L 1 U 3823/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 2474/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3823/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.07.2008 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die Feststellung von Unfallfolgen und die Gewährung einer Verletztenrente im Streit.

Die 1946 geborene Klägerin erlitt am 10.01.2002 einen bei der Beklagten versicherten Wegeunfall, als sie bei der Vollbremsung eines Omnibusses zu Boden stürzte. Die Klägerin wurde nach vorübergehender Bewusstlosigkeit stationär bis zum 12.01.2002 in der chirurgischen Universitätsklinik F. zur Beobachtung aufgenommen. Dort wurde eine Gehirnerschütterung festgestellt; die Klägerin habe darüber hinaus auch über eine Gedächtnislücke geklagt. Frakturen oder neurologische Auffälligkeiten seien im Verlauf nicht festgestellt worden (Kurzbericht von C. Abel vom 12.01.2002). Mit Bericht vom 24.01.2002 hat der Orthopäde Dr. F. eine Distorsion des linken Handgelenkes mitgeteilt, wobei eine knöcherne Verletzung ausgeschlossen worden sei. Der Neurologe und Psychiater A. K. stellte am 12.02.2002 ein cervikocephales Syndrom bei Verdacht auf cervikogenen Schwindel sowie einen Tinnitus beidseits (cervikogen bedingt) fest. Der Orthopäde Dr. L. teilte am 14.02.2002 einen Zustand nach Gehirnerschütterung, einen cervikogenen Kopfschmerz und einen Verdacht auf Schwindel cervikogenen Ursprungs bei Vorliegen beginnender degenerativer Veränderungen in Höhe der Wirbelkörper 5 bis 7 und einer ventral betonten Spondylose in Höhe C 5/ C 7 mit.

Im Auftrag der Beklagten erstellte der Orthopäde und Chirurg Prof. Dr. H. am 25.01.2003 ein Sachverständigengutachten. Nachgewiesen sei eine stattgehabte Schädelprellung mit nachfolgender Gehirnerschütterung. Möglicherweise sei auch der Einriss einer Knorpelscheibe am linken Handgelenk erfolgt. Während Prellung und Gehirnerschütterung längst folgenlos ausgeheilt seien, sei der Diskuseinriss am Handgelenk noch Ende Juli 2002 bildgebend nachgewiesen worden. Bis zum 25.01.2002 habe Arbeitsunfähigkeit bzw. eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % vorgelegen, anschließend bis zum 10.03.2002 in Höhe von 30 % sowie bis zum 10.04.2002 von 10 %.

Am 27.06.2006 erstellte Prof. Dr. W. ein unfallchirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage. Der Gutachter wies daraufhin, dass die Klägerin wegen Schwindel und Taumel mit Arbeitsunfähigkeit vom 02.01. und 06.01.2002 bereits kurz vor dem Unfall in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Außerdem sei auch bereits am 28.11.2001 ein cervikocephales Syndrom mit Vertigo festgestellt worden. Kernspintomographieaufnahmen der Brustwirbelsäule vor dem Unfallzeitpunkt vom 24.12.2001 zeigten fortgeschrittene degenerative Veränderungen der Brustwirbelsäule bei vermehrter thorakaler Kyphose. Die nach dem Unfallereignis vom 10.01.2002 angefertigten CT-Aufnahmen der Wirbelsäule mit fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule böten keinen Anhaltspunkt für unfallbedingte Veränderungen. Auch die Beschwerden im Bereich des linken Handgelenks seien unfallunabhängig. Im Rahmen der Untersuchung vom 22.01.2002 seien keine äußeren Verletzungszeichen im Bereich des linken Handgelenkes festgestellt worden, die Beweglichkeit sei frei gewesen. Die im Kernspintomogramm vom 19.07.2002 beschriebenen Veränderungen seien als degenerativ einzustufen, da eine traumatisch bedingte Diskusläsion des Diskus triangularis auf jeden Fall mit einer Schwellung und Funktionseinschränkung des linken Handgelenks hätte einhergehen müssen. Beschwerden im Bereich der Schultergelenke, des Schlüsselbeins und des Brustbeins sowie des linken Hüftgelenks seien ebenfalls unfallunabhängiger Natur und hätten sich erst viel später nach dem Unfall entwickelt. Eine am 23.01.2006 mikrochirurgisch vorgenommene Stabilisierungsoperation BWK 10/11 und 11/12 sei ebenfalls auf die vorbestehenden degenerativen Veränderungen zurückzuführen. Am 14.02.2002 angegebene Beschwerden der Halswirbelsäule seien als Fortsetzung des cervikocephalen Syndroms mit Vertigo vom 28.11.2001 zu verstehen und könnten nicht als posttraumatisch eingestuft werden. Zusammenfassend sei bei dem Ereignis vom 10.01.2002 lediglich eine leichte Gehirnerschütterung eingetreten, sämtliche nachfolgenden Beschwerden seien als unfallunabhängig einzustufen und degenerativen Ursprungs. Zur neurologisch-psychiatrischen Begutachtung wurde von Prof. Dr. S. am 23.09.2006 ein weiteres Gutachten erstellt. Durch die Gehirnerschütterung sei vorübergehend eine reversible Hirnfunktionsstörung eingetreten, welche in der Zwischenzeit folgenlos ausgeheilt sei. Aus neurologischer Sicht sei nach Entlassung aus dem Universitätsklinikum F. am 12.01.2002 wieder vollzeitige Arbeitsfähigkeit eingetreten. Die danach durchgeführten Behandlungen und Untersuchungen seien nicht aufgrund unfallbedingter Gebrechen erforderlich gewesen, eine unfallbedingte MdE sei seitens des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets nicht anzunehmen.

Mit Bescheid vom 14.11.2006 stellte die Beklagte fest, dass wegen der Folgen des Arbeitsunfalls kein Anspruch auf Rente bestehe. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit aufgrund des Ereignisses vom 10.01.2002 hätten lediglich für drei Tage bestanden. Eine unfallbedingte MdE in rentenberechtigendem Grade liege nicht vor. Bereits vor dem Unfall hätten Schwindel und Taumelerscheinungen, Kopf- und Halswirbelsäulenbeschwerden, fortgeschrittene altersbedingte Aufbraucherscheinungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule ohne Anhalt für unfallbedingte Veränderungen, Beschwerden im linken Handgelenk aufgrund altersbedingten Verschleißes sowie Beschwerden im Bereich der Schultergelenke, des Schlüsselbeins und des Brustbeines vorgelegen. Die allein unfallbedingte leichte Gehirnerschütterung sei inzwischen folgenlos ausgeheilt.

Ihren Widerspruch begründete die Klägerin insbesondere damit, dass der Tinnitus als Unfallfolge anzuerkennen sei. Der Tinnitus sei unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten (Schreiben des Neurologen K. vom 12.02.2002) sowie durch den behandelnden HNO-Arzt Dr. P. (Schreiben vom 25.10.2002 und 28.01.2004) bestätigt worden.

Auf Anfrage der Beklagten berichtete der HNO-Arzt Dr. P. am 14.12.2006, dass die Klägerin ihn erstmalig am 01.10.2002 wegen beidseitiger Ohrgeräusche aufgesucht habe. Die Klägerin habe berichtet, die Ohrgeräusche erstmalig nach dem Unfall in zunehmendem Maße wahrgenommen zu haben. Verlaufsbeobachtungen in den nachfolgenden Jahren hätten ergeben, dass der Tinnitus höchst wahrscheinlich nicht auf eine peripher-auditive Erkrankung, sondern eher auf eine cerebrale Wahrnehmungsstörung zurückgehe. Die Zusammenhänge seien typisch für nach Schädeltraumen aufgetretene Ohrgeräusche. Vor dem Unfallereignis sei bei der Klägerin kein Tinnitus bekannt gewesen.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere fachärztliche Begutachtung auf HNO-ärztlichem Sachgebiet. Nach Auffassung des Gutachters Dr. D. in seinem Gutachten vom 08.02.2007 könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die nach den Angaben der Klägerin unmittelbar nach dem Unfall aufgetretenen Ohrgeräusche eine direkte Traumafolge seien. Andere Ursachenfaktoren seien nicht feststellbar, und der Unfallmechanismus einer Schädelprellung sei geeignet, einen Tinnitus auszulösen. Allerdings sei deswegen lediglich eine MdE von 10 v.H. festzustellen. Abgesehen von dem Ohrgeräusch liege bei der Klägerin eine altersgemäße Hörsituation vor.

Mit beratungsärztlicher Stellungnahme vom 29.01.2007 trat der Facharzt für HNO-Heilkunde Prof. Dr. T. den Ausführungen von Dr. D. entgegen. Dr. P. habe bereits mit Stellungnahme vom 10.01.2006 für möglich gehalten, dass der Tinnitus der Klägerin im Zusammenhang mit einer depressiven Krankheitsentwicklung zu sehen sei. In diesem Fall sei der Tinnitus im Zusammenhang mit einer neurologischen bzw. psychiatrischen Krankheitsentwicklung zu würdigen. Da Prof. Dr. S. in seinem Gutachten auf neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet Erkrankungen ausgeschlossen habe, könne das von der Klägerin angegebene Ohrgeräusch lediglich mit einer MdE von 0 bis 5 % anerkannt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2007 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Bereits in der Stellungnahme des behandelnden HNO-Arztes Dr. P. vom 10.01.2006 werde der Tinnitus im Zusammenhang mit einer depressiven Erkrankung (auch ohne Verbindung mit dem Unfall) gesehen.

Deswegen hat die Klägerin am 02.05.2007 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Mit ihrer Klage hat sie unter anderem die Feststellung des bei ihr bestehenden Tinnitus als Unfallfolge mit einer MdE von 10 % beantragt sowie die weitere Abklärung der aufgrund des Unfallereignisses vorliegenden MdE durch ihre Wirbelsäulenbeschwerden und eine posttraumatische Belastungsstörung, welche sich in Konzentrationsstörungen, Schwankschwindel, Bewegungseinschränkung, Kopfschmerzen und zeitweiliger Gangunsicherheit äußere.

Das SG hat sachverständige Zeugenaussagen bei dem behandelnden Orthopäden Dr. B. und dem HNO-Arzt Dr. A. eingeholt. Dr. A. hat am 11.10.2007 angegeben, dass nach Aktenlage ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Auftreten des Tinnitus vorliege, ein kausaler Zusammenhang jedoch in den Akten keine Erwähnung finde. Es sei davon auszugehen, dass die Symptome Hörstörung und Tinnitus seit dem Unfall durchgehend vorhanden gewesen seien. Dr. B. hat am 11.10.2007 mitgeteilt, dass die Klägerin seit dem Eintritt in seine Behandlung am 08.08.2000 wegen Beschwerden auf orthopädischem Fachgebiet trotz der zwischenzeitlich stattgefundenen Operation arbeitsunfähig sei. Er führe dies auf die durch den Unfall erfolgten Verletzungen der Klägerin zurück. Die unfallbedingte MdE liege bei 20 %.

