S 32 (30) AS 116/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 32 (30) AS 116/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 30.05.2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 22.06.2007 und vom 09.01.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2008 wird insoweit aufgehoben, als die Leistungsbewilligung für Mai 2007 in Höhe von 625,49 Euro für den Kläger und in Höhe von 174, 51 Euro für die Klägerin aufgehoben worden sind. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides.

Der 1956 geborene Kläger wohnt mit der 1995 geborenen Klägerin - seiner Tochter- in einer Bedarfsgemeinschaft. Mit Bescheid vom 21.03.2007 gewährte die Beklagte den Klägern Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2007 bis 30.09.2007 in Höhe von 892,25 Euro.

Bei Antragstellung im Dezember 2006 hatte der Kläger angegeben, im November und Dezember von geliehenem Geld gelebt zu haben. Nach Aufforderung durch die Beklagte legte der Kläger im April 2007 eine Bescheinigung des B vor, worin dieser bestätigte, dem Kläger im November 2006 2000,00 Euro zur Bestreitung seines Lebensunterhalts geliehen zu haben, in den Monaten Dezember bis April 2007 je 1000,00 Euro. Der Kläger könne das Geld zurückzahlen, sobald es ihm finanziell wieder besser gehe. Am 29.05.2007 teilte der B der Beklagten mit, er habe dem Kläger letztmalig im Mai 2007 800,00 Euro gegeben.

Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 30.05.2007 den Bewilligungsbescheid vom 21.03.2007 gem. § 48 SGB X rückwirkend zum 01.05.2007 auf. Zur Begründung führte sie an, unter Berücksichtigung des von Hr. B bezogenen Einkommens errechne sich kein Leistungsanspruch mehr. Hiergegen legte der Kläger am 11.06.2007 Widerspruch ein, weil ihm das Geld seines Freundes nur als Darlehen überlassen worden sei.

Mit Bescheid v. 09.01.2008 half die Beklagte dem Widerspruch der Kläger teilweise ab und gewährte für den Monat Mai 2007 eine Zahlung in Höhe von 92,25 Euro. Hierbei wurden die als angemessen angesehenen Unterkunftskosten berücksichtigt und die von dem Zeugen B erhaltene Zahlung von 800,00 Euro als Einkommen angerechnet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2008, abgesandt am 25.04.2008, wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück. Wegen der Darlehensleistungen sei eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten und der Kläger habe diese grob fahrlässig nicht mitgeteilt. Gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 SGB X sei die Entscheidung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Die Rückzahlungsverpflichtung ändere nichts an der Anrechenbarkeit des Betrages als Einkommen im Sinne des SGB II.

Die Kläger haben am 26.05.2008 Klage erhoben. Sie wiederholen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 30.05.2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 22.06.2007 und vom 09.01.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2008 insoweit aufzuheben, als die Leistungsbewilligung für Mai 2007 in Höhe von 625,49 Euro für den Kläger und in Höhe von 174, 51 Euro für die Klägerin aufgehoben worden sind.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen B. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 02.12.2008 wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid war aufzuheben da dieser rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten gem. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG verletzt. Die Beklagte hat zu Unrecht die geleisteten Zahlungen von den Klägern zurückgefordert.

Gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene der Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachkommt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) oder wenn nach Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X) Wesentlich ist die Änderung, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, so wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (BSG, Urteil v. 19.02.1986, Az.: 7 Rar 55/84; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 8). Die Änderung muss sich also nach dem zu Grunde liegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken und so erheblich sein, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt (Schütze in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 12).

