Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 566/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein kriegseigentümlicher Gefahrenbereich im Sinne des § 5 Abs. 1 e BVG setzt einen inneren ursächlichen Zusammenhang mit kriegerischen Vorgängen voraus. Ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit solchen Vorgängen ist nicht erforderlich.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. Mai 1970 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Im Februar 1952 beantragte die Mutter des 1937 geborenen Klägers die Gewährung von Versorgung, weil dieser am 7. Januar 1949 gegen 20 Uhr infolge eines Unfalles das rechte Auge sowie den Daumen und Zeigefinger der rechten Hand verlören habe. Sie hätten damals im Keller der Hausruine E.straße in D. gewohnt. Beim Kohlenauflegen sei in dem Küchenherd ein Sprengkörper explodiert, der sich unter den Kohlen, welche einige Zeit vorher beim Händler geholt worden seien, befunden habe. Unfallzeugen seien nicht vorhanden. In einem Unfallfragebogen vom 17. Februar 1949 gab der Kläger an, er habe seinerzeit Kohlen in den Herd geschaufelt; sogleich sei ein Knall wie eine Explosion erfolgt und er sei verletzt gewesen. Da die früheren polizeilichen Ermittlungen ergeben hatten, daß bei dem Unfall Kohlengase infolge nicht genügenden Abzugs explodiert seien, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. April 1952 den Antrag ab, zumal eine Sprengkörperexplosion nicht nachgewiesen sei.
Die hiergegen eingelegte Berufung alten Rechts wies das Oberversicherungsamt D. mit Urteil vom 20. Juli 1953 als unbegründet ab, weil das behauptete schädigende Ereignis nicht nachgewiesen sei.
Zu seinem hiergegen eingelegten Rechtsmittel legte der Kläger ein Attest der Universitäts-Augenklinik F. vom 7. Dezember 1953 vor, wonach er Anfang 1949 infolge einer metallischen Fremdkörperverletzung des rechtes Auges stationär behandelt wurde, welches infolge Schrumpfung habe entfernt werden müssen. Nach dem ferner vorgelegten Prüfbericht der Staatlichen Materialprüfungsanstalt D. vom 18. Februar 1954 kann es sich bei den beiden dort von der Mutter des Klägers vorgelegten kleinen Messingsplittern durchaus um Teile einer Geschoßhülse handeln.
Mit Urteil vom 18. Dezember 1956 wies das Hessische Landessozialgericht die Berufung als unbegründet zurück. Es sei nämlich ungewiß, ob die beiden geprüften kleinen Splitter vom gleichen Material seien, das nach der Mitteilung der Universitäts-Augenklinik F. die Verletzung herbeigeführt habe. Falls überhaupt Splitter gefunden worden seien, so sei nicht nachgewiesen, daß es sich dabei um Sprengkörperteile aus einem kriegseigentümlichen Gefahrensbereich handele. Insbesondere sei unwahrscheinlich, daß sich bei der vor 1949 herrschenden Kohlenknappheit im Jahre 1949 noch Kriegsmunition unter den Kohlenbeständen befunden habe. Dieses Urteil war nach § 214 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) endgültig.
