L 1 AS 3124/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 1580/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 3124/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe abgeändert. Die Bescheide vom 14. Dezember 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. Februar 2007 (Aktenzeichen W 69 und W 70) werden aufgehoben.

Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt ¾ der außergerichtlichen Kosten der Klägers. Die Klägerin trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Tatbestand:

Im Streit steht die Absenkung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2007.

Den Klägern, die als Bedarfsgemeinschaft zusammen leben und seit Längerem Leistungen der Beklagten beziehen, wurden im Juni bzw. August 2006 verschiedene Stellenangebote gemacht bzw. die Klägerin auch zu persönlichen Vorsprachen (Meldetermine) eingeladen.

Der Kläger wurde am 22. Juni 2006 aufgefordert, sich bei der Fa. "F. f. A. u. L. gGmbH" als Hilfsarbeiter (Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung) zu bewerben; des Weiteren wurde er am 22. Juni 2006 aufgefordert, sich auf die ausgeschriebene Stelle eines Bürokaufmanns bei der Fa. A., Gartenbau, P., und am 3. August 2006, sich als Hausmeister (Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung) bei der Stadt N. zu bewerben. Das Bürgermeisteramt N. teilte unter dem 16. August 2006 mit, der Kläger habe sich nicht beworben. Gleiches teilte die Fa. A. unter dem 1. August 2006 schriftlich mit. Unter dem 4. September 2006 ist ein Telefonvermerk aktenkundig, wonach die "AGH F. f. A." zurückgemeldet habe, dass sich der Kläger nicht gemeldet habe.

Mit erstem Bescheid vom 14. Dezember 2006 (eine vorherige Anhörung des Klägers ist nicht aktenkundig) verfügte die Beklagte die Absenkung des Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2007 um 30%, da der Kläger sich - entgegen seiner Verpflichtung aus der mit ihm am 22. Juni 2006 abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung - nicht auf die Stelle eines Hausmeisters beworben habe. Mit zweitem Bescheid vom 14. Dezember 2006 (eine vorherige Anhörung des Klägers ist wiederum nicht aktenkundig) verfügte die Beklagte die Absenkung des Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2007 um weitere 30%, da er sich - entgegen seiner Verpflichtung aus der Eingliederungsvereinbarung - nicht um die Stelle eines Bürokaufmanns bei der Fa. A. beworben habe. Mit drittem Bescheid vom 14. Dezember 2006 (eine vorherige Anhörung des Klägers ist wiederum nicht aktenkundig) verfügte die Beklagte die Absenkung des Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2007 um nochmals 30%, da er sich - entgegen seiner Verpflichtung aus der mit ihm am 22. Juni 2006 abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung - nicht auf die Stelle eines Hilfsarbeiters bei der "F. f. A. u. L. gGmbH" beworben habe.

Weitere Sanktionsbescheide erließ die Beklagte am 14. Dezember 2006 auch in Sachen der Klägerin, die allerdings alle an den Kläger gerichtet waren.

In seinem Widerspruchsschreiben vom 10. Januar 2007 führte der Kläger - neben Argumenten, die die gegen die Klägerin verhängten Sanktionen betrafen - aus, der habe sich sowohl bei der Fa. A. als auch der "F. f. A. u. L. gGmbH" am 26. bzw. 27. Juni 2006 und am 11. September 2006 schriftlich beworben, allerdings keine Rückantwort erhalten. Bei der Stadt N. habe er sich am 10. August und 28. August 2006 schriftlich beworben, ohne Rückantwort erhalten zu haben.

Mit Schreiben vom 31. Januar 2007 wurde der Kläger unter Fristsetzung bis 16. Februar 2007 aufgefordert, seine Bewerbungen nachzuweisen.

Nachdem keine Stellungnahme des Klägers erfolgte, wies die Beklagte mit im Wesentlichen gleichlautenden Widerspruchsbescheiden vom 20. Februar 2007 die Widersprüche zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht beworben. Sein Vortrag, sich schriftlich beworben zu haben, könne nicht überzeugen. Ein wichtiger Grund läge nicht vor. Die Regelleistung werde daher um je 30% für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2007 abgesenkt.

Weitere Widerspruchsbescheide vom 20. Februar 2007 wurden im Hinblick auf die Sanktionen gegenüber der Klägerin, gerichtet allerdings an den Kläger, erlassen.

Dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 21. März 2007 (im Adressfeld ist auch die Klägerin aufgeführt), übersandt mit Einwurfeinschreiben und mit Eingangsstempel des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 29. März 2007 versehen, Klage zum SG erhoben. Er führt aus, soweit die gegenüber ihm verhängten Sanktionen betroffen sind, er habe sich je zweimal bei den Arbeitgebern schriftlich beworben und sei ohne Rückantwort geblieben. Die Widerspruchsbescheide seien am 28. Februar 2007 bei ihm eingegangen.

Nachdem die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass nach ihrer Auffassung die Klage verfristet sei, ist der Kläger aufgefordert worden mitzuteilen, wann er die Widerspruchsbescheide erhalten habe. Der Kläger hat mitgeteilt, diese seien am 28. Februar 2007 um 13.51 Uhr mit dem Fahrer eines Pkw Polo, s., Autokennzeichen im Auftrag der C. Briefkurier in seinen Briefkasten eingeworfen worden. Der Aufgabebeleg der Post bezüglich der Klage liege bei. Sollte trotzdem eine Fristversäumnis eingetreten sein, werde Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Wiedereinsetzungsgründe lägen in dem massiven Eingriff in die Lebensführung durch Entzug des kompletten Alg II (bis auf 64,- EUR für 2 Personen/Monat) für die Zeit von Januar bis März 2007 vor. Beigefügt war der Einlieferungsbeleg der Deutschen Post AG, B., vom 27. März 2007 17:58 Uhr mit der Zieladresse Sozialgericht Karlsruhe.

Mit Verfügung vom 24. April 2007 ist der Kläger auf die aus Sicht der Kammervorsitzenden versäumte Klagefrist aufmerksam gemacht worden. Weiter ist ausgeführt: "Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird wohl nicht in Betracht kommen. Nach dem vorgelegten Einlieferungsbeleg der Post haben Sie die Klage erst am 27. März 2007 zur Post gegeben. Eine Wiedereinsetzung z.B. wegen besonders langer Postwege kommt deshalb nicht in Betracht". Gelegenheit zur Stellungnahme hat ihm das SG bis 22. Mai 2007 eingeräumt. Daraufhin hat der Kläger mit Schreiben vom 2. Mai 2007 mitgeteilt, nach Auskunft der Deutschen Post AG sei die Klage durch Niederlegung beim SG am 28. März 2007 eingegangen. Die Frist sei somit eingehalten worden. Beigefügt hat er in einem weiteren Schriftsatz vom 16. Mai 2007 die Kopie einer Bescheinigung der Deutschen Post "Briefzusatzleistungen National und International", wonach die Sendung mit der Nr. RR 9.DE am - insoweit nicht eindeutig lesbar - 28. oder 29.3. 2007 in Empfang genommen worden ist.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2007 hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klage sei erst am 29. März 2007 beim SG eingegangen; das Vorbringen der Kläger rechtfertige keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es sei nicht vorgetragen worden, warum sie daran gehindert gewesen sein sollten, die gesetzliche Frist zur Klageerhebung einzuhalten. Dies insbesondere deshalb, da sie nicht gehindert gewesen seien, die Klage gegen den 8. Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2007 rechtzeitig zu erheben. Es hätten sich auch keine Anhaltspunkte für besonders lange Postlaufzeiten ergeben.

Gegen den am 30. Mai 2007 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 22. Juni 2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung tragen sie vor, das Einlegedatum der Klage vom 27. März 2007 sei eindeutig der 28. März 2007, wie der Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG belege. Es werde gebeten, die Klage zuzulassen.

Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2008 hat die Beklagte mitgeteilt, die die Klägerin betreffenden Bescheide (vom 14. Dezember 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. Februar 2007) habe sie aus formalen Gründen aufgehoben (Bescheid vom 30. Mai 2008, Bl. 455 VwA). Soweit die Bescheide an den Kläger gerichtet gewesen seien, sei die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen worden. Doch selbst wenn von einer zulässigen Klageerhebung ausgegangen werde, sei die Klage unbegründet, da die Sanktionsbescheide rechtmäßig ergangen seien. Auf schriftliche Anfrage haben die Kläger schriftlich, eingegangen bei Gericht am 20. Februar 2009, erklärt, sie hielten die Klage in vollem Umfang aufrecht.

Die Kläger beantragen, sinngemäß gefasst

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2007 sowie die Bescheide vom 14. Dezember 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. Februar 2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nach §§ 143, 144 SGG zulässig und nach § 151 SGG auch im Übrigen statthaft. Soweit sie die Klägerin betrifft, ist sie jedoch in vollem Umfang unbegründet; bezüglich des Klägers teilweise begründet.

Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (§ 87 Abs. 2 SGG). Nach Einlassung der Kläger in der Klageschrift sind die Widerspruchsbescheide vom 20. Februar 2007 am 28. Februar 2007 bekannt gegeben worden. Die Klagefrist lief daher am 28. März 2007 (§ 202 SGG i.V.m. §§ 222 Zivilprozessordnung [ZPO], 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) ab. Die nach dem Eingangsstempel am 29. März 2007 beim SG eingegangene Klage war daher verfristet. Dem Einlieferungsbeleg kann nicht sicher entnommen werden, dass - entgegen dem Eingangsstempel - die Klage bereits am 28. März 2007 beim SG eingegangen ist.

Den Klägern ist jedoch auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist einem Beteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs. 2 SGG).

Die Kläger haben, nachdem ihnen durch das SG der Hinweis erteilt worden ist, die Klage sei verfristet erhoben worden, Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Zur Begründung haben sie vorgebracht, dass aus ihrer Sicht die Klage rechtzeitig einen Tag vor Fristablauf erhoben worden ist und zum Nachweis den Einlieferungsbeleg sowie den Auslieferungsbeleg vorgelegt.

Die Kläger waren ohne Verschulden verhindert, die Klagefrist einzuhalten. Sie haben diejenige Sorgfalt aufgewendet, die einem gewissenhaft Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsauffassung zuzumuten ist (BSGE 72, 158). Insbesondere kann den Klägern nicht als Verschulden vorgeworfen werden, die Klagefrist bis zum letzten Tag ausgenutzt zu haben. Ausweislich des Einlieferungsbelegs wurde die Klage am 27. März 2007 um 18 Uhr zur Post gegeben. Nach den öffentlich zugänglichen Informationen der Deutschen Post AG zur Laufzeit einer Briefsendung (vgl. Homepage Dt. Post) ist im Postleitzahlbereich 75 ... in 95,5% aller Fälle mit der Zustellung eines Briefes einen Tag nach Eingabe zur Post zu rechnen. Auch für Einschreiben gibt die Deutsche Post AG an, dass für die Zustellung des Einschreibens die Laufzeitvorgabe E + 1 gelte (1 Tag nach Einlieferung).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. NJW 1992, 1952; 1994, 244, 245 und 1854; 1995, 1210, 1211 und 2546, 2547), des Bundesgerichtshofs (zuletzt: Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, zitiert nach Juris) und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes (BAG, NJW 1995, 548, 549 und 2575; BFH, NJW 1991, 1704; BSG, Urt. v. 30. September 1996, 10 RAr 1/96, zitiert nach Juris; BVerwG Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 154, 166; NJW 1990, 2639, 2640) darf der Bürger darf darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutsche Post AG für den Normalfall festgelegt werden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen darf dem Bürger im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden angerechnet werden, weil er darauf keinen Einfluss hat. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß (BAG, NJW 2000, 1669, 1670; BVerwG, NJW 1990, 1747) aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Anders liegt es nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Einzelfall mit längeren Postlaufzeiten zu rechnen ist (BVerfG, NJW 1995, 1210), was hier allerdings nicht der Fall ist.

Eine längere Postlaufzeit ist den Klägern daher nicht als verschuldete Fristversäumnis vorzuhalten. Da die Kläger innerhalb eines Monats nach Kenntnis der verspäteten Klageerhebung Nachweise dafür vorgelegt haben, dass aus ihrer Sicht die Klage fristgerecht erhoben worden ist, haben sie fristgerecht Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch in vollem Umfang unbegründet, da die für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage erforderliche Beschwer weggefallen ist.

Durch die Aufhebung der angefochtenen Bescheide gegenüber der Klägerin durch Bescheid vom 30. Mai 2008 haben sich die ursprünglich streitbefangenen Bescheide erledigt; die ursprüngliche Beschwer der Klägerin ist weggefallen (§ 54 Abs. 1 SGG). Die Voraussetzungen für die Feststellung der Rechtswidrigkeit (§ 131 Abs. 1 Satz 3 SGG) - unabhängig davon, ob im Schreiben der Kläger, eingegangen bei Gericht am 20. Februar 2009, sinngemäß ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide zu sehen ist (vgl. BSGE 42, 212, 216; 56, 45, 50) - liegen nicht vor, da weder die zur Bejahung eines Feststellungsinteresses notwendige Wiederholungsgefahr, eine Präjudizialität für andere Rechtsverhältnisse oder ein Rehabilitationsinteresse der Klägerin erkennbar ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 131 Rn. 10 a und 10 b mwN).

