S 12 KA 398/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 398/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Der Beschluss der Mitgliederversammlung einer Notdienstgemeinschaft über die Erhebung einer Umlage aufgrund eines in den Jahren 2001 bis 2006 aufgelaufenen Defizits muss bestimmt sein. Er muss erkennen lassen, in welcher Höhe die Mitglieder zu einer Umlage herangezogen werden (vgl. bereits Urteil der Kammer v. 30.08.2006 – S 12 KA 261/05 –, bestätigt durch LSG Hessen, Beschl. v. 20.06.2007 – L 4 KA 67/06 –).
1. Der Bescheid der Beklagten vom 18.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2008 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 12.540,62 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Kostenbescheid in Höhe von noch 12.540,62 EUR aufgrund eines Defizits des Bereitschaftsdienstes A. aus den Jahren 2003 bis 2006.

Der Kläger ist als Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.

Die aus den Gemeinden AA., AB., A-Stadt, AC. und AD. bestehende Notdienstgemeinschaft B. erwirtschaftete in den Jahren 2001 bis 2006 folgende Defizite (Angaben in EUR):

2001 2002 2003 2004 2005 2006
Ausgaben 140.405,12 196.668,62 202.541,08 200.327,95 154.805,46 Einnahmen 34.133,20 44.969,96 38.465,34 44.838,11 42.476,67
Defizit 106.271,92 151.698,66 164.075,74 155.489,84 112.328,79
Zahl der Ärzte 51, in IV/02 52 50 47
Defizit pro Arzt im Halbjahr bzw. Quartal 1.767,09 1.799,78 849,75 761,04 879,49 965,07 818,26 760,44 584,38 367,64
Defizit im Jahr pro Arzt 1.569,08 2.028,32 3.054,34 3.566,81 3.455,35 2.530,72
Defizit gesamt 2002-2006: 14.635,60
Defizit gesamt 2001-2006: 16.204,68

Die Notdienstgemeinschaft B. beschloss am 15.07.2003, dass die Nachzahlungen für das Jahr 2002 pro Kopf errechnet werden sollten. Das Defizit solle mit den Abschlags- und Restzahlungen, insgesamt vier Zahlungen im Quartal bzw. 16 Zahlungen im Jahr, verrechnet werden. Alle Beschlüsse sollten auch für die folgenden Jahre gelten. Als Ansparung werde ein Betrag von 20 EUR pro Arzt und Monat als ausreichend angesehen.

Der Geschäftsausschuss der Bezirksstelle XY. beschloss am 16.10.2003, dass die Defizitauflösung der Notdienstzentralen für die Quartale I bis IV/02 über zwei Quartale vorgenommen werde. Der Rücklagenaufbau solle spätestens mit der Restzahlung IV/04 (April 2005) abgeschlossen sein. Der Geschäftsausschuss beschloss am 18.12.2003 für die Notdienstzentrale B., dass der arztbezogene Defizitanteil des Jahres 2002 entsprechend des Beschlusses vom 16.10.2003 über zwei Quartale ausgeglichen werde und zwar als Einbehalt in Höhe von jeweils 250 EUR als Kürzung der Abschlagszahlungen Januar bis Juni 2004 und der Restzahlung III/03 im April 2004. Die Defizitauflösung des Jahres 2003 solle ebf. über zwei Quartale in Höhe von max. 1.000 EUR pro Quartal über eine Kürzung von Abschlagszahlung und der Restzahlung in Höhe von max. 250 EUR erfolgen, und zwar im Zeitraum Juli bis Dezember 2004.

Der Vorstand der Beklagten beschloss am 07.03.2005 die Erhöhung der Quartalsbelastung auf 2.000 EUR ab Restzahlung IV/04 hinsichtlich eines zeitnahen Defizitausgleichs.

Die Notdienstzentrale B. beschloss am 08.03.2007, dass sie mit den Zentralen RA. (AA., AB.), ZF. (A-Stadt, AC.) und RB. (AD.) zusammengelegt werden sollte. Dem stimmte der Vorstand der Beklagten am 27.03.2007 zu. Die Notdienstzentrale B. beschloss dann am 30.08.2007 ihre Auflösung zum 01.01.2008. Dem stimmte der Vorstand der Beklagten am 05.09.2007 zu.