Im April 1967 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Erteilung eines Zugunstenbescheides, weil er 1966 beim Zerlegen des alten Küchenherdes seiner Eltern ein Stück einer Hülse gefunden habe; es habe sich also 1949 nicht um eine Explosion von Kohlengasen, sondern um die eines Sprengkörpers gehandelt. Der Kläger legte hierzu ein Attest des Chefarztes und Chirurgen Dr. H. vom 13. April 1967 vor, wonach dieser im Jahre 1949 erste Hilfe geleistet hat; nun habe er sechs kleine metallartige Splitter aus der verletzten Hand zu Untersuchungszwecken entfernt. Aufgrund von Untersuchungen der Hülse sowie der Splitter erstattete das Hessische Landeskriminalamt in W. Berichte vom 2. und 10. November 1967, wonach vorliegend eine Explosion von Rauchgasen ausscheidet, nach der Splittergröße habe es sich 1949 um die Detonation eines kleinen Munitionsteils gehandelt; die geprüfte Hülse sei sicher ein Oberteil einer amerikanischen Sprengkapsel, wie sie bei der US-Armee verwendet worden seien. Es bestehe kein Zweifel, daß die herausoperierten Metallsplitter aus einer detonierten amerikanischen Hülse stammten, zumal beide aus Messing bestünden. Nach einem Gutachten des Chirurgen Dr. M. vom 29. Dezember 1957 bestehen beim Kläger Schädigungsfolgen bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H. für Verlust des rechten Auges sowie insbesondere Teilverlust des rechten Daumens und Zeigefingers. Der vom Versorgungsamt beabsichtigten Erteilung eines Zugunstenbescheides stimmte das Landesversorgungsamt nicht zu. Hierauf lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 26. März 1968 den Anspruch des Klägers ab. Die Detonation der amerikanischen Sprengkapsel im Jahre 1949 sei kein Vorgang im Sinne von § 5 Abs. 1 e Bundesversorgungsgesetz (BVG). Es sei nämlich zweifelhaft, ob die Kapsel anläßlich von Kriegsereignissen liegen geblieben, ohne Verschulden in den Herd gelangt sei und somit einen kriegseigentümlichen Gefahrensbereich gebildet habe. Bei dem Zeitabstand zwischen 1945 und 1949 könne die Kapsel auch erst längere Zeit nach Kriegsende in den Kohlenkeller bzw. aus der Kontrolle der amerikanischen Armee gekommen sein. Hierdurch wäre aber ggf. der ursächliche Zusammenhang mit den Kriegsereignissen unterbrochen. Im übrigen wurde dem Kläger eine Antragstellung bei dem Besatzungskostenamt anheimgestellt. Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe damals in dem nur teilweise erhalten gebliebenen Kellergeschoß eines total zerstörten Hauses gewohnt. Der relativ dunkle Kohlenkeller sei teilweise mit Schutt angefüllt gewesen. Es sei daher wahrscheinlich, daß die Sprengkapsel von der Größe eines halben Bleistiftes sich schon in dem Keller befunden habe und dann in die Kohlen geraten sei. Für die von dem Beklagten angeführten sonstigen theoretischen Möglichkeiten fehle jeder Anhaltspunkt. Es handele sich bei der Sprengkapsel sicher um ein Überbleibsel von einem Bombenangriff. Mit Bescheid vom 25. Juli 1968 half der Beklagte dem Widerspruch nicht ab. Er hielt an der Bindungswirkung des Bescheides vom 15. April 1952 fest, da § 40 VfG (KOV) nicht erfüllt sei. Die nunmehr festgestellte Tatsache einer Sprengkörperexplosion rechtfertige allein für sich noch keine andere Beurteilung.
Mit der hierauf erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die in der Sache früher ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen seien inzwischen überholt, da nun feststehe, daß seine Verletzung durch die Explosion einer amerikanischen Sprengkapsel verursacht sei. Da das Grundstück seiner damaligen Notwohnung durch einen Bombenangriff zerstört werden sei, sei die kleine Sprengkapsel mit Sicherheit in Verbindung mit Kriegshandlungen in das Grundstück gelangt. Das Sozialgericht Darmstadt hob mit Urteil vom 25. Mai 1970 die angefochtenen Bescheide auf. § 40 VfG (KOV) sei vorliegend erfüllt, da die früher ergangenen Entscheidungen tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen seien. Nach den jetzt vorliegenden Beweisunterlagen sei die Vorschrift des § 5 Abs. 1 e BVG erfüllt. Hierfür sei kein enger örtlicher oder seitlicher Zusammenhang der Schädigung mit dem Kriegsgeschehen erforderlich, nur müsse die Schädigung einem kriegseigentümlichen Gefahrensbereich entsprungen sein. Dieser stehe nun durch den Nachweis der Verletzung des Klägers durch eine amerikanische Sprengkapsel außer Zweifel. Dabei könne dahingestellt bleiben, wie und wann die Kapsel in den Keller bzw. den Herd gekommen sei; jedenfalls habe insoweit eine verborgene Gefahr durch die nicht explodierte und aus Kriegsbeständen stammende Sprengkapsel bestanden. Nach Aufhebung seiner ermessensfehlerhaften Bescheide sei die Erteilung eines Zugunstenbescheides durch den Beklagten erforderlich.
