S 4 RJ 1186/01

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 4 RJ 1186/01
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 45jährige Kläger hat vom 27.11.1972 - 29.02.1976 den Beruf des Radio- und Fernsehtechnikers erlernt und anschließend bis 1979 ausgeübt. Nach seinem Meisterkurs (Jan. Dez. 1980) hat er als angestellter Radio- und Fernsehtechnikermeister (wurde nicht als Meister entlohnt) bis 31.05.1999 eine Beschäftigung verrichtet.

Nach dem Gutachten von Dr. ^Hagn^ vom 10.05.2002 stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- vollschichtig (acht oder mehr Stunden) leichte Arbeiten
- im Wechsel der Körperhaltung im Gehen, Stehen oder Sitzen
- unter Vermeidung von Akkord- und Nachtschichtarbeiten

Außerdem gibt Dr. ^Hagn^ an, dass der Kläger noch in der Lage ist, sich auf eine andere als die zuletzt ausgeübte Tätigkeit umzustellen.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Unstreitig ist, dass der Kläger seinen erlernten Beruf als Radio- und Fernsehtechniker nicht mehr ausüben kann. Die Beklagte verweist ihn jedoch im Bescheid vom 05.03.2001 und im Widerspruchsbescheid vom 18.10.2001 auf die Tätigkeit als Fachverkäufer oder Fachberater in größeren Elektromärkten. Außerdem weist der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 10.05.2002 darauf hin , dass für den Kläger nach der sogenannten Gabiliste die Tätigkeit als Radio- und Fernsehtechniker in der Endkontrolle, als Werkstattleiter in der Radio- und Fernsehtechnik oder als Leiter eines Ersatzteillagers in der Radio- und Fernsehtechnik in Betracht kommt.

Allgemein ist anzumerken, dass die Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker seit dem 12.07.1999 nicht mehr möglich ist. Sie wurde neu geordnet und durch die Ausbildung Informationselektroniker abgelöst

Auch die Fortbildung zum Radio- und Fernsehtechnikermeister ist nicht mehr möglich. Mit der Neufassung der Handwerksordnung zum 1. April 1998 lautet der entsprechende Meistertitel nun Informationstechnikermeister. Im Informationstechnikerhandwerk wurden die früher eigenständigen Handwerke der Büroinformationselektroniker und Radio- und Fernsehtechniker zusammenfasst

Fachverkäufer oder Fachberater in größeren Elektromärkten

Verkäufer ist ein Beruf mit zweijähriger Ausbildung. Dem Kläger dürften aufgrund seines beruflichen Werdeganges für die Tätigkeit eines Fachverkäufers ein max. dreimonatiger Einarbeitungszeitraum genügen.

Arbeiten im Verkauf werden nahezu ausschließlich im Gehen und Stehen ausgeübt, erfordern schwereres Heben und Tragen, z.T. Überkopfarbeit bzw. Hochhantierungen und meist auch gelegentliches Besteigen von Leitern. Dazu müssen in gewissem Umfang Voraussetzungen wie Kontaktfähigkeit, Umgangsformen, Sprachgewandtheit usw. erfüllt sein. Auch psychische Belastbarkeit sollte gegeben sein. Eine dem Leistungsvermögen des Klägers entsprechende Alternative kann aus berufskundlicher Sicht in der Tätigkeit eines Fachverkäufers oder Beraters nicht gesehen werden.

Voraussichtliche Nichteignung für eine Tätigkeit als Fachverkäufer besteht bei Funktionsstörungen der Wirbelsäule, der Arme, der Hände und der Beine, nicht ausreichend korrigierbares Sehvermögen, Farbsehschwäche, Hörminderungen, erheblichen Sprachstörungen, schweren Herz-Kreislaufstörungen, chronischen Erkrankungen der Atemwege oder Allergien, chronische Hauterkrankungen besonders an den Händen, seelische Leiden, schwere Persönlichkeitsstörungen, Suchtkrankheiten und Anfallsleiden.

In die Überlegung miteinbezogen wurde noch die Tätigkeit eines Fachverkäufers oder Fachberaters im Elektrogroßhandel.

Kaufleute im Großhandel sind Bindeglieder zwischen Produktion und Verbrauch. Sie sorgen für den reibungslosen Warenfluss zwischen Herstellern, Weiterverarbeitern und Endverteilern.

Die Tätigkeitsbereiche reichen vom Wareneingang über die Lagerung der Ware, die Überwachung der Lagerbestände, die Steuerung des Warenflusses bis zur Planung der Warenauslieferung.

