habe, sei unzulässig. Der Anspruch des Klägers auf Alg habe gemäß §§ 134, 339 Satz 2 SGB III am 30. Dezember 2007 geendet. Selbst wenn der Kläger einen Anspruch auf Alg bis zum 31. Dezember 2007 gehabt hätte, könnte er sich nicht auf § 434r SGB III berufen, da jedenfalls mit Ablauf des 31. Dezembers 2007 kein Restanspruch verblieben sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, die Beklagte habe schon nicht fristwahrend Berufung eingelegt, da sie im Berufungsschriftsatz vom 11. November 2008 ein Urteil des SG vom 18. März 2008 angegriffen habe. Da ausweislich des Leistungsnachweises/der Entgeltbescheinigung der Beklagten vom 19. Dezember 2007 im Jahr 2006 der Anspruch bis zum 31. Dezember 2006 bestanden habe, habe die Beklagte selbst § 339 Satz 2 SGB III analog angewandt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Leistungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten des SG und LSG verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgemäß eingelegt worden und auch im übrigen zulässig. Der Kläger weist zwar zu Recht darauf hin, dass im Berufungsschriftsatz vom 11. November 2008 fälschlicherweise als Datum des angegriffenen Urteils der 18. März 2008 genannt wird. Dies führt indes nicht zur Unzulässigkeit der Berufung. Gemäß § 151 Abs. 3 SGG soll die Berufungsschrift das angefochtene Urteil bezeichnen, um Prozessgegner und Gericht Gewissheit über die Identität des angefochtenen Urteils zu verschaffen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 151 Rdnr. 11b m.w.N.). Trotz der "Soll"-Bestimmung ist zwar zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung, dass aus der Berufungsschrift bzw. den Begleitumständen zweifelsfrei hervorgeht, gegen welches Urteil sich die Berufung richtet; im Übrigen hat aber eine Verletzung der Soll-Vorschrift des § 151 Abs. 3 SGG grundsätzlich keine Folgen. In der Berufungsschrift der Beklagten werden die Beteiligten fehlerfrei benannt und das Urteil des SG mit dem richtigen Aktenzeichen konkretisiert. Es bestand somit kein vernünftiger Zweifel, gegen welches Urteil sich die Berufung richtete. Die irrtümliche Verwechslung des Bescheiddatums mit dem Urteilsdatum, wobei letzteres in der Berufungsbegründung vom 30. Januar 2009 korrigiert wurde, ist daher nicht von rechtlicher Bedeutung.

Die Berufung ist auch statthaft nach § 143 SGG. Sie betrifft zwar keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG); der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt jedoch den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in seiner ab 1. April 2008 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 29b des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 - BGBl. I S. 444 -(SGGArbGGÄndG)) maßgeblichen Wert von 750,00 Euro. Da sich aus dem Tenor des angegriffenen Urteils des SG nicht ergibt, in welcher Höhe die Beklagte dem Kläger über den 30. Dezember 2007 hinaus Alg zu bezahlen hat, muss anhand der Entscheidungsgründe der Beschwerdewert bestimmt werden. Nach Ansicht des SG ruht analog § 142 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b SGB III das Alg bis zur Höhe der zuerkannten Altersrente. Die Beklagte wurde im Ergebnis daher verurteilt, dem Kläger in der Höhe Alg zu gewähren, in der dieser Anspruch über die dem Kläger durch Rentenbescheid vom 29. November 2007 für die Zeit ab 1. Januar 2008 bewilligte Rente von monatlich 1.668,44 Euro hinaus geht. Bei einem Anspruch des Klägers auf Alg in Höhe von 62,99 Euro täglich und einer Anspruchsdauer von 180 Tagen (6 Monate zu je 30 Tagen) wurde die Beklagte zur Zahlung von 1.327,56 Euro verurteilt, dem Differenzbetrag zwischen dem Alg-Anspruch (11.338,20 Euro) und dem Rentenanspruch (10.010,64 Euro). Unabhängig von den darüber hinaus von der Beklagten während des Bezugs von Alg zu übernehmenden Beiträgen für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ist der Beschwerdewert von 750,00 EUR für die Beklagte somit überschritten.

