L 8 Kr 1215/68

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kr 1215/68
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses genügt die Zuweisung bestimmter Funktionen im Arbeitsprozeß eines Unternehmens, wenn der Handelsvertreter keinen maßgeblichen Einfluß auf die Organisation des Arbeitsprozesses ausüben kann. Die Entscheidungsfreiheit des Handelsvertreters über die Art der Arbeitsausführung tritt demgegenüber in den Hintergrund. (vgl. BSG 16, 289). Durch die Funktionszuweisung innerhalb der Organisation des Arbeitsablaufes wird der Arbeitnehmer in den Betrieb des Arbeitsgebers eingegliedert; das Direktionsrecht wird durch die inhaltliche Bestimmung der Funktion ausgeübt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 11. September 1963 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beigeladene Frau B. (Frau B.) war aufgrund des "Vertretervertrages” vom 22. April 1961 für die Klägerin tätig. Der Vertrag sieht im § 1 vor, daß Frau B. vom Beauftragten der Klägerin für den Verkauf der als "Thermo-Lite” Strahler bezeichneten Geräte eingearbeitet wird und dann den provisionsweisen Verkauf dieser Geräte sowie weiterer Artikel nach Vereinbarung an Endverbraucher übernimmt. Nach der gleichen Vertragsbestimmung tritt Frau B. in kein Angestelltenverhältnis zur Klägerin, sondern arbeitet als selbständige Provisionsvertreterin. Die Provisionssätze enthalten Auslagen und Spesen, so daß diese von Frau B. selbst getragen werden müssen. Zu Besuch von Privaten muß sie im Besitz eines Wandergewerbescheines sein. Etwaige Krankenkassen- und Versicherungsbeiträge sowie Steuern muß Frau B. selbst zahlen.

Nach § 2 des Vertrages ist es Aufgabe von Frau B., mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns Kunden zu werben. Sie untersteht arbeits- und gebietsmäßig den Weisungen und Richtlinien des Bezirksvertreters. Sie hat sich um den Abschluß von Geschäften zu bemühen und dabei das Interesse der Klägerin in vollem Umfange wahrzunehmen. Verkäufe dürfen nur mit zahlungsfähigen und zahlungswilligen Kunden vermittelt werden. Weiterhin besteht die Verpflichtung, de getätigten Aufträge unter Vorlage der Auftragsbücher täglich an den Bezirksvertreter abzuliefern.

In § 3 des Vertretervertrages erkennt Frau B. ausdrücklich ab, daß die ihr angelernte Verkaufsweise und die ihr etwa ausgehändigten Vortragsmanuskripte, Bearbeitungsanleitung usw. geistiges Eigentum der Klägerin sind. Sie verpflichtet sich, diese Unterlagen weder vorsätzlich noch fahrlässig irgendwelchen Wettbewerbsfirmen zur Kenntnis zu geben oder sonst für Wettbewerbsfirmen zu verwenden. Beim Ausscheiden sind diese Unterlagen unaufgefordert zurückzugeben. Für den Fall der Zuwiderhandlung ist eine Vertragsstrafe von 500,– DM vereinbart. Weiterhin hat sich Frau B. vertraglich verpflichtet, während der Vertragsdauer ohne ausdrücklich vorherige schriftliche Genehmigung der Klägerin keine sonstigen Artikel zu vertreiben oder zu vermitteln und in keiner Weise für andere Firmen tätig zu sein, die im Wettbewerb zur Klägerin bzw. deren Schwesterfirmen stehen.

Nach § 6 des Vertrages ist Frau B. verpflichtet, Vorführgeräte oder Werbematerial, das sie von der Klägerin erhält, pfleglich zu behandeln und der Klägerin jeder Zeit auf Anforderung hin wieder zurückzugeben. Die Kündigung des Vertragsverhältnisses muß Frau B. das ihr übergebene Eigentum der Klägerin sofort und vorbehaltlos zurückgeben, ebenso das Werbematerial (§ 7).

Der Vertrag kann nach § 8 nur schriftlich gekündigt werden. Es gilt die gesetzliche Kündigungsfrist.

