L 13 RA 114/00

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
L 13 RA 114/00
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Die bei der Rentenantragstellung 49jährige Klägerin hat von 1964 - 1966 den Beruf der Arzthelferin erlernt und anschließend ausgeübt. Von 1967 - 1996 war sie als Röntgenassistentin tätig.

Nach dem psychiatrischen Gutachten von Dr. ^Münch^ vom 27.10.2000 ist von folgendem Leistungsvermögen auszugehen:
- vollschichtig körperlich leichte Arbeiten
- in geschlossenen Räumen
- ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit
- ohne besonderen Zeitdruck (damit auch nicht im Akkord und nicht am Fließband)
- ohne Zwangshaltung
- ohne Nachtschicht

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Beantwortung folgender Fragen:

1. Welche Anforderungen werden in körperlicher und geistig/seelischer Hinsicht an eine Arzthelferin gestellt?

2. Ist die Klägerin unter Berücksichtigung ihres gesundheitlichen Leistungsvermögens noch in der Lage, diese Tätigkeiten auszuführen?

3. Hat die Klägerin, nachdem sie seit 1967 als Röntgenassistentin gearbeitet hat, noch die beruflichen Kenntnisse für die Tätigkeit einer Arzthelferin?

4. Wie lange würde gegebenenfalls eine Einarbeitung der Klägerin dauern?

5. Inwieweit können die beruflichen Kenntnisse der Klägerin als Röntgenassistentin verwertet werden?

6. Wenn ein Einsatz weder als Arzthelferin noch als Röntgenassistentin möglich ist; welche Berufe kämen für die Klägerin noch in Frage? Wie lange wäre dafür die Einarbeitungszeit?
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Zu Frage 1)

Die Tätigkeit einer Arzthelferin ist körperlich leicht, zeitweise mittelschwer und wird in temperierten Praxis- und Laborräumen im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen verrichtet. Oft sind unregelmäßige Arbeitszeiten mit Überstunden erforderlich. Zeitweise ist Zeitdruck nicht zu vermeiden.

Wesentliche körperliche Eignungsvoraussetzungen sind Funktionstüchtigkeit der Arme und Hände, Fähigkeit zu beidhändigem Arbeiten, weitgehend Funktionstüchtigkeit der Beine und der Wirbelsäule, gutes Sehvermögen in der Nähe (ggf. durch Brille ausgeglichen), normales Farbensehen, normales Hörvermögen, normales Sprechvermögen, gute Haut an den Händen und gute neuro-vegetative Belastbarkeit.

Anzumerken ist, dass bei der vom Sozialgericht Würzburg in seinem Urteil vom 21.03.2000 genannten Tätigkeit einer Arzthelferin in einer nervenärztlichen Praxis aufgrund der Besonderheit des speziellen Patientenkreises eine besonders gute neuro-vegetative Belastbarkeit vorausgesetzt wird.

Die ebenfalls vom Sozialgericht Würzburg in seinem Urteil genannte Verweisungstätigkeit einer Arzthelferin für Büro- und Verwaltungsarbeiten wird überwiegend im Sitzen und üblicherweise am Computer verrichtet.

Allgemein ist aus berufskundlicher Sicht zum Einsatz der EDV folgendes auszuführen:

Die Aufgaben und Tätigkeitsabläufe waren ohne den Einsatz von EDV so gestaltet, dass Arbeitsmaterialien und Arbeitsgegenstände sowie Informationen noch nicht zentral am Schreibtisch zur Verfügung standen und somit mehr Abwechslung in der Arbeitshaltung erforderten bzw. ermöglichten (z.B. Ordner in Schränken, in Registratur, in Zentralarchiven etc.). Durch die komplexen Arbeits- und Informationsmöglichkeiten am Computer (sehr leistungsfähige Hard- und Softwaregenerationen, Vernetzung und Integration) besteht immer weniger Gelegenheit einen Haltungswechsel zu vollziehen. Zwangshaltungen können daher nicht vermieden werden.

zu Frage 2)

Die Leistungseinschränkungen der Klägerin können bei einer Tätigkeit als Arzthelferin nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden, da nur lediglich körperlich leichte Belastbarkeit nicht ausreicht, Zeitdruck nicht vermieden werden kann und eine gute neuro-vegetative Belastbarkeit vorausgesetzt wird. Hinsichtlich der vom Sozialgericht Würzburg in seinem Urteil genannten zumutbaren Tätigkeiten verweise ich auf meine Ausführungen zu Frage 1.

zu Frage 3)

Da die Klägerin im berufsnahen Bereich als Röntgenassistentin tätig war, dürfte sie noch um verwertbare Kenntnisse für die Tätigkeit einer Arzthelferin verfügen. Jedoch ist in bestimmten Bereichen wie z.B. Abrechnungswesen, Umgang mit EDV eine Auffrischung der Kenntnisse bzw. eine Einarbeitung erforderlich.

zu Frage 4)

Obwohl die Klägerin seit 1967 nicht mehr als Arzthelferin tätig war, ist aus berufskundlicher Sicht aufgrund des beruflichen Werdeganges der Klägerin davon auszugehen, dass ein maximal dreimonatiger Einarbeitungszeitraum für die Tätigkeit einer Arzthelferin ausreichen dürften. Anzumerken ist jedoch, dass für die vom Sozialgericht Würzburg in seinem Urteil vom 21.03.00 genannte Tätigkeit einer Arzthelferin für Büro- und Verwaltungsarbeiten drei Monate Einarbeitungszeit zu kurz sein könnten, insbesondere dann, wenn die Klägerin nicht über schreibtechnische und EDV-Kenntnisse, Erfahrung in Praxisorganisation und -verwaltung und Abrechnungswesen verfügt.

zu Frage 5)

Die Tätigkeit einer Röntgenassistentin ist mit der Tätigkeit einer Arzthelferin insbesondere verwandt durch den Umgang mit medizinisch-technischen Instrumenten, Geräten, Umgang mit Patienten, medizinische Grundkenntnisse, teilweise medizinische Dokumentations- und Administrationstätigkeiten. Im Rahmen der Durchführung der Dokumentation von Untersuchungs- und Behandlungsergebnissen bzw. zur Erledigung administrativer Tätigkeiten arbeiten Röntgenassistenten mit Computern und anderen Einrichtungen der modernen Büro- und Kommunikationstechnik.

zu Frage 6)

Die Tätigkeit einer Röntgenassistentin ist körperlich leicht, teilweise mittelschwer und wird im Wechsel von Gehen und Stehen, zeitweise im Sitzen, häufig unter Zeitdruck in geschlossenen, temperierten Räumen verrichtet. Bei Tätigkeit in Krankenhäusern im Bereich Röntgendiagnostik ist regelmäßiger Nacht- und Wochenenddienst sowie manchmal Überstunden erforderlich.

Wesentliche körperliche Eignungsvoraussetzungen sind kräftiger Körperbau, Körpergewandtheit, weitgehende Funktionsfähigkeit der oberen und unteren Gliedmaßen, Gebrauchsfähigkeit beider Hände, Finger- und Handgeschicklichkeit, gesunde Wirbelsäule, gesunde Sinnesorgane wie Sehvermögen in Nähe und Ferne (ggf. durch Brille voll ausgeglichen), ungestörte Dunkeladaption, normales Farbensehen, Hörvermögen und gesundes Nervensystem.

Die Leistungseinschränkungen der Klägerin können auch bei einer Tätigkeit als Röntgenassistentin nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden, da teilweise mittelschwere Arbeiten z.B. beim Lagern und Stützen der Patienten, gelegentlich Heben schwerer Lasten und häufig Zeitdruck erforderlich sind.

zu Frage 7)

Medizinische Dokumentarin in Krankenhausbetrieben

In die Überlegungen mit einbezogen wurde die entfernter berufsverwandte Tätigkeit einer medizinischen Dokumentarin.

Die Aufgaben einer Medizinischen Dokumentarin sind das Mitwirken bei der Informationsbeschaffung und -verarbeitung im Bereich der Medizin und des Gesundheitswesens, die eigenverantwortliche Durchführung von größeren (Teil-)Aufgaben der Dokumentation, Statistik, Datenverarbeitung und Organisation, die Erfassung, Bearbeitung, Verwaltung medizinischer Daten und Informationen, die statistische Betreuung und Auswertung von Therapiestudien/klinischen Studien sowie Arbeitsmittelprüfungen, das Lösen spezieller Aufgaben mit Hilfe audiovisueller Medien, die Suche und das inhaltliche Erschließen medizinischer Fachliteratur.

Die Arbeit wird überwiegend in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie in der pharmazeutischen Industrie verrichtet. Es handelt sich um eine körperlich leichte Arbeit, die überwiegend im Sitzen mit zeitweiligem Gehen und Stehen, meist an Büro-(Schreib-)geräten, insbesondere elektronischen Datenverarbeitungsgeräten verrichtet wird. Zwangshaltungen wie Bücken, Knien und Hocken sind gelegentlich erforderlich. Ebenso kann bei Terminarbeiten gelegentlich Zeitdruck auftreten.

Die Ausübung dieser Tätigkeit erfordert üblicherweise eine dreijährige Berufsausbildung, die z.B. an der Schule für Medizinische Dokumentation am Institut für Med. Informatik der Uni Gießen angeboten wird. Die Ausbildung besteht aus theoretischem Unterricht und Übungen im Klassenverband, Praktika zwischen den einzelnen schulischen Ausbildungsabschnitten von insgesamt unterschiedlich mehreren Monaten Dauer in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie in der pharmazeutischen Industrie.

Es existiert außerdem noch der Ausbildungsberuf der medizinischen Dokumentationsassistentin (Dauer der Ausbildung nach Bundesland unterschiedlich geregelt z.B. in Baden-Württemberg 2 Jahre und in Sachsen 3 Jahre).

Die Aufgaben einer medizinischen Dokumentationsassistentin sind das Mitwirken in der medizinischen Basisdokumentation (Erfassung, Erschließung, Speicherung, Bereitstellung regelmäßig anfallender Daten), die Mitwirkung in der medizinischen Spezialdokumentation (Planung, Überwachung, Auswertung, Ergebnispräsentation von klinischen Prüfungen, Diagnosen usw.), das Mitwirken bei der Erstellung medizinisch-biologischer Statistiken (z.B. deskriptive Auswertung, präsentative Aufbereitung der jeweiligen Daten) das Mitwirken in DV-geprägten Aufgabenbereichen in der Medizin und (fachbezogen) der Literaturdokumentation, z.B. Informationsspeicherung, - archivierung, -gewinnung und das Durchführen allgemeiner Verwaltungs- und Organisationstätigkeiten.

Obwohl die Klägerin Kenntnisse im Umgang mit medizinischen Befunden, Röntgenbildern, Operations- und Arzneimittelbeschreibungen u.ä., Grundkenntnisse der medizinischen Dokumentation und Statistik, Registrieren, Zusammenstellen, Aufbereiten medizinischer Daten, Kenntnisse im Umgang mit Karteien, Ablagesystemen und Datenerfassungsgeräten sowie medizinische Grundkenntnisse und Kenntnis der medizinischen Fachsprache aufgrund ihres beruflichen Werdeganges haben dürfte, genügt aus berufskundlicher Sicht der Klägerin jedoch ein maximal dreimonatiger Einarbeitungszeitraum nicht um die Tätigkeiten einer medizinischen Dokumentationsassistentin bzw. Medizinischen Dokumentarin zu verrichten.

Telefonistin

Geprüft wurde noch die berufsfremde Tätigkeit einer Telefonistin, die zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist. Die Tätigkeit einer Telefonistin ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Ob die Klägerin die persönlichen Mindestvoraussetzungen mitbringt, kann nicht beurteilt werden. Jedoch können bei einer Tätigkeit als Telefonistin die Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Mitarbeiter in der Poststelle von Behörden und Firmen

Als weitere berufsfremde Alternative wurde noch die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in der Poststelle von Behörden und Firmen geprüft. Sofern die Post nicht zusätzlich vom Postamt geholt werden muss, sind die eingehenden Sendungen (z.B. Postsäcke, - körbe, -pakete) einschließlich der Hauspost (z.B. auch Akten) anzunehmen und zu öffnen. Der Inhalt muss entnommen, auf Vollständigkeit geprüft, großteils mit einem Eingangvermerk sowie - nach Feststellung des Empfängers - mit einem Weiterleitungsvermerk versehen und entsprechend sortiert werden. Die Verteilung im Haus wie auch das Einsammeln der Ausgangspost kann von den Mitarbeitern der Post miterledigt werden oder Boten übertragen sein. Üblicherweise ist jedoch die Ausgangspost zu sortieren, zu kuvertieren bzw. zu verpacken, korrekt zu frankieren und zur Abholung in Säcken, Körben o.ä. bereitzustellen oder ggf. auch selbst zum Postamt zu befördern. Verschiedentlich sind bei der Tätigkeit Maschinen (z.B. Brieföffnungs-, Kuvertier-, Frankiermaschinen) zu bedienen. Die Arbeiten erfordern in der Regel gelegentlich mittelschwere Belastbarkeit, vor allen Dingen im Hinblick auf die zu bewegenden Lasten. In diesem Zusammenhang wird auch Bücken verlangt. Ein Wechsel der Körperhaltung ist möglich, wobei Gehen sogar in beachtlichem Umfang, u.U. einschließlich Treppensteigen, anfällt, wenn die Post auch ausgetragen und eingesammelt wird. Die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in einer Poststelle ist sowohl in der Wirtschaft als auch im öffentlichen Dienst keinesfalls grundsätzlich auf der Ebene der qualifizierten Anlerntätigkeiten angesiedelt, sondern nach Schwierigkeitsgrad gestaffelt ab der untersten Ebene der Angestelltenberufe zu finden, z.B.
- Bundesentgelttarifvertrag für die Chemische Industrie: Entgeltgruppe E 1 = kurze Einweisung = Verteilen von Post, E 2 = Berufspraxis von bis zu 13 Wochen = Sortieren und Verteilen von Post, E 3 = Berufspraxis von 6 bis 15 Monaten = Postabfertigen;
- Gehaltstarifvertrag für die Angestellten des Speditions- und Transportgewerbes in Bayern: Gehaltsgruppe 1 = Einweisung am Arbeitsplatz = Postabfertiger, Gehaltsgruppe 2 = Berufsausbildung = Postabfertiger
- BAT VerGr X = Hilfsleistung bei der Postabfertigung, VerGr IXb = Postabfertigen, VerGr VIII = schwierigere Tätigkeit (im Vergleich zu den vorgenannten).

Unabhängig davon verfügt die Klägerin über keinerlei verwertbare Vorkenntnisse. Daher ist aus berufskundlicher Sicht davon auszugehen, dass sie die Ebene der qualifizierten Anlerntätigkeiten nicht im Rahmen einer maximal dreimonatigen Einarbeitung erreichen kann.

Andere Verweisungsmöglichkeiten, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, die der Klägerin gesundheitlich uneingeschränkt zumutbar sind und von ihr nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten ausgeübt werden können, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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