L 3 U 1161/98

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 1075/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1161/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 29. Juni 1998 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger streitet um die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Er war bei der Firma A. Flugreisen als Flugkapitän beschäftigt und erlitt am 28. Oktober 1996 beim Fußballspiel der Betriebsmannschaft gegen die Betriebsmannschaft der S. Bank F. in der Sporthalle S. eine Verletzung der rechten Schulter, die mit einer Arbeitsunfähigkeit von über zwei Monaten verbunden war. Bei dem Spiel handelte es sich um ein Punktspiel im Rahmen der Hallenrunde 1996/97 des Betriebssportverbandes Hessen e.V. (BSV).

Mit Bescheid vom 22. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 1997 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, da der Unfall bei Teilnahme an dem allgemeinen sportlichen Wettkampfverkehr aufgetreten sei und es sich damit nicht um "Betriebssport" im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung handele.

Der Kläger hatte vor Ergehen des Widerspruchsbescheides am 22. März 1997 vor dem Sozialgericht Wiesbaden Untätigkeitsklage erhoben, die das Sozialgericht Wiesbaden mit Beschluss vom 10. Mai 1997 an das Sozialgericht Gießen (SG) verwiesen hat. Nach Ergehen des Widerspruchsbescheids hat der Kläger im Wege der Klageänderung sein Begehren als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage weitergeführt. Er hat vorgetragen, der BSV fördere den Betriebssport als Ausgleich für berufliche Belastungen und um die Freude an der sportlichen Betätigung zu wecken. Leistungs- und Spitzensport werde nicht angestrebt. Die Organisation durch den BSV sei nötig, um den Gruppensport Fußball überhaupt ausüben zu können und damit eine betriebs- und ortsnahe Sportausübung zu gewährleisten. Eine Aufteilung der Mannschaften in A- und B-Gruppen sei wegen der Vielzahl der teilnehmenden Mannschaften erforderlich. Eine Aufstiegsrunde werde nicht gespielt. Das Betreiben des Fußballsports unter dem Dach des BSV stelle nur ein Hobby dar. Der Wettkampfcharakter stehe im Hintergrund, während im Vordergrund das Aufeinandertreffen von Gruppen organisiert werde. Eine Teilnahme am allgemeinen sportlichen Wettkampfverkehr oder der Erzielung von Spitzenleistungen sei darin ebenso wenig zu sehen wie ein Dauerwettkampf. Der BSV stelle nach seiner Satzung den organisatorischen Zusammenschluss von Betriebssportgemeinschaften dar, was der unfallversicherungsrechtlichen Anerkennung als Betriebssport nicht entgegenstehe.

Das SG hat im Kammertermin vom 29. Juni 1998 den Kläger persönlich gehört, der angegeben hat:

"Von der Möglichkeit am Betriebssport teilzunehmen, habe ich über unsere Firmenzeitschrift erfahren. Wir nehmen im Winter an der Punktspielrunde des Betriebssportverbandes Hessen e.V. teil. Die Saison endet April/Mai eines Jahres. In dieser Zeit werden regelmäßig alle zwei Wochen dienstags Spiele ausgetragen. Wegen meines Schichtarbeitsplanes kann ich nicht an jedem Spiel teilnehmen. Im Sommer treffen wir uns gelegentlich zum Fußballspielen. Der Betriebssport ist nicht in meinem monatlichen Arbeitsplan erfasst, weil es sich um eine freiwillige Tätigkeit handelt. Zur Durchführung eines Spieles in der Halle werden 5 Spieler benötigt. In der Regel spielen in unserer Mannschaft Arbeitnehmer der A. GmbH, es haben aber auch schon Personen anderer Firmen teilgenommen".

Der Zeuge H. H. E., Vorsitzender des BSV, Bezirk T., hat als Zeuge ausgesagt: "Im Bezirk T. nehmen an der Fußballrunde derzeit zwischen 18 und 20 Mannschaften teil, es waren aber schon bis zu 30 Mannschaften. Unsere Rundenspiele beginnen Anfang September und enden im Mai des Folgejahres. Bevor die Rundenspiele beginnen, gibt es ein Meldeverfahren. Aufgrund dessen entscheidet der Spartenleiter Fußball, wer in welcher Gruppe spielt. Wer neu dazukommt, fängt in der B-Gruppe an. Jährlich können 3 Mannschaften aus der B-Gruppe aufsteigen. Die Punktrunde endet innerhalb eines Bezirkes, Landesmeisterschaften oder ähnliches werden nicht ausgespielt. Nach jedem Spieltag wird vom Spartenleiter eine Tabelle erstellt. Bei den Spielen ist auf jeden Fall ein neutraler Schiedsrichter dabei. Es kann aufgrund von z.B. Foulspielen auch Spielsperren geben. Es gibt bei uns dafür einen Katalog, die sogenannte Rechts- und Verfahrensordnung".