Gegen dieses ihm am 4. Juni 1970 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30. Juni 1970 Berufung eingelegt. Mit ihr macht er geltend, das Sozialgericht habe ohne ausreichende Feststellungen unterstellt, daß die Sprengkapsel aus zurückgelassenen amerikanischen Kriegsbeständen stamme. Hierbei handele es sich um einen im Versorgungsrecht unzulässigen Anscheinsbeweis und tatsächlich um nur eine von mehreren Möglichkeiten. Da es sich um eine bei der US-Armee gebräuchliche Sprengkapsel gehandelt habe, könne sie kaum bei einem Bombenangriff zurückgeblieben sein. Sie könne aber auch angesichts der damaligen Kohlensituation kaum mit einer Kohlenlieferung gekommen sein. Daneben bestünden auch noch die in dem Bescheid vom 26. März 1968 erwähnten Möglichkeiten. Deshalb müsse an der Bindung des früheren Bescheides festgehalten werden. Auch falls hier von einer neuen Sachentscheidung auszugehen sei, wäre die Vorschrift des § 5 Abs. 1 e BVG nicht erfüllt. Vielmehr müsse der Grundsatz der objektiven Beweislosigkeit angewandt werden.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. Mai 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Da eine völlige Aufklärung des Zusammenhangs mit kriegerischen Vorgängen vorliegend praktisch unmöglich sei, müsse die Bejahung des Zusammenhangs im Rahmen der freien Beweiswürdigung ausreichen, zumal demgegenüber die gegenteiligen vom Beklagten angeführten Möglichkeiten gänzlich unwahrscheinlich seien.
Es wurde durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Hessischen Landeskriminalamtes vom 31. Oktober 1972 Beweis erhoben. Hiernach wurden die vorliegend in Frage kommenden Sprengkapseln während des 2. Weltkrieges sowie einige Zeit danach in der US-Armee verwendet, und zwar vorwiegend von Pioniereinheiten z.B. zum Sprengen von Brücken und Häusern als Initialzündung von Pioniersprengkörpern; in Bomben seien die Sprengkapseln nicht eingebaut gewesen.
Im Verhandlungstermin hat der Senat die Mutter des Klägers als Zeugin sowie den Kläger selbst informatorisch angehört.
Auf das Ergebnis dieser Anhörung sowie auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und Versorgungsakten sowie der beigezogenen Akten des OVA Darmstadt – Az.: –, welcher zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, wird im einzelnen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig; sie ist insbesondere nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt und nach § 143 SGG statthaft.
Die Berufung ist auch begründet. Der Senat vermag der Entscheidung des Sozialgerichts nicht beizupflichten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide, weil bezüglich der in dieser enthaltenen Ablehnung einer Zugunstenregelung nach § 40 VfG (KOV) keine Ermessensfehler im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG festzustellen sind.
Vielmehr ist der Nachweis, daß es sich bei dem Unfall des Klägers am 7. Januar 1949 um eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge gehandelt hat, die einen kriegseigentümlichen Gefahrensbereich hinterlassen haben (vgl. § 5 Abs. 1 e BVG), nach wie vor nicht zu erbringen. Zwar muß nunmehr aufgrund der Berichte des Hessischen Landeskriminalamtes vom 2. und 10. November 1967 in Verbindung mit dem Attest des Chirurgen Dr. H. vom 13. April 1967 davon ausgegangen werden, daß der Kläger seine Verletzung infolge Explosion einer amerikanischen Sprengkapsel und nicht durch eine Kohlenexplosion erlitten hat.
