L 4 V 457/69

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 V 457/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nach der Fassung des Abs. 2 des § 5 DVO zu § 30 BVG muss das Nichtgeeignetsein einer Tätigkeit der dort genannten Art als Ersatz des Abschlusses der Berufsausbildung erwiesen sein, also zunächst von der Eignung hierzu ausgegangen werden; die objektive Beweisbelastung ist also umgekehrt.
Unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Marburg vom 20. März 1969 und in entsprechender Abänderung des Bescheides vom 4. November 1966 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 1967 wird der Beklagte verurteilt, ab 1. Januar 1967 Schadensausgleich unter Einstufung des Ehemannes in die Besoldungsgruppe A 7 des Bundesbesoldungsgesetzes zuzüglich Ortszuschlag der Stufe 2, Ortsklasse A zu gewähren.

Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die der Klägerin entstandenen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Ehefrau des 1905 geborenen und 1943 gefallenen O. S ... Sie erhält Witwenrente. Sie beantragte am 30. Dezember 1965 die Gewährung von Schadenausgleich gem. § 40 a BVG mit der Behauptung, ihr Ehemann sei vor dem Kriege selbständiger Landwirt gewesen.

Aus dem Erhebungsbogen und den Erklärungen der Klägerin ergibt sich, daß der Ehemann der Klägerin von 1911–1919 die Volksschule besuchte und nach der Schulentlassung bei seinem Bruder das Metzgerhandwerk erlernte. Da der Bruder keine Meisterprüfung hatte, konnte der Ehemann die Gesellenprüfung nicht ablegen. Er arbeitete gleichseitig in der Landwirtschaft des Vaters mit. In den Wintermonaten war er außerdem als Waldarbeiter tätig. Nach der Eheschließung 1927 war er selbständiger Landwirt, wobei er ab 1928 daneben einen Eier- und Butterhandel betrieb. Nach Auskunft des Bürgermeisters von E., Kreis F. bewirtschaftete der Ehemann zuletzt 4,46 ha. Außerdem besaß seine Ehefrau in der Gemarkung D. eine Wiese von 0,30 ha. Nach der Auskunft der Landwirtschaftlichen Alterskasse K. vom 19.10.1966 waren als landwirtschaftliche Nutzungsfläche des Betriebes der Klägerin im Jahre

1948 6,18 ha
1951 4,34 ha
1953 4,93 ha
1954 5,30 ha
1955 1,34 ha
1965 1,44 ha

bezeichnet. Der Hektarersatz der Gemeinde E. beläuft sich auf 694,– DM, so daß eine Existenzgrundlage lediglich bei einem landwirtschaftlichen Unternehmen mit einer Nutzfläche von 5,05 ha vorliegt. Der Beklagte stufte nunmehr den Verstorbenem bei der Berechnung des Schadensausgleichs im Bescheid vom 4.11.1966 als selbständigen Butterhändler in die vergleichbare Beamtengruppe A 5 des BBesG ein und berechnete hieraus den Schadensausgleich.

Hiergegen legte die Klägerin am 16. Dezember 1966 Widerspruch ein. Der Schadensausgleich müsse unter Einstufung des Ehemannes in die vergleichbare Beamtengruppe A 7 BBesG berechnet werden, weil er bei gesunder Rückkehr heute selbständiger Landwirt wäre. Wegen der Länge der Tätigkeit müsse er einem Selbständigen mit abgeschlossener Berufsausbildung gleichgestellt werden.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 10. Oktober 1967 mit der Begründung zurück, daß nicht mit der im Gesetz geforderten Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, daß der Ehemann seine Existenzgrundlage in der Landwirtschaft gefunden hätte.

Dagegen erhob die Klägerin am 17. Oktober 1967 Klage, die das Sozialgericht Marburg mit Urteil vom 20. März 1969 abwies. Es führte aus, daß eine Höherstufung des Ehemannes deshalb nicht möglich sei, weil die Landwirtschaft vor der Einberufung unter 5 ha gelegen habe und somit keine Existenzgrundlage bilde. Bei einer Betriebsgröße, die unter der Existenzgrundlage liege, könne nicht angenommen werden, daß besondere Fähigkeiten, die einer abgeschlossenen Lehre entsprechen, erworben werden können. Auch als selbständiger Landwirt hätte der Verstorbene lediglich in die vergleichbare Besoldungsgruppe A 5 eingestuft werden können.

Gegen dieser ihr am 31. März 1969 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 14. April 1969 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht ein. Sie ist der Auffassung, daß ihr Ehemann als selbständiger Landwirt in die Besoldungsgruppe A 7 eingestuft werden müsse, da er ohne die Schädigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Qualifikation eines selbständigen Landwirts erreicht hätte. Später fügte sie hinzu, daß ihr Ehemann auch als Butter- und Eierhändler in die Besoldungsgruppe A 7 einzustufen wäre, weil er diese Tätigkeit viele Jahre ausgeübt habe, so daß § 5 Abs. 2 der Verordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG Anwendung zu finden habe.