Mit Urteil vom 29. Juni 1998 hat das SG die Klage abgewiesen, nachdem es die Klageänderung zuvor als sachdienlich (§ 99 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) angesehen hatte, und hat das Ereignis vom 28. Oktober 1996 nicht als Arbeitsunfall anerkannt.

Nach Darstellung der Voraussetzungen, unter denen Betriebssport als gesetzlich unfallversichert anzusehen ist, hat es diese Voraussetzungen nicht als erfüllt angesehen. Im Vordergrund habe nicht das Merkmal des Ausgleiches für betriebliche Belastungen gestanden. Denn die Teilnehmer hätten an einem allgemeinen sportlichen Wettkampfverkehr teilgenommen, wie die Aussage des Zeugen E. ergeben habe. Danach werde die Fußballrunde des BSV, Bezirk T., mit Wettkampfcharakter durchgeführt und sei den Amateursportwettkämpfen des Deutschen Fußballbundes ähnlich. Tabellen würden regelmäßig erstellt und die Wettkämpfe unter Leitung eines neutralen Schiedsrichters durchgeführt. Der Wettkampf sei an die Spielordnung des Deutschen Fußballbundes angelehnt und sei als solcher nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht versichert, was auch dann gelte, wenn es sich um Wettkämpfe zwischen Betriebssportgemeinschaften handele. In Ausnahmefällen könnten zwar Spiele mit Wettkampfcharakter in solchen Sportarten unter Versicherungsschutz stehen, bei denen die Art der Sportausübung eine bestimmt Kopfzahl von Teilnehmern voraussetze und für zwei gegeneinander spielende Mannschaften diese Teilnehmerzahl wegen geringer Größe in einem Unternehmen nicht vorhanden sei. Allerdings müssten sich dann die Firmen zur gemeinsamen Durchführung einer Ausgleichszwecken dienenden regelmäßigen sportlichen Betätigung zusammengeschlossen haben. Der BSV sei allerdings eine selbständige Einrichtung, die zwar Firmen in ihre Spielrunde aufnehme, deren Wettkämpfe aber nicht durch die Firmen bestimmt würden. Es fehle an einer unternehmensbezogenen Organisation.

Der Kläger hat gegen das ihm am 29. Juli 1998 zugestellte Urteil am 20. August 1998 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt, zu deren Begründung er vorgetragen hat, das SG habe bei Würdigung der Zeugenaussage den Wettkampfcharakter überbewertet, der dem Fußballspiel naturgegeben inne wohne. Es übersehe, dass es den betroffenen Firmen anders nicht möglich sei, ihren jeweiligen Betriebssport zu organisieren und dass sie sich nur deshalb des BSV Hessen bedienten. Dessen Gründlichkeit bei der Organisation führe nicht dazu, den Spielen echten Wettkampfcharakter beizumessen. Die Einteilung in zwei Gruppen diene allein der organisatorischen Vereinfachung.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 29. Juni 1998 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 1997 zu verurteilen, das Ereignis vom 28. Oktober 1996 als Arbeitsunfall in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und verneint weiterhin gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, da die Fußballspielrunde vom Wettkampfcharakter geprägt werde und es an einer unternehmensbezogenen Organisation bei Durchführung der Fußballrunde fehle.

Mit Schreiben vom 1. Februar 1999 hat der Senat die Beteiligten über die eigene Rechtsprechung in Sache "Betriebssport" informiert und daraufhin gewiesen, dass er beabsichtige, nach § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hält die zulässige Berufung des Klägers einstimmig für nicht begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich, so dass er nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 1. Februar 1999 durch Beschluss entschieden hat (§ 153 Abs. 4 SGG). Denn das SG hat zu Recht die Anerkennung des vom Kläger am 28. Oktober 1996 erlittenen Unfalles als Arbeitsunfall (§§ 548 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-, 212 Sozialgesetzbuch 7. Band -SGB 7-) abgelehnt.

