L 1 AS 1259/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 396/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 1259/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.02.2009 aufgehoben. Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

2. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.02.2009 wird zurückgewiesen.

3. Außergerichtliche Kosten sind weder im erstinstanzlichen Antragsverfahren noch im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im einstweiligen Rechtsschutz im Streit.

Die 1956 geborene Antragstellerin (Ast.) ist polnische Staatsangehörige. Am 16.09.2005 reiste sie in das Bundesgebiet ein, wozu ihr die zuständige Ausländerbehörde mehrfach - zuletzt am 26.06.2008 - eine derzeit noch gültige Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - Freizügigkeitsgesetz / EU - vom 30.07.2004 (BGBl I 2004, 1950, 1986; fortan: FreizügG/EU) erteilte; die Bescheinigung ist mit dem Hinweis versehen, dass für die Aufnahme einer Beschäftigung zusätzlich eine Arbeitserlaubnis-EU der Bundesagentur für Arbeit nach § 284 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) erforderlich sei. Die Ast. ist außerdem im Besitz einer Reisegewerbekarte vom 06.05.2008, welche sie mit einem Hinweis auf eine von ihr geplante selbständige Tätigkeit als Näherin gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU erhielt.

Die Ast. lebt in einer gemeinsamen Wohnung mit Herrn C. und dessen Sohn, welche die türkische Staatsangehörigkeit besitzen und bereits als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II von der Antragsgegnerin (Ag.) beziehen.

Die Ast. war nach ihrem Zuzug ins Bundesgebiet zunächst in der Zeit vom 20.12.2005 bis 15.07.2006 abhängig beschäftigt. Für die Folgezeit bewilligte ihr die Ag. mit Bescheid vom 13.04.2006 Leistungen bis zum 31.12.2006. Mit Folgebescheid vom 06.12.2006 wurden Leistungen für die Zeit vom 01.01.2007 bis zum 30.06.2007 in Höhe von monatlich 504,22 EUR bewilligt. Leistungen über den 30.06.2007 hinaus wurden zunächst nur noch an Herrn C. und nicht mehr an die Ast. bewilligt. Mit Bescheid vom 18.08.2008 wurde die Gewährung von Leistungen an die Ast. unter Berufung auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II abgelehnt.

Der deswegen eingelegte Widerspruch wurde damit begründet, dass die Ast. bereits seit 2005 in Deutschland lebe und nicht nur zur Arbeitssuche hier sei, sondern auch, weil sie eine Partnerschaft mit Herrn C. führe. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens gab C. gegenüber der Ag. an, dass die Ast. die von ihr angegebene Tätigkeit als Näherin nicht ausübe, sondern hiermit noch warte, bis sie die beantragten Leistungen beziehe. Die Ast. gab an, dass die Aufnahme der Tätigkeit erst in einigen Wochen beabsichtigt sei, und dass sie dies gesondert anzeigen werde. Eine entsprechende Anzeige ist bisher jedoch nicht erfolgt. Bei einer anschließenden Beratung bei der Bundesagentur für Arbeit gab die Ast. dann an, dass sie jegliche Beschäftigung akzeptiere, dass jedoch potentielle Arbeitgeber dadurch abgeschreckt würden, dass sie zuvor eine Arbeitserlaubnis benötige.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2008 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, da sich das Aufenthaltsrecht der Ast. allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Die von der Ast. zunächst angegebene Tätigkeit als selbständige Näherin sei von der Ast. nie ausgeübt worden.

Die Ast. hat am 17.10.2008 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben (Aktenzeichen S 3 AS 3359/08) und dort am 12.02.2008 den Erlass einer einstweiligen Anordnung (Aktenzeichen S 3 AS 369/09 ER) beantragt.

Die Ast. trug im einstweiligen Rechtschutzverfahren vor, der von der Ag. zur Ablehnung der Leistungen genannte § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstoße gegen Artikel 12 des EG-Vertrags und sei daher keine rechtmäßige Grundlage für die Ablehnungsentscheidung. Der Anordnungsgrund bestehe darin, dass hier ein Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache wegen des völligen Fehlens finanzieller Mittel nicht zumutbar sei.

