S 8 RJ 234/01

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 8 RJ 234/01
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 46jährige Kläger hat von 1968 - 1971 den Beruf des Maurers erlernt und diesen, mit Ausnahme des Wehrdienstes, bis 1999 ausgeübt. Seit April 1999 besteht Arbeitsunfähigkeit. Der GdB beträgt 80.

Nach dem vorliegenden internistisch-sozialmedizinischen Fachgutachten von Dr. ^Doht-Rügamer^ vom 02.03.2003 stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- vollschichtig leichte Arbeiten, halb- bis untervollschichtig mittelschwere Arbeiten
- in jeder Stellung,
- im Freien und in geschlossenen Räumen
- insbesondere unter Vermeidung von
- Tätigkeiten unter besonderen nervlichen Belastungen wie
- Akkord- oder Fließbandarbeiten, Nachtschicht
- Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen wie
- Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr
- Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems wie
- häufiges Heben und Tragen von Lasten über 25 kg,
- ständige Arbeiten in Zwangshaltungen.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Unstreitig ist, dass der Kläger seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Maurer nicht mehr verrichten kann.

Die Beklagte verweist den Kläger jedoch im Bescheid vom 19.09.2000 und im Widerspruchsbescheid vom 13.02.2001 auf die Tätigkeiten eines Bauhofverwalters, eines Baustellenmagaziners und eines Baustoffprüfers.

Bauhofverwalter

Bauhofverwaltern obliegt z.B. bei Kommunen der großen Baufirmen die Verwaltung des zentralen Material- und Gerätelagers (Sortimentsumfang bis zu einigen tausend Artikeln, z.T. Millionenwerte), Mitwirkung bei der Material- und Geräteeinsatzplanung und -beschaffung, Veranlassung von Reparaturen, Organisation, Überwachung und Registrierung des Material- und Geräteein- und -ausgangs usw. Die größtenteils verwaltende, kaufmännisch-betriebswirtschaftlich und organisatorisch geprägte Tätigkeit setzt üblicherweise eine kaufmännische Ausbildung oder eine einschlägige Meister- oder ähnliche Qualifikation voraus. Aber auch dann wird der zur Einarbeitung noch erforderliche Zeitraum erfahrungsgemäß mit mehr als drei Monaten beziffert. Erst recht gilt das, wenn - soweit im Einzelfall überhaupt möglich - von schlichter Facharbeiterqualifikation auszugehen ist.

Baustellenmagaziner

Ein Baustellenmagaziner arbeitet auf kleinen und großen Baustellen und muß dort das Baumaterial und die Arbeitsgeräte nicht nur verwalten, sondern auch ausgeben. Es fallen leichte bis mittelschwere, u.U. auch schwere Arbeiten an, insbesondere im Hinblick auf die auftretenden Hebe- und Tragebelastungen. Auch wenn für größere und schwere Teile oft technische Geräte zur Verfügung stehen, bleibt es nicht aus, daß er Materialien und Geräte wie Bohrhämmer, Schalungsbretter, Kompressoren etc. selbst abladen und ausgeben muß. Die Tätigkeit wird im Gehen und Stehen verrichtet. Bücken ist häufig erforderlich, auch Klettern und Steigen bzw. Absturzgefahr kann nicht immer vermieden werden. Zusätzliche Belastungen treten dadurch auf, daß z.T. im Freien unter Witterungseinflüssen und baustellenüblichen Umgebungsbedingungen gearbeitet werden muß.

In größeren Baumagazinen, in denen Hilfskräfte zur Verfügung stehen und der Baustellenmagaziner überwiegend schriftliche und organisatorische Aufgaben erledigt, kann der Kläger die hierfür erforderlichen Kenntnisse nicht innerhalb von drei Monaten erwerben.

Da bei der Tätigkeit des Baustellenmagaziners entweder die Leistungseinschränkungen des Klägers nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden können oder die erforderlichen Kenntnisse nicht innerhalb einer dreimonatigen Einarbeitungszeit erworben werden können, ist aus berufskundlicher Sicht in der Tätigkeit des Baustellenmagaziners keine uneingeschränkt geeignete berufliche Alternative zu sehen.

Anzumerken ist, daß Arbeitgeber außerdem meist leistungsgeminderte Fachkräfte ihres Betriebes oder Arbeitskräfte aus dem Helferbereich mit langjähriger Betriebszugehörigkeit im Baumagazin beschäftigen. Eine Einstellung von Betriebsfremden für diese Tätigkeit kommt nur ganz selten vor.

In anderen Branchen werden in der Werkzeug- und Materialausgabe - unabhängig vom Leistungsvermögen des Klägers - keinesfalls Maurer, sondern einschlägig ausgebildete Fachkräfte bevorzugt (im Metallbereich Metallfacharbeiter, im Elektrobereich Elektriker etc.). Außerdem werden entsprechende Stellen nicht selten innerbetrieblich mit leistungsgeminderten Beschäftigten besetzt, da die Belastungen im Vergleich zum Ausgangsberuf doch geringer sind.

Baustoffprüfer

Baustoffprüfer (drei Fachrichtungen: Boden, Mörtel und Beton, bituminöse Massen) ist ein eigenständiger dreijähriger Ausbildungsberuf, in den sich der Kläger - obwohl er als Maurer tätig war - nicht innerhalb von drei Monaten einarbeiten kann. Arbeitnehmer aus Bauberufen mit Vorkenntnissen in der Herstellung, Verarbeitung und Prüfung von Beton können jedoch auch zum Betonprüfer angelernt werden und/oder sich die erforderlichen vertieften Kenntnisse im Rahmen eines mehrwöchigen Lehrganges aneignen. Auch hier dürfte allerdings im Fall des Klägers allein eine Einarbeitung von max. drei Monaten Dauer nicht genügen. Betonprüfung findet vor, während und nach der Verarbeitung, d.h. auf der Baustelle im Freien und im Labor statt; bei großen Baubetrieben mit einem Zentrallabor oder bei Betonfertigteilwerken ist u.a. auch ein Ansatz ausschließlich im Labor bzw. im Betrieb möglich. Die in Normen geregelten Prüfungen sind erfahrungsgemäß überwiegend im Gehen und Stehen durchzuführen, erlauben üblicherweise aber auch zeitweises Sitzen. Zur Prüfung der Druckfestigkeit müssen Probekörper hergestellt und unter bestimmten Bedingungen gelagert werden; die Probekörper sind im allgemeinen Würfel mit einer Kantenlänge von 20 cm und einem Gewicht von ca. 18 - 20 kg. Insgesamt ist aus berufskundlicher Sicht auch in diesem Bereich keine für den Kläger geeignete berufliche Alternative zu sehen.

Fachverkäufer in Bau- oder Heimwerkermärkten Gedacht werden könnte noch an die Tätigkeit eines Fachverkäufers in Bau- oder Heimwerkermärkten. In Betrieben, die Waren überwiegend in Selbstbedienung anbieten (Bau-, Heimwerkermärkte) stellen Aufgaben wie Warenannahme, Lagerung, Bereitstellung und Platzierung im Verkaufsraum, Auszeichnung, Bestandsüberwachung und Mitwirkung bei der Sortimentsgestaltung und Beschaffung die Tätigkeitsschwerpunkte dar. Kundenkontakte, z.B. Orientierungshilfen, Auskünfte zu Qualität, Verarbeitungstipps, Preisangaben und -berechnungen stellen eine besondere, obgleich unverzichtbare Serviceleistung dar. Der Umgang mit Kunden setzt Höflichkeit, Kontaktfähigkeit, Flexibilität usw. und auch ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit voraus. Bei größerem Kundenandrang kann es auch zu Zeitdruck kommen. Arbeitgeberbefragungen bestätigen, dass auch Facharbeiter bei persönlicher Eignung und nach Einarbeitung als Fachverkäufer beschäftigt werden. Eine vollständige Einarbeitung ist jedoch üblicherweise nicht in einem Zeitraum von höchstens drei Monaten möglich. Der Kläger,der den Beruf des Maurers erlernt und ausschließlich ausgeübt hat, benötigt für eine Tätigkeit als Fachverkäufer in Bau- oder Heimwerkermärkten mindestens einen Einarbeitungszeitraum von drei Monaten. Verlangt wird nahezu ausschließlich Stehen und Gehen. Bücken ist durchaus häufig erforderlich, auch Recken, gelegentlich Überkopfarbeit bzw. Hochhantierungen und Besteigen von Leitern ist nicht auszuschließen. Heben und Tragen von Lasten ist keineswegs zu vermeiden. Die zu bewegenden Gewichte können sogar das mittelschwere Maß übersteigen. Unabhängig vom erforderlichen Einarbeitungszeitraum entspricht das Leistungsvermögen des Klägers nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Für Kundenberatung im Baustoff-Fachhandel trifft es vielfach zu, daß der Verkauf im Verkaufsraum oder sogar am Schreibtisch anhand von Listen, Katalogen oder über ein Computer-Terminal abgewickelt und eine strikte Trennung zum Lager eingehalten wird. Arbeitgeberbefragungen und vermittlerische Erfahrungen zufolge wird jedoch üblicherweise den kaufmännischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten größere Bedeutung als dem produktbezogenen und anwendungsspezifischen Wissen zugemessen und kaufmännisch ausgebildeten Personal (vor allem Groß- oder u.U. auch Einzelhandelskaufleute) beschäftigt. Aufgrund seines beruflichen Werdeganges verfügt der Kläger nur über begrenzte bzw. sehr spezielle warenkundliche Kenntnisse. Ein Einarbeitungszeitraum von drei Monaten ist daher bei weitem zu kurz.

Telefonist

In die Überlegungen miteinbezogen wurde noch die berufsfremde Tätigkeit eines Telefonisten, die zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist.

Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Ob der Kläger diese persönlichen Mindestanforderungen mitbringt, kann aus berufskundlicher Sicht nicht beurteilt werden.

Arbeitsplätze für Telefonisten sind in nennenswerter Anzahl innerhalb des Bundesgebietes vorhanden.

Dr. ^Dogt-Rügamer^ gibt in seinem Gutachten vom 02.03.2003 an, dass der Kläger mehrere kleine Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen muss, da größere Portionen mit Verdauungsstörungen wie reaktive Unterzuckerungen oder Durchfällen einhergehen (Bl. 74 Gerichtsakte).

Allgemein möchte ich dazu aus berufskundlicher Sicht und vermittlerischer Erfahrung folgendes anmerken:

Ob die Möglichkeit besteht, während der Arbeit kleine Mahlzeiten einzunehmen, hängt von der Akzeptanz durch den Arbeitgeber und von der Art der Tätigkeit ab, z.B. von hygienischen Aspekten (schmutzige Hände oder Gefahr der Verschmutzung des Arbeitsgutes) oder ob ständige manuelle Tätigkeit gefordert ist oder - im Gegensatz dazu - zeitweises Beobachten von Maschinen anfällt, währenddessen eine Mahlzeit eingenommen werden kann. Selbst wenn die Einnahme von Mahlzeiten möglich und geduldet ist, ist eine Eigenbestimmung des Zeitpunktes entsprechend den gesundheitlichen Erfordernissen nicht immer gewährleistet. Derartige Rücksichtnahme ist im Arbeitsleben zwar zu finden, wird aber erfahrungsgemäß meist nur bereits beschäftigten Arbeitnehmern zuteil, denen gegenüber eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers besteht.

Andere angelernte Tätigkeiten (Anlernzeit ohne Vorbildung mindestens drei Monate) bzw. höhere qualifizierte Tätigkeiten, die der Kläger nach seiner Vorbildung und seinen gesundheitlichen Möglichkeiten nach einer Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten noch verrichten kann und für die Arbeitsplätze in nennenswerter Anzahl im Bundesgebiet vorhanden sind, können aus berufskundlicher Sicht nicht benannt werden.
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