Die von der Beklagten als wesentliche Änderung angesehene Zahlung führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 21.03.2007, denn sie ist nicht als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II zu berücksichtigen. Den Klägern stehen die für den Monate Mai 2007 bewilligten Leistungen nach den maßgeblichen Vorschriften des SGB II zu, denn sie waren in diesem Zeitraum bedürftig im Sinne der §§ 7, 9 SGB II. Sie konnten sich nicht durch eigenes Einkommen oder Vermögen unterhalten. Der Kläger hat die Zahlung in Höhe von 800,00 Euro von dem Zeugen (B.) nur darlehensweise erhalten. Das steht zur Überzeugung der Kammer nach der Zeugenaussage des B. in der mündlichen Verhandlung fest. Als Motiv für die zwischen November 2006 und Mai 2007 geleisteten Geldzahlungen an den Kläger hat der Zeuge glaubhaft dargelegt, dass der Kläger ihm in früheren Jahren häufiger geholfen hat z. B. Jobs vermittelte, als er lediglich einen geduldeten Aufenthalt besaß. Aus diesem Grund habe er, der nun eine feste Anstellung besitze, dem Kläger ebenfalls geholfen, als dieser in Schwierigkeiten geraten sei. Der Kläger habe immer wieder betont, dass er nach der Trennung von der Ehefrau das Geld benötige um das Einfamilienhaus zu halten, in dem er mit seiner Tochter lebe. Er habe dem Kläger das Geld zunächst für etwa zwei Monate geliehen. Dann sei der Kläger immer wieder zu ihm gekommen, da er weiteres Geld gebraucht habe, um das Haus behalten zu können. Für die Kammer ist nachvollziehbar, dass der Zeuge dem Kläger aufgrund der geschilderten Probleme monatlich weitere Beträge zur Verfügung gestellt hat, bis ihm dies nach einigen Monaten zu unsicher wurde und er die Zahlung eingestellt hat. Für das Gericht besteht kein Zweifel daran, dass der Zeuge dem Kläger das Geld nur geliehen hat. Er hat glaubhaft dargelegt, das Geld vom Kläger zurückzufordern, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme gerichtlichen Rechtsschutzes. Gegen eine schenkungsweise Überlassung der Geldbeträge spricht, dass der Zeuge zu dem Kläger nicht in einer besonders nahen Beziehung steht, wie dies beispielsweise bei Familienmitgliedern der Fall ist. Die wirtschaftliche Lage des Zeugen, der als Koch in einem Restaurant arbeitet und zur Miete wohnt, spricht ebenfalls dafür, dass er dem Kläger die Geldbeträge nur darlehensweise überlassen hat. Die Beklagte hat die Darstellung des Zeugen ebenfalls als glaubhaft angesehen und diesen Punkt unstreitig gestellt.