Die somit insgesamt zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alg für weitere sechs Monate. Ob einem solchen Anspruch bereits die Bestandskraft des Bescheides vom 17. August 2006 entgegensteht, mit dem Alg vom 1. Juli 2006 an für 540 Kalendertage bewilligt wurde und gegen den der Kläger keinen Rechtsbehelf eingelegt hat oder ob der Antrag auf Verlängerung des Alg zugleich als Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 17. August 2006 ausgelegt werden kann, mit der Folge, dass mit der Ablehnung des Verlängerungsantrags auch die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 17. August 2006 bestätigt worden ist, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Denn in jedem Fall sind die Voraussetzungen des § 434r Abs. 1 SGB III in der Fassung des Siebten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8. April 2008 (BGBl. I S. 681), in Kraft getreten am 1. Januar 2008, nicht gegeben. Danach erhöht sich die Anspruchsdauer auf Alg bei Arbeitslosen, die vor dem 1. Januar 2008 das 50. Lebensjahr vollendet haben auf 15 Monate und für die, die das 58. Lebensjahr vollendet haben auf 24 Monate, wenn ein Anspruch auf Alg mit einer dem Lebensalter des Arbeitslosen entsprechenden Höchstanspruchsdauer nach § 127 Abs. 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung am 31. Dezember 2007 noch nicht erschöpft ist. Nach § 127 Abs. 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) betrug die Höchstanspruchsdauer eines Arbeitslosen nach Vollendung des 55. Lebensjahres 18 Monate, wenn - wie im Falle des Klägers - ein Versicherungspflichtverhältnis mit einer Dauer von insgesamt mindestens 36 Monaten bestanden hatte. Unabhängig davon, wie die Anspruchsdauer konkret zu berechnen ist, geht auch nach Auffassung des Klägers, der sich das SG anschloss, die Höchstanspruchsdauer bei dem Beginn des Alg-Bezuges am 1. Juli 2006 nicht über den 31. Dezember 2007 hinaus. Damit endete der Anspruch mit Ablauf des 31. Dezember 2007 und bestand am 1. Januar 2008 nicht mehr. In den Genuss der mit der Übergangsregelung geschaffenen Verlängerung der Anspruchsdauer kommen indes nur ältere Arbeitnehmer, deren Anspruch auf Alg am Tag vor dem Inkrafttreten der Neuregelung, also am 31. Dezember 2007, noch nicht erschöpft war, mithin über diesen Tag hinaus ging. Nicht durch die Verlängerung der Anspruchsdauer begünstigt werden ältere Arbeitnehmer, deren Alg-Anspruch vor dem 1. Januar 2008 endete (Voelzke, Änderungen des Arbeitsförderungsrechts zum Jahreswechsel 2007/2008, jurisPR - SozR 6-2008 Anm. 4). Ein dahin gehender gesetzgeberischer Wille ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien, wonach die Verlängerung der Dauer des Anspruchs auf Alg in pauschalierter Form auch auf die älteren Arbeitslosen übertragen wird, deren Anspruch auf Alg zum Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht erschöpft ist. Erfasst werden damit die Arbeitslosen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens aktuell Alg beziehen (BT-Drucksache 16/7460 S. 11). Da der Anspruch des Klägers auf Alg spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2007 erschöpft war und somit vor dem 1. Januar 2008 endete, bestand für ihn kein Anspruch auf Verlängerung der Anspruchdauer.

Nicht entscheidungserheblich ist deshalb zum einem, ob - wie im Urteil des SG angenommen - der Umstand, dass der Kläger seit 1. Januar 2008 eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, nur in der Höhe den Anspruch auf Alg zum Ruhen bringt, in der dem Kläger Rentenleistungen bewilligt wurden oder ob gem. § 142 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III der Anspruch des Klägers auf Alg insgesamt ruht. Zum anderen bedarf keiner weiteren Erörterung, ob der Kläger bis zum 30. Dezember 2007 oder bis zum 31. Dezember 2007 einen Anspruch auf Alg hatte, da auch im letztgenannten Fall wie oben dargelegt kein Verlängerungsanspruch besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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