Es fehlt indessen auch weiterhin entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und des Klägers an dem gesetzlich erforderlichen Nachweis, daß die Sprengkapsel damals einen kriegseigentümlichen Gefahrensbereich im Sinne von § 5 Abs. 1 e BVG bildete. Diese Vorschrift setzt nämlich zwar keinen zeitlichen oder örtlichen Zusammenhang der Schädigung mit kriegerischen Vorgängen voraus, jedoch einen inneren ursächlichen Zusammenhang in Gestalt eines kriegseigentümlichen Gefahrensbereich. Letzterer ist hier jedoch nicht feststellbar. Insoweit stellt auch die Auffassung des Sozialgerichts, die Sprengkapsel habe aus Kriegsbeständen gestammt, eine reine Vermutung dar, die weder durch tatsächliche Feststellungen noch durch eine nähere Begründung gestützt wird. Diese Auffassung hält sich daher auch nicht mehr im Rahmen des Rechts zu freier Beweiswürdigung, wie der Beklagte zutreffend geltend macht und wie sich auch aus den folgenden Erwägungen ergibt.
Nach der Auffassung des Senats kommen vorliegend als "kriegerische Vorgänge” im Sinne von § 5 Abs. 1 e BVG, die einen entsprechenden Gefahrensbereich hinterlassen haben, hauptsächlich ein Bombenangriff auf Dr. und die Besetzung der Stadt durch amerikanische Truppen in Betracht. Keine dieser beiden Möglichkeiten wirkt hier indessen bei näherer Betrachtung und unter Berücksichtigung des Zeitabstandes von 1945 bis 1949 überzeugend. Dies gilt vor allem für die Annahme des Klägers, die Sprengkapsel sei von einem Bombenangriff zurückgeblieben; denn solche Sprengkapseln waren nach der neuerdings eingeholten Auskunft des Landeskriminalamts nicht in Bomben eingebaut. Außerdem wurde D. am 11. September 1944 durch einen britischen Bombenangriff zu fast 80 % zerstört. Aber auch aus der Zeit der Besetzung der Stadt durch die US-Armee am 25. März 1945 kann die Sprengkapsel nicht ohne weiteres stammen, da die Besetzung praktisch kampflos erfolgte und das hier infrage kommende Grundstück auch abseits der großen Durchgangsstraßen liegt. Demnach kommt hier eine Sprengung durch die US-Armee schwerlich infrage. Im übrigen ist es nach den Umständen sehr unwahrscheinlich, daß sich in dem teilweise zerstörten Kellergeschoß jemals amerikanische Soldaten aufgehalten haben; auch die Mutter des Klägers vertrat in ihrer Zeugenaussage die gleiche Auffassung. Ebensowenig wahrscheinlich ist aber auch, daß Passanten – insbesondere amerikanische Soldaten – die Sprengkapsel in den Keller geworfen haben, da der Kohlenkeller nach den mündlichen Angaben des Klägers vor dem Senat zur Gartenseite hin lag. Im übrigen sind ernsthafte Möglichkeiten dafür, daß sich die Sprengkapsel noch infolge kriegerischer Vorgänge in den noch nicht lange zuvor bei dem Kohlenhändler H. gekauften Kohlen befand, angesichts der mindestens bis zur Währungsreform bestehenden Kohlenknappheit nicht ersichtlich.
Andererseits ist aber auch keineswegs ausgeschlossen, daß die Sprengkapsel erst später infolge von deutscher Seite zu Aufräumungszwecken veranlaßten Sprengungen auf das fragliche Trümmergrundstück gelangt ist. Weiterhin ist z.B. möglich, daß die Sprengkapsel durch Handlungen Dritter lange Zeit nach Kriegsende aus dem Gewahrsam der US-Armee entfernt wurde und dann in den Kohlenherd geriet. In diesen nur beispielhaft genannten Fällen und angesichts des zeitlichen Abstandes zwischen dem Kriegsende 1945 und dem Unfall 1949 wäre aber der ursächliche Zusammenhang mit kriegerischen Vorgängen im Sinne des § 5 Abs. 1 e BVG unterbrochen.
Da nach alledem der Nachweis der anspruchsbegründeten Tatsachen nicht zu erbringen ist, hat der Kläger als Antragsteller nach dem in der Sozialgerichtsbarkeit erforderlichen Grundsatz der objektiven Beweislosigkeit die Folgen der Nichterweislichkeit zu tragen.
