L 5 RJ 115/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
L 5 RJ 115/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Die bei der Rentenantragstellung 45jährige Klägerin hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Bis zu ihrer Arbeitsunfähigkeit am 16.04.1996 war sie als Küchenhilfe und Fabrikarbeiterin tätig.

Ihrer Anfrage zu Folge stellt sich das Leistungsvermögen der Klägerin wie folgt dar:
- vollschichtig leichte Arbeiten
- ohne schwere und mittelschwere Arbeiten
- ohne Zeitdruck
- ohne Einzel- oder Gruppenakkord
- ohne Fließband- sowie taktgebundene Arbeiten
- ohne Wechselschicht und Nachtarbeiten
- ohne überwiegend in Zwangshaltungen
- ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel
- ohne Treppen- und Leiternsteigen
- ohne Arbeiten mit Gefährdung an laufenden Maschinen
- nicht überwiegend im Freien
- ohne Einwirkung von Nässe, Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen
- ohne Einwirkung von Lärm, Staub, Gas, Dampf, Rauch und Reizstoffen
- ohne besondere Anforderungen an den Gleichgewichtssinn

Wegen der Zuckerkrankheit werden zusätzliche Pausen zur Blutzuckerselbstmessung sowie Einnahme von Zwischenmahlzeiten benötigt. Daher sind weitere Arbeitspausen von 15 Minuten am Vormittag sowie 15 Minuten am Nachmittag notwendig.

Der GdB beträgt 50 %.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Das Sozialgericht Augsburg verurteilte in der mündlichen Verhandlung am 22.10.1998 die Beklagte zur Zahlung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 01.11.1996 bis 31.10.1999, da für die Klägerin der Arbeitsmarkt verschlossen ist.

In ihrer Berufungsbegründung vom 25.03.1999 führt die Beklagte aus, dass die Klägerin die Tätigkeit einer Nebenpförtnerin bzw. einer Verpackerin von Kleinteilen in der Elektroindustrie ausüben kann, da der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit eigenverantwortlich zur Vornahme von Tätigkeiten, wie sie aus Sicht des Sozialgerichts für die Klägerin aus medizinischen Gründen erforderlich sind, unterbrechen könne.

Ihrer Anfrage nach ist zu prüfen, ob es Arbeitsplätze, die dem verbliebenen Leistungsvermögen der Klägerin entsprechen, in nennenswerter Zahl gibt. Außerdem bitten Sie um Stellungnahme im Hinblick auf die durch die Zuckerkrankheit bedingten zusätzlichen Pausen. Insbesondere ist die Frage zu beantworten, ob die Klägerin die Tätigkeiten als Nebenpförtnerin und/oder Verpackerin aus berufskundlicher Sicht noch ausüben kann, und ob geeignete Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang vorhanden sind.

Unabhängig davon, ob die nachfolgend beschriebenen Tätigkeiten dem physischen und psychischen Leistungsvermögen der Klägerin entsprechen, ist hinsichtlich dem Erfordernis von unüblichen Pausen folgendes auszuführen.

Bei Zeitlohnarbeiten in normaler Arbeitszeit, wie sie die Klägerin noch zu leisten imstande ist, wird üblicherweise eine mindestes stündige Mittagspause und nicht selten daneben im Lauf des Vormittags eine ca. 15minütige Frühstückspause gewährt.

Wenn die erforderliche Zuckerkontrolle vormittags während der nicht selten gewährten aber vom Arbeitgeber zu einem bestimmten Zeitpunkt festgesetzten 15minütigen Frühstückspause erfolgen kann, wäre noch eine weitere Pause am Nachmittag zur Zuckerkontrolle notwendig.

Eine Arbeitszeitregelung, die zusätzlich zu den betriebsüblichen Pausen weitere Pausen vorsieht, fand sich noch bei keinem der im Laufe vieler Jahre dazu befragten Betriebe. Entsprechende Sonderregelungen würden den Betriebsablauf erheblich behindern. Pausen sind grundsätzlich keine bezahlte Arbeitszeit. Zusätzliche betriebsunübliche Pausen würden daher bei Vollzeitarbeit eine Verschiebung des Arbeitsbeginns und/oder des Arbeitsendes erfordern, was organisatorisch oft gar nicht möglich ist.

