S 4 RJ 479/01

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 4 RJ 479/01
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Die bei der Rentenantragstellung 41jährige Klägerin war im Bundesgebiet ab 1988 als Büglerin und Fließbandarbeiterin und zuletzt ab 1993 mit dem Färben von Knöpfen beschäftigt.

Nach dem Sachverständigengutachten von Dr. ^Thönnissen^ vom 04.10.2002 stellt sich das Leistungsvermögen der Klägerin wie folgt dar:
- vollschichtig, mindestens 6-stündige leichte Tätigkeit
- in wechselnder Stellung
- ohne Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung
- ohne Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen
- ohne Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystem
- ohne Tätigkeiten unter ungünstigen äußeren Bedingungen.

Als sonstige Einschränkungen nennt Dr. ^Thönnissen^, dass die Belastbarkeit des linken Armes und der linken Hand eingeschränkt sind und dass die Klägerin Analphabetin ist. Außerdem sollte sich eine Toilette in erreichbarer Nähe befinden.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Mitteilung, ob es im Hinblick auf die Gesundheitsstörungen und unter Berücksichtigung der zu vermeidenden Arbeitsbedingungen für die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im gesamten Bundesgebiet eine nennenswerte Anzahl von in Frage kommenden Arbeiten gibt (ggf. welche), die allgemein zugänglich sind und nicht nur Schonarbeitsplätze darstellen, die lediglich leistungsgeminderten eigenen Betriebsangehörigen vorbehalten sind.

Büglerin

Die Klägerin war im Bundesgebiet als Büglerin beschäftigt.

Büglerinnen glätten und formen in der Regel auf Anweisung von Mode- oder Bekleidungsschneidern Bekleidungsteile und Wäsche. Dabei bedienen sie Bügeleisen und Bügelpressen, zum Beispiel Langpresse und Ärmelgebläse. Diese Aufgaben führen Bügler vor, zwischen beziehungsweise nach den einzelnen Fertigungsgängen oder nach der Fertigstellung der Bekleidungsstücke aus.

Die Tätigkeit einer Büglerin erfordert leichte bis mittelschwere Belastbarkeit und wird überwiegend im Stehen und Gehen verrichtet. In der Bekleidungsindustrie ist Akkordarbeit üblich. Das Leistungsvermögen der Klägerin entspricht nicht mehr den üblichen Anforderungen.

In der industriellen Fertigung vorkommende Tätigkeiten wie Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten können körperlich leicht sein, in der Regel dann, wenn mit kleinen Teilen umzugehen ist. Die Arbeiten sind aber weitgehend in einseitiger Körperhaltung (entweder im Sitzen oder Stehen) zu verrichten. Gerade bei dem Umgang mit kleinen Teil ist neben der vollen Gebrauchsfähigkeit beider Hände Feinhandgeschick erforderlich. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist möglich, wenn die zu bearbeitenden Teile selbst an- und abtransportiert werden müssen, jedoch fällt u.U. auch schwerere Hebe- und Tragebelastung an. Die Tätigkeiten in diesem Bereich erfordern nicht selten Schichtarbeit und werden in der Regel im Akkord oder unter akkordähnlichen Bedingungen bzw. am Fließband verrichtet. Eine dem Leistungsvermögen der Klägerin entsprechende berufliche Alternative ist in diesem Bereich nicht erkennbar.

Auch einfache Reinigungsarbeiten stellen für die Klägerin keine ihrem Leistungsvermögen entsprechende Alternative dar. Diese Arbeiten beinhalten zumindest gelegentlich auch schwerere als nur leichte Belastungen. Die Arbeiten werden im Gehen und Stehen verrichtet. Häufiges Bücken, Recken, vorgebeugte und z.T. gedrehte Haltung o.ä. oder auch Arbeit im Freien werden verlangt. Kontakt mit Feuchtigkeit ist erforderlich. In der Regel wird außerdem unter Zeitdruck gearbeitet. Die volle Gebrauchsfähigkeit bzw. Belastbarkeit beider Hände ist erforderlich.

Spülerinnen im Hotel- und Gaststättengewerbe müssen ebenfalls teilweise schwerere als nur leichte Lasten heben. Auch bei diesen Tätigkeiten ist die volle Gebrauchsfähigkeit bzw. Belastbarkeit beider Hände ist erforderlich.

Das Leistungsvermögen der Klägerin entspricht für Tätigkeiten in diesem Bereich nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Auch im Verkauf, z.B. als Auszeichnerin, Auffüllerin oder evtl. als Kassiererin ist keine zumutbare Alternative zu erkennen. Mit Belastung durch schwerere als nur leichte Arbeiten, häufiges Bücken, überwiegend einseitige Körperhaltung und zeitweisem Zeitdruck ist zu rechnen. Außerdem ist Belastbarkeit beider Arme und Hände unabdingbare Voraussetzung. Anzumerken ist, dass die Klägerin, wie im Gutachten von Dr. ^Thönnissen^ angegeben, Analphabetin ist.

Botinnen, Mitarbeiterinnen in einer Registratur oder Poststelle müssen erfahrungsgemäß zumindest zeitweise bis mittelschwer belastbar sein. Häufiges Bücken, Recken, Heben und Tragen von schwereren Lasten ist trotz des Einsatz von z.B. Aktenrollwagen nicht unüblich. Die Tätigkeit einer Botin scheidet insbesondere daher aus, da sie überwiegend im Gehen verrichtet wird. Auch das Besteigen von kleinen Leitern ist z.B. in einer Registratur erforderlich. Die volle Belastbarkeit beider Arme und Hände ist zwingend erforderlich. Außerdem sind für diese Tätigkeiten durchschnittliche Lese- und Schreibkenntnisse notwendig.

Einfache Bürohilfstätigkeiten wie z.B. Karteiarbeiten, Listenführung, Schreibarbeiten, die zwar körperlich leicht sind, jedoch in der Regel überwiegend im Sitzen verrichtet werden, scheiden ebenfalls aus, da die Klägerin Analphabetin ist.

Museumswärterin

Die Tätigkeit einer Museumswärterin wurde in ähnlich gelagerten Fällen als zumutbare Verweisungsmöglichkeit benannt.

Die Körperhaltung der Museumsaufsicht ist in den meisten Museen annähernd ausschließlich Stehen und Gehen. Sitzen ist die Ausnahme, allein schon, weil in der Regel mehrere Räume überwacht (z.T. auch über zwei Etagen) und regelmäßig und auch unregelmäßig begangen werden müssen. Sitzen ist gestattet, wenn kein Besucher da ist. Nach Auskunft von Museumsleitern ist die Mitarbeit beim Ab- und Aufbau von Ausstellungen, beim Transport und bei der Verwahrung von Objekten erforderlich. Gefordert werden gutes Hörvermögen, ausreichendes Sehvermögen, die Fähigkeit, Leitern besteigen und kurzfristig auf Leitern arbeiten zu können. Sonn- und Feiertagsdienst ist erforderlich.

Heben und Tragen kann beim Bewegen der Exponate das leichte Maß übersteigen. Anzumerken ist, dass diese Anforderungen in der Regel nur bei Ausstellungswechseln, d.h. in größeren zeitlichen Abständen vorkommen. Da die Tätigkeit einer Museumswärterin nahezu ausschließlich im Stehen und Gehen verrichtet wird und die volle Belastbarkeit beider Hände zumindest gelegentlich gegeben sein muss, können die Leistungseinschränkungen der Klägerin auch bei dieser Tätigkeit nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Gedacht werden könnte noch an eine Tätigkeit als Pförtnerin

Eine Pförtnertätigkeit kann Aufgaben aus den Bereichen Personalkontrolle und Ausweiswesen, Besucherempfang, Schlüsselverwahrung bzw. Verwaltung von Schließanlagen und Überwachung des Kfz.- und Warenverkehrs sowie sonstige Aufgaben in verschiedenen Kombinationen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten beinhalten. Nicht selten handelt es sich um Arbeitsplätze, die die Rücksichtnahme auf diverse Leistungseinschränkungen gestatten, so daß sie auch für leistungsgeminderte Arbeitskräfte in Frage kommen. Sie sind zwar häufig der innerbetrieblichen Besetzung durch langjährige, leistungsgewandelte Beschäftige vorbehalten, in nennenswertem Umfang aber auch Außenstehenden zugänglich. Meist genügt Belastbarkeit für leichte Arbeiten. Auch ein Wechsel der Körperhaltung ist erfahrungsgemäß in gewissem Umfang möglich, wobei Sitzen dennoch den größten Anteil ausmachen kann. Belastungen durch Zwangshaltungen, Bücken o.ä. sind nicht üblich. Nicht ganz ausgeschlossen werden kann allerdings sehr oft die Einwirkung von Zugluft, Temperaturschwankungen oder Witterungseinflüssen (z.B. Arbeitsplatz im Eingangsbereich; Notwendigkeit, Pförtnerloge oder -häuschen zu verlassen, z.B. zur Zufahrtsregelung). Weitaus überwiegend ist außerdem Schichtarbeit (zumindest Früh- und Nachmittagsschicht, zum Teil rund um die Uhr, auch am Wochenende, u.U. mit auf 12 Stunden verlängerter Arbeitszeit) anzutreffen. Sogar Zeitdruck ist - im Wechsel mit Zeiten relativ monotoner Tätigkeit - möglich (z.B. hoher Besucherandrang; Arbeitsbeginn, - ende, Schichtwechsel); auch andere Stressbelastungen (z.B. Gefahrensituationen, ggf. Auseinandersetzungen mit Besuchern oder Mitarbeitern o.ä.) sind nicht völlig zu vermeiden. Vorausgesetzt wird üblicherweise Kontaktfähigkeit, Höflichkeit, Merkfähigkeit, Flexibilität, sicheres Auftreten oder sogar Durchsetzungskraft und die Fähigkeit zu situationsgerechtem und schnellem Handeln bei außergewöhnlichen Vorfällen, wozu auch ein gewisses Maß an neurovegetativer und psychischer Belastbarkeit erforderlich ist. Überwiegend handelt es sich um Alleinarbeit, so dass auf die ständige Anwesenheit und Aufmerksamkeit nicht verzichtet werden kann. Die Leistungseinschränkungen der Klägerin können auch bei einer Tätigkeit als Pförtnerin nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden. Außerdem dürfte die Klägerin als Analphabetin keinen Zugang zu einer Pförtnertätigkeit erhalten, das Lesen und Schreiben unabdingbare Voraussetzung für diese Tätigkeit sind.

Zu den im Sachverständigengutachten von Dr. ^Thönnissen^ angegebenen Erfordernis, dass sich eine Toilette in erreichbarer Nähe befindet, möchte ich abschließend folgendes ausführen:

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei einer nennenswerten Zahl von Arbeitsplätzen sich eine Toilette in erreichbarer Nähe befindet.

Arbeitnehmern werden in gewissem Umfang sog. Verteilzeiten zugestanden. Dazu rechnet z.B. der Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten bzw. Aufräumen des Arbeitsplatzes, das Aufsuchen der Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw. Arbeitsunterbrechungen im Rahmen der bezahlten sogenannten Verteilzeiten haben sich in erster Linie dem Arbeitsablauf unterzuordnen. Das Aufsuchen der Toilette entsprechend der Notwendigkeit bei einer Stressinkontinenz kann nicht immer gewährleistet werden. Derartiges Verhalten wird erfahrungsgemäß nur im Einzelfall bei langjährigen Beschäftigten akzeptiert.

Arbeitgeber lehnen in der Regel bei Neueinstellungen solche Zugeständnisse auch dort ab, wo sie vom Arbeitsablauf her möglich wären. Begründet wird dies mit der Befürchtung, weitere Belegschaftsmitglieder würden dann ähnliche Sonderregelungen fordern.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei Betrachtung des Arbeitsmarktes des gesamten Bundesgebietes nicht doch eine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen gibt, die grundsätzlich für die Klägerin in Betracht kämen. Auf Arbeitgeberseite sind dabei jedoch erfahrungsgemäß besondere Zugeständnisse (z.B. der Restleistungsfähigkeit angepasster Zuschnitt der Aufgaben, Verzicht auf Flexibilität oder Vielseitigkeit, Änderungen am Arbeitsplatz, Herabsetzung des Arbeitstempos bzw. des erwarteten Produktivitätsgrades) erforderlich. Entsprechende Arbeitsplätze sind Außenstehenden daher unter den üblichen Bedingungen des Arbeitslebens in der Regel nicht bzw. nicht direkt zugänglich, vielmehr handelt es sich nicht selten um vergönnungsweise Beschäftigung aufgrund sozialer Verpflichtungen oder die Arbeitsplätze wurden im Einzelfall durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen, z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen erschlossen.

Eine uneingeschränkt zumutbare Verweisungstätigkeit ist aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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Datum