Nach der vom SG zitierten und in Rechtsprechung (seit BSGE 16, 1 - zuletzt Urteile des BSG vom 19. März 1991 Az.: 2 RU 19/90, 23/90 und 39/90 sowie vom 2. Juli 1996 Az.: 2 RU 32/95) und Literatur (Ludwig, Soll Betriebssport versichertes Risiko in der gesetzlichen Unfallversicherung sein? in: Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung 1996, S. 257 ff.; Schwerdtfeger, in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, Anm. 194 ff. zu § 8 SGB 7) übereinstimmend vertretenen Auffassung stehen betriebssportliche Aktivitäten unter folgenden Voraussetzungen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung: Die als Betriebssport anzuerkennende sportliche Betätigung muss dem Ausgleich für die körperliche, geistige oder nervliche Belastung durch die Betriebstätigkeit dienen, nicht dagegen der Teilnahme am allgemeinen sportlichen Wettkampfverkehr oder der Erzielung von Spitzenleistungen. Der Fußballsport kann trotz seines Mannschafts- und Wettkampfcharakters grundsätzlich als Betriebssport Anerkennung finden. Bei Sportarten wie dem Fußballspiel, die an sich schon Wettkampfcharakter haben, sind die Grenzen zwischen dem unfallversicherungsrechtlich geschützten Betriebssport und der nicht versicherten sportlichen Wettkampfbetätigung allerdings enger zu ziehen. Steht bei einem Fußballspiel der Wettkampfcharakter im Vordergrund, entfällt der gesetzliche Unfallversicherungsschutz für bei dem Spiel erlittene Verletzungen. Die Übungen müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfinden, wobei dieses Erfordernis ohne weiteres aus dem Wesen des Ausgleichssportes folgt, welcher der Tag für Tag wiederkehrenden Belastung durch die Betriebstätigkeit entgegenwirken soll. Die Übungszeiten und die jeweilige Dauer der Übungen müssen in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit stehen. Die Abgrenzung betriebs-sportlicher Aktivitäten vom unversicherten Freizeitsport erfordert, dass der Betriebssport in einer unternehmensbezogenen Organisation absolviert wird und der Teilnehmerkreis sich im wesentlichen auf die Beschäftigten des veranstaltenden Unternehmens beschränkt. Sind in einem Unternehmen wegen zu geringer Teilnehmerzahl die Voraussetzungen für die Pflege bestimmter Sportarten nicht gegeben, können sich Angehörige mehrerer Unternehmen zu diesem Zweck zusammenschließen. Alle Teilnehmer derartiger Zusammenschlüsse genießen Versicherungsschutz, wenn die für den Betriebssport verantwortlichen Stellen der beteiligten Unternehmen das regelmäßige Abhalten von Übungsstunden unter einander vereinbaren.

Nach diesen vom Senat in seiner Rechtsprechung ständig geteilten Grundsätzen (Urteile des Senats vom 16. Oktober 1991 Az.: L-3/U-1422/88 und vom 10. Oktober 1996 Az.: L-3/U-891/96) hat das SG zutreffend erkannt, dass bei Teilnahme an der Hallenrunde des BSV, Bezirk T., für die Spielzeit 1996/97 der Wettkampfcharakter im Vordergrund stand und die sportliche Betätigung des daran teilnehmenden Klägers nicht in erster Linie dem Ausgleich für die Belastungen des betrieblichen Alltages diente. Der Senat würdigt dabei die Aussage des Zeugen E. in gleicher Weise wie das SG, wonach es sich bei der Hallenrunde von September bis Mai um eine an die Spielordnung des Deutschen Fußballbundes angelehnte Wettkampfrunde mit Tabellenplatzierung sowie Auf- und Abstieg von Mannschaften handelte. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG) sowie auf die gleichlautenden Feststellungen im Urteil des Senats vom 16. Oktober 1991, welches den Beteiligten übersandt worden ist und wo nicht der Bezirk T. sondern der Bezirk K. im BSV die Wettkampfrunde nach dem gleichen Muster organisiert hatte, wobei dort zur Punktspielrunde auch eine Pokalrunde im KO-System hinzutrat.

Das SG hat weiterhin zutreffend erkannt, dass der BSV keine "unternehmensbezogene Organisation" im Sinne der Betriebssportrechtsprechung darstellt, da der BSV - nach Anmeldung der Mannschaften durch die teilnehmenden Firmen - in eigener Kompetenz und ohne Einflussmöglichkeit der Firmen die Fußballwettspielrunde nach seinem eigenen Statut, das an die Regeln des Deutschen Fußballbundes angelehnt ist, abwickelt und zwar in Sportstätten, die nicht etwa die Betriebe zur Verfügung stellen sondern vom BSV angemietet werden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auch insoweit auf die zutreffenden erstinstanzlichen Ausführungen Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG) sowie die Gründe der Senatsentscheidung vom 16. Oktober 1991.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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