Die Ast. vertrat demgegenüber die Auffassung, dass die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II keine europarechtswidrige Diskriminierung von EU-Bürgern aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstelle. Die Vorschrift habe ihre Berechtigung darin, dass sog. Sozialtourismus vermieden werden solle, der zur einseitigen Belastung der Sozialleistungssysteme bestimmter Länder führen könnte.

Mit Beschluss vom 25.02.2009 hat das SG die Ag. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig und darlehensweise verpflichtet, der Ast. ab Februar 2009 bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache S 3 AS 3359/08 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 430,12 EUR zu gewähren. Die einstweilige Anordnung finde ihre rechtliche Grundlage in § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), wonach eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen könne, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheine. Die Ast. habe sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie erfülle die grundsätzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Leistungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, weil sie zwischen 15 und 65 Jahre alt, erwerbs- und hilfebedürftig sei und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe. Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II greife vorliegend nicht ein, weil die Norm nur einen beschränkten Leistungsausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthalts regele, die Ast. jedoch bereits 2005 in das Bundesgebiet eingereist sei. Auch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II dürfe nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung dem Anspruch nicht entgegen stehen, da erhebliche Zweifel daran bestünden, ob dieser Leistungsausschluss für Unionsbürger mit Europarecht vereinbar sei. Selbst bei einer zugrunde gelegten Europarechtskonformität der Vorschrift lägen deren Voraussetzungen nicht vor, da die Ast. freizügigkeitsberechtigt sein dürfte. Das Gericht teile die Bedenken des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in dessen Beschluss vom 23.07.2008 (Az: L 7 AS 3031/08 ER-B). Danach seien die angegriffenen Regelungen zwar mit sekundärem Gemeinschaftsrecht ohne weiteres vereinbar, jedoch ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des primären Gemeinschaftsrechts, insbesondere den Artikeln 18 und 12 des EG-Vertrags, äußerst zweifelhaft. Nach Artikel 18 Abs. 1 EG Vertrag habe jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mietgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Dieses Recht werde unmittelbar zuerkannt und knüpfe alleine an die Unionsbürgerschaft an. Richtlinien, welche Unionsbürgern den Zugang zu Sozialleistungen verschlössen, seien als inhaltsbestimmende Regelungen des Aufenthaltsrechts anzusehen. Insofern seien diese Inhaltsbestimmungen jedoch wiederum dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen. Insoweit sei festzustellen, dass die Richtlinie 2004/38/EG das Aufenthaltsrecht trotz des Angewiesenseins auf Sozialhilfe aufrechterhalte, auch wenn diese ihre Lebensunterhalt nicht mehr selbst aufbringen könnten. Gerade an einen rechtmäßigen Aufenthalt habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) jedoch in Verbindung mit der Unionsbürgerschaft die Geltung des grundlegenden Prinzips der Gleichbehandlung nach Artikel 12 des EG Vertrags geknüpft, wonach unbeschadet besonderer Bestimmungen des Vertrags in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten sei. Hierbei habe es der EuGH für die Anwendung des Diskriminierungsverbots bereits ausreichen lassen, dass trotz des Wegfalls des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts durch den Mitgliedstaat Ausweisungsmaßnahmen nicht vorgenommen werden oder eine Aufenthaltserlaubnis erteilt sei. Insbesondere sei hierbei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Im Rahmen der zu beachtenden Verhältnismäßigkeit sei auch eine weniger einschneidende Regelung denkbar, welche nach der bisher vorhandenen Verbindung des betroffenen Unionsbürgers zum Aufnahmemitgliedsstaat differenziere (OVG Bremen, Beschluss vom 05.11.2007 - S 1 B 252/07 -). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts begehrt würden, sei auch der Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Der Beschluss des SG wurde der Ag. am 27.02.2009 und den Bevollmächtigten der Ast. am 02.03.2009 zugestellt.

Am 09.03.2009 hat die Ag. beim SG Beschwerde eingelegt, welche das SG dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt hat. Entgegen der Entscheidung des SG fehle ein Anordnungsanspruch. Die Ast. halte sich lediglich zum Zwecke der Arbeitssuche in der Bundesrepublik auf, da sie eine Beschäftigung, für welche eine Erlaubnis der Ag. nach § 284 SGB III erteilt worden sei, nie ausgeübt habe. Die von der Ast. behauptete selbständige Tätigkeit als Näherin, für die ihr eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU erteilt worden sei, habe diese ebenfalls nie ausgeübt. Die bloße Absichtserklärung, die selbständige Tätigkeit auszuüben, müsse als lediglich beabsichtigte Arbeitssuche gewertet werden und entfalte keine Tatbestandswirkung (unter Hinweis auf Hessisches LSG, Beschluss vom 13.09.2007 - L 9 AS 44/07 ER -). Europäisches Recht stehe der Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 SGB II nicht entgegen (mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Die unterschiedliche Behandlung von deutschen Bürgern und Unionsbürgern sei aufgrund des legitimen Zwecks, sozialleistungsorientierte Wanderungsbewegungen zu vermeiden, gerechtfertigt. Es sei auch unzulässig, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Unvereinbarkeit geltenden deutschen Rechts mit Europarecht anzunehmen, da das Interesse der Allgemeinheit an einer vorhersehbaren Gesetzesvollziehung verletzt würde (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.05.2007 - L 5 B 240/07 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18.04.2007 - L 9 AS 139/07 ER -). Soweit das Landessozialgericht anderer Auffassung sei, sei es sachgemäß, zumindest einen Abschlag um 20 % des Regelsatzes vorzunehmen, da absehbar sei, dass beim Unterliegen der Ast. im Hauptsacheverfahren von dieser die zwischenzeitlich gewählten Leistungen nicht erstattet werden könnten. Aus diesem Grunde sei auch die weitere Einschränkung angemessen, Fortgewährung der Leistungen lediglich von der Entscheidung der jeweiligen Instanz im Hauptsacheverfahren abhängig zu machen nicht von dem rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache insgesamt; denn es sei unverhältnismäßig, wenn die Ag. weiter die Leistungen erbringen müsse, auch wenn das SG oder ggf. das Landessozialgericht im Hauptsacheverfahren das Vorliegen eines Anspruchs verneine.

Die Ag. beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.02.2000 aufzuheben und den Antrag der Ast. zurückzuweisen, hilfsweise, einen Abschlag von 20 % der Regelleistung vorzunehmen sowie die Fortgewährung von der Entscheidung der jeweiligen Instanz im Hauptsacheverfahren und nicht vom rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache S 3 AS 3359/08 abhängig zu machen.

Die Ast. hat am 25.03.2009 ihrerseits Beschwerde beim Landessozialgericht eingelegt.

Sie beantragt teils sinngemäß,

die Beschwerde der Ag. zurückzuweisen und die Ag. unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.02.2009 zu verpflichten, ihr vorläufig und darlehensweise ab Februar 2009 bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache über die in den Beschluss gewährten Leistungen in Höhe von monatlich 430,12 EUR hinaus weitere Leistungen durch die Übernahme der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur gesetzlichen Rentenversicherung inklusive der Pflegeversicherung zu gewähren.

Die Ag. weigere sich, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Rentenversicherung zu entrichten, da sie den Tenor des SG wörtlich auslege. Es seien jedoch umfassende Leistungen nach dem SG II beantragt worden, weswegen der Beschluss des SG im vorgenannten Sinne hinter den Anträgen zurückbleibe und entsprechend zu erweitern sei. Die Ag. übersehe, dass im Fall existenznotwendiger Leistungen ein Hilfeempfänger nicht auf einen jahrelang dauernden Rechtsstreit verwiesen werden könne. Die von der Ag. angeregte Kürzung der vorläufig zugesprochenen Leistungen zum Lebensunterhalt widerspreche den im SGB II vorgesehen Kürzungen, welche in erster Linie zur Ausübung von Druck auf den Hilfeempfänger vorgesehen seien und nicht dazu dienten, auf Dauer eine Leistungsverkürzung zu gestatten.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

II.

Die nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige, insbesondere auch fristgerecht eingelegte Beschwerde der Ag. ist begründet; die ebenfalls zulässige Beschwerde der Ast. ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, 2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, 3. in den Fällen des § 86 a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.

Soweit ein Fall des Abs. 1 der Vorschrift nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift sieht vor, dass einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig sind, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Zu Unrecht hat das SG das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs bejaht. Vorliegend kommt nur der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt einen Anordnungsanspruch (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) und einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -). Der Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn bei der im Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ein Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, wobei auch wegen der mit der einstweiligen Regelung verbundenen Vorwegnahme der Hauptsache ein strenger Maßstab anzulegen ist (Bundesverwaltungsgericht, Buchholz 310 § 123 Nr. 15). Denn grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG -), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69 , 74 m.w.N.).

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit dem 01.01.2008 geltenden Fassung erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Diese Voraussetzungen werden von der Ast. unstreitig erfüllt. Allerdings hat die Ag. bei ihrer Entscheidung zu Recht auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für Ausländer abgestellt, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Ein Anordnungsanspruch ist damit nicht im Sinne von § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft gemacht worden.

Jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall einer polnischen Staatsbürgerin bestehen derzeit keine durchgreifenden Zweifel an der Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die verschiedentlich geäußerten Zweifel (vgl. den vom SG ausführlich zitierten Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23.07.2008 - L 7 AS 3031/08 ER-B -) beruhen auf den der einfachrechtlichen Norm des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II übergeordneten Vorschriften des EU-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und das Verbot von Diskriminierungen. Das EU-Recht selbst hat der Bundesrepublik indes die Möglichkeit eingeräumt, für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten - wie im Falle der Ast. Polen - bis zum 30.04.2011 die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit auszusetzen (vgl. die entsprechende Übergangsregelungen des EU-Beitrittsvertrages vom 16.04.2003, BGBl. II, 1408). Danach ist es den alten Mitgliedern der Union auch nach primärem Gemeinschaftsrecht erlaubt, ihre arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Lage an die erweiterte Union anzupassen. Nach dem Beitrittsvertrag können die alten Mitgliedsstaaten die Freizügigkeit gegenüber den Staatsangehörigen der neuen Mitgliedsstaaten - mit Ausnahme der Staatsangehörigen Maltas und Zyperns - während der insgesamt siebenjährigen Frist bis zum 30.04.2011 beschränken. Von der zunächst auf zwei Jahre begrenzten Möglichkeit hat die Bundesrepublik Deutschland mit dem Gesetz über den Arbeitsmarktzugang im Rahmen der EU-Erweiterung vom 23.04.2004 Gebrauch gemacht (BGBl. I, 602). Zwischenzeitlich hat das Bundeskabinett zweimalig eine Verlängerung der Übergangsregelung mit Wirkung vom 01.05.2006 bis zum 30.04.2009 und mit Wirkung vom 01.05.2009 bis zum 30.04.2011 beschlossen.

Das bedeutet, dass grundsätzlich für Staatsangehörige aus den betreffenden Beitrittsländern eine Beschäftigung nur mit Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit möglich ist, § 284 SGB III (Fuchs, Deutsche Grundsicherung und europäisches Koordinationsrecht, NZS 2007, 1ff). Das FreizügG/EU findet auf die Arbeitnehmer dieser Staaten (mit Ausnahme von Maltesern und Zypern) nur Anwendung, wenn diesen eine Beschäftigung im Bundesgebiet durch die Bundesagentur für Arbeit genehmigt wurde. Dies ist der Fall, wenn dem Arbeitnehmer aus den Beitrittsstaaten eine Arbeitserlaubnis-EU nach § 284 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) erteilt wurde (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.03.2007 - L 19 B 21/07 AS ER - m.w.N.). Der Ast. ist jedoch keine Arbeitserlaubnis-EU nach § 284 Abs. 1 SGB III erteilt worden. Die bloße Möglichkeit, dass die Ast. eine solche Genehmigung erhalten könnte, ist vorliegend nicht ausreichend. Notwendig ist eine über die bloß abstrakte rechtliche Möglichkeit hinausgehende Aussicht auf Erteilung der Genehmigung oder Erlaubnis, orientiert am Maßstab der Genehmigungsfähigkeit des Arbeitsgenehmigungsrechts (LSG Rheinland-Pfalz NZS 2007, 220; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. September 2006 – L 6 AS 376/06 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.07.2008 - L 7 AS 3031/08 ER-B -). Vorliegend besteht allenfalls eine fernliegende Möglichkeit. Denn die Ast. hat bei ihren Vorsprachen bei der Arbeitsagentur zuletzt stets betont, dass sie jegliche Arbeiten zu verrichten bereit sei, was das Vorhandensein bevorrechtigter unqualifizierter Arbeitsuchender nahelegt; im Übrigen hat die Ast. offenbar auch eine Arbeitsgenehmigung bisher nicht beantragt.

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Ausschlusstatbestand wegen des alleinigen Zwecks der Arbeitssuche in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch für die beabsichtigte - aber derzeit noch nicht praktizierte - Ausübung einer selbständigen Tätigkeit gilt. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, wonach auch im Falle eines unbeschäftigten Selbständigen im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II - und insbesondere auch nach dem Wortlaut - von einem Arbeitsuchenden auszugehen ist. Eine andere Interpretation würde die Umgehung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch die bloße Behauptung, eine selbständige Tätigkeit sei geplant, allzu sehr vereinfachen (ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 13.09.2007 - L 9 AS 44/07 ER -).

Dies zeigt auch der vorliegende Fall, in dem die Ast. noch am 03.09.2008 die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit angekündigt hat, aber diese Ankündigung nicht realisiert hat, und stattdessen bereits bei einer Vorsprache am 26.09.2008 in der Arbeitsagentur mitgeteilt hat, sie suche Arbeit jeglicher Art in Vollzeit oder Teilzeit. Da die Ast. nach eigener und der Aussage ihres Lebensgefährten C. keine selbständige Tätigkeit ausübt, ist der Ausschlusstatbestand auch insoweit erfüllt. Ein berechtigter Aufenthaltszweck ergibt sich damit auch nicht aus den Vorschriften in § 2 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 FreizügG/EU über eine sesshafte oder im Reisegewerbe ausgeübte selbständige Tätigkeit.

Auch die Schutztatbestände des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU sind insofern nicht erfüllt, weil die Ast. weder bereits mindestens ein Jahr lang als Arbeitnehmerin oder Selbständige in der Bundesrepublik tätig noch durch Krankheit oder Unfall in einer solchen Tätigkeit unterbrochen worden ist.

Aus der Partnerschaft mit C. erwächst der Ast. im Übrigen entgegen ihrem Vortrag im Widerspruchsverfahren kein gesondertes Aufenthaltsrecht, da lediglich eine nicht registrierte Lebensgemeinschaft vorliegt und auch C. im Übrigen kein Unionsbürger ist; das Verhältnis zu C. erfüllt nicht die Anforderungen nach § 3 FreizügG/EU über den Zuzug von Familienangehörigen. Schließlich ergibt sich auch kein Daueraufenthaltsrecht aus § 4 FreizügG/EU, da dies für alle Unionsbürger voraussetzt, dass der betreffende Arbeitslose oder Selbständige und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügen. Dies war bei der Ast. und ihrem Partner C., wie der Bezug bzw. die Beantragung von Leistungen nach dem SGB II belegen, aber nicht der Fall.

Die vorliegende Interpretation des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit den Vorschriften des FreizügG/EU und § 284 Abs. 1 SGB III erscheint auch deswegen erforderlich, weil nur so ein Wertungswiderspruch vermieden werden kann, der darin läge, dass bei der Gewährung von SGB II-Leistungen eine Verpflichtung der Ag. zu umfangreichen Integrationsbemühungen der Ast. in den Arbeitsmarkt bestünde (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 4 und § 3 Abs. 1 SGB II), obwohl der deutsche Arbeitsmarkt bis zum 30.04.2011 vor ungelernten Arbeitskräften aus den neuen Beitrittsländern auch nach primärem EU-Recht zulässigerweise geschützt werden darf.

Eine im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (Art. 19 Abs. 4 GG), stets gesondert zu prüfende unzulässige Härte (vgl. BVerfGE 79, 69 , 74 m.w.N.) kann vorliegend nicht erkannt werden. Die Ast. hat zum einen die Möglichkeit, aufgrund ihres Reisegewerbescheins als selbständige Näherin ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Außerdem hat sie auch in der Vergangenheit phasenweise ohne Unterstützung durch die Ag. ihren Lebensunterhalt in Deutschland selbst bestritten. Schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, liegen daher nicht vor.

Der Senat hat von einer Beiladung des Sozialhilfeträgers abgesehen, da die Ast. nach § 23 Abs. 3 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) in der Fassung des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I, 2670), eingeführt mit Wirkung zum 07.12.2006, auch keine Sozialhilfe erlangen kann, insofern sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.03.2007 - L 19 B 21/07 AS ER -).

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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