L 6 RJ 180/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
L 6 RJ 180/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Ihrer erneuten Anfrage zufolge bitten Sie um die Beantwortung folgender Fragen:

1. Ist anzunehmen, dass ein durchschnittlich Begabter bei zu unterstellendem guten Willen innerhalb einer Einarbeitungszeit von drei Monaten sich soweit von Rechtsschreiben auf Linksschreiben umgewöhnen kann, dass er kleinere schriftliche Notizen machen kann?
2. Trifft es wirklich zu, dass von einem einfachen Pförtner erwartet wird, zur Gefahrenabwehr mit Brachialgewalt einzugreifen? Ist es nicht eher so, dass zur Vermeidung von Personenschäden die Anweisung besteht, im Gefahrenfall die Polizei zu benachrichtigen und alles zu vermeiden, was zur eigenen Gefährdung führen könnte? 3. Gibt es in nicht unerheblicher Zahl Arbeitsplätze für einfache Pförtner, die der Kläger unter genauer Beachtung der qualitativen Einschränkungen seiner beruflichen Leistungsbreite, aber auch seiner verbliebenen Fähigkeiten ausfüllen kann?
4. Wie erklären Sie sich die behinderten Pförtner, die im realen Leben immer wieder anzutreffen sind und die für diese Arbeit durchaus geeignet erscheinen?
5. Trifft es wirklich zu (insbesondere wenn man an das in nicht unerheblicher Zahl anzutreffende weibliche Personal denkt), dass z.B. auch in großen Museen die Aufsichtspersonen schwer heben und tragen müssen?

Außerdem bitten Sie um Stellungnahme zur Argumentation der Beklagten (vgl. Stellungnahme von Dr. ^Schmidt^ vom 01.03.2000).
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Nach Rücksprache mit einem Berufsförderungszentrum, das Maßnahmen zum Linksschreibtraining durchführt, ist ein Umtrainieren von der rechten auf die linke Hand als Schreibhand grundsätzlich innerhalb von drei Monaten möglich. Technik und Feinmotorik der linken Hand als Schreibhand müssen jedoch trainiert werden. Mit entsprechender Hilfestellung wie Linksschreibtraining Grundkurs (Dauer 12 Tage) könnten die Anforderungen, die an die Schreibfähigkeit eines Pförtners gestellt werden, abgedeckt werden. Danach ist noch "Eigentraining" erforderlich.

In meiner Stellungnahme führte ich aus, dass beim Ausfüllen der Besucherscheine eine gewisse Fähigkeit zum Schreiben erforderlich ist und den Akten nicht entnommen werden kann, ob der Kläger, der nach eigenen Angaben Rechtshänder ist, dazu noch in der Lage ist. Außerdem führte ich aus, dass nicht beurteilt werden kann, ob der Kläger die persönlichen Mindestanforderungen für eine Tätigkeit als Pförtners mitbringt.

Aus berufskundlicher Sicht ist mir leider keine Aussage dazu möglich, ob anzunehmen ist, dass ein durchschnittlich Begabter bei zu unterstellendem guten Willen innerhalb einer Einarbeitungszeit von drei Monaten sich soweit von Rechtsschreiben auf Linksschreiben umgewöhnen kann, dass er kleinere Notizen machen kann.

Bei der Tätigkeit eines Pförtners ist bei der Gefahrenabwehr selbstverständlich nicht der Einsatz mit Brachialgewalt gemeint. Es sind jedoch bei gegebenem Anlass Feuerlöscher zu bedienen, Notausgänge zu öffnen und erforderlichenfalls ist unerwünschten Besuchern der Eintritt zu verwehren z.B. durch körperliches Abwehren wie in den Weg stellen bzw. gemäßigtes Abdrängen.

Hierbei kann die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderlich sein.

Wie in meiner Stellungnahme vom 14.02.2000 ausgeführt, existiert für die Tätigkeit eines einfachen Pförtners eine nennenswerte Zahl von auch Außenstehenden zugänglichen Arbeitsplätzen. Bei den Arbeitsplätzen für einfache Pförtner handelt es sich jedoch - wie ebenfalls in meiner Stellungnahme angegeben - häufig um Schonarbeitsplätze, die der innerbetrieblichen Besetzung durch leistungsgeminderte Beschäftigte vorbehalten sind, da die Tätigkeit eines Pförtners in der Regel weniger belastend ist als die Ausgangstätigkeit (z.B. in der Produktion).

Durch finanzielle Hilfen oder andere Hilfen (bei Schwerbehinderten durch Mehrfachanrechnung) können behindertengerechte Arbeitsplätze im Einzelfall erschlossen werden.

Bei der Verweisungstätigkeit als Museumswärter führte ich in meiner Stellungnahme vom 14.02.2000 aus, dass nach Auskunft von Museumsleitern die Mitarbeit beim Ab- und Aufbau von Ausstellungen, beim Transport und bei der Verwahrung von Objekten erforderlich ist.

Diese Anforderungen fallen in der Regel nur bei Ausstellungswechseln, d.h. in größeren zeitlichen Abständen an. Meine Beurteilung, dass die Leistungseinschränkungen des Klägers nicht immer und in vollem Umfang berücksichtigt werden können, erfolgte nicht, weil in großen Museen das Aufsichtspersonal schwer heben und tragen muss, sondern weil zwar nicht ständig, aber immer wieder die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderlich ist. Auch für den sorgfältigen Umgang mit kleineren, in der Regel nicht ersetzbaren Gegenständen kann auf die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände nicht verzichtet werden.

Zu den in dem Schreiben des Leiters der Abteilung Sozialmedizin der Beklagten vom 01.03.2000 zusätzlich genannten, teilweise bereits in meiner Stellungnahme vom 14.02.2000 ausgeführten Verweisungstätigkeiten wie Platzanweiser, Kinokartenverkäufer und -kontrolleur, Großgaragenkontrolleur, Spielhallenaufsicht, Telefonist, Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten und einfache Bürohilfstätigkeiten nehme ich aus berufskundlicher Sicht wie folgt Stellung:

Platzanweiser

Für das Anweisen von Plätzen in Theatern, Konzerthallen, Kinos, Stadien u. ä. sowie Öffnen und Schließen von Logen werden - wie bereits in meiner Stellungnahme vom 14.2.2000 ausgeführt - in der Regel keine Vollzeitkräfte angestellt.

In Kinos werden zu den Hauptzeiten Schüler und Rentner beschäftigt, die jedoch nur die Eintrittskarte kontrollieren. Die Plätze werden in größeren Kinos in der Regel telefonisch reserviert und sind nummeriert, so dass das Anweisen von Plätzen nicht erforderlich ist. Auch in kleineren Kinos sind die Plätze üblicherweise mit Nummern versehen. Sollte in Theatern, Konzerthallen oder Stadien noch die Tätigkeit eines Platzanweisers existieren, ist davon auszugehen, dass es sich ebenfalls nicht um eine Vollzeitbeschäftigung handelt.

Die Leistungseinschränkungen des Klägers können bei einer Tätigkeit als Platzanweiser weitgehend berücksichtigt werden.

Kinokartenverkäufer und -kontrolleur

Von Kinokartenverkäufern wird eine schnelle und zügige Ausgabe der Karten an den Kunden bzw. Abrechnung mit dem Kunden erwartet. Aus berufskundlicher Sicht ist die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände, insbesondere hinsichtlich der Feinmotorik erforderlich. Das Leistungsvermögen des Klägers, dessen rechte Hand nur noch für Hilfestellungen benötigt werden kann, jedoch mehr als nur als Beihand benutzt werden kann, entspricht nicht mehr den üblichen Anforderungen. Anzumerken ist, dass der Verkauf und die Kontrolle von Kinokarten üblicherweise durch Studenten, Schüler und Arbeitnehmer, die eine Zweitbeschäftigung auf der 630 DM Basis verrichten, erfolgt.

Großgaragenkontrolleur

Auch wenn die Aufgabe eines Großgaragenkontrolleurs überwiegend durch überwachende Tätigkeit gekennzeichnet ist, muss dennoch eine Tauglichkeit für Bereitschaftstätigkeit vorliegen.

Der Großgaragenkontrolleur ist für das gesamte Kassensystem zuständig. Wenn Automaten, Schranken nicht funktionieren, ist es Aufgabe des Großgaragenkontrolleurs, den Schaden festzustellen, falls möglich selbst zu beheben bzw. ggf. entsprechende Stellen zu informieren. Bei der Feststellung des Schadens bzw. bei der Behebung ist in der Regel die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderlich. Außerdem sind Müllsäcke auszuwechseln und der Eingang mit dem Besen zu reinigen. Die Garage selbst wird mit Maschinen gereinigt. Da der Großgaragenkontrolleur auch für die Erteilung von Auskünften zuständig ist, werden persönliche Mindestanforderungen an das kundenorientierte Verhalten wie Höflichkeit, Ausdrucksfähigkeit und Umgangsformen gestellt. Vorausgesetzt wird außerdem technisches Verständnis.

Aus berufskundlicher Sicht können bei der Tätigkeit eines Großgaragenkontrolleurs, auch unter genauer Beachtung der qualitativen Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers, aber auch seiner verbliebenen Fähigkeiten, die Leistungseinschränkungen nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Spielhallenaufsicht

In meiner Stellungnahme vom 14.2.2000 führte ich aus, dass die Tätigkeit einer Spielhallenaufsicht in der Regel körperlich leicht ist und im Stehen, Gehen und kurzfristig im Sitzen verrichtet wird und dass Wechselschicht üblich ist. Außerdem werden von Arbeitgeberseite bestimmte Mindestanforderungen an die Person wie z.B. Durchsetzungsvermögen und Zuverlässigkeit gestellt, häufig muss auch ein polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt werden. Ob der Kläger diese Voraussetzungen mitbringt, kann weiterhin von mir nicht beurteilt werden. Die Leistungseinschränkungen des Klägers können bei der Tätigkeit einer Spielhallenaufsicht, wie ebenfalls in meiner Stellungnahme vom 14.2.2000 ausgeführt, weitgehend berücksichtigt werden. Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Telefonist

Wie in meiner Stellungnahme vom 14.02.2000 ausgeführt, muss zumindest eine Hand so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Inwieweit der Kläger mit der linken Hand die erforderlichen Tätigkeiten ausführen kann und ob er die persönlichen Voraussetzungen mitbringt, kann aus berufskundlicher Sicht nicht beurteilt werden. Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten

Gerade bei Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten ist die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderlich. Für diese körperlich leichten Tätigkeiten werden bevorzugt Frauen beschäftigt, da ihnen ein größeres Feinhandgeschick unterstellt und dabei eine höhere Arbeitsgeschwindigkeit erwartet wird.

einfache Bürohilfstätigkeiten

Durch den zunehmenden Einsatz von EDV und moderner Bürokommunikation sind einfache Bürohilfstätigkeiten- wie in meiner Stellungnahme vom 14.02.2000 ausgeführt - rückläufig. Der Wechsel von bisher ausschließlich gewerblicher Arbeit auf Bürotätigkeiten erfordert erfahrungsgemäß ein erhöhtes Maß an Umstellungsfähigkeit, wobei auf Arbeitgeberseite üblicherweise keine Bereitschaft besteht, minderbelastbare, gewerbliche, männliche Arbeitnehmer für solche Arbeiten neu einzustellen.

Allgemein ist anzumerken, dass es sich bei den von mir gefertigten berufskundlichen Stellungnahmen um umfassende und objektive Beschreibungen der Tätigkeiten mit Belastungen und Anforderungen handelt, die üblich sind und auftreten können, die aber nicht alle auf jedem Arbeitsplatz auftreten müssen. Diese Form der Darstellung ermöglicht es allen Beteiligten, dies auf den Einzelfall zu beziehen und zu bewerten.
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