Daher war, wie geschehen, zu erkennen. Für die Entscheidung über einen etwaigen Anspruch des Klägers nach dem Besatzungsschadensgesetz ist der Rechtsweg vor dem Sozialgericht nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Im Februar 1952 beantragte die Mutter des 1937 geborenen Klägers die Gewährung von Versorgung, weil dieser am 7. Januar 1949 gegen 20 Uhr infolge eines Unfalles das rechte Auge sowie den Daumen und Zeigefinger der rechten Hand verlören habe. Sie hätten damals im Keller der Hausruine E.straße in D. gewohnt. Beim Kohlenauflegen sei in dem Küchenherd ein Sprengkörper explodiert, der sich unter den Kohlen, welche einige Zeit vorher beim Händler geholt worden seien, befunden habe. Unfallzeugen seien nicht vorhanden. In einem Unfallfragebogen vom 17. Februar 1949 gab der Kläger an, er habe seinerzeit Kohlen in den Herd geschaufelt; sogleich sei ein Knall wie eine Explosion erfolgt und er sei verletzt gewesen. Da die früheren polizeilichen Ermittlungen ergeben hatten, daß bei dem Unfall Kohlengase infolge nicht genügenden Abzugs explodiert seien, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. April 1952 den Antrag ab, zumal eine Sprengkörperexplosion nicht nachgewiesen sei.
Die hiergegen eingelegte Berufung alten Rechts wies das Oberversicherungsamt D. mit Urteil vom 20. Juli 1953 als unbegründet ab, weil das behauptete schädigende Ereignis nicht nachgewiesen sei.
Zu seinem hiergegen eingelegten Rechtsmittel legte der Kläger ein Attest der Universitäts-Augenklinik F. vom 7. Dezember 1953 vor, wonach er Anfang 1949 infolge einer metallischen Fremdkörperverletzung des rechtes Auges stationär behandelt wurde, welches infolge Schrumpfung habe entfernt werden müssen. Nach dem ferner vorgelegten Prüfbericht der Staatlichen Materialprüfungsanstalt D. vom 18. Februar 1954 kann es sich bei den beiden dort von der Mutter des Klägers vorgelegten kleinen Messingsplittern durchaus um Teile einer Geschoßhülse handeln.
Mit Urteil vom 18. Dezember 1956 wies das Hessische Landessozialgericht die Berufung als unbegründet zurück. Es sei nämlich ungewiß, ob die beiden geprüften kleinen Splitter vom gleichen Material seien, das nach der Mitteilung der Universitäts-Augenklinik F. die Verletzung herbeigeführt habe. Falls überhaupt Splitter gefunden worden seien, so sei nicht nachgewiesen, daß es sich dabei um Sprengkörperteile aus einem kriegseigentümlichen Gefahrensbereich handele. Insbesondere sei unwahrscheinlich, daß sich bei der vor 1949 herrschenden Kohlenknappheit im Jahre 1949 noch Kriegsmunition unter den Kohlenbeständen befunden habe. Dieses Urteil war nach § 214 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) endgültig.
Im April 1967 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Erteilung eines Zugunstenbescheides, weil er 1966 beim Zerlegen des alten Küchenherdes seiner Eltern ein Stück einer Hülse gefunden habe; es habe sich also 1949 nicht um eine Explosion von Kohlengasen, sondern um die eines Sprengkörpers gehandelt. Der Kläger legte hierzu ein Attest des Chefarztes und Chirurgen Dr. H. vom 13. April 1967 vor, wonach dieser im Jahre 1949 erste Hilfe geleistet hat; nun habe er sechs kleine metallartige Splitter aus der verletzten Hand zu Untersuchungszwecken entfernt. Aufgrund von Untersuchungen der Hülse sowie der Splitter erstattete das Hessische Landeskriminalamt in W. Berichte vom 2. und 10. November 1967, wonach vorliegend eine Explosion von Rauchgasen ausscheidet, nach der Splittergröße habe es sich 1949 um die Detonation eines kleinen Munitionsteils gehandelt; die geprüfte Hülse sei sicher ein Oberteil einer amerikanischen Sprengkapsel, wie sie bei der US-Armee verwendet worden seien. Es bestehe kein Zweifel, daß die herausoperierten Metallsplitter aus einer detonierten amerikanischen Hülse stammten, zumal beide aus Messing bestünden. Nach einem Gutachten des Chirurgen Dr. M. vom 29. Dezember 1957 bestehen beim Kläger Schädigungsfolgen bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H. für Verlust des rechten Auges sowie insbesondere Teilverlust des rechten Daumens und Zeigefingers. Der vom Versorgungsamt beabsichtigten Erteilung eines Zugunstenbescheides stimmte das Landesversorgungsamt nicht zu. Hierauf lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 26. März 1968 den Anspruch des Klägers ab. Die Detonation der amerikanischen Sprengkapsel im Jahre 1949 sei kein Vorgang im Sinne von § 5 Abs. 1 e Bundesversorgungsgesetz (BVG). Es sei nämlich zweifelhaft, ob die Kapsel anläßlich von Kriegsereignissen liegen geblieben, ohne Verschulden in den Herd gelangt sei und somit einen kriegseigentümlichen Gefahrensbereich gebildet habe. Bei dem Zeitabstand zwischen 1945 und 1949 könne die Kapsel auch erst längere Zeit nach Kriegsende in den Kohlenkeller bzw. aus der Kontrolle der amerikanischen Armee gekommen sein. Hierdurch wäre aber ggf. der ursächliche Zusammenhang mit den Kriegsereignissen unterbrochen. Im übrigen wurde dem Kläger eine Antragstellung bei dem Besatzungskostenamt anheimgestellt. Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe damals in dem nur teilweise erhalten gebliebenen Kellergeschoß eines total zerstörten Hauses gewohnt. Der relativ dunkle Kohlenkeller sei teilweise mit Schutt angefüllt gewesen. Es sei daher wahrscheinlich, daß die Sprengkapsel von der Größe eines halben Bleistiftes sich schon in dem Keller befunden habe und dann in die Kohlen geraten sei. Für die von dem Beklagten angeführten sonstigen theoretischen Möglichkeiten fehle jeder Anhaltspunkt. Es handele sich bei der Sprengkapsel sicher um ein Überbleibsel von einem Bombenangriff. Mit Bescheid vom 25. Juli 1968 half der Beklagte dem Widerspruch nicht ab. Er hielt an der Bindungswirkung des Bescheides vom 15. April 1952 fest, da § 40 VfG (KOV) nicht erfüllt sei. Die nunmehr festgestellte Tatsache einer Sprengkörperexplosion rechtfertige allein für sich noch keine andere Beurteilung.
Mit der hierauf erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die in der Sache früher ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen seien inzwischen überholt, da nun feststehe, daß seine Verletzung durch die Explosion einer amerikanischen Sprengkapsel verursacht sei. Da das Grundstück seiner damaligen Notwohnung durch einen Bombenangriff zerstört werden sei, sei die kleine Sprengkapsel mit Sicherheit in Verbindung mit Kriegshandlungen in das Grundstück gelangt. Das Sozialgericht Darmstadt hob mit Urteil vom 25. Mai 1970 die angefochtenen Bescheide auf. § 40 VfG (KOV) sei vorliegend erfüllt, da die früher ergangenen Entscheidungen tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen seien. Nach den jetzt vorliegenden Beweisunterlagen sei die Vorschrift des § 5 Abs. 1 e BVG erfüllt. Hierfür sei kein enger örtlicher oder seitlicher Zusammenhang der Schädigung mit dem Kriegsgeschehen erforderlich, nur müsse die Schädigung einem kriegseigentümlichen Gefahrensbereich entsprungen sein. Dieser stehe nun durch den Nachweis der Verletzung des Klägers durch eine amerikanische Sprengkapsel außer Zweifel. Dabei könne dahingestellt bleiben, wie und wann die Kapsel in den Keller bzw. den Herd gekommen sei; jedenfalls habe insoweit eine verborgene Gefahr durch die nicht explodierte und aus Kriegsbeständen stammende Sprengkapsel bestanden. Nach Aufhebung seiner ermessensfehlerhaften Bescheide sei die Erteilung eines Zugunstenbescheides durch den Beklagten erforderlich.