Neben den betriebsüblichen Pausen werden Arbeitnehmern in gewissem Umfang sog. Verteilzeiten zugestanden. Dazu rechnen z.B. der Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten bzw. Aufräumen des Arbeitsplatzes, das Aufsuchen der Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw. Bei Leistungslohn-/Akkordarbeiten ist nicht selten zumindest ein Teil dieser Verteilzeiten in Form von zusätzlichen Kurzpausen institutionalisiert. Der Klägerin können derartige Arbeiten aber nicht mehr zugemutet werden, da sie keine Arbeiten mehr unter Zeitdruck sowie taktgebundene Arbeiten verrichten kann.

Insgesamt kann aber nicht ohne weiteres als selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass im Rahmen der Verteilzeiten auf Arbeitsplätzen ohne Leistungslohn Blutzuckerkontrollen, ggf. Insulininjektionen bzw. die Einnahme von kleinen Zwischenmahlzeiten möglich sind. Ob dies realisierbar ist, hängt von der Akzeptanz durch den Arbeitgeber und von der Art der Tätigkeit ab. Selbst wenn Blutzuckerkontrollen und ggf. Insulininjektionen bzw. die Einnahme von kleinen Zwischenmahlzeiten realisierbar und geduldet sind, ist eine freie Zeiteinteilung der notwendigen Pausen für Zuckerkranke, wie sie die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung vom 25.03.99 ausführt, entsprechend den gesundheitlichen Erfordernissen nicht immer gewährleistet. Derartige Rücksichtnahme ist im Arbeitsleben zwar zu finden, wird aber erfahrungsgemäß meist nur bereits beschäftigten Arbeitnehmern zuteil, denen gegenüber eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers besteht. Eine Außenstehende - wie die Klägerin - bei der zusätzlich noch andere Leistungseinschränkungen zu berücksichtigen sind, hat unter diesen Voraussetzungen üblicherweise keinen Zugang zu solchen Arbeitsplätzen.

Nebenpförtner

In ihrer Berufungsbegründung vom 25.03.99 nennt die Beklagte die Tätigkeit eines Nebenpförtners als zumutbare Verweistätigkeit.

Allgemein ist zur Tätigkeit eines Pförtners aus berufskundlicher Sicht folgendes auszuführen: Der Trend geht weg vom einfachen Pförtner. Ursachen dafür liegen u.a. in der Entwicklung von Schließsystemen, die z.B. an reinen Personaleingängen die Zutrittsregelung durch einen Pförtner überflüssig machen, indem die Mitarbeiter den Eingang durch eine Codekarte, die u.U. gleichzeitig Dienstausweis und Mittel zur Zeiterfassung ist, selbst öffnen. Wo noch Pforten existieren, stellen sie immer häufiger eine technische Leitzentrale dar, in der Telefonanlage, Alarm- und Brandmeldesysteme, Rufanlage, Aufzugsnotruf usw. installiert sind. Der Pförtner ist nicht selten eine Werkschutzfachkraft, der neben ggf. der Ein- und Ausgangskontrolle der Betriebsangehörigen die Abfertigung von Besuchern und Lieferanten obliegt, außerdem die Durchführung von Öffnungs- und Schließdiensten und von Kontrollgängen, die Überwachung der Einhaltung von Feuerschutz- und Arbeitssicherheitsbestimmungen, das Ergreifen entsprechender Maßnahmen (z.B. Zutrittsverweigerung, Verständigung von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Erste Hilfe, Brandbekämpfung, Evakuierung usw.) und unter Umständen noch einiges mehr. Auf anderen Pförtnerarbeitsplätzen, vor allem bei Behörden, Verwaltungen u.ä., liegt der Schwerpunkt im Besucherempfang und in der Auskunftserteilung. Hier sind häufig Büroarbeiten (Postabfertigung, Ablage, Schreibarbeiten usw.) mit zu verrichten.

Entsprechend unterschiedlich sind die Belastungen bei der Tätigkeitsausübung und die Anforderungen, die an das gesundheitliche Leistungsvermögen, die Vorkenntnisse und die Persönlichkeit gestellt werden.

Stellen für einfache Pförtner gibt es trotzdem noch in nennenswerter Zahl. Obwohl sie häufig als Schonarbeitsplätze gelten und der innerbetrieblichen Besetzung durch leistungsgeminderte Beschäftigte vorbehalten sind, haben dennoch auch Außenstehende in nennenswertem Umfang Aussichten, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Auch auf diverse Leistungsminderungen kann häufig Rücksicht genommen werden. So ist oft leichte Belastbarkeit ausreichend. Zwangshaltungen, Bücken, Heben und Tragen, Treppensteigen, Arbeit auf Leitern und an Maschinen kann dabei vielfach ausgeschlossen werden. Allerdings ist - bis auf eine kleine Zahl von Arbeitsplätzen hauptsächlich im Büro- und Verwaltungsbereich - weitestgehend Schichtarbeit üblich, nicht selten sogar rund um die Uhr und/oder mit auf 12 Stunden verlängerten Schichten. Belastungen durch Witterungseinflüsse, Zugluft oder Temperaturschwankungen sind aber nicht immer ganz zu vermeiden. Auch Zeitdruck ist (z.B. bei Arbeitsbeginn und -ende, Schichtwechsel, größerem Besucherandrang) nicht auszuschließen.

Da der Pförtner für Kunden, Besucher, Lieferanten, ggf. Anrufer usw. in der Regel der erste Ansprechpartner eines Unternehmens, einer Behörde etc. ist, werden auch bestimmte Mindestanforderungen an Umgangsformen, Auftreten, äußeres Erscheinungsbild u.ä. gestellt. Die Klägerin müsste Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit, eine gewisses Maß an Flexibilität, Umsicht und Durchsetzungsvermögen mitbringen und in der Lage sein, sich ausreichende Kenntnisse des Betriebes, der Behörde usw. anzueignen. Ob die Klägerin die persönlichen Mindestanforderungen mitbringt, kann aus berufskundlicher Sicht nicht beurteilt werden.

Die Leistungseinschränkungen der Klägerin können bei einer Tätigkeit als Pförtnerin - unabhängig von den erforderlichen Pausen - nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Insbesondere weil vom Pförtner die Zutrittsregelung erfolgt, können erforderliche Pausen zur Blutzuckerkontrolle oder ggf. Einnahme von kleineren Zwischenmahlzeiten, entsprechend dem gesundheitlichen Erfordernis nicht jederzeit vorgenommen werden.

Aus berufskundlicher Sicht ist bei Würdigung aller Aspekte davon auszugehen, dass es keine nennenswerte Zahl von auch Außenstehenden zugänglichen Pförtnerarbeitsplätzen im Bundesgebiet gibt, die die Klägerin trotz ihrer Leistungsminderungen noch ausfüllen könnte.

Verpackerin von Kleinteilen in der Elektroindustrie

Die Beklagte nennt in ihrer Berufungsbegründung 25.03.99 die Tätigkeit einer Verpackerin von Kleinteilen in der Elektroindustrie als weitere zumutbare Verweisungstätigkeit.

In der industriellen Fertigung vorkommende Verpackungsarbeiten können körperlich leicht sein, in der Regel dann, wenn mit kleinen Teilen umzugehen ist. Die Arbeiten sind aber weitgehend in einseitiger Körperhaltung (entweder im Sitzen oder Stehen) zu verrichten. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist möglich, wenn die zu bearbeitenden Teile selbst an- und abtransportiert werden müssen, jedoch fällt u.U. auch schwerere Hebe- und Tragebelastung an.

Die Tätigkeiten in diesem Bereich erfordern nicht selten Schichtarbeit und werden in der Regel im Akkord oder unter akkordähnlichen Bedingungen bzw. am Fließband verrichtet. Unabhängig von den erforderlichen Pausen, entspricht das Leistungsvermögen der Klägerin für eine Tätigkeit als Verpackerin von Kleinteilen in der Elektroindustrie nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Hinsichtlich der Möglichkeit der Blutzuckerkontrolle, ggf. dem Vornehmen von Insulininjektionen und der Einnahme kleinerer Zwischenmahlzeiten verweise ich auf meine allgemeinen Ausführungen zu unüblichen Pausen.

Auch bei der Tätigkeit einer Verpackerin von Kleinteilen in der Elektroindustrie ist aus berufskundlicher Sicht bei Würdigung aller Aspekte davon auszugehen, dass es keine nennenswerte Zahl von auch Außenstehenden zugänglichen Arbeitsplätzen im Bundesgebiet gibt, die die Klägerin trotz ihrer Leistungsminderungen noch ausfüllen könnte.
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