Soweit sich der Kläger gegen die angefochtenen Bescheide wendet, war die Berufung überwiegend erfolgreich, da die Beklagte rechtsfehlerhaft mehrere Sanktionsbescheide am gleichen Tag erlassen hat. Die nötige Warnfunktion der ersten Sanktion war damit nicht erfüllt. Allerdings war die Berufung unbegründet, soweit eine Sanktion deshalb festgestellt worden ist, weil der Kläger nicht nachgewiesen hat, sich auf das Angebot vom 22. Juni 2006 bei der Fa. "F. f. A. u. L. gGmbH" beworben zu haben.

Gemäß § 31 Abs. 1 SGB II in der Fassung vom 20. Juli 2006, gültig vom 1. August bis 31. Dezember 2006 wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn 1. der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, a) eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, b) in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen, c) eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, ein zumutbares Angebot nach § 15a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen, oder d) zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 auszuführen, 2. der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat. Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Bei wiederholter Pflichtverletzung nach Absatz 1 oder Absatz 2 wird nach § 31 Abs. 3 SGB II das Arbeitslosengeld II zusätzlich um jeweils den Vomhundertsatz der nach § 20 maßgebenden Regelleistung gemindert, um den es in der ersten Stufe gemindert wurde. Hierbei können auch die Leistungen nach den §§ 21 bis 23 betroffen sein. Bei einer Minderung der Regelleistung um mehr als 30 vom Hundert kann der zuständige Träger in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der zuständige Träger soll Leistungen nach Satz 3 erbringen, wenn der Hilfebedürftige mit minderjährigen Kindern in Bedarfsgemeinschaft lebt. Der erwerbsfähige Hilfebedürftige ist vorher über die Rechtsfolgen nach den Sätzen 1 bis 4 zu belehren.

Absenkung und Wegfall treten nach § 31 Abs. 6 SGB II mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt; in den Fällen von Absatz 4 Nr. 3 Buchstabe a treten Absenkung und Wegfall mit Beginn der Sperrzeit oder dem Erlöschen des Anspruchs nach dem Dritten Buch ein. Absenkung und Wegfall dauern drei Monate. Bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, kann der Träger die Absenkung und den Wegfall der Regelleistung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzen. Während der Absenkung oder des Wegfalls der Leistung besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Zwölften Buches.

Die Beklagte hat zu Recht eine Sanktion nach § 31 Abs. 1 SGB II festgestellt, da sich der Kläger auf eine zumutbare Arbeitsgelegenheit nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 c SGB II nicht beworben hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben.

Soweit der Kläger vor Erlass des Sanktionsbescheids nicht angehört worden ist (§ 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]) ist der Bescheid nicht schon aus formalen Gründen aufzuheben, da die unterbliebene Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt und der formale Fehler dadurch geheilt worden ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).

Dem Kläger wurde am 22. Juni 2006 eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung bei der Fa. "F. f. A. u. L." angeboten, die mit einer ausreichenden und zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war. Nach den glaubwürdigen Angaben des Mitarbeiters O. in seinem Schreiben vom 27. April 2009 an das Gericht, das dem Kläger übersandt worden ist und gegen dessen Inhalt er keine durchgreifenden Einwände erhoben hat, sowie des aktenkundigen Telefonvermerks ist der Senat der Überzeugung, dass sich der Kläger entgegen seinen Angaben auf die angebotene Stelle nicht zeitnah, auch nicht schriftlich, beworben hat. Der Mitarbeiter O. hat ausgeführt, dass sich der Kläger auf den Vermittlungsvorschlag vom 22. Juni 2006 erstmals fast 3 Monate später mit der Kopie eines handschriftlichen Zettels "beworben" und zuvor weder schriftlich noch telefonisch Kontakt aufgenommen hat. Dieser Vortrag ist nach Auffassung des Senats glaubwürdig und angesichts des Vorbringens des Klägers in allen drei hier streitigen Arbeitsangeboten, nämlich immer eine Bewerbung abgesandt aber in keinem Fall eine Antwort erhalten habe, auch überzeugend. Die Einwände des Klägers sind als Schutzbehauptung zu bewerten und vermögen den Senat nicht davon zu überzeugen, dass er sich zeitnah auf das Stellenangebot vom 22. Juni 2006 beworben hat. Der Kläger hat darüber hinaus seinen Vortrag weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren belegt, z.B. durch einen Nachweis der Aufgabe der Bewerbungen zur Post oder andere geeignete Unterlagen, die nicht nur die Anfertigung eines Bewerbungsschreibens, sondern auch dessen Absendung belegen. Die unterbliebene Bewerbung um die Arbeitgelegenheit ist der Nichtaufnahme einer Arbeitsgelegenheit in § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II gleichzustellen.

Der Annahme einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit steht nicht entgegen, dass ihm die Beklagte zeitgleich auch einen Vermittlungsvorschlag bezüglich einer (regulären) Vollzeitarbeitsstelle bei der Fa. A. unterbreitet hat.

Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 SGB II sollen für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die keine Arbeit finden können, Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Werden Gelegenheiten für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten nicht nach § 16 Abs. 1 SGB II als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert, ist den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zuzüglich zum Arbeitslosengeld II eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz SGB II).

Dieser Vorschrift kann jedoch angesichts des Sinns von § 16 Abs. 3 SGB II, für einen möglichst weiten Personenkreis die Voraussetzungen für die Wiedereingliederung in Arbeit zu schaffen, kein Vorrang- Nachrangverhältnis von Erwerbstätigkeit auf dem regulären und dem zweiten Arbeitsmarkt entnommen werden (so auch Eicher in Eicher/Spellbrink, § 16 Rn. 207 unter Verweis auf Voelzke in Hauck/Noftz Kommentar zum SGB II, § 16 Rn. 384; insoweit wohl abweichend SG Berlin vom 9. September 2008 - S 119 AS 23189/08, zitiert nach Juris). Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Regelung letztlich nur die Verpflichtung des Leistungsträgers betont, alles zu unternehmen, um den Hilfeempfänger wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern (§ 3 SGB II). Angesichts der Dauer der Arbeitslosigkeit des Klägers, dessen Bezug von Arbeitslosengeld I im August 2004 geendet und der danach Arbeitslosenhilfe und ab 1. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II bezogen hat, kann offen bleiben, ob dem Hilfebedürftigen eine Wartezeit zuzubilligen ist, bevor ihm Arbeitsgelegenheiten angeboten werden können (dies zutreffend verneinend Voelzke a.a.O. Rn 384). Darüber hinaus ist auch ein sonstiger Nachrang von entsprechenden Eingliederungsbemühungen im vorliegenden Fall nicht problematisch, da die Beklagte bis zum Zeitpunkt des hier streitigen Vermittlungsvorschlags schon zahlreiche - ergebnislose - Versuche der beruflichen Wiedereingliederung des Klägers unternommen hatte. Dass sie ihm - dennoch - auch das Angebot unterbreitet hat, eine Erwerbstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen, steht dem nicht entgegen. Darüber hinaus hatte sich der Kläger in der Eingliederungsvereinbarung auch dazu verpflichtet, eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung für den Fall anzunehmen, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit nicht möglich sei.

Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass es sich bei der angebotenen Arbeitsgelegenheit nicht um eine zusätzliche, im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeit handelt, sind nicht ersichtlich. Die gegen die Seriosität der F. f. L. gGmbH gerichteten Einwände des Klägers vermochten den Senat nicht zu überzeugen.

Ein wichtiger Grund für das Unterlassen der Bewerbung liegt nicht vor. Die Beklagte hat deshalb zu Recht mit Bescheid vom 14. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2007 die Absenkung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II um 30 v.H. nach § 31 Abs. 6 SGB II für die Dauer von drei Monaten festgestellt.

Soweit sie allerdings mit weiteren Bescheiden vom 14. Dezember 2006 nochmalige Absenkungen der Leistungen um je 30 v.H. festgestellt hat, waren diese rechtswidrig und deshalb aufzuheben. Es kann daher offen bleiben, ob sich der Kläger auf die weiteren Vermittlungsvorschläge hin beworben hat oder nicht.

§ 31 Abs. 3 Satz 1 SGB II ist nur auf solche Pflichtverletzungen anwendbar, die zeitlich nach einer Sanktionsfeststellung nach § 31 Abs. Absatz 1 oder Absatz 2 SGB II erfolgt sind (so eingehend SG Düsseldorf, Beschluss vom 17.03.2008, Az.: S 43 AS 397/07 ER, zitiert nach Juris; ferner etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.10.2007, Az.: L 14 AS 1550/07 ER, zitiert nach Juris; Sonnhoff, in: juris-Praxiskommentar, 2. Aufl. 2007, § 31 Rdnr. 197; Valgolio, in: Hauck/Noftz [Hrsg.], SGB II, § 31 [2007] Rdnr. 99; tendenziell auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.01.2008, Az.: L 12 AS 5001/07 ER-B, n. v.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.09.2007, Az.: L 20 B 169/07 AS ER, zitiert nach Juris; offen gelassen bei LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.04.2006, Az.: L 7 AS 1196/06 ER-B, zitiert nach Juris; a. A. Rixen , in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 31 Rdnr. 50d sowie LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 8. Januar 2009 - L 8 AS 59/06, zitiert nach Juris). Dies trägt der Intention der stufenweise Sanktionseskalation, nur ein trotz bereits erfolgter Sanktion erneut eingetretenes Fehlverhalten verschärft zu sanktionieren, Rechnung (SG Düsseldorf, Beschluss vom 17.03.2008, Az.: S 43 AS 397/07 ER, zitiert nach Juris; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.09.2007, Az.: L 20 B 169/07 AS ER, zitiert nach Juris).

Diese Warnfunktion eines ersten Sanktionsbescheids greift auch dann, wenn - wie hier - die Pflichtverstöße beinahe zeitgleich ablaufen. In der hier maßgeblichen Gesetzesfassung des § 31 Abs. 3 SGB II war in den Materialien ausgeführt, dass eine weitere Möglichkeit der Absenkung nur für den Fall vorgesehen sei, dass die weitere Pflichtverletzung innerhalb des Absenkungszeitraums in der ersten Stufe erfolgt war (Valgolio a.a.O. § 31 Rn. 100 unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien). Dass der Gesetzgeber diesen eng begrenzten zeitlichen Rahmen als unzureichend für das Eingreifen von Sanktionsmaßnahmen angesehen und durch das Fortentwicklungsgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 2007 § 31 Abs. 3 grundlegend geändert hat, ist hier ohne Belang.

Die Einwände der Beklagten vermochten hingegen nicht zu überzeugen. Soweit sie vorbringt, es handle sich bei den Sanktionen, die gegenüber dem Kläger verhängt worden seien, nicht um solche nach § 31 Abs. 3 SGB II, sondern um wiederholte nach Absatz 1, für die Absatz 3 Satz 1 und die darin enthaltene Begrenzung der Sanktionshöhe auf 60 v.H. nicht greifen würden, widerspricht dieser Vortrag der Systematik des Gesetzes. Denn § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB II nimmt gerade wiederholte Pflichtverletzungen nach Abs. 1 in Bezug, wenn also in zeitlich aufeinander folgender Weise mindestens zweimal ein in § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB II normierter Sanktionstatbestand erfüllt wird (so auch Rixen a.a.O. § 31 Rn. 50b). Die Rechtsauffassung des Senats führt, anders als dies die Beklagte wohl interpretiert, auch nicht dazu, dass Leistungsempfänger künftig privilegiert sind, die sich mehrfach pflichtwidrig verhalten. Denn auch der vorherige Erlass eines - ersten - Sanktionsbescheids vor Erlass eines - weiteren - Sanktionsbescheids, verbunden mit einer Absenkung um 60 v.H., hindert den Erlass mehrerer Sanktionsbescheide nicht, jedenfalls dann nicht, wenn die bekannt gewordenen Pflichtverletzungen - anders als im vorliegenden Fall - zeitnah sanktioniert werden und der Betroffene deshalb wissen kann, wie sich weitere Pflichtverletzungen auswirken.

Eine weitere Sanktion nach § 31 Abs. 1, 3 SGB II setzt deshalb in jedem Fall voraus, dass vor der erneuten Pflichtverletzung dem Hilfeempfänger bekannt war, welche Folgen eine weitere Pflichtverletzung nach sich zieht. Da die Beklagte allerdings die ihr schon im August 2006 bekanntgewordene erste Pflichtverletzung erst im Dezember 2006 sanktionierte, konnte sie schon deshalb die - insoweit unterstellt - weiteren Pflichtverletzungen des Klägers, die ihr im August bzw. September 2006 bekannt geworden sind und die der Kläger zwischen der Übersendung des Vermittlungsvorschlags im Juni 2006 und dem Bekanntwerden seiner unterbliebenen Bewerbung verwirklicht hatte, nicht mehr nach § 31 Abs. 3 SGB II sanktionieren. Insoweit waren auf die Berufung des Klägers die weiteren Bescheide vom 14. Dezember 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. Februar 2007 aufzuheben.

Insoweit war der Berufung des Klägers stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved