Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 14/73
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Betriebsangehöriger, der sich freiwillig an einer vom Unternehmer kostenlos eingerichteten und vom Betriebsamt durchgeführten Grippeschutzimpfung beteiligt, ist in Bezug auf Impfschäden nicht gegen Unfall versichert.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 17. November 1972 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Anschlußberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Gesundheitsschädigung nach einer Grippeschutzimpfung als Arbeitsunfall.
Die 1929 geborene Klägerin ist bei dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) in der Fernschreibzentrale in W. als Fernschreiberin tätig. Am 30. Oktober 1968 ließ sie sich von Dr. G. (B.-Werke) in Gegenwart des Betriebsarztes des ZDF gegen Grippe impfen. Die Kosten der Impfung trug das ZDF. Auf diese Impfung war vom Betriebsarzt des ZDF durch zwei Aushänge aufmerksam gemacht worden. Der erste Aushang vom 18. Oktober 1968 hatte u.a. folgenden Wortlaut:
"Kommt die asiatische Grippe? Niemand weiß das. Es kann aber durchaus sein, daß von Ostasien aus, von wo zur Zeit Erkrankungen gemeldet werden, eine Grippewelle nach Europa laufen wird. Sie müßte uns dann bis spätestens Januar 1969 erreicht haben.
Der Betriebsarzt führt daher wieder eine Grippe-Schutzimpfung durch.
Eine einzige schmerzlose Injektion des bewährten Impfstoffes der Behringwerke mit der Impfpistole reicht aus, um einjährigen Schutz vor der echten Influenza zu geben. Sie hilft, auch andere Erkältungskrankheiten leichter zu überwinden. Wer interessiert ist, möge sich schon jetzt den Mittwoch, den 30. Oktober 1968 vormerken.
gez. Dr. Dr. S. (Betriebsarzt)”
Der zweite Aushang vom 25. Oktober 1968 wies auf die angekündigte kostenlose Grippeschutzimpfung am Mittwoch, dem 30. Oktober 1968, hin und lautete unter anderen wie folgt:
"Jeder kann geimpft werden. Ausgenommen sind Fieberkranke und wer kein Eiereiweiß verträgt. Verwendet wird Impfstoff und Impfpistole der Firma B.werke F ... Gespritzt wird in den linken Oberarm.
Die Zeiten müssen genau eingehalten werden.
Andere als die vorgenannten Dienststellen können nicht angefahren werden. Wer von anderen Dienststellen teilnehmen will, möge sich bitte an den nächstgelegenen Impfort begeben.
Nach vielen früher gemachten guten Erfahrungen rechne ich mit reger Teilnahme.
gez. Dr. Dr. S. (Betriebsarzt)”
Die Klägerin litt zu diesem Zeitpunkt an einer Thrombophlebitis und nahm das Medikament Sintrom ein. Sie will dies den genannten Ärzten vor der Impfung mitgeteilt haben. Nach ihren weiteren Angaben kam es eine Woche nach der Schutzimpfung zu Kreislaufstörungen mit Herzbeschwerden, so daß eine ambulante Behandlung bei ihrer Hausärztin erforderlich wurde. Vom 4. Januar bis zum 3. März 1969 erkrankte sie arbeitsunfähig, wobei sie in der Zeit vom 15. bis zum 31. Januar 1969 wegen einer zusätzlichen Thrombose am rechten Arm stationär im Stadtkrankenhaus F.-H. behandelt werden mußte. Vom 4. bis 17. März 1969 arbeitete sie wieder. Anschließend war sie mehrfach, unterbrochen von arbeitsfähigen Zeiten, erkrankt.
Am 9. März 1970 teilte das ZDF der Beklagten mit, daß die Grippeschutzimpfung nicht angeordnet und auch nicht empfohlen worden sei; es habe lediglich die Möglichkeit, sich freiwillig impfen zu lassen, bestanden. Die Klägerin sei im übrigen am Arbeitsplatz keiner besonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen.