Die Tätigkeit eines Großhandelskaufmann ist eine geistig anspruchsvolle, körperlich leichte Tätigkeit die im Sitzen, zeitweise im Stehen bzw. Gehen verrichtet wird. Oft kommt es zu Zeit- und Termindruck. Es wird daher eine gute psychische Belastbarkeit und ausreichende Konzentrationsfähigkeit vorausgesetzt.

Da nach Arbeitgeberbefragungen und vermittlerischen Erfahrungen zufolge den kaufmännischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten größere Bedeutung als dem produktbezogenen und anwendungsspezifischen Wissen zugemessen wird, ist üblicherweise kaufmännisch ausgebildetes Personal in diesem Bereich angesetzt; insbesondere werden Großhandelskaufleute (Beruf mit dreijähriger Ausbildung) beschäftigt. Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Ob der Kläger über die in diesem Bereich erforderlichen EDV-Kenntnisse verfügt, kann nicht beurteilt werden. Für einen Fachverkäufer im Elektogroßhandel genügt es nicht, nur Kenntnisse über die Waren zu haben und Zahlen in den Terminal einzugeben, sondern Wissen über Anbieter und Kunden, Kalkulation und Preisgefüge, Liefermöglichkeiten und -kosten, Zahlungsweise bzw. Finanzierung, über Verkaufsstrategien und Verhandlungstechniken usw. ist zumindest in Grundzügen erforderlich.

Der Kläger verfügt als angestellter Radio- und Fernsehtechnikermeister nur über begrenzte bzw. sehr spezielle warenkundliche Kenntnisse. Obwohl er aufgrund seiner Meisterprüfung kaufmännisches Wissen hat, dürfte für einen Ansatz auf zumutbarer Qualifikationsebene als Fachverkäufer im Elektrogroßhandel- auch wenn der Kläger über EDV-Kenntnisse verfügen sollte - insgesamt ein Einarbeitungszeitraum von drei Monaten in der Regel nicht genügen.

Radio- und Fernsehtechniker in der Endkontrolle

Aufgrund des Einsatzes automatischer Prüfeinrichtungen, verbesserter Produktionsverfahren und anderer Arbeitsorganisationsformen nimmt die Zahl reiner Kontrollarbeitsplätze ab.

Es kann dennoch davon ausgegangen werden, dass Arbeitsplätze für Qualitätskontrolleure auf der Qualifikationsstufe der Anlerntätigkeiten und der Facharbeiterberufe noch in nennenswertem Umfang existieren.

Prüftätigkeiten beinhalten sehr häufig geringere körperliche Belastungen als Fertigungstätigkeiten und eignen sich daher besonders zur Umsetzung leistungsgeminderter Mitarbeiter, die aus sozialen Erwägungen oder aufgrund tarifvertraglicher Regelungen (z.B. Unkündbarkeit) weiterbeschäftigt werden sollen. Arbeitgeber berichten jedoch immer wieder, dass es zunehmend schwieriger wird, leidensgerechte Ansatzmöglichkeiten für eine wachsende Zahl von gesundheitlich beeinträchtigten Beschäftigten zu finden; z.T. werden sogar Wartelisten geführt.

Daneben wird ein Ansatz als Kontrolleur oft als beruflicher Aufstieg betrachtet. Aus personalpolitischen Erwägungen (z.B. dadurch Motivierung der Mitarbeiter und günstige Auswirkungen auf das Betriebsklima) wird diese Chance bevorzugt und soweit als möglich den eigenen Mitarbeitern eröffnet. Neben der fachlichen Qualifikation allgemein ist jedoch auch betriebsspezifisches Wissen über Produkt, Fertigungsverfahren, Betriebsorganisation und Arbeitsabläufe für die Aufgabenerfüllung Voraussetzung oder zumindest von erheblichem Vorteil, da sich z.B. Einarbeitungszeiten dadurch verkürzen oder gar erübrigen. Aus den genannten Gründen werden Kontrollarbeitsplätze bevorzugt und weitestgehend innerbetrieblich besetzt.

Durch die veränderten Qualitätsanforderungen in Industrie und Handwerk und die Einführung von Qualitätsmanagement- und Qualitätssicherungsnormen nach DIN ISO 9000 ff wird inzwischen der "Qualitätsfachmann" bzw. die "Qualitätsfachfrau" ausgebildet und auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt.

Außenstehende Bewerber haben üblicherweise nur Zugang zu entsprechenden Stellen, z.B. wenn sie (bei in der Regel voller Leistungsfähigkeit) über einschlägige besondere Qualifikationen (Abschlussprüfung vor der Industrie- und Handelskammer - nach einer Umschulung) oder mit Zertifikat - DGQ-Schein Güteprüfung - Weiterbildung bei der Deutschen Gesellschaft für Qualität) oder Erfahrungen als Kontrolleur verfügen. Für nicht so qualifizierte und zusätzlich leistungsgeminderte Bewerber können geeignete Arbeitsplätze nur vereinzelt durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen (z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen) erschlossen werden.

Für Kontrolltätigkeiten werden in der Regel gutes Nahsehvermögen, beidhändiges Handgeschick und Fingerfertigkeit, möglichst nicht eingeschränkte Funktionstüchtigkeit eines, besser beider Arme verlangt. Außerdem stellen Kontrolltätigkeiten hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Genauigkeit, das Konzentrationsvermögen und Verantwortungsbewusstsein usw.

Obwohl Arbeitsplätze in nennenswertem, wenn auch geringer werdenden Umfang auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind, ist - wie bereits ausgeführt - außenstehenden leistungsgeminderten Bewerbern, die nicht über einschlägige besondere Qualifikationen oder Erfahrungen als Kontrolleur verfügen, der direkte Zugang erfahrungsgemäß nicht möglich.

Werkstattleiter in der Radio- und Fernsehtechnik

Bei der Tätigkeit eines Werkstattleiters ist das Arbeitsprogramm festzulegen, der Personal- und Betriebsmitteleinsatz zu planen, die Arbeit zu verteilen, außerdem sind die Mitarbeiter anzuleiten, einzuarbeiten und zu überwachen, nicht selten sind schwierige Arbeiten auch selbst auszuführen. Der Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen ist möglich. Jedoch lassen sich Belastungen wie Bücken und Hocken, Heben und Tragen, auch Arbeit in vorgebeugter Haltung und beidhändiges Hantieren bei der Unterweisung und Überwachung der Mitarbeiter, vor allem aber bei der eigenen praktischen Arbeitsleistung, auf die selten verzichtet werden kann, nicht immer vermeiden. Gutes Sehvermögen ist erforderlich. Zeitweise kann es nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einem Überschreiten der Leistungsfähigkeit des Klägers, der nur noch über leichte Belastbarkeit verfügt, kommen kann.

Wenn bei dem Kläger, der als angestellter Radio- und Fernsehtechnikermeister mit einem weiteren Mitarbeiter tätig war, die fachlichen Kenntnisse, die persönlichen Voraussetzungen zur Mitarbeiteranleitung, -einarbeitung und -überwachung und ausreichend organisatorische Fähigkeiten vorliegen, dürfte ein Einarbeitungszeitraum von 3 Monaten genügen. Arbeitsplätze für Werkstattleiter in der Radio- und Fernsehtechnik sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Leiter eines Ersatzteillagers in der Radio- und Fernsehtechnik

Je nach Größe, Sortimentsumfang und Aufgabenstellung finden Arbeitskräfte unterschiedlicher Qualifikation - vom qualifiziert Angelernten bis zum Meister einen Ansatz als Ersatzteillagerist. Zu seinen Aufgaben gehört u.a. die Lagerung von Ersatzteilen und Zubehör, die Abgabe an die Werkstatt, aber auch der Verkauf an Außenstehende. Die Tätigkeit ist im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen zu verrichten, erfordert aber bei Regalarbeit auch Bücken und Besteigen von Leitern sowie Heben und Tragen von Lasten, die sich nicht auf leicht begrenzen lassen.

Kaufmännische, Verwaltungs-, Büro- und inzwischen in der Regel EDV-Kenntnisse werden vorausgesetzt.

Der Klägers verfügt, aufgrund seines gesundheitlichen Einschränkungen, nur noch vollschichtig leichte Belastbarkeit. Daher ist in der Tätigkeit eines Leiters eines Ersatzteillagers in der Radio- und Fernsehtechnik keine uneingeschränkt geeignete berufliche Alternative erkennbar.

Allgemein ist anzumerken, dass die "gabi" (Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen) letztmalig 1996 herausgegeben und aktualisiert wurde. Daher ist davon auszugehen, dass sich zwischenzeitlich Änderungen in der Arbeitwelt ergeben haben.

Weitere Facharbeitertätigkeiten, die der Kläger unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen und nach einer Einarbeitungszeit von bis zu drei Monaten noch vollwertig verrichten kann und die auf dem Arbeitsmarkt in größerer Anzahl vorhanden sind, können aus berufskundlicher Sicht nicht benannt werden.
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Datum