In § 11 des Vertrages hat sich Frau B. verpflichtet, die Anweisungen betreffend Werksverlosung gewissenhaft und genau durchzuführen und die Gratislose vollständig und lückenlos an die Klägerin einzusenden. Kein Besucher darf von Frau B. aus irgendeinem Grund von der Werksverlosung ausgeschlossen werden. Frau B. verpflichtet sich, die Lose zur Werksverlosung wöchentlich vollständig einzusenden und hat für irgendwelche Schäden, die durch Fahrlässigkeit oder nicht gewissenhafte Durchführung der Bestimmungen entstehen, aufzukommen.

Mit Bescheid vom 7. Dezember 1961 bejahte die Beklagte für die beigeladene Frau B. das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses und forderte von der Klägerin ab 1.6.1961 die Zahlung der Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Der von der Klägerin eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.

Im darauffolgenden Streitverfahren hat die Klägerin die Tätigkeit der beigeladenen Frau B. wie folgt geschildert:

Vertreter wie Frau B. bildeten Kolonnen unter der Leitung eines Kolonnenführers (Bezirksvertreters) mit dem Ziel, Artikel wie in dem mit Frau B. geschlossenen Vertretervertrag bezeichnet, Interessenten vorzuführen und an diese zu verkaufen. Zu diesem Zweck hielten die Bezirksvertreter abends in Räumlichkeiten Verkaufsvorträge ab. Die Einladungen zu diesen Vorträgen würden von den Vertretern am Tage der Veranstaltung im Umkreis des Veranstaltungslokales den potentiellen Käufern überbracht. Im Rahmen der Veranstaltungen führten die Vertreter Verkaufsgespräche mit den Interessenten, denen sie die Einladung überbracht hätten.

Unbeschadet des Weisungsrechts des Kolonnenführers (Bezirksvertreters) arbeite jede Kolonne selbständig und unterschiedlich. Die Vertreter seien in der Ausführung der Arbeit frei. Sie hätten auch kein bestimmtes Arbeitspensum zu erfüllen. Insbesondere könnten sie ohne weiteres der Arbeit fern bleiben, wann immer sie wollten.

Die Vertreter seien auch nicht verpflichtet, innerhalb der Kolonne zu arbeiten, sondern könnten eine Verkaufstätigkeit auf eigene Initiative entfalten. Sie unterstünden dem Verbot, für konkurrierende Firmen tätig zu sein.

Die Vertreter erhielten weder ein Fixum noch ein Garantieeinkommen, sondern lediglich Provision entsprechend den verkauften Geräten. Unkosten müßten sie selbst tragen. Die in den abendlichen Veranstaltungen verteilten Tombolagewinne müßten die Vertreter in der Regel selbst bezahlen. Sie allein trügen das Risiko der Verkaufstätigkeit.

Hieraus folgert die Klägerin, daß die beigeladene Frau B. selbständige Handelsvertreterin im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB sein, weil sie im wesentlichen ihre Tätigkeit frei gestalten und ihre Arbeitszeit selbst bestimmen könne. Frau B. sei an die Klägerin vertraglich nicht stärker gebunden, als dies bei selbständigen Handelsvertretern gegenüber einem Unternehmen üblich und sogar notwendig sei. Es bestehe keine persönliche Abhängigkeit der Frau B. zur Klägerin.

Die Klage wurde durch Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 11. September 1963 abgewiesen; die Berufung blieb ohne Erfolg.

Auf die Revision der Klägerin hat das Bundessozialgericht durch Urteil vom 18. August 1968 den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erkennende Gericht zurückverwiesen mit der Begründung, es seien Feststellungen darüber zu treffen, wie die Ausgestaltung des Vertreterverhältnisses tatsächlich gewesen sei. Insbesondere sei zu prüfen, ob Frau B. auch außerhalb der Kolonne habe Kunden werben können. Schließlich seine Feststellungen darüber zu treffen, ob die beigeladene Frau B. tatsächlich ohne Weiterung für ihr Vertragsverhältnis zur Klägerin völlig in ihrer Arbeitszeit, in der Gestaltung ihres Tätigkeitsfeldes, insbesondere in der Einhaltung ihrer Verpflichtung, sich bei der Kolonne einzufinden, frei gewesen sei oder nicht.

Die Klägerin hält an ihrer Auffassung fest, daß Frau B. in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu ihr stehe, sondern selbständige Handelsvertreterin sei. Es stehe in ihrem freien Ermessen, ob und in welchem Umfang sie in der Kolonne mitarbeiten wolle. Auch innerhalb der Kolonne habe sie keine festen Arbeitszeiten einzuhalten und kein bestimmtes Arbeitspensum zu erledigen. Urlaube und Freizeiten könne sie jederzeit und in beliebigem Umfang einlegen. Für dieses Vorbringen hat sie Zeugenbeweis angetreten.