Gegen dieses ihm am 4. Juni 1970 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30. Juni 1970 Berufung eingelegt. Mit ihr macht er geltend, das Sozialgericht habe ohne ausreichende Feststellungen unterstellt, daß die Sprengkapsel aus zurückgelassenen amerikanischen Kriegsbeständen stamme. Hierbei handele es sich um einen im Versorgungsrecht unzulässigen Anscheinsbeweis und tatsächlich um nur eine von mehreren Möglichkeiten. Da es sich um eine bei der US-Armee gebräuchliche Sprengkapsel gehandelt habe, könne sie kaum bei einem Bombenangriff zurückgeblieben sein. Sie könne aber auch angesichts der damaligen Kohlensituation kaum mit einer Kohlenlieferung gekommen sein. Daneben bestünden auch noch die in dem Bescheid vom 26. März 1968 erwähnten Möglichkeiten. Deshalb müsse an der Bindung des früheren Bescheides festgehalten werden. Auch falls hier von einer neuen Sachentscheidung auszugehen sei, wäre die Vorschrift des § 5 Abs. 1 e BVG nicht erfüllt. Vielmehr müsse der Grundsatz der objektiven Beweislosigkeit angewandt werden.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. Mai 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Da eine völlige Aufklärung des Zusammenhangs mit kriegerischen Vorgängen vorliegend praktisch unmöglich sei, müsse die Bejahung des Zusammenhangs im Rahmen der freien Beweiswürdigung ausreichen, zumal demgegenüber die gegenteiligen vom Beklagten angeführten Möglichkeiten gänzlich unwahrscheinlich seien.
Es wurde durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Hessischen Landeskriminalamtes vom 31. Oktober 1972 Beweis erhoben. Hiernach wurden die vorliegend in Frage kommenden Sprengkapseln während des 2. Weltkrieges sowie einige Zeit danach in der US-Armee verwendet, und zwar vorwiegend von Pioniereinheiten z.B. zum Sprengen von Brücken und Häusern als Initialzündung von Pioniersprengkörpern; in Bomben seien die Sprengkapseln nicht eingebaut gewesen.
Im Verhandlungstermin hat der Senat die Mutter des Klägers als Zeugin sowie den Kläger selbst informatorisch angehört.
Auf das Ergebnis dieser Anhörung sowie auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und Versorgungsakten sowie der beigezogenen Akten des OVA Darmstadt – Az.: –, welcher zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, wird im einzelnen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig; sie ist insbesondere nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt und nach § 143 SGG statthaft.
Die Berufung ist auch begründet. Der Senat vermag der Entscheidung des Sozialgerichts nicht beizupflichten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide, weil bezüglich der in dieser enthaltenen Ablehnung einer Zugunstenregelung nach § 40 VfG (KOV) keine Ermessensfehler im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG festzustellen sind.
Vielmehr ist der Nachweis, daß es sich bei dem Unfall des Klägers am 7. Januar 1949 um eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge gehandelt hat, die einen kriegseigentümlichen Gefahrensbereich hinterlassen haben (vgl. § 5 Abs. 1 e BVG), nach wie vor nicht zu erbringen. Zwar muß nunmehr aufgrund der Berichte des Hessischen Landeskriminalamtes vom 2. und 10. November 1967 in Verbindung mit dem Attest des Chirurgen Dr. H. vom 13. April 1967 davon ausgegangen werden, daß der Kläger seine Verletzung infolge Explosion einer amerikanischen Sprengkapsel und nicht durch eine Kohlenexplosion erlitten hat.
Es fehlt indessen auch weiterhin entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und des Klägers an dem gesetzlich erforderlichen Nachweis, daß die Sprengkapsel damals einen kriegseigentümlichen Gefahrensbereich im Sinne von § 5 Abs. 1 e BVG bildete. Diese Vorschrift setzt nämlich zwar keinen zeitlichen oder örtlichen Zusammenhang der Schädigung mit kriegerischen Vorgängen voraus, jedoch einen inneren ursächlichen Zusammenhang in Gestalt eines kriegseigentümlichen Gefahrensbereich. Letzterer ist hier jedoch nicht feststellbar. Insoweit stellt auch die Auffassung des Sozialgerichts, die Sprengkapsel habe aus Kriegsbeständen gestammt, eine reine Vermutung dar, die weder durch tatsächliche Feststellungen noch durch eine nähere Begründung gestützt wird. Diese Auffassung hält sich daher auch nicht mehr im Rahmen des Rechts zu freier Beweiswürdigung, wie der Beklagte zutreffend geltend macht und wie sich auch aus den folgenden Erwägungen ergibt.
Nach der Auffassung des Senats kommen vorliegend als "kriegerische Vorgänge” im Sinne von § 5 Abs. 1 e BVG, die einen entsprechenden Gefahrensbereich hinterlassen haben, hauptsächlich ein Bombenangriff auf Dr. und die Besetzung der Stadt durch amerikanische Truppen in Betracht. Keine dieser beiden Möglichkeiten wirkt hier indessen bei näherer Betrachtung und unter Berücksichtigung des Zeitabstandes von 1945 bis 1949 überzeugend. Dies gilt vor allem für die Annahme des Klägers, die Sprengkapsel sei von einem Bombenangriff zurückgeblieben; denn solche Sprengkapseln waren nach der neuerdings eingeholten Auskunft des Landeskriminalamts nicht in Bomben eingebaut. Außerdem wurde D. am 11. September 1944 durch einen britischen Bombenangriff zu fast 80 % zerstört. Aber auch aus der Zeit der Besetzung der Stadt durch die US-Armee am 25. März 1945 kann die Sprengkapsel nicht ohne weiteres stammen, da die Besetzung praktisch kampflos erfolgte und das hier infrage kommende Grundstück auch abseits der großen Durchgangsstraßen liegt. Demnach kommt hier eine Sprengung durch die US-Armee schwerlich infrage. Im übrigen ist es nach den Umständen sehr unwahrscheinlich, daß sich in dem teilweise zerstörten Kellergeschoß jemals amerikanische Soldaten aufgehalten haben; auch die Mutter des Klägers vertrat in ihrer Zeugenaussage die gleiche Auffassung. Ebensowenig wahrscheinlich ist aber auch, daß Passanten – insbesondere amerikanische Soldaten – die Sprengkapsel in den Keller geworfen haben, da der Kohlenkeller nach den mündlichen Angaben des Klägers vor dem Senat zur Gartenseite hin lag. Im übrigen sind ernsthafte Möglichkeiten dafür, daß sich die Sprengkapsel noch infolge kriegerischer Vorgänge in den noch nicht lange zuvor bei dem Kohlenhändler H. gekauften Kohlen befand, angesichts der mindestens bis zur Währungsreform bestehenden Kohlenknappheit nicht ersichtlich.
Andererseits ist aber auch keineswegs ausgeschlossen, daß die Sprengkapsel erst später infolge von deutscher Seite zu Aufräumungszwecken veranlaßten Sprengungen auf das fragliche Trümmergrundstück gelangt ist. Weiterhin ist z.B. möglich, daß die Sprengkapsel durch Handlungen Dritter lange Zeit nach Kriegsende aus dem Gewahrsam der US-Armee entfernt wurde und dann in den Kohlenherd geriet. In diesen nur beispielhaft genannten Fällen und angesichts des zeitlichen Abstandes zwischen dem Kriegsende 1945 und dem Unfall 1949 wäre aber der ursächliche Zusammenhang mit kriegerischen Vorgängen im Sinne des § 5 Abs. 1 e BVG unterbrochen.
Da nach alledem der Nachweis der anspruchsbegründeten Tatsachen nicht zu erbringen ist, hat der Kläger als Antragsteller nach dem in der Sozialgerichtsbarkeit erforderlichen Grundsatz der objektiven Beweislosigkeit die Folgen der Nichterweislichkeit zu tragen.
Daher war, wie geschehen, zu erkennen. Für die Entscheidung über einen etwaigen Anspruch des Klägers nach dem Besatzungsschadensgesetz ist der Rechtsweg vor dem Sozialgericht nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved