Arb. VI 38/56

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
VI
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
Arb. VI 38/56
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1) Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 10. April 1956 aufgehoben und die Klage aufgewiesen.

2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

3) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, welcher bis zum 31. Dezember 1955 arbeitslos war, hat vom Arbeitsamt H. vom 13. Juni bis 26. November 1955 Arbeitslosenunterstützung bezogen. Am 21. Juni 1955 beantragte er beim Arbeitsamt H. die Gewährung von Kindergeld, da er drei Kinder hat. Die am 1945 geborene Tochter I. und der am 1946 geborene Sohn S. stammen aus der ersten Ehe des Klägers, die geschieden wurde; beide Kinder leben bei ihrer Mutter. Das dritte Kind des Klägers, der am 1951 gegorene Sohn W., stammt aus der derzeitigen Ehe des Klägers. Seine Ehefrau ist bei der Firma V.-Gummiwerke in S. in O. beschäftigt. Nachdem das Arbeitsamt H. dem Kläger bereits für die Monate Juni bis August 1955 Kindergeld gezahlt hatte, entzog es ihm das Kindergeld durch Bescheid vom 7. Oktober 1955 ab September 1955 wieder mit der Begründung, daß seine Ehefrau einen Anspruch auf Kindergeld gegen die zuständige Berufsgenossenschaft habe.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, in dem er auf ein Schreiben der Familienausgleichskasse der chemischen Industrie in H. vom 27. Juli 1955 Bezug nahm. In diesem wurde die Auffassung vertreten, daß die Ehefrau des Klägers keinen Anspruch auf Kindergeld habe, weil die zwei Kinder des Klägers aus erster Ehe nicht als ihre ehelichen Stiefkinder angesehen werden könnten, da sie nicht in ihre Ehe eingebracht worden seien. Der Kläger schloß sich dieser Auffassung an. Sein Widerspruch wurde von der Widerspruchsstelle beim Arbeitsamt H. am 4. November 1955 zurückgewiesen. Auf den Widerspruchsbescheid wird Bezug genommen.

Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Frankfurt a.M. Er trug vor, seine im Haushalt seiner geschiedenen Ehefrau befindlichen zwei Kinder seien nicht als eheliche Stiefkinder seiner jetzigen Ehefrau anzusehen, so daß ihm ab 1. September 1955 weiterhin ein Kindergeldanspruch gegen die Beklagte zustehe. Das Sozialgericht Frankfurt a.M. lud die Familienausgleichskasse der chemischen Industrie zum Verfahren bei und erkannte durch den Urteil vom 10. April 1956 für Recht:

"Unter Aufhebung des Bescheides des Arbeitsamtes H. vom 7. Oktober 1955 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger das Kindergeld von monatlich DM 25,– für die Monate September bis Dezember 1955 zu zahlen.

In den Entscheidungsgründen vertrat das Sozialgericht die Auffassung, die beiden Kinder des Klägers aus erster Ehe könnten nicht als eheliche Stiefkinder seiner jetzigen Ehefrau angesehen werden, da sie bei ihrer Mutter und nicht im Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau lebten.

Gegen das ihr am 16. Mai 1956 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. Mai 1956 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Ehefrau des Klägers habe einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für die Zeit von September bis Dezember 1955 gegen die beigeladene Familienausgleichskasse der chemischen Industrie. Dieser Anspruch gehe dem des Klägers aus erster Ehe seien als eheliche Stiefkinder seiner jetzigen Ehefrau anzusehen. Weder in den Kindergeldgesetzen noch in anderen Gesetzen sei der Begriff des ehelichen Stiefkindes dahin zu verstehen, daß häusliche Gemeinschaft mit dem betreffenden Stiefelternteil vorliegen müsse. Damit der schwebende Rechtsstreit, der nur durch die unterschiedliche Rechtsauffassung zwischen zwei Trägern der Kindergeldzahlung entstanden sei, nicht zum Nachteil des Kindergeldberechtigten ausgetragen werde, sei dem Kläger inzwischen das Kindergeld für die Monate September bis Dezember 1955 unbeschadet des schwebenden Berufungsverfahrens- und ohne Anerkennung eines Rechtsgrundes nachträglich gewährt worden. Im Falle des Obsiegens werde sie ihre Aufwendungen bei der Familienausgleichskasse der chemischen Industrie zur Erstattung anmelden. Im einzeln wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 16. Mai und 31. Juli 1956 Bezug genommen.

Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Frankfurt a.M. vom 10. April 1956 aufzuheben und die Klage abzuweisen, sowie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage die Revision zuzulassen.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt.

Die beigeladene Familienausgleichskasse der chemischen Industrie beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Ehefrau des Klägers habe schon deshalb keinen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für die Monate September bis Dezember 1955, weil sie bisher noch keinen entsprechenden Antrag bei der Familienausgleichskasse gestellt habe. Im übrigen hätte ein solcher Antrag auch abgelehnt werden müssen, weil die beiden Kinder des Klägers aus erster Ehe infolge Nichtaufnahme in die häusliche Gemeinschaft der zweiten Ehe keine ehelichen Stiefkinder der Ehefrau des Klägers seien. Im einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 20. August 1956 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die fristgerecht eingelegt Berufung ist zulässig und begründet.

Die Beklagte ist durch das angefochtene Urteil noch beschwert, obwohl sie dem Kläger inzwischen das von ihm begehrte Kindergeld für die Monate September bis Dezember 1955 gezahlt hat. Sie verneint nämlich auch weiterhin einen Rechtsanspruch des Klägers auf Kindergeld und will im Falle des Obsiegens ihre Aufwendungen bei der beigeladenen Familienausgleichskasse der chemischen Industrie zur Erstattung anmelden.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für die Zeit vom September bis Dezember 1955. Während die Empfänger von Arbeitslosen- oder Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nach dem Gesetz über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen (Kindergeldgesetz) vom 13. November 1954 (BGBl. I Seite 333) = KGG = noch keinen Anspruch auf Kindergeld hatten, steht diesem Personenkreis nunmehr nach § 3 des Gesetzes über die Anpassung der Leistungen für Kinder in der gesetzlichen Unfallversicherung, in den gesetzlichen Rentenversicherungen, in der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge sowie in der Kriegsopferversorgung an das Kindergeldgesetz (Kindergeldanpassungsgesetz) vom 7. Januar 1955 (BGBl. I Seite 17) = KGAG = zwar Kindergeld zu, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß für das dritte oder weitere Kind unter anderem kein Anspruch auf Kindergeld nach dem KGG besteht (Absatz 1 Ziffer 3). Diese Bestimmung enthält insoweit eine Rangfolge der Kindergeldansprüche, als in dem § 3 Absatz 1 Satz 1 KGG bestimmt ist, daß für jedes Kind nur ein Kindergeld nach diesem Gesetz gewährt wird, um Doppelzahlungen zu vermeiden. Bereits aus der ursprünglichen Wortfassung des § 3 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 3 KGAG ergab sich, daß der Anspruch der Arbeitslosen gegen die Bundesanstalt für Arbeitsermittlung und Arbeitslosenversicherung subsidiär ist. Es ist nämlich ausdrücklich bestimmt, daß zum Beispiel ein sonstiger Anspruch auf Kindergeld nach dem KGG, der "für das dritte oder weitere Kind besteht”, den Anspruch des Arbeitslosen ausschließt. Dabei ist nicht Voraussetzung, daß der Arbeitslose selbst diesen weiteren Anspruch hat. Vielmehr ergibt sich aus der nicht auf den Arbeitslosen als Anspruchsträger bezug nehmenden Gesetzesfassung, daß dessen Anspruch auf Kindergeld auch dann wegfällt, wenn ein anderer, zum Beispiel seine Ehefrau, einem Anspruch auf Kindergeld nach dem Kindergeldgesetz hat. Demgegenüber besagt die durch § 11 des Gesetzes zur Ergänzung des Kindergeldgesetzes (Kindergeldergänzungsgesetz) vom 23. Dezember 1955 (BGBl. I Seite 841) = KGEG = geänderte Fassung des § 3 Absatz 1 KGAG, daß dem Arbeitslosen gegen die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Zukunft unter anderem nur dann kein Anspruch auf Kindergeld zusteht, wenn er, also nicht auch ein anderer, einen Anspruch auf Kindergeld nach KGG hat. § 3 Absatz 4 KGAG, wonach § 3 KGG entsprechend gilt, steht dem nicht entgegen. § 3 Absatz 4 KGAG gilt nach seiner Stellung im Kindergeldanpassungsgesetz nur für den dritten Abschnitt – Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung – nicht aber im Verhältnis der einen Kindergeldanspruch begründeten Gesetze – Kindergeldgesetzes und Kindergeldanpassungsgesetzes – untereinander. (So auch Tiede-Bürger, Kommentar zum Kindergeldgesetz, Anmerkung 24 ff. zu § 3 KGAG vom 15. Juli 1955). Nach dem Inkrafttreten des Kindergeldergänzungsgesetzes am 1. Februar 1955 ist es für den Anspruch des Arbeitslosen gegen die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung auf Zahlung von Kindergeld ohne Bedeutung, ob etwa seine Ehefrau ebenfalls einen Anspruch auf Kindergeld hat, denn nach § 3 Absatz 1 Satz 2 KGG in der Fassung, die er durch § 10 Nr. 2 KGEG erhalten hat, geht der Anspruch des Arbeitslosen gegen die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung stets der Ehefrau vor, so daß sich der vorliegende Streit nach dem 1. Februar 1956 nicht mehr ereignen könnte. Da hier aber die Kindergeldzahlung für die Monate September bis Dezember 1955 streitig ist, kann die durch das Kindergeldergänzungsgesetz eingetretene neue Rechtslage noch nicht berücksichtigt werden.

Im Gegensatz zum Sozialgericht Frankfurt a.M. vertritt der erkennende Senat die Fassung daß der Anspruch des Klägers auf Kindergeld gegen die Beklagte entfällt, weil seine Ehefrau für die Monate September bis Dezember 1955 einen Kindergeldanspruch gegen die Familienausgleichskasse der chemischen Industrie hatte. Die Ehefrau des Klägers erfüllt nämlich die Voraussetzungen der §§ 1 ff. KGG, weil sie ein eheliches Kind und zwei eheliche Stiefkinder hat. Die Familienausgleichskasse der chemischen Industrie meint zu Unrecht, die beiden bei der der geschiedenen Ehefrau des Klägers lebenden Kinder könnten nicht als eheliche Stiefkinder der jetzigen Ehefrau des Klägers nicht gesehen werden.

Der Begriff des "ehelichen Stiefkindes” (§ 2 Absatz 1 Ziffer 2 KGG) ist weder in den Kindergeldgesetzen noch in der Reichsversicherungsordnung oder anderen Gesetzen definiert. Soweit zu sehen ist, wurde er nur in § 44 Teil I Titel 1 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten umschrieben. Danach besteht eine Stiefverbindung im Sinne dieses Gesetzes nur zwischen einem Ehegatten und den aus einer sonstigen Ehe erzeugten Kindern des anderen Ehegatten. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt nur den Begriff der Schwägerschaft. Nach § 1590 Absatz 1 Satz 1 daselbst sind die Verwandten eines Ehegatten mit einem anderen Ehegatten verschwägert. Ein solches Kind wird nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als "Stiefkind” bezeichnet, der neue Ehegatte seines Vaters oder seiner Mutter als "Stiefmutter” und "Stiefvater”. Inwieweit unehelich geborene oder adoptierte Kinder Stiefkinder sein können (vgl. § 1589 Absatz 1 BGB; RVA Nr. 3011, Amtliche Nachrichten 1927 Seite 128; Nr. 3133, Amtliche Nachrichten 1928, Seite IV 115), kann hier dahingestellt bleiben, da es sich im vorliegenden Falle um Kinder aus einer früheren Ehe handelt, die durch seine Wiederverheiratung mit seiner jetzigen Ehefrau verschwägert sind. Wenn in § 2 Absatz 1 Ziffer 2 KGG der Begriff "eheliches Stiefkind” gebraucht wird, so offenbar nur, um eheliche Stiefkinder auszuschalten, die gegebenenfalls unter § 2 Absatz 1 Ziffer 5 oder 6 KGG fallen können. Unter "eheliche Stiefkinder” sind demnach alle ehelichen Kinder des anderen Ehegatten zu verstehen, die nicht zugleich eigene Kinder sind.

Abzulehnen ist die Auffassung der Familienausgleichskasse der chemischen Industrie, von einem ehelichen Stiefkind könne nur dann die Reden sein, wenn es in den Hausstand des Stiefelternteiles aufgenommen sei oder auf dessen Kosten von ihm überwiegend unterhalten werde. Der Begriff "eheliches Stiefkind” ist ausschließlich familienrechtlicher Art und bezieht sich lediglich auf das Schwägerschaftsverhältnis zwischen einem ehelichen Kind und dem neuen Ehegatten eines seiner Elternteile. Er entzieht sich daher jeder Einschränkung durch Hinzufügung von Voraussetzungen, die außerhalb der Bestimmung des Schwägerschaftsverhältnisses liegen, wie dies bei dem Erfordernis der häuslichen Gemeinschaft und der Unterhaltsgewährung der Fall ist. Die Unterhaltsgewährung gehört schon deshalb nicht zu dem Begriff des ehelichen Stiefkindes, weil Stiefeltern ihren Stiefkindern gegenüber nicht unterhaltspflichtig sind (§ 1601 BGB).

Auch die Heranziehung der in dem Urteil des früheren Reichsversicherungsamtes Nr. 3133 (Amtliche Nachrichten 1928, Seite IV 115) enthaltenen Ausführungen kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Danach ist als Stiefkind unter anderem das "in die Ehe eingebrachte” leibliche Kind eines Ehegatten anzusehen. Es ist der Entscheidung nicht Eindeutig zu entnehmen, ob das RVA in dem Einbringen in die Ehe die Herstellung der häuslichen Gemeinschaft mit dem Stiefelternteil verstanden wissen wollte und darin ein wesentliches Erfordernis für das Vorliegen des Stiefkinderbegriffes erblickte. Im weiteren Verlauf der Ausführungen wurde zwar darauf hingewiesen, der Grundgedanke, der in der Gewährung des strittigen Kindergeldzuschusses nach § 58 AVG zum Ausdruck komme, bezwecke, den Unterhalt der Kinder zu fördern, die auf Grund rechtlicher oder tatsächlicher Beziehungen in dem Hausstand des Versicherten aufgenommen worden seien und nach der allgemeinen Anschauung als Familienangehörige gelten. Jedoch können diese Ausführungen nur bedingt zur Bestimmung des Begriffes "eheliches Stiefkind” herangezogen werden, da es sich in dem der RVA vorliegenden Fall um die Gewährung eines Kinderzuschusses für ein von dem Ehegatten Versichertes adoptiertes Kind nach dem inzwischen aufgehobenen § 58 AVG handelte und die Aufnahme in die häusliche Gemeinschaft nicht in Frage sind. Nur wenn das RVA unter "in die Ehe eingebrachte Kinder” alle bei der Eheschließung vorhandenen Kinder eines der Ehegatten verstanden wissen wollte, ist ihm zuzustimmen, nicht jedoch, wenn es auch die Aufnahme in die Gemeinschaft der neu gegründeten Familie für erforderlich hielt.

Nicht nur der Begriff "eheliches Stiefkind” als solcher, sondern auch seine Stellung im Kindergeldgesetz spricht für die hier vertretene Auffassung. Nach dem Wortlaut des § 1 KGG ist Voraussetzung für die Kindergeldzahlung unter anderem, daß die Berechtigten "drei oder mehr Kinder” haben. Da das Gesetz den Begriff "Kinder haben” nicht erläutert, ist er allgemeine Sprachgebrauch entscheidend. Danach kommt es lediglich auf das Vorhandensein von Kindern an, wobei es ohne Bedeutung ist, wo sich die Kinder aufhalten und wer ihnen Lebensunterhalt bestreitet. Das Gesetz läßt angesichts dieses Wortlauts keine Zweifel und damit keine Möglichkeit für eine andere Auslegung. (So auch Tiede-Bürger, a.a.O., Anmerkung 4 zu § 1; Witting-Meier, Kindergeld-Handbuch, Anmerkung 7 zu § 1; Erläuterungen zum Kindergeldgesetz von zuständigen Referenden des Bundesarbeitsministeriums, Erich Schmid-Verlag, Anmerkung 4 zu § 1. Anderer Ansicht: Neumann, Betriebskrankenkasse 1955, Seite 171; Der Kompass, 1955, Heft 2, Seite 17 ff; Schreiben des Gesamtverbandes der Familienausgleichskasse vom 3. Februar 1955, abgedruckt bei Schiekel, Kommentar zum Kindergeldgesetz, Seite 25). Die von Schiekel (a.a.O., Anmerkung 8 zu § 1) im Hinblick auf die Regelung in § 2 Absatz 1 Satz 2 KGG hiergegen geäußerten Bedenken entfallen, nachdem diese Bestimmung durch § 10 Nr. 1 KGEG dahin neu gefasst worden ist, daß den Kindern, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Kindern vom vollendeten 18. bis zum vollendeten 25. Lebensjahr gleichstehen, die entweder für einen Beruf ausgebildet werden oder wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen außer Stande sind, sich selbst zu unterhalten. Aus dieser Gesetzesänderung ergibt sich der Wille des Gesetzgebers, die Kindergeldbezahlung auch im Bezug auf erwachsene Kinder nicht mehr davon abhängig zu machen, daß sie auf Kosten des Berechtigten unterhalten und ausgebildet werden. Lediglich bei Pflegekinder im Sinne des § 2 Absatz 1 Ziffer 6 KGG erscheint eine Ausnahme mit Rücksicht auf dem der Begriff innewohnenden familienartigen Charakter des Pflegekindschaftsverhältnisses geboten. Bei den übrigen in § 2 Absatz 1 KGG genannten Kindern ist dagegen nur das personenstandsrechtliche Verhältnis zu dem Berechtigten maßgebend.

Die hier vertretene Auffassung, wonach von einem ehelichen Stiefkind auch dann gesprochen werden kann, wenn dieses nicht in den Haushalt des Stiefelternteils aufgenommen ist, findet eine Stütze auch in dem durch § 10 Nr. 2 KGEG neu gefaßten § 3 Absatz 1 Ziffer 2 KGG. Danach haben den Kindergeldanspruch die Adoptiv- und Pflegeeltern wenn diese neben den leiblichen Eltern oder den Stiefeltern die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Dieser gesetzlichen Regelung liegt offensichtlich der Gedanke zu Grunde, daß bei einer Anspruchskonkurrenz zwischen Stiefeltern und Adoptiv- bzw. Pflegeeltern die letzteren anspruchsberechtigt sein sollen, weil die für den Lebensunterhalt des Stiefkindes aufkommen und dieses in der Regel in ihrem Haushalt lebt. Die Einfügung der Stiefeltern in § 3 Absatz 1 Ziffer 2 KGG würde sich erübrigt haben, wenn eheliche Stiefkinder nur bei Aufnahme in den Haushalt des Stiefelternteiles oder im Falle der Unterhaltungsgewährung durch diesen als Kinder im Sinne der KGG anzusehen wären. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß der Begriff "Stiefkind” auch in anderen Gesetzen in dem hier aufgefassten Sinne gebraucht wird.

Nach § 205 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) erhalten auch solche Stieftöchter von Versicherten Wochenhälfte, "welche mit diesen in häuslicher Gemeinschaft leben.” Nach § 205 RVO gelten für die Gewährung von Familienkrankenpflege als Kinder unter anderem auch "Stiefkinder, wenn sie vor Eintritt des Versicherungsfalles von dem Versicherten überwiegend unterhalten worden sind.” (Absatz 2 Ziffer 6). Ähnlich ist in § 14 des Reichsbesoldungsgesetzes vom 16. Dezember 1927 (RGBl. I Seite 349), der die Gewährung von Kinderzuschüssen regelt, bestimmt, daß den ehelichen Kindern "Stiefkinder, die in den Hausstand des Beamten aufgenommen sind,” gleichstehen (Absatz 2 Ziffer 3). Daraus folgt, daß es nach der Auffassung des Gesetzgebers auch noch andere, nämlich nicht in den Hausstand bzw. die häusliche Gemeinschaft aufgenommen Stiefkinder gibt und daß auch die Gewährung des überwiegenden Unterhaltes nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Stiefkindverhältnisses ist, andernfalls hätten sich die genannten Zusätze erübrigt.

Auch im Einkommenssteuerrecht wird der Begriff "eheliches Stiefkind” in dem hier vertretenden Sinne gebraucht. § 2 Absatz 1 KGG ist dem § 32 Absatz 4 Ziffer 4 des Einkommenssteuergesetzes nachgebildet. Danach steht der Einkommenssteuerpflichtigen Kindermäßigung unter anderem für eheliche Stiefkinder zu. (Absatz 4 Buchstabe b). Wie hierzu in dem Kommentar zum Einkommenssteuergesetz von Blüml-Falk, 1953, zu § 32 ausgeführt wird, ist häusliche Gemeinschaft nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Stiefkinderverhältnisses. Anders als beim Pflegekind werde die Ausnahme eines Stiefkinderverhältnisses auch nicht dadurch gehindert, daß der Unterhalt des Stiefkindes aus den Einkünften seines Vermögens bestritten wird. Nach § 8 Absatz 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung in der Fassung vom 27. August 1955 (BGBl. I Seite 545) steht auch dem Lohnsteuerpflichtigen Kinderermäßigung für "eheliche Stiefkinder” zu. Hierzu wird in den Lohnsteuerrichtlinien 1954 in der Fassung vom 26. November 1953 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 233 vom 3. Dezember 1953) unter Abschnitt 44 Absatz 1 bemerkt, es sei ohne Bedeutung, ob die Kinder, zu denen nach Absatz 2 auch eheliche Stiefkinder zählen, zum Haushalt des Arbeitnehmers gehören oder ob sie eigene Einkünfte beziehen oder von dritten Personen unterhalten werden.

Schließlich heißt es auch in den zu § 32 des Bundesversorgungsgesetzes ergangenen Verwaltungsvorschriften (zu Absatz 4 d): "Stiefkinder sind die eheliche, für ehelich erklärten oder nicht zugleich eigenen Kinder sind, sowie die unehelichen Kinder der Ehefrau, nicht aber die unehelichen Kinder des Ehemannes. "Auch hiernach ist für den Begriff Stiefkind nicht Voraussetzung, daß mit dem Stiefelternteil häusliche Gemeinschaft besteht oder daß dieser den Unterhalt des Stiefkindes bestreitet. Wenn den Verwaltungsvorschriften ebenso wie den Lohnsteuerrichtlinien auch keine Gesetzeskraft zukommt, so können sie doch zur Auslegung des Gesetzes herangezogen werden. (Bundessozialgericht 10 RV 135/54 – KOV 10/56 Nr. 440).

Aus alledem ergibt sich, daß der Begriff "Stiefkind” bzw. "eheliches Stiefkind” in der Anzahl von Gesetzen dem allgemeinen Sprachgebrauch zufolge in dem hier aufgefaßten Sinne gebraucht wird. Wenn der Gesetzgeber des Kindergeldgesetzes in Kenntnis der angeführten gesetzlichen Bestimmungen und der damit übereinstimmenden, in Verwaltungsanordnungen zum Ausdruck kommender Auslegung dem Begriff "eheliches Stiefkind” in § 2 Absatz 1 Ziffer 2 KGG keine Einschränkung hinzugefügt hat, wie dies zum Teil in anderen Gesetzen geschehen ist, so muß daraus gefolgert werden, daß er den Begriff in seiner allgemeinen Form angewandt wissen wollte, was auch dem Sinn und Zweck der Kindergeldgesetzgebung entspricht. Es mag vorkommen, daß diese Regelung in Einzelfällen zu nicht wünschenswerten Ergebnissen führt. Der Gesetzgeber hat es aber offensichtlich in Kauf genommen, daß nicht nur für geschlossene Drei- oder Mehrkinderfamilien, sondern darüber hinaus auch in einigen anderen weiteren Fällen Kindergeld gewährt wird. (So kann zum Beispiel ein Vater für sein viertes, bei ihm lebendes Kind aus zweiter Ehe Kindergeld beanspruchen, obwohl die anderen, aus erster Ehe stammenden Kinder bei seiner geschiedenen Ehefrau leben, vgl. auch Witting-Meier, a.a.O., Vorbemerkung zu § 3). Auch wenn man häusliche Gemeinschaft als Voraussetzung für das Vorliegen eines Stiefkinderverhältnisses ansieht, können sich im Einzelfall Härten ergeben, wenn zum Beispiel der Stiefvater das im Ausland lebende Stiefkind unterhält. Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf Fälle dieser Art in § 8 KGG das Vormundschaftsgericht ermächtigt, die Auszahlung des Kindergelds in einer das Wohl der Kinder berücksichtigenden Weise zu regeln und damit ein Regulativ gegen die nicht allen Einzelumständen gerecht werdende gesetzliche Regelung geschaffen.

Der Kläger hatte für die hier in Frage stehende Zeit auch nicht deshalb einen Anspruch auf Kindergeld gegen die Beklagte, weil, wie die beigeladene Familienausgleichskasse geltend macht, seine Ehefrau bei ihr keinen Antrag auf Kindergeld gestellt und damit auch keinen Anspruch auf Kindergeld habe. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Schreiben des Klägers vom 22. Juli 1955 an die beigeladene Familienausgleichskasse als vorsorglich anzusehen und ob der in den Unterstützungsakten (Bl. 120) in Abschrift befindliche Antrag auf Kindergeld, den der Kläger am 20. Oktober 1955 im Namen seiner Ehefrau an die beigeladene Familienausgleichskasse gerichtet hat, dort eingetragen ist. Der Anspruch der Ehefrau des Klägers auf Kindergeld im Sinne des § 3 Absatz 1 Ziffer 3 KGAG in der ursprünglichen Fassung bestand nämlich auch ohne Antragstellung. Der im Kindergeldgesetz geforderte Antrag ist keine materiellrechtliche Voraussetzung des Anspruchs. Der Anspruch auf Kindergeld besteht bereits, wenn die erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, er entsteht also unmittelbar durch Gesetz. Wenn das Kindergeldgesetz in § 1 bestimmt, daß Kindergeld "auf Antrag” gewährt wird, so deutet dies nur, daß es den Berechtigten nicht von Amts wegen aufgedrängt werden soll. Der Antrag ist nur als notwendige verfahrensrechtliche Voraussetzung anzusehen, die ein Recht auf Bescheiderteilung begründet. (So auch Tiede-Bürger a.a.O., Anmerkung 3 zu § 4 und die dort zitierte Entscheidung des Sozialgerichtes Trier vom 17. Mai 1955; Schiekel a.a.O., Anmerkung 3 zu § 1). Aus § 3 Absatz 1 Ziffer 3 KGAG in der ursprünglichen Fassung ergibt sich für den vorliegenden Fall nichts Gegenteiliges. Es ist nicht erforderlich, daß im Hinblick auf den für das dritte oder weitere Kind bestehenden Anspruch auf Kindergeld ein Verwaltungsverfahren durch Antragstellung eingeleitet worden sein muß.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved