L 12 AS 5528/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 3251/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 5528/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. November 2008 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2007.

Der 1949 geborene, alleinstehende Kläger bewohnt eine 55 qm große Wohnung zu einem Kaltmietpreis von 375 EUR zuzüglich 80 EUR Nebenkosten. Er leidet an Schwindel und Gleichgewichtsstörungen bei Hydrocephalus, einem Schlafapnoe-Syndrom, Schwerhörigkeit, Harninkontinenz, Polyneuropathie und einem metabolischen Syndrom mit Bluthochdruck, Hyperlipidämie und Adipositas per magna. Seit Januar 2005 bezieht der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Auf seinen Fortzahlungsantrag vom 30. November 2006 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Dezember 2006 Leistungen für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2007 in Höhe von 835,79 EUR (345 EUR Regelleistung, 35,79 EUR Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung, 455 EUR Kosten der Unterkunft).

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, ihm stünden höhere Leistungen zu, die ihm gewährten Leistungen seien menschenunwürdig. Im Einzelnen verlangte er u.a. die Übernahme von Stromkosten in Höhe von 79 EUR monatlich sowie die Übernahme höherer Nebenkosten.

Mit Änderungsbescheid vom 15. März 2007 bewilligte die Beklagte für April bis Juni 2007 nur noch Leistungen in Höhe von 715,04 EUR monatlich, hob diesen Bescheid jedoch mit Bescheid vom 17. April 2007 wieder auf und bewilligte erneut die Leistungen in Höhe von 835,79 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und verwies darauf, dass die Kosten für Haushaltsenergie bereits in der Regelleistung enthalten seien und nicht nochmals berücksichtigt werden könnten.

Hiergegen richtet sich die am 2. Juli 2007 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage.

Mit Urteil vom 3. November 2008 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es sei weder ersichtlich noch vorgetragen, warum dem Kläger über die gewährten Leistungen hinaus weitere Leistungen zustehen sollten.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 10. November 2008 eingelegten Berufung. Er macht u.a. geltend, er halte das ganze Verfahren für unfair. Ein Grund für den verspäteten Beginn der Verhandlung sei nicht ersichtlich gewesen. Außerdem habe er den Eindruck gehabt, der Richter und die Schöffen hätten schon vor der Verhandlung entschieden, da bereits in der Ladung mitgeteilt worden sei, dass bei Ausbleiben von Beteiligten nach Lage der Akten entschieden werden könne. Dies sei ein Verstoß gegen seine Menschenwürde und seine Persönlichkeitsrechte. Außerdem lehne er den Vorsitzenden Richter sowie die ehrenamtlichen Richter wegen Befangenheit ab und verlange eine neue Verhandlung mit anderen Richtern.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. November 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 7. Dezember 2006 sowie des Bescheids vom 17. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Mai 2007 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2007 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des SG für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann trotz des Ausbleibens von Beteiligten in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden, da in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Das mit "Widerspruch gegen Gerichtstermin" überschriebene Schreiben des Klägers vom 8. November 2008 wird als Berufung gegen das Urteil des SG vom 3. November 2008 ausgelegt. Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie statthaft (§ 143 SGG), da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG); vor dem SG hatte der Kläger geltend gemacht, ihm stünden monatlich weitere Leistungen in Höhe von 286,66 EUR zu. Die Berufung ist indes nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Bescheide vom 7. Dezember 2006 und 17. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Mai 2007 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Verfahrensfehler des SG, die Anlass für eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG sein könnten (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG), liegen nicht vor. Soweit der Kläger den verspäteten Sitzungsbeginn rügt, ist darin kein Verfahrensfehler zu sehen. Verspätungen können im Verlauf eines Verhandlungstages aus den unterschiedlichsten Gründen auftreten. Die Verletzung von Rechten des Klägers ist durch den um 60 Minuten verspäteten Beginn der Verhandlung (Ladung auf 10.50 Uhr, Beginn laut Niederschrift 11.50 Uhr) nicht ersichtlich. Davon abgesehen fanden ab 11.13 Uhr vor dem SG mündliche Verhandlungen in anderen Verfahren des Klägers gegen die Beklagte statt (z.B. S 5 AS 2622/07). Der Hinweis auf eine mögliche Entscheidung nach Aktenlage in der Ladung entspricht den gesetzlichen Verfahrensvorschriften (vgl. § 126 SGG). Entgegen der Auffassung des Klägers ist damit keineswegs eine Vorentscheidung in der Sache verbunden. Soweit der Kläger der Sache nach einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz rügt, ist dem zu entgegnen, dass die nach Abschluss der mündlichen Verhandlung im Schreiben vom 8. November 2008 gestellten Befangenheitsgesuche keine Berücksichtigung mehr finden können. Ablehnungsgesuche nach Abschluss der Instanz sind unzulässig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 60 Rdnr. 10b).

Auch in der Sache stehen dem Kläger im hier streitigen Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2007 keine höheren Leistungen zu.

Als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger und damit Leistungsberechtigter nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat der Kläger grundsätzlich dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 SGB II). Der Kläger verfügt weder über Einkommen (§ 11 SGB II) noch über anzurechnendes Vermögen (§ 12 SGB II).

Leistungen für Unterkunft und Heizung i.S.v. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden vorliegend von der Beklagten in tatsächlicher Höhe von 455 EUR monatlich erbracht, so dass sich die Frage der Angemessenheit dieser Kosten hier nicht stellt. Stromkosten sind als Kosten für Haushaltsenergie mit der Regelleistung abgegolten (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 21 Nr. 2), wie auch mit der Neufassung des § 20 Abs. 1 SGB II mit Wirkung ab 1. August 2006 klargestellt wurde (Gesetz vom 20. Juli 2006, BGBl. I S. 1706). Der vom Kläger zu leistende Abschlag an den Energieversorger in Höhe von 79 EUR monatlich kann daher nicht übernommen werden. Soweit der Kläger insgesamt höhere Nebenkosten geltend macht, kann dies nicht nachvollzogen werden. In den mietvertraglich geschuldeten Abschlagszahlungen sind sämtliche Positionen wie Müll, Wasser, Abwasser, Kaminfeger, Heizung, Wartung Aufzüge, Gemeinschaftsstrom etc. enthalten. Für die Jahre 2004 und 2005 ergab sich sogar aus den geleisteten Abschlagszahlungen nach der Jahresabrechnung ein Guthaben zugunsten des Klägers; die Jahresabrechnung 2006 lag noch nicht vor. Höhere als die tatsächlich entstandenen Aufwendungen für Kosten der Unterkunft und Heizung kann der Kläger nicht verlangen.

Die Beklagte hat die Regelleistung in voller Höhe von (damals) 345 EUR bewilligt (§ 20 Abs. 2 SGB II i.d.F. des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954). Hinsichtlich der Höhe der Regelleistung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 3 und Urteile vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 39/06 R - und - B 11b AS 27/06 R - (juris)).

Anspruch auf einen höheren Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II hat der Kläger angesichts der bei ihm vorliegenden Erkrankungen nicht. Die Beklagte hat insoweit monatlich 35,79 EUR bewilligt, was dem Betrag für lipidsenkende Kost nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 2. Aufl. 1997 entspricht. Bei dem Kläger liegen folgende Erkrankungen vor, die einen höheren Bedarf im Bereich der Ernährung begründen können: metabolisches Syndrom mit Bluthochdruck und Hyperlipidämie.

Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Bei dem Begriff der angemessenen Höhe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2.Aufl., § 21 Rdnr. 57). Nach dem Willen des Gesetzgebers können zur Konkretisierung der Angemessenheit des Mehrbedarfs die hierzu vom Deutschen Verein entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden (BT-Drucks. 15/1516 S. 46, 56). Die Empfehlungen beruhen auf zu verschiedenen Sachgebieten eingeholten medizinischen, ernährungswissenschaftlichen und statistischen Gutachten und genießen allgemeine Anerkennung. Zwar konnte bezüglich der zweiten Auflage von 1997 nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Empfehlungen in allen Punkten allgemeine und im Wesentlichen unumstrittene aktuelle Erfahrungswerte wiedergeben (vgl. BSG SozR 4-4200 § 21 Nr. 2). Die inzwischen vorliegende völlig neu bearbeitete dritte Auflage von 2008 berücksichtigt indessen auch die aktuellen ernährungsmedizinischen Auffassungen. Der Senat legt die Empfehlungen mit Stand 2008 daher als antizipiertes gerichtliches Sachverständigengutachten seiner Entscheidung zugrunde. Danach ist u.a. bei den Erkrankungen Hyperlipidämie (Erhöhung der Blutfette), Hyperurikämie (Erhöhung der Harnsäure im Blut), Hypertonie (Bluthochdruck), Gewebswasseransammlungen bei Herz- oder Nierenerkrankungen und Diabetes mellitus (Typ II und I, konventionell und intensiviert konventionell behandelt) in der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen. So liegt der Fall auch hier. Ein Anspruch auf höhere Bewilligung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs (zur Dynamisierung der Sätze vgl. BSG SozR 4-4200 § 21 Nr. 2) kommt nach alledem nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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