Mit Bescheid vom 6. April 1970 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung mit der Begründung ab, die Schutzimpfung sei nicht vom Arbeitgeber veranlaßt bzw. angeordnet worden und keine wesentliche Vorbedingung für die Arbeitsaufnahme oder die Fortführung der Arbeit gewesen. Es habe außerdem keine betriebsbedingte erhöhte Krankheitsgefahr am Arbeitsplatz bestanden. Es könne daher offenbleiben, ob zwischen der Impfung und den geklagten Beschwerden ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang bestehe.
Gegen diesen Bescheid, dessen Zustellung aus den Unfallakten nicht ersichtlich ist, hat die Klägerin am 30. April 1970 bei dem Sozialgericht Frankfurt a.M. Klage erhoben und behauptet, daß die bei ihr aufgetretenen Herzstörungen auf die bei dem ZDF vorgenommene Betriebsimpfung gegen die Asiatische Grippe zurückzuführen seien.
Das Sozialgericht hat verschiedene Auskünfte über die Erkrankungen der Klägerin vor und nach der Schutzimpfung, die Aushänge des Betriebsarztes des ZDF vom 18. und 25. Oktober 1968, die Schutzimpfung selbst und schließlich das internistische Gutachten des Dr. C. vom 25. Mai 1972 eingeholt. Dieser Sachverständige hat ausgeführt, daß die Schutzimpfung eine Verschlimmerung einer bereits bestehenden Myocardschädigung und die Entstehung einer Fettstoffwechselstörung hervorgerufen habe und insoweit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. anzunehmen sei. Das Sozialgericht hat hierauf unter Abweisung der Klage im übrigen die Beklagte verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einem Grad der MdE in Höhe von 30 v.H. zu gewähren. Es hat ausgeführt, daß die von dem Bundessozialgericht (BSG) entwickelte Rechtsprechung, daß Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit zum unversicherten Lebensbereich gehörten, nicht mehr zeitgemäß sei, da sie nicht im Einklang mit den Bemühungen um eine umfassende werksärztliche Betreuung der Arbeitnehmer stehe.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 27. Dezember 1972 zugestellte Urteil am 3. Januar 1973 Berufung eingelegt.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 22. Dezember 1972 zugestellte Urteil am 18. Januar 1973 Anschlußberufung eingelegt.
Die Beklagte macht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG Rechtsausführungen und beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 17. November 1972 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Anschlußberufung der Klägerin zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und diese unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt aM. vom 17. November 1972 zu verurteilen, ihr wegen Herzbeschwerden nach Endocarditis die Vollrente zu gewähren und ihr die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthaften Berufungen sind frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.
Jedoch ist nur die Berufung der Beklagten begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil mußte daher aufgehoben werden; die Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keine Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen etwaiger aufgrund der Grippeschutzimpfung eingetretener Schäden, weil insoweit kein Arbeitsunfall vorliegt (§ 548 Reichsversicherungsordnung – RVO –).
Es kann offen bleiben, ob, wie der von dem Sozialgericht gehörte Sachverständige Dr. C. ausgeführt hat, durch die Grippenschutzimpfung ein bereits vor bestandener Myocardschaden verschlimmert und eine Fettstoffwechselstörung ausgelöst worden ist. Der Einholung dieses Gutachtens bedurfte es nicht, weil eine Gesundheitsstörung, die durch eine Grippeschutzimpfung verursacht worden ist, in keinem inneren ursächlichen Zusammenhang mit einer gegen Unfall versicherten Tätigkeit steht. Grundsätzlich gehören nämlich Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit zum unversicherten Lebensbereich, da sie von den freien, eigenen Entschließungen des Versicherten abhängen. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit ist auch nicht deshalb gegeben, weil das Unternehmen ein natürliches Interesse an der Gesundheit und Leistungsfähigkeit seiner Beschäftigten hat und in großzügiger Handhabung seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht von sich aus entsprechende Maßnahmen einleitet und es den Betriebsangehörigen ermöglicht, statt im Wege einer eigenen privaten Vorsorge in einer dem Unternehmen gehörenden betriebsärztlichen Einrichtung das Erforderliche für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit sich angedeihen zu lassen (vgl. BSGE 4 S. 219, 223; 9 S. 222, 226; BG 1965 S. 115; Urt. vom 27. Oktober 1965 – 2 RU 108/63 – in SozR Nr. 1 § 548 n.F.; Urt. v. 28.10.1966 – 2 RU 2/62 in BG 1967 S. 113; Urt. v. 4.5.1971 – 2 RU 24/70 –). Von diesen Grundsätzen, denen sich der Senat anschließt, hat das BSG ausnahmsweise den Unfallversicherungsschutz für Vorbeuge- und Heilmaßnahmen bejaht, wenn sie in einem bestimmten Unternehmen im Hinblick auf eine mit einer besonderen Gefährdung verbundenen Tätigkeit erfolgen und aus der besonderen Gestaltung der Maßnahme eindeutig erkennbar ist, daß ihre Durchführung wesentlich in Wahrnehmung betrieblicher Belange erfolgt, d.h., wenn das Interesse des Beschäftigten an seiner Gesundheit nur einen Nebenzweck der Maßnahme bedeutet oder die Behandlungsmaßnahme zur Überwindung einer Gesundheitsstörung und sogleich zur Weiterarbeit führt (BSG, Urt. v. 27.10.1965 – 2 RU 108/63 – in SozR Nr. 1 zu § 548 RVO n.F.). Ein solcher, eng auszulegender Ausnahmetatbestand liegt hier nach dem – auch unstreitigen – Sachverhalt nicht vor. Hierzu ist festzustellen, daß die Klägerin bei dem ZDF als Fernschreiberin in der Fernschreibezentrale in W. tätig ist. Wenn auch, wie die Erklärung des B. K. vom 1. Juli 1971 zeigt, die Klägerin bei dieser Tätigkeit ständig mit Redakteuren – auch aus dem Ausland – dienstlichen Kontakt hatte und von ihr Agenturmeldungen stündlich mehrmals in die Redaktionen zu bringen waren, so begründet dies, wie das ZDF in seiner Auskunft vom 9. März 1970 mitgeteilt hat, keine besondere Ansteckungsgefahr, wie ihr nicht auch andere Mitarbeiter des ZDF, aber auch die Allgemeinheit ausgesetzt gewesen sind. Ihre Tätigkeit hat jedenfalls mangels einer besonderen betrieblichen Gefährdung ihren Arbeitgeber nicht veranlaßt, die Grippeschutzimpfung herbeizuführen. Das ZDF hat sie vielmehr in seiner Sendezentrale in M. und W. alljährlich im Herbst ohne besondere Anordnung auf eigene Kosten durch den Betriebsarzt im Zusammenwirken mit der Fa. B.-Werke AG für die Mitarbeiter durchgeführt, so auch im Oktober 1968. Jeder Betriebsangehörige hatte die Möglichkeit aus eigenem Entschluß daran teilzunehmen. Aus den Aushängen vom 18. und 25. Oktober 1968 ergibt sich keine Anordnung des Unternehmens, welche die Impfmaßnahme im Hinblick auf eine besonders gefährdende betriebliche Tätigkeit für jeden Arbeitnehmer erforderlich machte. Es war vielmehr jedem Beschäftigten freigestellt, sich gegen eine mögliche Grippeerkrankung impfen zu lassen. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 1966 (2 RU 2/62 in BG 1967, S. 113) zwar die Frage offen gelassen, ob der Versicherungsschutz dann zu gewähren ist, wenn das Unternehmen Medikamente austeilt oder Schutzimpfungen gelenkt durchführt, weil es die Auswirkungen einer gehäuft auftretenden Erkrankung auf die Arbeitsleistung im Unternehmen bekämpfen will. Die Grippeschutzimpfung hatte im vorliegenden Fall sicher diesen Zweck. Indessen vermag auch eine solche gelenkte Maßnahme den Unfallversicherungsschutz nicht zu begründen, wenn, wie hier, der einzelne Betriebsangehörige keinem – auch nur moralischen – Druck ausgesetzt wird, sich an der Impfaktion zu beteiligen.