Die Klägerin beantragt, d
as Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 11. September 1963 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 1961 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 1962 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist darüber hinaus der Auffassung, daß die beigeladene Frau B. in einem Maße weisungsgebunden sei, in dem sich kein selbständiger Handelsagent binden ließe. Die Tätigkeit in der Kolonne gebe der Gesamtheit der Tätigkeit der Frau B. zumindest das Gepräge.

Die durch Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 13. Juli 1962 beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sowie die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit beantragen ebenfalls,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie sind der Auffassung, daß Frau M. in einem Umfang in die Vertreterkolonne integriert sei, der für eine freie Gestaltung der Tätigkeit einen nur sehr begrenzten Raum übrig lasse. Frau B. sei daher von der Klägerin persönlich abhängig. Sie sei in den Betrieb der Klägerin eingegliedert.

Die beigeladene Frau B. hat keinen Antrag gestellt.

Sie hat auf Befragen u.a. erklärt, daß in ihrer Kolonne regelmäßig alle Beteiligten sich über das von dem Kolonnenführer vorgeschlagene Arbeitsgebiet verständigt hätten. Nur sehr selten habe der Kolonnenführer das Arbeitsgebiet und den Treffpunkt allein bestimmt. Sie hätte auch außerhalb des Kolonneneinsatzes tätig werden können; dies wäre u.a. vorgesehen und sei auch geschehen in den Fällen, in denen in der Abendveranstaltung Kunden aus verschiedenen Gründen darum gebeten hätten, am nächsten Tage oder auch später besucht zu werden. Dabei sei es vorgekommen, daß sie sich das vorhandene Vorführgerät ausgeliehen und dem betreffenden Kunden vorgeführt habe. Die Möglichkeit, mit dem Gerät selber Werbung zu treiben, habe nicht bestanden, weil nur das eine Vorführgerät vorhanden gewesen sei. Außerhalb des Kolonneneinsatzes habe sie keine Abschlüsse getätigt; daran hätte sie auch kein Interesse gehabt. Ihre morgendliche Werbetätigkeit – Einladung von Interessenten – sei nicht überwacht worden. Abends habe sie sich am Ort der Vorführung eines Geräts einfinden müssen. Die dort verlosten Gewinne seien von den Vertretern bezahlt worden, und zwar jeweils nach der Zahl der von dem jeweiligen Vertreter geworbenen und anwesenden Gäste. Die Belastung habe nach ihrer Erinnerung wöchentlich zwischen 8,– bis 15,– DM betragen. Sie habe, soweit sie sich erinnern könnte, während ihrer Tätigkeit wöchentlich zwischen 150,– und 300,– DM verdient.

Über die Tätigkeit der Frau B. wurde Beweis erhoben durch Vernehmung des Prokuristen der Klägerin G. M. sowie des Bezirksvertreters und Kolonnenführers der Frau B. G. M. Wegen ihrer Aussagen wird auf die Vernehmungsniederschriften Bl. 46 und 168–170 der GA. verwiesen. Die Zeugen blieben unbedingt.

Das Gericht hat ein Muster eines Vertretervertrages sowie ein Muster eines Vertrages für Bezirksvertreter bei der Klägerin angefordert und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Auf den Inhalt dieser Musterverträge wird verwiesen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 4. November 1971 waren die Klägerin, die Bundesanstalt für Arbeit und Frau B. trotz ordnungsmäßiger Ladung weder erschienen noch vertreten.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten sowie auf den Inhalt der Akten des BSG, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Gericht konnte nach § 110 SGG in der Sache entscheiden.

Die Beigeladene Frau B. unterliegt als Angestellte der Versicherungspflicht (§ 165 RVO, § 2 AVG, § 56 AVAVG). Sie war für die Klägerin nicht als selbständige Handelsvertreterin im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB tätig, sondern stand zur Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis als Handelsvertreterin im Sinne des § 84 Abs. 2 HGB. Nach dem Inhalt des zwischen ihr und der Klägerin geschlossenen Vertretervertrages sowie dem glaubhaften Vorbringen der Klägerin über die tatsächliche Ausgestaltung des Vertreterverhältnisses und dem Ergebnis der Zeugenvernehmung konnte Frau B. ihre Tätigkeit im wesentlichen nicht frei gestalten (§ 84 Abs. 2 HGB).

Die freie Gestaltung der Tätigkeit eines Handelsvertreters umfaßt die Vielfalt der Formen, in denen sich die Vermittlung und der Abschluß von Geschäften vollziehen kann, so z.B. Reisen, Korrespondenzen, Werbung, Mustervorführung und dergleichen mehr (Baumbach-Duden HGB 11. Aufl. § 84 Anm. 5 C). Das Kriterium der freien Gestaltung der Tätigkeit eines Handelsvertreters unterscheide sich grundsätzlich nicht von der allgemeinen Abgrenzung eines abhängig Beschäftigten von selbständig Tätigen. Die von der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG 15, 65, 69) geforderte Eingliederung in einen Betrieb oder eine Verwaltung zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft wird ebenfalls von dem Grundsatz beherrscht, daß die Arbeit fremdbestimmt ist und demzufolge vom Beschäftigten nicht im wesentlichen selbst bestimmt werden kann. Insoweit enthält das Recht der Handelsvertreter in § 84 HGB gegenüber dem allgemeinen Arbeitnehmerbegriff keine Sonderregelung; vielmehr ist die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Selbständigen getragen von allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen (vgl. BSG a.a.O.).

In unlösbarem Zusammenhang mit der Eingliederung eines Arbeitnehmers steht das Direktionsrecht des Arbeitgebers. Dieses aus § 315 BGB abzuleitende Recht hat zum Inhalt, daß der Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsvertrages gegenüber dem Arbeitnehmer einseitig dessen arbeitsvertragliche Verpflichtungen konkretisiert. Begrifflich kann dieses Recht nur dann und insoweit bestehen, als der Arbeitnehmer in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert ist und seine Tätigkeit nicht im wesentlichen frei bestimmen kann, weil andernfalls der Arbeitgeber keine rechtliche Handhabe zur Erteilung und Durchsetzung von Weisungen hätte. Eingliederung und Direktionsrecht bedingen und ergänzen sich somit gegenseitig.

Für das Bestehen der Eingliederung sowie des Direktionsrechts ist jedoch nicht erforderlich, daß dieser Rechtszustand für den Arbeitnehmer in jedem Zeitpunkt das Gefühl der an sich bestehenden Abhängigkeit vermittelt; es ist nicht erforderlich, daß der Arbeitsvollzug durch den Arbeitnehmer vom Bewußtsein der Abhängigkeit von fremden Weisungen beherrscht wird. Vielmehr sind nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 16, 289) Dienstleistungen auch dann abhängig, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes oder der Gemeinschaft erhalten, in deren Dienst die Arbeit verrichte wird. Ein Arbeitnehmer kann auch in einem übergeordneten Organismus eingegliedert werden, wobei sich die Weisungsgebundenheit zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß verfeinert. In dieser Teilhabe am Arbeitsprozeß ist die Arbeit nicht mehr frei verfügbar; sie ist geplanter Bestandteil einer fremden Ordnung (vgl. Soziale Sicherheit 1969 S. 36). Diese Orientierung der Eingliederung an der Funktion der Arbeit in einem übergeordneten Organismus (vgl. BAG 12, 254) entspricht auch den Gegebenheiten des Arbeitslebens, wobei die Einzelweisungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer mehr und mehr durch die allgemeine Organisation des Arbeitsprozesses im Betrieb, verbunden mit einer weitgehenden Delegation von Verantwortung ersetzt werden. Die Eingliederung vollzieht sich in der Praxis häufig so, daß dem Arbeitnehmer im Rahmen der Organisation des Betriebes ein Arbeitsplatz mit bestimmten Funktionen zugewiesen wird und die Art der Ausführung der Arbeit nicht mehr durch Einzelweisungen bestimmt und überwacht wird, sondern sich aus den Besonderheiten des jeweiligen Arbeitsprozesses ergibt (BAG a.a.O.). In diesen Fällen ist der Arbeitnehmer nicht mehr von der Person des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten, sondern von der Organisation des Arbeitsablaufes persönlich abhängig. Diese Abhängigkeit besteht allenfalls dann nicht, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar auf die Organisation des Arbeitsprozesses maßgeblichen Einfluß nehmen kann – z.B. Mitunternehmer.

Zur Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses genügt somit die Zuweisung bestimmter Funktionen im Arbeitsprozeß eines Unternehmens jedenfalls dann, wenn der Beschäftigte keinen maßgeblichen Einfluß auf die Organisation des Arbeitsprozesses ausüben kann. Die Entscheidungsfreiheit des Beschäftigten über die Art der Arbeitsausführung tritt demgegenüber in den Hintergrund (vgl. BSG 16, 289). Durch die Funktionszuweisung innerhalb der Organisation des Arbeitsablaufes wird der Arbeitnehmer in den Betrieb des Arbeitsgebers eingegliedert; das Direktionsrecht wird durch die inhaltliche Bestimmung der Funktion ausgeübt.

Hiernach ist die beigeladene Frau W. als Arbeitnehmerin im Betrieb der Klägerin beschäftigt. Sie kann ihre Funktion im Arbeitsablauf nicht maßgeblich beeinflussen, mag sie auch aus dem Vertretervertrag heraus Rechte in dieser Richtung haben. Entscheidend ist vielmehr der tatsächliche Ablauf, nachdem Frau B. praktisch nicht die Möglichkeit hat, sich frei darüber zu entscheiden, ob sie in der Kolonne mitarbeiten oder auf eigene Faust Kunden werben will. Frau B. gibt selbst glaubhaft an, daß die Möglichkeit, mit dem Gerät selber Werbung zu betreiben, nicht beständen habe, weil nur das eine Vorführgerät vorhanden gewesen ist. Auch der Zeuge M. hat glaubhaft bekundet, daß aus technischen Gründen nicht die Möglichkeit bestanden hat, außerhalb des Kolonneneinsatzes etwa weitere Einladungskarten zu verteilen, weil kein Veranstaltungssaal vorhanden gewesen war. Es hat auch nicht die Möglichkeit bestanden, durch Vorführung des zu verkaufenden Gerätes bei Kunden selbst Verkäufe zu tätigen. Hieraus ergibt sich deutlich, daß Frau B. tatsächlich auf die Mitarbeit in der Kolonne angewiesen war; insoweit konnte sie ihre Tätigkeit nicht selbst bestimmen. Durch Werbeaktionen auf eigene Faust hätte sie praktisch die Rolle eines Bezirksvertreters übernehmen und mit den erforderlichen Mitarbeitern sowie sachlichen Mitteln ausgestattet werden müssen. Hierzu mußte sie entweder Risiken übernehmen (Einstellung von Mitarbeitern, Mieten von Räumen) oder die Klägerin hätte solche organisatorische Vorbereitungen treffen müssen. Dies alles wurde nicht durchgeführt, es lag auch nicht im Interesse der Beteiligten, weil die Klägerin Frau B. nicht als Bezirksvertreterin eingestellt hat. Ein Kundenbesuch durch Frau B. war somit nur im Zusammenhang mit einer Abendveranstaltung praktisch möglich. Der Besuch von Kunden am Tage nach einer Abendveranstaltung kann nicht zu einer anderen Beurteilung führen, denn dieser Besuch war stets untrennbar mit dem Kolonneneinsatz verbunden.

Innerhalb der Kolonne war Frau B. in den Arbeitsprozeß funktional eingegliedert und konnte ihre Tätigkeit im wesentlichen nicht frei gestalten. Sie unterstand den Weisungen des Bezirksvertreters. Tatsächlich hat dieser nach den glaubhaften Erklärungen der Frau B. dieses Weisungsrecht zumindest in Einzelfällen auch ausgeübt. Dem steht nicht entgegen, daß sich in der Regel alle Beteiligten über das von dem Kolonnenführer vorgeschlagene Arbeitsgebiet verständigt haben; denn solche Mitarbeiterbesprechungen, die auch in anderen Bereichen des Arbeitslebens gebräuchlich sind, hielten das Weisungsrecht und damit die Organisationsgewalt des Kolonnenführers weder auf noch schränkten sie es ein. Struktur und Funktion der Kolonne blieben von diesen Besprechungen unverändert. Als Glied der Kolonne konnte Frau B. keinen maßgeblichen rechtlichen Einfluß auf die Arbeit der Kolonne nehmen. Frau B. hat nie die Möglichkeit gehabt, ihre jeweiligen Vorschläge für den Arbeitsablauf rechtlich durchzusetzen. Sie war allein auf ihre Überzeugungskraft angewiesen.