Das Darlehen ist nicht als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II anzusehen. Danach sind als Einkommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen, mit Ausnahme sodann genannter Einkunftsarten, die hier nicht einschlägig sind. Einnahmen in diesem Sinne sind nach Auffassung der Kammer nur solche Geldbeträge, die eine Veränderung der Vermögenssituation des Hilfebedürftigen bewirken. Mittel aus Darlehen verändern aufgrund der mit ihnen verbundenen Rückzahlungsverpflichtung die Vermögenssituation des Darlehensempfängers nicht, es sei denn, die Verpflichtung zur Rückzahlung entfällt. Die Kammer schließt sich damit der herrschenden, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtenden Auslegung des Einkommensbegriffes in § 11 Abs. 1 SGB II an (vgl. Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Zweite Auflage, § 11 Rdnr. 29; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Std. Juni 2008, § 11 Rdnr. 38; Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg v. 27.06.2008, Az.: L 14 B 648/08 AS ER). Diese Auffassung gründet sich im Wesentlichen auf das zur Arbeitslosenhilfe ergangene Urteil des Bundessozialgerichts v. 13.06.1985, Az. 7 RAr 27/84. Das Bundessozialgericht führt aus, es folge insbesondere aus dem begrifflichen Inhalt des Anspruchsmerkmals der Bedürftigkeit sowie aus dem Sinn des Wortes "Einkommen", dass Einnahmen in Geld nur solche Einnahmen seien, die eine Veränderung des Vermögensstandes bewirkten. Dem Tatbestandsmerkmal der Bedürftigkeit liege die Erwägung zugrunde, dass derjenige, der seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten kann, nicht der Unterstützung aus Steuermitteln bedürfe. Ihm werde zugemutet, für Unterhaltszwecke vorrangig seine Mittel und im gewissen Umfang ihm zugängliche Mittel naher Angehöriger einzusetzen. Darin sei aber zugleich die Begrenzung dafür zu sehen, was unter eigenen Mitteln im Sinne des berücksichtigungsfähigen Einkommens zu verstehen sei. Es müsse sich um Einkünfte handeln, die ihm endgültig zur Verwertung zur Verfügung stehen. Ein Darlehen, das an den Darlehensgeber zurückzuzahlen sei, stelle jedoch nur eine vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung dar. Auch wenn diese tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Darlehensnehmers gelange, werde sie nicht Mittel des eigenen Vermögens, weil sie von vornherein mit der Pflicht zur Rückzahlung belastet sei. Darlehenszahlungen seien als einkommensneutral anzusehen. Demgegenüber wird nun vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 14.07.2008, Az.: L 13 AS 97/08 ER vertreten, dass auch der darlehensweise gewährte Zufluss von Geld als Einkommen anzusehen sei. Aus dem Gesetzeswortlaut werde deutlich, dass der Gesetzgeber den reinen Zufluss von Geld im Auge habe, das zur Steuerung der eigenen Notlage verwendet werden könne. Dabei stehe die tatsächliche Verfügbarkeit der Gelder im Vordergrund. Auf den Rechtsgrund des Zuflusses oder den Umstand, dass der Hilfesuchende rechtlich zur Herausgabe des betreffenden Zuflusses oder der Rückzahlung anderer Geldleistungen verpflichtet sei, komme es grundsätzlich nicht an. (So auch zu § 82 SGB XII OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 12.12.06, Az.: 6 N 51.05; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, Zweite Auflage, § 82 Rdnr. 27; Offen gelassen: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 18.12.2006, L 20 B 270/06 AS ER).

Der unter der Arbeitslosenhilfe entstandenen, wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist Vorrang zu geben. Richtigerweise spielt es für den Begriff des Einkommens keine Rolle, mit welchem Motiv, aus welchem Rechtsgrund oder Quelle das Geld geflossen ist. Dem Begriff des Einkommens ist es jedoch immanent, dass dieses einen vermögenswerten Vorteil für den Empfänger darstellt. Ein geldwerter Zufluss, der keinen Vermögenswert besitzt, stellt auch kein Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 dar. Von dem Hilfebedürftigen kann nur der Einsatz solcher Einkünfte verlangt werden die ihm wirtschaftlich letztendlich gehören. Käme es allein auf die tatsächliche Verfügbarkeit der zufließenden Einnahmen ohne Rücksicht auf eine Rückzahlungsverpflichtung an, würde sich der Hilfebedürftige, dem ein Darlehen zur Verfügung steht, während des Bezuges von Arbeitslosengeld II verschulden. Da Leistungsempfänger nicht zur Inanspruchnahme eines Darlehens verpflichtet sind ist davon auszugehen, dass auf das Darlehens verzichtet wird, sobald der Hilfebedürftige von der Anrechnung des Darlehens als Einkommen Kenntnis erlangt. Etwas anderes wird weder vom Darlehensgeber, der das Rückzahlungsrisiko trägt, noch vom Darlehensnehmer, der Leistungen nach dem SGB II beantragt hat, gewollt sein. Die Gefahr des Missbrauchs der Gestalt, dass schenkungsweise zugeflossene Gelder als Darlehen deklariert werden, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Soweit dem Hilfebedürftigen während des Leistungsbezuges Gelder zugeflossen sind, bestehen zunächst Zweifel an der Bedürftigkeit, die der Empfänger zu widerlegen hat. Denn die Beweislast für das Tatbestandsmerkmal der Bedürftigkeit trifft den Antragsteller (Vgl. Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.03.2008, L 12 AS 70/06). Ist nachgewiesen, dass die geldwerte Einnahme tatsächlich mit einer Rückzahlungsverpflichtung belegt ist, besteht Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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