Das Sozialgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, daß "werksärztliche Impfungen entgegen Art. 19 des Grundgesetzes (GG) für die Bundesrepublik Deutschland ohne gesetzliche Einschränkung des in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG festgelegten Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit uneingeschränkt zulässig” seien. Es meint damit offensichtlich, daß sich Betriebsangehörige der vom Betriebsarzt durchgeführten Impfaktion zu unterziehen haben. Es sind aber keinerlei gesetzliche oder arbeitsvertragliche Bestimmungen ersichtlich, die einem Betriebsarzt eine solche Befugnis einzuräumen vermögen. Die Bekanntmachungen des Betriebsarztes des ZDF zur Durchführung der Grippeschutzimpfung weisen auch nicht auf derartiges hin. Es war vielmehr, wie bereits dargetan, jedem Beschäftigten die Teilnahme an der Schutzimpfung freigestellt. Die so vom Betriebsarzt des ZDF vorgenommene Schutzimpfung war für die Bediensteten des ZDF nur eine günstige Gelegenheit, sich anstelle des zeitraubenden Aufsuchens eines privaten Arztes an der Arbeitsstelle ohne Zeitverlust und kostenlos impfen zu lassen. Eine solche fürsorgerische Maßnahme des Unternehmers, die der Versicherte aus freiem Entschluß in Anspruch nimmt, ist nach alledem nicht den versicherten Tätigkeiten im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses zuzurechnen.
Der Versicherungsschutz ergibt sich auch nicht aus § 539 Abs. 1 Nr. 11 RVO. Hiernach sind Personen versichert, die aufgrund von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften ärztlich untersucht oder behandelt werden. Als Arbeitsschutzvorschriften kommen z.B. das Seemannsgesetz, das Jugendarbeitsschutzgesetz oder die Strahlenschutzverordnung in Betracht. Aufgrund solcher Vorschriften oder einer Unfallverhütungsvorschrift ist die Klägerin aber nicht geimpft worden. Sie hat vielmehr die vom ZDF angebotene Schutzimpfungsgelegenheit aus eigenem Entschluß wahrgenommen.
Nach alledem war daher mangels Begründetheit des klägerischen Anspruchs das sozialgerichtliche Urteil aufzuheben, die Klage ab- und daher auch die Anschlußberufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG.
II. Die Anschlußberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Gesundheitsschädigung nach einer Grippeschutzimpfung als Arbeitsunfall.
Die 1929 geborene Klägerin ist bei dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) in der Fernschreibzentrale in W. als Fernschreiberin tätig. Am 30. Oktober 1968 ließ sie sich von Dr. G. (B.-Werke) in Gegenwart des Betriebsarztes des ZDF gegen Grippe impfen. Die Kosten der Impfung trug das ZDF. Auf diese Impfung war vom Betriebsarzt des ZDF durch zwei Aushänge aufmerksam gemacht worden. Der erste Aushang vom 18. Oktober 1968 hatte u.a. folgenden Wortlaut:
"Kommt die asiatische Grippe? Niemand weiß das. Es kann aber durchaus sein, daß von Ostasien aus, von wo zur Zeit Erkrankungen gemeldet werden, eine Grippewelle nach Europa laufen wird. Sie müßte uns dann bis spätestens Januar 1969 erreicht haben.
Der Betriebsarzt führt daher wieder eine Grippe-Schutzimpfung durch.
Eine einzige schmerzlose Injektion des bewährten Impfstoffes der Behringwerke mit der Impfpistole reicht aus, um einjährigen Schutz vor der echten Influenza zu geben. Sie hilft, auch andere Erkältungskrankheiten leichter zu überwinden. Wer interessiert ist, möge sich schon jetzt den Mittwoch, den 30. Oktober 1968 vormerken.
gez. Dr. Dr. S. (Betriebsarzt)”
Der zweite Aushang vom 25. Oktober 1968 wies auf die angekündigte kostenlose Grippeschutzimpfung am Mittwoch, dem 30. Oktober 1968, hin und lautete unter anderen wie folgt:
"Jeder kann geimpft werden. Ausgenommen sind Fieberkranke und wer kein Eiereiweiß verträgt. Verwendet wird Impfstoff und Impfpistole der Firma B.werke F ... Gespritzt wird in den linken Oberarm.
Die Zeiten müssen genau eingehalten werden.
Andere als die vorgenannten Dienststellen können nicht angefahren werden. Wer von anderen Dienststellen teilnehmen will, möge sich bitte an den nächstgelegenen Impfort begeben.
Nach vielen früher gemachten guten Erfahrungen rechne ich mit reger Teilnahme.
gez. Dr. Dr. S. (Betriebsarzt)”
Die Klägerin litt zu diesem Zeitpunkt an einer Thrombophlebitis und nahm das Medikament Sintrom ein. Sie will dies den genannten Ärzten vor der Impfung mitgeteilt haben. Nach ihren weiteren Angaben kam es eine Woche nach der Schutzimpfung zu Kreislaufstörungen mit Herzbeschwerden, so daß eine ambulante Behandlung bei ihrer Hausärztin erforderlich wurde. Vom 4. Januar bis zum 3. März 1969 erkrankte sie arbeitsunfähig, wobei sie in der Zeit vom 15. bis zum 31. Januar 1969 wegen einer zusätzlichen Thrombose am rechten Arm stationär im Stadtkrankenhaus F.-H. behandelt werden mußte. Vom 4. bis 17. März 1969 arbeitete sie wieder. Anschließend war sie mehrfach, unterbrochen von arbeitsfähigen Zeiten, erkrankt.
Am 9. März 1970 teilte das ZDF der Beklagten mit, daß die Grippeschutzimpfung nicht angeordnet und auch nicht empfohlen worden sei; es habe lediglich die Möglichkeit, sich freiwillig impfen zu lassen, bestanden. Die Klägerin sei im übrigen am Arbeitsplatz keiner besonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen.
Mit Bescheid vom 6. April 1970 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung mit der Begründung ab, die Schutzimpfung sei nicht vom Arbeitgeber veranlaßt bzw. angeordnet worden und keine wesentliche Vorbedingung für die Arbeitsaufnahme oder die Fortführung der Arbeit gewesen. Es habe außerdem keine betriebsbedingte erhöhte Krankheitsgefahr am Arbeitsplatz bestanden. Es könne daher offenbleiben, ob zwischen der Impfung und den geklagten Beschwerden ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang bestehe.
Gegen diesen Bescheid, dessen Zustellung aus den Unfallakten nicht ersichtlich ist, hat die Klägerin am 30. April 1970 bei dem Sozialgericht Frankfurt a.M. Klage erhoben und behauptet, daß die bei ihr aufgetretenen Herzstörungen auf die bei dem ZDF vorgenommene Betriebsimpfung gegen die Asiatische Grippe zurückzuführen seien.
Das Sozialgericht hat verschiedene Auskünfte über die Erkrankungen der Klägerin vor und nach der Schutzimpfung, die Aushänge des Betriebsarztes des ZDF vom 18. und 25. Oktober 1968, die Schutzimpfung selbst und schließlich das internistische Gutachten des Dr. C. vom 25. Mai 1972 eingeholt. Dieser Sachverständige hat ausgeführt, daß die Schutzimpfung eine Verschlimmerung einer bereits bestehenden Myocardschädigung und die Entstehung einer Fettstoffwechselstörung hervorgerufen habe und insoweit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. anzunehmen sei. Das Sozialgericht hat hierauf unter Abweisung der Klage im übrigen die Beklagte verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einem Grad der MdE in Höhe von 30 v.H. zu gewähren. Es hat ausgeführt, daß die von dem Bundessozialgericht (BSG) entwickelte Rechtsprechung, daß Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit zum unversicherten Lebensbereich gehörten, nicht mehr zeitgemäß sei, da sie nicht im Einklang mit den Bemühungen um eine umfassende werksärztliche Betreuung der Arbeitnehmer stehe.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 27. Dezember 1972 zugestellte Urteil am 3. Januar 1973 Berufung eingelegt.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 22. Dezember 1972 zugestellte Urteil am 18. Januar 1973 Anschlußberufung eingelegt.
Die Beklagte macht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG Rechtsausführungen und beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 17. November 1972 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Anschlußberufung der Klägerin zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und diese unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt aM. vom 17. November 1972 zu verurteilen, ihr wegen Herzbeschwerden nach Endocarditis die Vollrente zu gewähren und ihr die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthaften Berufungen sind frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.
Jedoch ist nur die Berufung der Beklagten begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil mußte daher aufgehoben werden; die Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keine Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen etwaiger aufgrund der Grippeschutzimpfung eingetretener Schäden, weil insoweit kein Arbeitsunfall vorliegt (§ 548 Reichsversicherungsordnung – RVO –).
Es kann offen bleiben, ob, wie der von dem Sozialgericht gehörte Sachverständige Dr. C. ausgeführt hat, durch die Grippenschutzimpfung ein bereits vor bestandener Myocardschaden verschlimmert und eine Fettstoffwechselstörung ausgelöst worden ist. Der Einholung dieses Gutachtens bedurfte es nicht, weil eine Gesundheitsstörung, die durch eine Grippeschutzimpfung verursacht worden ist, in keinem inneren ursächlichen Zusammenhang mit einer gegen Unfall versicherten Tätigkeit steht. Grundsätzlich gehören nämlich Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit zum unversicherten Lebensbereich, da sie von den freien, eigenen Entschließungen des Versicherten abhängen. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit ist auch nicht deshalb gegeben, weil das Unternehmen ein natürliches Interesse an der Gesundheit und Leistungsfähigkeit seiner Beschäftigten hat und in großzügiger Handhabung seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht von sich aus entsprechende Maßnahmen einleitet und es den Betriebsangehörigen ermöglicht, statt im Wege einer eigenen privaten Vorsorge in einer dem Unternehmen gehörenden betriebsärztlichen Einrichtung das Erforderliche für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit sich angedeihen zu lassen (vgl. BSGE 4 S. 219, 223; 9 S. 222, 226; BG 1965 S. 115; Urt. vom 27. Oktober 1965 – 2 RU 108/63 – in SozR Nr. 1 § 548 n.F.; Urt. v. 28.10.1966 – 2 RU 2/62 in BG 1967 S. 113; Urt. v. 4.5.1971 – 2 RU 24/70 –). Von diesen Grundsätzen, denen sich der Senat anschließt, hat das BSG ausnahmsweise den Unfallversicherungsschutz für Vorbeuge- und Heilmaßnahmen bejaht, wenn sie in einem bestimmten Unternehmen im Hinblick auf eine mit einer besonderen Gefährdung verbundenen Tätigkeit erfolgen und aus der besonderen Gestaltung der Maßnahme eindeutig erkennbar ist, daß ihre Durchführung wesentlich in Wahrnehmung betrieblicher Belange erfolgt, d.h., wenn das Interesse des Beschäftigten an seiner Gesundheit nur einen Nebenzweck der Maßnahme bedeutet oder die Behandlungsmaßnahme zur Überwindung einer Gesundheitsstörung und sogleich zur Weiterarbeit führt (BSG, Urt. v. 27.10.1965 – 2 RU 108/63 – in SozR Nr. 1 zu § 548 RVO n.F.). Ein solcher, eng auszulegender Ausnahmetatbestand liegt hier nach dem – auch unstreitigen – Sachverhalt nicht vor. Hierzu ist festzustellen, daß die Klägerin bei dem ZDF als Fernschreiberin in der Fernschreibezentrale in W. tätig ist. Wenn auch, wie die Erklärung des B. K. vom 1. Juli 1971 zeigt, die Klägerin bei dieser Tätigkeit ständig mit Redakteuren – auch aus dem Ausland – dienstlichen Kontakt hatte und von ihr Agenturmeldungen stündlich mehrmals in die Redaktionen zu bringen waren, so begründet dies, wie das ZDF in seiner Auskunft vom 9. März 1970 mitgeteilt hat, keine besondere Ansteckungsgefahr, wie ihr nicht auch andere Mitarbeiter des ZDF, aber auch die Allgemeinheit ausgesetzt gewesen sind. Ihre Tätigkeit hat jedenfalls mangels einer besonderen betrieblichen Gefährdung ihren Arbeitgeber nicht veranlaßt, die Grippeschutzimpfung herbeizuführen. Das ZDF hat sie vielmehr in seiner Sendezentrale in M. und W. alljährlich im Herbst ohne besondere Anordnung auf eigene Kosten durch den Betriebsarzt im Zusammenwirken mit der Fa. B.-Werke AG für die Mitarbeiter durchgeführt, so auch im Oktober 1968. Jeder Betriebsangehörige hatte die Möglichkeit aus eigenem Entschluß daran teilzunehmen. Aus den Aushängen vom 18. und 25. Oktober 1968 ergibt sich keine Anordnung des Unternehmens, welche die Impfmaßnahme im Hinblick auf eine besonders gefährdende betriebliche Tätigkeit für jeden Arbeitnehmer erforderlich machte. Es war vielmehr jedem Beschäftigten freigestellt, sich gegen eine mögliche Grippeerkrankung impfen zu lassen. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 1966 (2 RU 2/62 in BG 1967, S. 113) zwar die Frage offen gelassen, ob der Versicherungsschutz dann zu gewähren ist, wenn das Unternehmen Medikamente austeilt oder Schutzimpfungen gelenkt durchführt, weil es die Auswirkungen einer gehäuft auftretenden Erkrankung auf die Arbeitsleistung im Unternehmen bekämpfen will. Die Grippeschutzimpfung hatte im vorliegenden Fall sicher diesen Zweck. Indessen vermag auch eine solche gelenkte Maßnahme den Unfallversicherungsschutz nicht zu begründen, wenn, wie hier, der einzelne Betriebsangehörige keinem – auch nur moralischen – Druck ausgesetzt wird, sich an der Impfaktion zu beteiligen.
Das Sozialgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, daß "werksärztliche Impfungen entgegen Art. 19 des Grundgesetzes (GG) für die Bundesrepublik Deutschland ohne gesetzliche Einschränkung des in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG festgelegten Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit uneingeschränkt zulässig” seien. Es meint damit offensichtlich, daß sich Betriebsangehörige der vom Betriebsarzt durchgeführten Impfaktion zu unterziehen haben. Es sind aber keinerlei gesetzliche oder arbeitsvertragliche Bestimmungen ersichtlich, die einem Betriebsarzt eine solche Befugnis einzuräumen vermögen. Die Bekanntmachungen des Betriebsarztes des ZDF zur Durchführung der Grippeschutzimpfung weisen auch nicht auf derartiges hin. Es war vielmehr, wie bereits dargetan, jedem Beschäftigten die Teilnahme an der Schutzimpfung freigestellt. Die so vom Betriebsarzt des ZDF vorgenommene Schutzimpfung war für die Bediensteten des ZDF nur eine günstige Gelegenheit, sich anstelle des zeitraubenden Aufsuchens eines privaten Arztes an der Arbeitsstelle ohne Zeitverlust und kostenlos impfen zu lassen. Eine solche fürsorgerische Maßnahme des Unternehmers, die der Versicherte aus freiem Entschluß in Anspruch nimmt, ist nach alledem nicht den versicherten Tätigkeiten im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses zuzurechnen.
Der Versicherungsschutz ergibt sich auch nicht aus § 539 Abs. 1 Nr. 11 RVO. Hiernach sind Personen versichert, die aufgrund von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften ärztlich untersucht oder behandelt werden. Als Arbeitsschutzvorschriften kommen z.B. das Seemannsgesetz, das Jugendarbeitsschutzgesetz oder die Strahlenschutzverordnung in Betracht. Aufgrund solcher Vorschriften oder einer Unfallverhütungsvorschrift ist die Klägerin aber nicht geimpft worden. Sie hat vielmehr die vom ZDF angebotene Schutzimpfungsgelegenheit aus eigenem Entschluß wahrgenommen.
Nach alledem war daher mangels Begründetheit des klägerischen Anspruchs das sozialgerichtliche Urteil aufzuheben, die Klage ab- und daher auch die Anschlußberufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG.
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