Frau B. hat auch kein unternehmerisches Risiko getragen. Ihr einziges Risiko bestand darin, keine Provisionen zu erhalten, wenn sie keine Umsätze getätigt hat. Dieses Risiko ist nichts anders zu beurteilen, als das des Arbeitnehmers, der nicht arbeitet und deswegen keinen Lohn erhält. Das typische Unternehmerrisiko geht darüber hinaus und erfaßt gerade die Fälle, in denen nicht nur keine Gewinne erzielt werden, sondern wirtschaftliche Verluste eintreten. Die Gefahr solcher Verluste bestand bei Frau B. nicht; denn der Einsatz eigener Mittel für die Gewinne der Tombola ist aufgrund der glaubhaften Angaben von Frau B. als bedeutungslos zu bezeichnen.

Soweit Frau B. ihre Arbeitszeit frei bestimmen konnte, geschah dies aus Umständen heraus, die die Ausübung eines Direktionsrechts von vornherein als zumindest wenig sinnvoll erscheinen ließen. Es wäre aber schlechthin widersinnlich ein Direktionsrecht im oben angeführten Sinne nur deswegen als nicht vorhanden zu bezeichnen, weil für die Ausübung im konkreten Fall kein praktisches Bedürfnis bestand. Entscheidend ist vielmehr, daß die Funktion von Frau B. innerhalb der Kolonne, nämlich das Verteilen von Einladungen zur Vorbereitung der Abendveranstaltung, inhaltlich nicht davon berührt werden konnte, zu welcher Tageszeit Frau B. die Einladung tatsächlich verteilt hat.

Die Arbeitnehmereigenschaft von Frau B. wird auch nicht dadurch berührt, daß sie frei darüber entscheiden konnte, ob sie an der täglichen Kolonnenarbeit mitwirken wollte. Diese Entscheidungsfreiheit bezog sich nicht auf die Art der Arbeitsausführung, sondern nur auf die Teilnahme an der Arbeit schlechthin. Dies aber ist kein Kriterium gegen die Arbeitnehmereigenschaft; es kommt auch in anderen Bereichen, insbesondere bei Aushilfskräften, vor, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Entscheidung darüber überläßt, ob und wann er zur Arbeit erscheinen will. Diese Entscheidungsfreiheit ist dann Bestandteil des vom Arbeitgeber geplanten Arbeitsablaufes. Die freie Bestimmung der Arbeitszeit könnte allenfalls dann ins Gewicht fallen, wenn mit ihrer Hilfe der Arbeitsablauf selbst frei bestimmt werden könnte. Der Arbeitsablauf in der Kolonne war jedoch vorbestimmt.

Daß Frau B. kein bestimmtes Arbeitspensum zu erledigen hatte, steht ihrer Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen. Die Notwendigkeit der Erledigung eines bestimmten Arbeitspensums gehört begrifflich nicht zur Arbeitnehmereigenschaft. Auch einem selbständigen Handelsvertreter können beispielsweise bestimmte Umsätze zur Auflage gemacht werden, wobei die Unterschreitung eines Mindestumsatzes Rechtsfolgen (Nichtzahlen der Provision, Vertragsstrafen) nach sich ziehen kann. Die Erledigung eines bestimmten Arbeitspensums muß auch nicht notwendiger Bestandteil einer Organisation des Arbeitsablaufes sein, in die der Arbeitnehmer eingegliedert wird.

Im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin sowie auf die Erklärungen der beigeladenen Frau B. brauchte der Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt zu werden, insbesondere brauchten keine weiteren Zeugen mehr vernommen zu werden; denn die in das Wissen dieser Zeugen gestellten Behauptungen der Klägerin werden als wahr unterstellt. Darüber hinaus reichen die glaubhaften Aussagen der Zeugen M. und M. aus, das Bild von der Tätigkeit der Frau B. bei der Klägerin zu vervollständigen.

Durch den Vertretervertrag hat die Klägerin die beigeladene Frau B. rechtlich an sich gebunden und das Arbeitsverhältnis begründet. Die Zuordnung zur Angestelltenversicherung entspricht den Tätigkeitsmerkmalen eines Handelsvertreters. Die Höhe der von der Beklagten geforderten Beiträge steht nicht im Streit; es ist auch nicht zu erkennen, daß die Höhe der Beitragsforderung unrichtig angesetzt war. Insoweit brauchte mangels eines entsprechenden Verwaltungsaktes noch keine gerichtliche Entscheidung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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