Die Klägerin hat beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. März 1969 aufzuheben und unter Abänderung der Bescheids vom 4. November 1966 und 10. Oktober 1967 den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Schadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 7 BBesG, zuzüglich Ortszuschlag der Stufe 2 Ortsklasse A zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Es sei nicht wahrscheinlich, daß der Ehemann der Klägerin nach gesunder Rückkehr als selbständiger Landwirt tätig gewesen sei. In den letzten Jahren seien viele kleine landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben worden. § 5 Abs. 2 der Verordnung zu § 30 könne hinsichtlich der Stellung als Eier- und Buttergroßhändler deshalb nicht angewendet werden, weil zu einem ambulanten Eier- und Buttergroßhandel keine Berufsausbildung erforderlich sei.

Im übrigen wird auf das Inhalt der Akten und Beiakten – der in der mündlichen Verhandlung zum Vortrag gelangte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft. Ausschlußgründe stehen ihr nicht entgegen. Sie wurde auch form- und fristgerecht eingelegt.

Die Berufung ist teilweise begründet. Dem Sozialgericht konnte insoweit nicht gefolgt werden, als es bei der Berechnung des Schadensausgleiches entgegen dem angefochtenen Bescheid von der Einstufung des Ehemannes der Klägerin als selbständiger Landwirt ausging. Nach den Klagebehauptungen und dem Akteninhalt erscheint dem Senat die schon vom Beklagten unterstellte Entwicklung des beruflichen Werdeganges des Ehemannes als selbständiger Eier- und Butterhändler wahrscheinlicher.

Dies wurde durch die glaubhaften Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhärtet. Danach hatte sie und ihre Familie vorwiegend von dem Ertrag aus dem Eier- und Buttergeschäft des Ehemannes gelebt, das nach einem vorgelegten Umsatzsteuerbescheid in den Jahren 1931–1935 einen Umsatz zwischen 12.000,– bis 15.500,– RM, jährlich hatte. Aus diesem Handel erzielte der Ehemann somit ein ansehnliches Einkommen: Er konnte aus Ersparnissen hiervon in der Folgezeit zusammen mit der Klägerin weiteren Grundbesitz in der Gemarkung E. erwerben. Weitere Ersparnisse legten die Eheleute bei der Sparkasse B. und der Volksbank in B. an. Der Senat ist deshalb der Überzeugung, daß der Verstorbene bei gesunder Heimkehr nicht Landwirt im Hauptberuf geworden wäre, sondern seine selbständige Tätigkeit als Eier- und Butterhändler weiter geführt und ausgebaut hätte.

Nach den bis zum 31. Dezember 1966 geltenden Bestimmungen im § 5 Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG, der gemäß § 40 a Abs. 2 Satz 3 BVG auch auf die Berechnung des Berufsschadensausgleichs von Witwen Anwendung fand, war bei einem selbständig Tätigen mit Volksschulbildung die Einstufung in die vergleichbare Besoldungsgruppe A 5 BBesG vorzunehmen. Die Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG wurde aber am 28. Februar 1968 geändert und in § 5 der VO ein Absatz 2 eingefügt, wonach dem Abschluß einer Berufsausbildung eine 10-jährige Tätigkeit oder eine 5-jährige Selbständigkeit in dem Beruf gleichkommt, auf dessen Ausübung sich die Schädigung nachteilig auswirkt. Da das Gesetz diese Annahme nicht gelten lassen will, wenn die Tätigkeit nicht geeignet war, das wirtschaftliche Ergebnis der selbständigen Tätigkeit erheblich über das ohne Berufsausbildung erreichbare Maß zu fördern, ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut, daß das Vorliegen der Ausnahmegründe erwiesen sein muß, die Beweislast also umgekehrt ist. Daß die Tätigkeit als langjähriger Eier- und Butterhändler nicht das wirtschaftliche Ergebnis gefördert habe, konnte indessen nicht festgestellt werden. Aus dem in den Akten befindlichen Umsatzsteuerbescheid ist zu entnehmen, daß der Umsatz von 7.000,– RM im Jahre 1930 auf 15.000,– RM im Jahre 1935 gestiegen ist. Die langjährige Tätigkeit hatte daher offensichtlich zu einer erheblichen Erhöhung des Umsatzes und damit des Einkommens geführt und es ist wahrscheinlich, daß diese Intensivierung in den Berufsjahren bis 1964, dem Zeitpunkt der Schaffung des Schadensausgleichs, weiter zugenommen hätte.

Da die Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG in der neuen Fassung am 28. Februar 1968 erlassen und § 5 Abs. 2 gem. § 15 am 1. Januar 1967 in Kraft trat, war die Neufestsetzung des Schadensausgleiches ab diesem Zeitpunkt vorzunehmen.

Das Urteil des Sozialgerichts war daher teilweise, wie geschehen, aufzuheben und der Beklagte entsprechend zu verurteilen, während die Berufung im übrigen zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG; der Senat hat dabei berücksichtigt, daß die Klägerin im wesentlichen obsiegte.
Rechtskraft
Aus
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