Mit Bescheid vom 18.12.2007 setzte die Beklagte für den Zeitraum 2001 bis 2006 einen Gesamtbetrag in Höhe von 16.204,68 EUR fest. Sie verwies auf § 8 Abs. 3 der Notdienstordnung hin, wonach der Kläger als Mitglied der Bereitschaftsdienstzentrale B. verpflichtet sei, Defizite finanziell zu tragen. Aufgrund Überschneidungen organisatorischer Zuständigkeiten sei es zu einer Verzögerung gekommen. Zur Zusammensetzung des Betrages verweise sie auf die beigefügte Aufstellung. Die Belastung des Arztkontos werde sie über acht Quartale (IV/07 bis III/09) in Höhe von jeweils 2.025,59 EUR vornehmen.

Hiergegen legte der Kläger am 09.01.2008 Widerspruch ein. Er trug vor, eine überprüfbare Kostenrechnung mit Kostenstellen und Kostenblättern liege ihm nicht vor. Aufgrund der jahrelangen Verschleppung der Abrechnung bestehe der Verdacht einer fehlerhaften Buchung und Verwaltungsführung. Die Forderung sei verjährt. Nach § 9 Abs. 5 Notdienstordnung seien die Defizite spätestens im nachfolgenden Rechnungsjahr auszugleichen. Für das Jahr 2006 hätte die Rechnungslegung bis zum 31.12.2007 erfolgen müssen, der Rückforderungsbescheid sei ihm aber erst am 02.01.2008 zugegangen.

Die Beklagte gab mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2008 dem Widerspruch insoweit statt, als das Defizit für das Jahr 2001 bereits Gegenstand des Bescheides vom 18.12.2002 gewesen sei, der Betrag für das Jahr 2002 verjährt sei und das Defizit des Quartals III/06 in Höhe von 66,66 EUR zu vermindern sei, da das Defizit nur 23.297,02 EUR anstatt 26.297,10 EUR bei 45 Ärzten betrage. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. In der Begründung führte sie aus, eine Rückzahlung des Betrages für das Jahr 2001 scheide aus, da das Verfahren im Hinblick auf einen Musterrechtsstreit ausgesetzt worden sei. Das Defizit sei nach dem Beschluss der Notdienstgemeinschaft vom 15.07.2003 nach Köpfen zu verteilen. In § 9 Abs. 5 Notdienstordnung werde nicht geregelt, dass die Fehlbeträge schon im folgenden Rechnungsjahr von den niedergelassenen Ärzten angefordert werden müssten. Maßgeblich sei die allgemeine Verjährungsvorschrift von vier Jahren nach § 45 SGB I. Das Defizit des Jahres 2003 habe erst zu Anfang des Jahres 2004 festgestanden, so dass nur das Defizit des Jahres 2002 von der Verjährung betroffen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 11.08.2008 die Klage erhoben.

Er trägt vor, es fehle bereits an einem Beschluss der Notdienstgemeinschaft, eine Umlage zu verlangen. Sämtliche in den jeweiligen jährlichen Versammlungen gefassten Beschlüsse befassten sich nur damit, gemäß welcher Quote ein aufgelaufenes Defizit verteilt werden solle. Der Notdienstgemeinschaft sei noch nicht einmal mitgeteilt worden, wie hoch das jeweilige Defizit gewesen sei, auch sei in den Einladungsschreiben das Defizit nicht beziffert worden. Gemäß § 8 Abs. 3 lit. a) hätte auch vor Erhebung einer Umlage der Abzug eines angemessenen Betriebskostenanteils von den Honoraren des Notdienstes beschlossen werden müssen. Einer nachträglichen Beschlussfassung stehe § 9 Abs. 5 Satz 2 entgegen. Dieser setze voraus, dass es zuvor einen Beschluss gegeben habe, aufgrund dessen das Defizit ausgeglichen werden solle. Darüber hinaus enthalte diese Regelung eine Ausschlussfrist. Die Defizite müssten im Folgejahr nicht nur angefordert werden, sondern das Defizit müsse auch ausgeglichen sein. Die Ausschlussfrist sei auch sinnvoll, damit die Notdienstgemeinschaft auf die Defizite reagieren könne. Die Beklagte habe es auch in der Hand gehabt, durch ersetzende Entscheidungen das Auflaufen eines Defizits über Jahre zu verhindern. Der Beklagten kämen auch gegenüber der Notdienstgemeinschaft Aufsichtsbefugnisse zu. Sie hafte auch gegenüber der Notdienstgemeinschaft und dem Kläger aufgrund der mannigfaltigen Hinweis-, Unterrichtungs- und Aufsichtspflichten nach § 10 Abs. 1. Rein vorsorglich mache er einen Schadensersatzanspruch geltend. Die Höhe des Defizits bestreite er. Vorsorglich mache er die Einrede der Verjährung geltend. Es gelte § 195 BGB, da § 45 SGB I nur für Sozialleistungen gelte. Er habe keine Kenntnisse über die finanzielle Situation der Notdienstgemeinschaft gehabt.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die Bereitschaftsdienstzentrale B. habe eine Zentrale in AA. betrieben. Mit den Dienstzeiten, am Wochenende von Samstag 08.00 Uhr bis Montag 07.00 Uhr, an Feiertagen vom Vortag 18.00 Uhr bis zum folgenden Werktag 07.00 Uhr und von Montag bis Freitag 20.00 Uhr bis zum folgenden Werktag 07.00 Uhr, habe die Zentrale zugleich eine Wochentagsversorgung an allen Tagen sichergestellt, so dass es in der ärztlichen Bereitschaftsdienstgemeinschaft keine kollegialen Dienste gegeben habe. Weiterhin habe sich die Zentrale eines Fahrdienstes mit Fahrern einer Hilfsorganisation bedient. Hinzu komme, dass, was allerdings nicht unüblich sei, Garantiepauschalen gezahlt worden seien. Der Betriebskostenanteil von den im Notdienst erzielten Honoraren sei mit 20 % erhoben worden. Es treffe daher nicht zu, dass ein Abzug eines Betriebskostenanteils von den im Rahmen des Notdienstes von den Notdienstärzten erarbeiteten Honoraren gefehlt habe. Vor Erhebung einer Umlage müsse auch nicht der Abzug eines angemessenen Betriebskostenanteils beschlossen werden. Eine Umlage könne alternativ erhoben werden. Die Bereitschaftsdienstgemeinschaft B. habe in der Sitzung vom 15.07.2003 beschlossen, dass die Defizite nach Köpfen zu verteilen seien. Der Sitzung sei eine schriftliche Einladung mit Datum vom 18.06.2003 vorausgegangen. Dort sei ausdrücklich auf die maßgeblichen Tagesordnungspunkte hingewiesen worden. Die Entscheidung sei von dem Geschäftsausschuss der zuständigen Bezirksstelle genehmigt worden. In den folgenden Sitzungen der Ärzte der Bereitschaftsdienstgemeinschaft B. sei diese Beschlusslage bestätigt worden. Es seien auch Einnahme-/Überschussrechnungen für das jeweils abgelaufene Kalenderjahr erstellt worden. Es sei umfassend über die finanzielle Situation der Bereitschaftsdienstgemeinschaft und die Belastungen mit aufgelaufenen Defiziten informiert worden. Dies folge aus den Einladungen zu den jährlichen Versammlungen nebst den Sitzungsprotokollen. In den Sitzungen sei über die Kostenreduzierung gesprochen worden. Bei der Frist zum Ausgleich der Fehlbeträge nach § 9 Abs. 5 SGB V handele es sich nicht um eine "Ausschlussfrist". Das Defizit für das Jahr 2003 habe frühestens Anfang des Jahres 2004 festgestellt werden können. Es gelte eine Verjährungsfrist von 4 Jahren zum Ende des Kalenderjahres. Ein Vertrauensschutz greife nicht, da umfassend über das Defizit informiert worden sei. Der Beschluss der Notdienstgemeinschaft B. vom 15.07.2003 sei hinreichend bestimmt. Er sei, ebenso wie die Folgebeschlüsse, im Zusammenhang mit den entsprechenden Einnahme-/Überschussrechnungen zu sehen. Zum Zeitpunkt des Beschlusses habe außerdem das Defizit für die vorangegangenen Jahre 1992 bis 2001 bereits festgestanden, wie aus dem Bescheid vom 18.12.2002 entnommen werden könne. Daraus habe bereits auf die Höhe des ungefähr auflaufenden Defizits auch für die Folgejahre geschlossen werden können. In der Sitzung der Notdienstgemeinschaft vom 12.01.2006 sei über den Vorschlag, dass die Kosten nicht mehr gleichmäßig pro Arzt, sondern schein- und umsatzabhängig zu regeln seien, um kleinere Praxen von den hohen Belastungen zu entlasten, abgestimmt worden. Der Vorschlag sei mit 10 "nein", 6 "ja" und 2 "Enthaltungen" abgelehnt worden. Es sei daher in der Sitzung festgestellt worden, dass es bei der bestehenden Regelung bleibe. Daraus folge, dass damit die bisherige Beschlusslage bestätigt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher gehört wurden (§ 105 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die zulässige Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2008 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2008 ist rechtswidrig.

Eine Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung ist nach der hier maßgeblichen und ab 01.10.2005 gültigen Notdienstordnung, bekannt gegeben durch das Landesrundschreiben/Bekanntmachung der Beklagten vom 15.12.2004 (Anlage 1) (im Folgenden: NDO), die Satzungsqualität hat, nicht ersichtlich. Soweit eine Beschlussfassung seitens der Notdienstgemeinschaft für die Zeit davor geltend gemacht wird, fehlt es auch an einer Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung nach der ab 01.10.2002 gültigen Notdienstordnung, bekannt gegeben durch die Bekanntmachung vom 20.09.2002 (Teil I), die in den hier maßgeblichen Teilen, sofern nicht auf eine Änderung hingewiesen wird, mit der Neufassung inhaltsgleich ist.

Zur vertragsärztlichen Versorgung gehört auch der Notfalldienst (§ 75 Abs. 1 Satz 2) (vgl. BSG v. 12.10.1994 – 6 RKa 29/93 - USK 94139, juris Rdnr. 10). Die Verpflichtung zur Teilnahme am Notdienst ist Folge der aus der Zulassung resultierenden Teilnahmeverpflichtung. Der Umfang und die Durchführung des Notdienstes obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Rahmen ihrer Satzungshoheit (vgl. BSG v. 11.06.1986 - 6 RKa 5/85 - MedR 1987, 122, juris Rdnr. 12; BSG v. 15.04.1980 - 6 RKa 8/78 - USK 8055 m.w.N., juris Rdnr. 11; LSG Baden-Württemberg v. 16.07.2003 – L 5 KA 3081/02 – juris Rdnr. 18; SG Dresden v. 10.02.2005 - S 11 KA 260/04 – juris Rdnr. 18) Die KV kann alle Vertragsärzte zur Finanzierung heranziehen (vgl. BSG v. 03.09.1987 - 6 RKa 1/87 - SozR 2200 § 368m Nr. 4, juris Rn. 17).

In Erfüllung des gesetzlichen Auftrags zur Sicherstellung des Notfalldienstes werden nach der NDO Notdienstbezirke gebildet. Die in einem Notdienstbezirk niedergelassenen Vertragsärzte bilden die Notdienstgemeinschaft in dem beschriebenen örtlich abgegrenzten Bereich (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 NDO). Die für einen Notdienstbezirk zuständige Notdienstgemeinschaft hat grundsätzlich die Einzelheiten des Notdienstes in eigener Zuständigkeit zu regeln (§ 5 Abs. 1 Satz 1 NDO). Zur Finanzierung der Organisationsstruktur des organisierten Notdienstes erfolgen Zahlungen durch die Beklagte (vgl. § 8 Abs. 1 NDO). Soweit die bei Betrieb von Notdienstzentralen und Notdienstleitstellen zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichend sind, sind für die Finanzierung des organisierten Notdienstes des Weiteren zu erheben:
a) ein Abzug eines angemessenen Betriebskostenanteils von mindestens 15 %, höchstens 35 %, bezogen auf die im Rahmen des Notdienstes von den Notdienstärzten erarbeiteten Honorare
und im Falle einer weiteren Unterdeckung,
b) eine Umlage von allen der Notdienstgemeinschaft angeschlossenen niedergelassenen Vertragsärzten.
Art und Umfang der Umlage und des Betriebskostenabzuges sind von der Versammlung der Notdienstgemeinschaft festzulegen und von dem Vorstand oder einem von ihm beauftragten Gremium zu genehmigen. Anstelle eines Betriebskostenabzuges nach Buchstabe a) ist es alternativ aufgrund der Entscheidung der Versammlung der Notdienstgemeinschaft mit Zustimmung des von dem Vorstand oder eines von ihm beauftragten Gremiums möglich, für die Finanzierung des Notdienstes ausschließlich eine Umlage gemäß Buchstabe b) bei den Mitgliedern der Notdienstgemeinschaft zu erheben (vgl. § 8 Abs. 3 NDO).

Falls die Notdienstgemeinschaft keinen Beschluss fasst, der eine Deckung der Betriebskosten durch den Abzug eines angemessenen Betriebskostenanteils oder durch eine Umlage bei den Mitgliedern der Notdienstgemeinschaft sichert, kann der Vorstand oder ein von ihm beauftragtes Gremium anstelle der Notdienstgemeinschaft sowohl über die Höhe eines Betriebskostenabzuges gemäß a) als auch der Art und Höhe einer Umlage gemäß Buchstabe b) eine abschließende Entscheidung treffen. Diese ist der Notdienstgemeinschaft über den Obmann mitzuteilen (§ 8 Abs. 3 NDO).

Von der zuständigen Bezirksstelle ist dem Notdienst-Obmann, seinen Stellvertretern sowie ggf. den Mitgliedern des Notdienstbeirates in halbjährlichen Abständen ein aktueller Bericht zur finanziellen Situation zu geben, sofern von der Notdienstgemeinschaft Notdienstzentralen und Notdienstleitstellen betrieben werden. Der Notdienstgemeinschaft ist in der jährlichen Versammlung nach § 5 Absatz (5) ein Bericht zu geben. Soweit in einem Abrechnungszeitraum Fehlbeträge auflaufen, sind diese kurzfristig, spätestens im folgenden Rechnungsjahr, auszugleichen; der Vorstand oder ein von ihm beauftragtes Gremium kann hier ggf. ergänzende Beschlüsse zur Einhaltung dieser Vorgaben zu Lasten der der Notdienstgemeinschaft angehörenden niedergelassenen Ärzte treffen (§ 9 Abs. 5 NDO).

Auch bei einer Umlage handelt es sich insoweit um eine Abgabe an die Beklagte. Mit der Umlage werden die Kosten für den Notdienst mitfinanziert. Die Umlage fließt in das Verwaltungsvermögen der Beklagten, auch wenn insofern ein abgegrenzter Verwaltungsbereich in Form der Notdienstgemeinschaft mit z. T. eigenen Verwaltungsstrukturen über die Erhebung der Umlage und Verwaltung der Mittel entscheidet. Die Verantwortlichkeit der Beklagten ist dabei durch das Erfordernis der Zustimmung des Geschäftsausschusses der zuständigen Bezirksstelle (so in der bis September 2005 geltenden Fassung der NDO) bzw. jetzt in der ab 2005 geltenden Neufassung der Zustimmung des Vorstandes oder eines von ihm beauftragten Gremiums gewahrt. Nach der Neukonzeption ab Oktober 2002 handelt es sich bei der Notdienstgemeinschaft um eine verwaltungsorganisatorische Untergliederung der Beklagten. Die Umlage hat insofern Beitragscharakter, als mit ihr der Betrieb des Notdienstes, der allen Mitgliedern der Notdienstgemeinschaft zugute kommt, organisiert und mitfinanziert werden kann. Von daher besteht bereits weder ein Anspruch des einzelnen Mitglieds auf Auseinandersetzung bei Ausscheiden aus einer Notdienstgemeinschaft noch erwirbt er eine wie auch immer geartete vermögensähnliche Anwartschaft oder Anteile am Verwaltungsvermögen. Umgekehrt setzt aber die Heranziehung zur Umlage voraus, dass der Betreffende im Beschlusszeitpunkt bzw. bei Zugang des Umlagebescheides Mitglied der Beklagten und der Notdienstgemeinschaft ist (so bereits Urteil der Kammer v. 30.08.2006 – S 12 KA 261/05 –, bestätigt durch LSG Hessen, Beschl. v. 20.06.2007 – L 4 KA 67/06 – beide in www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris = http://web2.justiz.hessen.de/migration/rechtsp.nsf/suche?Openform).

Der Beschluss der Mitgliederversammlung muss bestimmt sein. Er muss erkennen lassen, in welcher Höhe die Mitglieder zu einer Umlage herangezogen werden. Es reicht nicht aus, einen Rechenweg erkennen zu lassen. Um Verbindlichkeit gegenüber einem Mitglied zu erlangen, muss der Beschluss selbst die Höhe der Umlage, dass heißt die Angabe eines festen Wertes, umfassen (vgl. Urteil der Kammer v. 30.08.2006 – S 12 KA 261/05 –, aaO.).

Die Notdienstgemeinschaft B. fasste in der Versammlung am 15.07.2003 ausweislich des Ergebnisprotokolls vom 23.09.2003 den Beschluss, dass die Nachzahlungen für das Jahr 2002 pro Kopf und nicht pro Scheinzahl errechnet werden sollen. Das Defizit solle mit den Abschlags- und Restzahlungen, insgesamt vier Zahlungen im Quartal bzw. 16 Zahlungen im Jahr, verrechnet werden. Alle Beschlüsse sollten auch für die folgenden Jahre gelten. Als Ansparung werde ein Betrag von 20 EUR pro Arzt und Monat als ausreichend angesehen.

Der Beschluss ist damit unbestimmt. Er bestimmt nur die Art der Aufteilung, nicht aber die Höhe des Betrages, der auf den einzelnen Vertragsarzt entfällt. Der Beschluss ist auch nicht dadurch bestimmt, dass die Mitgliederversammlung gleichzeitige die Höhe des Defizits festgestellt hat. Dann könnte eine Bestimmtheit dadurch gegeben sein, dass der auf den einzelnen Vertragsarzt entfallende Betrag durch Teilung des Defizits und Anzahl der Vertragsärzte errechnet wird. Weder die Einladung noch das Protokoll enthalten aber irgendwelche Feststellungen zur Höhe des Defizits oder zur Zahl der Vertragsärzte. Es kann auch nicht unterstellt werden, dass dies Gegenstand der Mitgliederversammlung war, da hierüber keinerlei Hinweise in der Verwaltungsakte sind. Selbst wenn dies aber der Fall sein sollte, käme eine Bestimmtheit des Beschlusses aber überhaupt nur dann in Betracht, wenn in der Einladung oder im Beschluss, wenigstens im Protokoll, soweit dies an alle Mitglieder versandt wird, Angaben zur Höhe des Defizits und zur Zahl der Vertragsärzte enthalten wären. Es muss, da der Beschluss auch für nicht teilnehmende Vertragsärzte Geltung beansprucht, auch für diese erkennbar sein, wie hoch ihre Belastung ist. Hinzu kommt, dass auch die beschließende Versammlung eine klare Vorstellung davon haben muss, über was sie beschließt. Ist sie nicht in Kenntnis des Gesamtdefizits und der Pro-Kopf-Rate, so kann ihr nicht unterstellt werden, sie wolle einen für alle Mitglieder verbindlichen Beschluss fassen.

Erst Recht fehlt für die Folgejahre ein Beschluss der Mitgliederversammlung. Soweit der Beschluss vom 15.07.2003 unbestimmt ist, ist auch der allgemeine Vermerk im Protokoll, alle Beschlüsse sollten auch für die folgenden Jahre gelten, unbestimmt. Es ist bereits nicht eindeutig, ob damit ein verbindlicher Beschluss gefasst, oder nur eine allgemeine Absicht bekundet wurde. Jedenfalls werden konkrete Beträge damit nicht bestimmt. Im Übrigen war zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 15.07.2003 die Höhe des Defizits für die Jahre 2003 bis 2006 noch nicht absehbar. Ferner wird auch bereits in der Einladung nicht darauf hingewiesen, dass über zukünftige Defizite entschieden werden soll. Für die Nachzahlungen bezieht sich die Einladung vom 18.06.2003 auf den Zeitraum 2002 (hier erstmal die Quartale 1-3). Eine Verbindlichkeit der Entscheidung setzt aber voraus, dass eine schriftliche Einladung zur jeweiligen Versammlung mindestens zwei Wochen vor dem Versammlungstermin, unter Bekanntgabe der Tagesordnungspunkte, erfolgt ist und in der Versammlung die einfache Mehrheit der anwesenden Mitglieder die Entscheidung getroffen hat (§ 5 Abs. 5 Satz 2 NDO). In der Einladung muss demnach klar hervorgehen, welche Art von Beschlüssen gefasst werden sollen, also insbesondere auch, dass über eine Umlage oder über ihre Höhe befunden werden soll. Nur dann ist das einzelne Mitglied der Notdienstgemeinschaft in der Lage zu entscheiden, ob er an der Versammlung teilnehmen will oder es unter Umständen hinnimmt, dass ein Beschluss ohne seine Mitwirkung gefasst wird, der ihn auch rechtlich bindet. Der Beschluss über Art und Umfang der Umlage ist weiter von dem Geschäftsausschuss der zuständigen Bezirksstelle zu genehmigen (§ 5 Abs. 1 NDO). Dieser kommt eine Art Aufsichtsbefugnis zu, um zu überwachen, dass das Verfahren auch eingehalten wurde (vgl. Urteil der Kammer v. 30.08.2006 – S 12 KA 261/05 –, aaO.; v. 09.11.2005 - S 12 KA 35/05 – rechtskräftig nach Rücknahme der Berufung durch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG Hessen; v. 29.08.2007 - S 12 KA 575/06 – rechtskräftig; v. 26.11.2008 - S 12 KA 963/06 – Berufung anhängig bei dem LSG Hessen - L 4 KA 121/08 -).

Andere Beschlüsse, die als Rechtsgrundlage in Betracht kommen, sind nicht gefasst worden.

Der Geschäftsausschuss war weder nach der alten noch nach der neuen NDO befugt, die Umlage zum Ausgleich des Defizits festzusetzen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 18.06.2008 – L 4 KA 59/06 und L 4 KA 64/06 – www.sozialgerichtsbarkeit.de). Im Übrigen hat er bzgl. der Defizitauflösung des Jahres 2003 lediglich über Zahlungsmodalitäten befunden.

Der Vorstand oder ein von ihm beauftragtes Gremium war nach der Ergänzung durch Abs. 4 des § 8 NDO ab dem 01.01.2005 befugt, anstelle der Notdienstgemeinschaft sowohl über die Höhe eines Betriebskostenabzuges als auch der Art und Höhe einer Umlage gemäß eine abschließende Entscheidung zu treffen und dies ggf. dem Obmann der Notdienstgemeinschaft mitzuteilen.

Der Beschluss der Beklagten vom 07.03.2005 betraf die Erhöhung der Quartalsbelastung auf 2.000 EUR ab Restzahlung IV/04 hinsichtlich eines zeitnahen Defizitausgleichs. Hierbei handelte es sich aber um Zahlungsmodalitäten, zudem bezogen nur auf den Ausgleich für das Jahr 2004. Der Vorstand hat gerade nicht von der ihm neu eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht. Auch der hier angefochtene Bescheid vom 18.12.2007 beruht offensichtlich nicht auf einem entsprechenden Beschluss.

Der Vorstand bzw. – bis 2004 – der Geschäftsausschuss der Bezirksstelle haben auch nicht von den Befugnissen nach § 9 Abs. 5 NDO Gebrauch gemacht. § 9 Abs. 5 NDO geht offensichtlich davon aus, dass Defizite spätestens im Folgejahr zu bereinigen sind. Insofern wird die Selbstverwaltungsbefugnis der Notdienstgemeinschaft wieder eingeschränkt. Er gibt der Beklagten ein ausreichendes Instrumentarium, umgehend für eine nicht defizitäre Notdienstgemeinschaft zu sorgen. Warum die Beklagte über mehrere Jahre hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl ausweislich der Verwaltungsakte jedenfalls bereits am 16.10.2003 der Bezirksstelle das Defizit für das Jahr 2002 bekannt war und die Landesstelle am 29.03.2005 mit dem Defizitausgleich befasst war, erschließt sich für die Kammer nicht.

Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Hessen, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht, sind, soweit den Bezirksstellen der KV die gesamte Buchhaltung und das Rechnungswesen der Notdienstgemeinschaft obliegt, auch die weiteren Regelungen zu Buchhaltung und Rechnungswesen nicht nur als verwaltungsinterne Ordnungsvorschriften zu verstehen, sondern besitzen gegenüber den Mitgliedern der Notdienstgemeinschaft subjektiv-rechtlichen Schutzcharakter, denn diese haben gegebenenfalls die Folgen einer Misswirtschaft zu tragen. War dem Geschäftsausschuss der zuständigen Bezirksstellen in halbjährlichen Abständen ein aktueller Bericht zur finanziellen Situation der betreffenden Notdienstgemeinschaft zur Kenntnis zu bringen, zumindest soweit auch NFD-Zentralen und -Leitstellen betrieben wurden, und waren Fehlbeträge kurzfristig, spätestens im folgenden Rechnungsjahr auszugleichen, so ist die Beklagte gehindert, im Jahr 2002 noch eine Umlage wegen Fehlbeträgen aus den Jahren 1993 bis 2000 zu erheben (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 11.02.2009 – L 4 KA 22/08 –).

Diese zu den Vorläuferbestimmungen ergangene Rechtsprechung ist auch für die NDO gültig. Auch im hier maßgeblichen Zeitraum war von der zuständigen Bezirksstelle dem Notdienst-Obmann in halbjährlichen Abständen ein aktueller Bericht zur finanziellen Situation zu geben, war in der jährlichen Versammlung ein Bericht zu geben und waren Fehlbeträge kurzfristig, spätestens im folgenden Rechnungsjahr, auszugleichen; der Vorstand war ermächtigt, notwendige ergänzende Beschlüsse zu treffen (§ 9 Abs. 5 NDO). Die Beklagte verweist hierzu lediglich auf die Einladungen und Sitzungsprotokolle. Wie bereits ausgeführt, enthalten aber weder die Einladung noch das Protokoll irgendwelche Feststellungen zur Höhe des Defizits oder zur Zahl der Vertragsärzte. Aus den Protokollen kann lediglich entnommen werden, dass das Defizit bzw. steigendes Defizit bekannt war und über Ursachen des Defizits gesprochen wurde. Entscheidend ist aber, dass die Beklagte ihrer insoweit bestehenden Aufsichtspflicht nicht nachgekommen ist. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass das Defizit insbesondere durch die breiten Öffnungszeiten und den Verzicht auf kollegiale Bereitschaftsdienste während der Wochentage, des Unterhaltens eines Fahrdienstes mit Fahrern einer Hilfsorganisation und der Zahlung von Garantiepauschalen verursacht wurde. Spätestens nach Abrechnung des ersten bzw. zweiten Jahres war erkennbar, dass diese üppige Ausgestaltung des Notdienstes auf der bisherigen Finanzierungsgrundlage nicht zu halten war. Warum die Beklagte dennoch nicht entsprechend ihrer Notdienstordnung eingegriffen hat, hat sie im Verfahren auch nicht ansatzweise erklärt. Diese Fragen können aber letztlich dahinstehen, da bereits eine Rechtsgrundlage für den strittigen Bescheid fehlt.

Soweit bereits eine Rechtsgrundlage für die Forderung der Beklagten fehlt, brauchte die Kammer über die Frage der Verjährung ebf. nicht zu entscheiden.

Im Ergebnis war der Klage daher vollumfänglich stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Für die Streitwertfestsetzung gilt in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, dass, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen ist. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Hier war der Streitwert nach der noch im Klageverfahren strittigen Forderung festzusetzen. Dies ergab den festgesetzten Wert.
Rechtskraft
Aus
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