Anschließend hat das SG bei dem Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. L.-B. ein Sachverständigengutachten eingeholt, welches dieser am 20.02.2008 vorgelegt hat. Die Klägerin habe durch den Unfall eine Prellmarke am Kopf und eine leichte Gehirnerschütterung erlitten. Die Beschwerden im Bereich der Brustwirbelsäule, die zur operativen Versteifung im Segment Th12 geführt hätten, seien nicht auf den Unfall zurückzuführen. Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Unfalls habe bis zum 18.03.2002 vorgelegen. Die Klägerin leide unter wiederkehrenden, bereits vor dem Unfall aufgetretenen mechanischen Funktionsstörungen der Halswirbelsäule mit Kopf- und Nackenschmerzen. Die direkt nach dem Unfall aufgetretenen Beschwerden seien in der gutachterlichen Untersuchung von der Klägerin anders angegeben worden als bei den Vorgutachtern und den behandelnden Ärzten. Die Schilderung vor dem Gutachter habe alle Zeichen der Aggravation, teilweise auch der Simulation, aufgewiesen. In den Akten finde sich eine Fülle von radiologischen Befunden, welche absolut altersentsprechend seien; dies gelte auch für den Einriss des linken Diskus tringularis. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit handele es sich hierbei um eine Verschleißerscheinung, die, wäre sie unfallbedingt eingetreten, eine bei der Einlieferung ins Krankenhaus nicht zu übersehende Symptomatik gezeigt hätte. Über das Anpralltrauma des Kopfes mit leichter Gehirnerschütterung hinaus ließen sich unfallbedingte Verletzungen oder Folgeerkrankungen nicht nachweisen. Die MdE habe bis zum 18.03.2002 100 % und danach 0 % betragen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.07.2008 als unbegründet abgewiesen. Aufgrund des schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens des Dr. L.-B. sei davon auszugehen, dass als Folgen des Unfalles vom 10.01.2002 lediglich eine leichte Gehirnerschütterung und Kopfprellung aufgetreten seien, welche folgenlos ausgeheilt seien. Die von dem Gutachter erhobenen Befunde stünden in Übereinstimmung mit denen von Prof. Dr. H. sowie Prof. Dr. W. und den bei Einlieferung in das Universitätsklinikum F. erhobenen Feststellungen. Auch der behandelnde Arzt Dr. L. habe im März 2002 sowie im Mai 2002 eine Ausheilung der Gehirnerschütterung angegeben. Dr. L.-B. habe auch zu Recht in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass die Klägerin bereits vor dem Unfall unter wiederkehrenden, mechanischen Funktionsstörungen der HWS mit Kopf- und Nackenschmerzen gelitten habe. Eine Unfallverursachung sei auch für die Stabilitätsprobleme in der Brustwirbelsäule (BWS) auszuschließen, da es sich hierbei um ausgeprägte degenerative Veränderungen handele. Schließlich sei auch nicht der Nachweis erbracht worden, dass die Tinnitus-erkrankung der Klägerin auf den Unfall vom 10.01.2002 zurückzuführen sei. Dr. L.-B. habe überzeugend ausgeführt, dass in dem für das Landgericht Freiburg erstellten HNO-Gutachten des Prof. Dr. L. vom Oktober 2005 eine Verletzung des Hörorganes ausgeschlossen worden sei und der HNO-Gutachter darauf hingewiesen habe, dass er eine unfallbedingte Läsion des Gehirns nicht beurteilen könne. Die angesprochene mögliche Hirnverletzung sei jedoch wiederum im vorliegenden Verwaltungsverfahren durch die Gutachter ausgeschlossen worden. Dr. L.-B. habe schlüssig dargelegt, dass eine Schädigung von Hirnstrukturen, im vorliegenden Fall von Stammhirnstrukturen, eine schwere Symptomatik im Sinne eines akuten Schädel-Hirn-Traumas hervorgerufen hätte, was keinesfalls von den Ärzten der Universitätsklinik F. hätte übersehen werden können. Das Ohrgeräusch sei daher nicht unfallbedingt. Diese Einschätzung entspreche auch der des die Klägerin behandelnden HNO-Arztes Dr. P., welcher am 09.10.2003 mitgeteilt habe, dass die Ohrgeräusche in peripheren Bereich ausgelöst würden und der Tinnitus mit erheblichen psycho-vegetativen Begleiterscheinungen einhergehe. Insoweit werde auf die schriftliche Stellungnahme des Prof. Dr. T. zum Gutachten des Dr. D. Bezug genommen, der zu Recht Zweifel an der von Dr. D. vermuteten Verursachung des Hörgeräuschs durch den Unfall geäußert habe. Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 15.07.2008 zugestellt worden.

Die Bevollmächtigten der Klägerin haben am 11.08.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG seien durch den Arbeitsunfall vom 10.01.2002 dauerhafte Unfallfolgen auf orthopädisch-chirurgischem, neurologisch-psychiatrischem und HNO-fachärztlichem Gebiet hervorgerufen worden, welche von der Beklagten zu entschädigen seien. Die Klägerin sei mittlerweile als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 90 anerkannt; die Schwerbehindertenakten habe das SG nicht beigezogen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.07.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aufgrund des Unfalles vom 10.01.2002 eine Rente in Höhe einer MdE um 20 v.H. zu gewähren, hilfsweise festzustellen, dass ihre Tinnituserkrankung Folge des Unfalls mit einer MdE von 10 v.H. sei.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig.

Im Berufungsverfahren sind die Schwerbehindertenakten der Klägerin beigezogen worden. Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des Versorgungsamts, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R -).

Zwar hat die Klägerin am 10.01.2002 einen bei der Beklagten als Arbeitsunfall versicherten Wegeunfall erlitten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht jedoch zur Überzeugung des Senats fest, dass die Folgen dieses Unfalls bereits am 18.03.2002 ausgeheilt waren. Dauerhafte Unfallfolgen waren daher vorliegend von der Beklagten nicht anzuerkennen. Auch die Gewährung der beantragten Verletztenrente scheidet aus, weil nach dem Ergebnis der Ermittlungen keine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus in Höhe von wenigstens 20 v.H. vorlag, § 56 Abs. 1 SGB VII.

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr., vgl. stellvertretend BSG vom 12.04.2005 a.a.O., RdNr. 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Vorb. v. § 249 RdNr. 58 ff. m. w. N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Be-deutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vor-handenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG, Urteile vom 09.05.2006, a.a.O.).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststel-lung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.N.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.). Nach diesen Grundsätzen liegt zur Überzeugung des Senats eine unfallbedingte Kausalität für die geltend gemachte Gesundheitsstörungen nicht vor.

Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Unfallfolgen auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet wird auf die vorliegenden Gutachten verwiesen, in denen die Beschwerden der Klägerin übereinstimmend als bereits vor dem Unfall vorhanden und auf degenerativen Erscheinungen beruhend erklärt werden; noch vorhandene Unfallfolgen sind von den Gutachtern auf diesen Fachgebieten mit Bestimmtheit ausgeschlossen worden (Gutachten von Prof. Dr. H. vom 25.01.2003, von Prof. Dr. W. vom 27.06.2006, von Prof. Dr. S. vom 23.09.2006 und von Dr. L.-B. vom 20.02.2008). Insoweit misst der Senat den ausführlichen, schlüssigen und übereinstimmenden Gutachten einen deutlich höheren Beweiswert bei als der vagen Aussage des behandelnden Orthopäden Dr. B., dass wegen des Auftretens der Beschwerden erst nach dem Unfall von einer Verursachung durch den Unfall auszugehen sei. Insoweit Dr. B. sich hierbei auf die Angaben der Klägerin stützt, ist darauf hinzuweisen, dass der Gutachter Dr. L.-B. bei der Klägerin deutliche Hinweise auf Aggravation und Simulation festgestellt hat.

Auch auf HNO-fachärztlichem Gebiet liegen keine Unfallfolgen vor. Der Gutachter Dr. D. hat in seinem Gutachten vom 08.02.2007 mitgeteilt, dass abgesehen von einem Ohrgeräusch bei der Klägerin eine altersgemäße Hörsituation vorliege. Er bejaht den Unfallzusammenhang im Wesentlichen mit den drei Argumenten, dass der Unfall zur Verursachung eines Tinnitus geeignet gewesen sei, die Klägerin den Tinnitus nach eigenen Angaben bereits unmittelbar nach dem Unfall bemerkt habe und alternative Verursachungsmöglichkeiten nicht ersichtlich seien. Insoweit ist der Argumentation des Dr. D. indes in allen drei Punkten zu widersprechen.

Zwar behauptete die Klägerin bei Dr. D., den Tinnitus bereits unmittelbar nach dem Unfall bemerkt zu haben, doch hat sie dies ihrem behandelnden HNO Arzt erst rund neun Monate nach dem Unfall mitgeteilt. Auf Anfrage der Beklagten berichtete der HNO-Arzt Dr. P. am 14.12.2006, dass die Klägerin ihn erstmalig am 01.10.2002 - also erst rund neun Monate später - wegen beidseitiger Ohrgeräusche aufgesucht habe. Die Klägerin habe berichtet, die Ohrgeräusche erstmalig nach dem Unfall in zunehmenden Maße wahrgenommen zu haben. Dieser Zeitablauf macht es unwahrscheinlich, dass der Tinnitus durch den Unfall verursacht worden ist. Die Klägerin war bei Dr. P. bereits seit dem 06.12.2001 in Behandlung und hatte seitdem bei ihm auch direkt nach dem Unfall nicht von einem Tinnitus berichtet. Die einzige frühere Erwähnung eines Tinnitus findet sich in dem Arztbrief des Neurologen A. K. vom 12.02.2002, der insoweit aber allein von den Aussagen der Klägerin (ohne eigene Befunderhebung) ausging und eine cervikogene Ursache annahm. Auch diese Angabe der Klägerin ist zudem erst rund einen Monat nach dem Arbeitsunfall erfolgt.

Ferner weist Dr. P. in seinem Arztbrief vom 14.12.2006 in Übereinstimmung mit Dr. D. darauf hin, dass die Zusammenhänge typisch für nach Schädeltraumen aufgetretene Ohrgeräusche seien. Auch sei vor dem Unfallereignis bei der Klägerin kein Tinnitus bekannt gewesen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass nach den Gutachten von Dr. L.-B. vom 20.02.2008 und des Prof. Dr. L. aus dem Jahr 2005 eine physische Verletzung durch den Unfall ausgeschlossen sei und nur die subjektive Empfindung eines Ohrgeräuschs angenommen werden könne, was unter anderem damit begründet wird, dass es sich bei dem stattgehabten Schädeltrauma um ein vergleichsweise leichtes Anpralltrauma des Kopfes gehandelt habe. Hierfür spricht, dass nach den übereinstimmenden Gutachten auf orthopädisch-chirurgischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine vollständige Ausheilung der Beschwerden auf diesem Gebiet festzustellenden Verletzungen spätestens am 18.03.2002 gegeben war.

Sofern Dr. D. schließlich auf das angebliche Fehlen einer alternativen Erklärungsmöglichkeit für den Tinnitus abstellt, ist bereits von Dr. P. mit Stellungnahme vom 10.01.2006 für möglich gehalten worden, dass der Tinnitus der Klägerin im Zusammenhang mit einer depressiven Krankheitsentwicklung zu sehen sei; dieser Bewertung hat sich auch Prof. Dr. T. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme angeschlossen.

Die Klägerin war außerdem gemäß den zuerst erstellten Gutachten von Prof. Dr. H. und Prof. Dr. W. bereits vor dem Unfall wegen HWS-Beschwerden und Kopfschmerzen sowie Schwindelgefühlen in ärztlicher Behandlung, so dass sich sogar eine zweite alternative Erklärungsmöglichkeit für den mehrfach als cervikogen beschriebenen Tinnitus der Klägerin anbietet. Auch Dr. L.-B. hat hierzu in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass die Klägerin bereits vor dem Unfall unter wiederkehrenden, mechanischen Funktionsstörungen der HWS mit Kopf- und Nackenschmerzen gelitten habe. Aktenkundig sind nach dem Vorerkrankungsverzeichnis der Klägerin zudem auch Schilderungen von Schwindel und Taumel aus der Zeit unmittelbar vor dem Arbeitsunfall.

Als viertes Argument ist gegen das Gutachten des Dr. D. anzuführen, dass seine Formulierung, es könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die nach den Angaben der Klägerin in unmittelbar nach dem Unfall aufgetretenen Ohrgeräusche eine direkte Traumafolge seien, den Anforderungen eines Nachweises einer behaupteten Unfallfolge nicht genügt. Insofern ist der erforderliche Nachweis nach den im Unfallversicherungsrecht geltenden Beweisgrundsätzen, dass mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, nicht erbracht (s. o., BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.N.), weil die Aussage des Dr. D. die reine Möglichkeit der Verursachung, aber noch nicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verursachung beinhaltet. Im Übrigen hat auch der die Klägerin in Nachfolge von Dr. P. behandelnde HNO-Arzt Dr. A. in seiner sachverständigen Zeugenaussage gegenüber dem SG angegeben, dass zwar nach Aktenlage ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Auftreten des Tinnitus bestätigt werde, ein kausaler Zusammenhang jedoch in den Akten keine Erwähnung finde.

Demnach konnten weder der Hauptantrag der Klägerin noch ihr Hilfsantrag auf Feststellung des Tinnitus als Unfallfolge Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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