S 17 RJ 562/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 17 RJ 562/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der erneuten Rentenantragstellung 47jährige Kläger hat von 02.08.65 - 2/69 den Beruf des Kfz-Mechanikers erlernt und anschließend ausgeübt.

Vom 13.11.97 - 31.12.98 erhielt der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Die Beklagte ging im Bescheid vom 13.11.98 von folgendem Leistungsvermögen aus:
- vollschichtig leichte hervorgehobene Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
- überwiegend im Sitzen
- ohne Knien
- ohne witterungsausgesetzter Arbeit

Im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 14.06.99 wird folgende Leistungsfähigkeit angegeben:
- vollschichtig leichte Arbeiten
- im Wechselrhythmus (überwiegend im Sitzen)
- ohne Knien
- ohne häufige Überkopfarbeit

Nach dem Gutachten von Dr. ^Günther^ vom 04.05.2000 ist von folgendem Leistungsvermögen auszugehen:
- körperlich leichte Erwerbstätigkeiten
- vornehmlich im Sitzen oder in gelegentlich wechselnder Körperhaltung
- ohne stärkere Belastungen des rechten Armes (wie z.B. schweres Heben)
- ohne längeres Stehen und Gehen

Außerdem gibt Dr. ^Günther^ in seinem Gutachten an, dass der Kläger die noch ortsüblichen Anmarschwege zur Arbeitsstätte zu Fuß von mehr als 500m nicht mehr innerhalb eines Zeitraumes von 20 Minuten zurücklegen kann. Öffentliche Verkehrsmittel können jedoch benutzt werden, auch die Verwendung eines privaten Pkw erscheint zumindest für die Strecken zur Arbeit möglich.

Der GdB beträgt 60 mit dem Merkzeichen "G".
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Im Bescheid vom 13.11.98 nennt die Beklagte die Tätigkeit eines Kontrolleurs, eines Arbeitsprüfers in der Automobilindustrie als zumutbare Verweisungstätigkeit. Als weitere geeignete Berufe nennt die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 14.06.99 den Reparaturabrechner, den Verkaufsdisponenten und den Werkzeug-, Waren- oder Materialausgeber in der Metall-/ Kunststoffverarbeitung. Im Schriftsatz vom 30.05.2000 gibt die Beklagte eine Tätigkeit als Telefonist, als Qualitäts- oder Maßprüfer in der metallverarbeitenden Industrie und als Lagerverwalter an.

Ihrer Anfrage zufolge ist die Frage zu beantworten, ob der Kläger insbesondere noch auf die Tätigkeiten eines Telefonisten, eines Qualitäts- oder Maßprüfers in der metallverarbeitenden Industrie, eines Lagerverwalters, eines Reparaturabrechners und eines Werkzeug-, Waren- oder Materialausgebers in der Metall- und Kunststoffverarbeitung verwiesen werden kann.

Telefonist

Die Beklagte verweist den Kläger im Schriftsatz vom 30.05.2000 auf die Tätigkeit eines Telefonisten, die zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist. Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet.

Die Beklagte gibt an, dass Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind (z.B. in Krankenhäusern, Verwaltungen, Industriebetrieben). Hier handelt es sich üblicherweise jedoch um eine reine Telefonistentätigkeit, die ausschließlich im Sitzen verrichtet wird. In kleineren Betrieben ist es möglich, dass der Telefonist ein Faxgerät bedient und nebenbei auch noch andere einfache bürotechnische und kaufmännische Arbeiten übernimmt. Dem Kläger, der im Laufe seines Berufslebens ausschließlich als Kfz-Mechaniker tätig war, genügt ein maximal dreimonatiger Einarbeitungszeitraum nur für eine reine Telefonistentätigkeit, bei der keine anderen Aufgaben zu erledigen sind. Nach dem ärztlichen Gutachten von Dr. ^Günther^ vom 04.05.2000 ist der Kläger noch in der Lage, vornehmlich Tätigkeiten im Sitzen oder in gelegentlich wechselnder Körperhaltung zu verrichten. Ob durch ausschließliches Sitzen das Leistungsvermögen des Klägers zeitweise überschritten wird und ob der Kläger die persönlichen Mindestanforderungen mitbringt, kann aus berufskundlicher Sicht nicht beurteilt werden. Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Qualitäts- oder Maßprüfer in der metallverarbeitenden Industrie

Vom Beruf des Kfz-Mechanikers ausgehend wäre noch die Verweisbarkeit auf Kontrolltätigkeiten z.B. in der Automobilindustrie zu prüfen.

Die Beklagte verweist den Kläger im Bescheid vom 13.11.98 auf die Tätigkeit eines Kontrolleurs, Arbeitsprüfers in der Automobilindustrie. Im Schriftsatz vom 30.05.2000 nennt sie als weitere zumutbare Verweisungstätigkeit den Qualitäts- oder Maßprüfer in der metallverarbeitenden Industrie. Obwohl der Kläger offenbar keine Erfahrung in der industriellen Fertigung hat, kann dennoch davon ausgegangen werden, dass nach bis zu dreimonatiger Einarbeitung in der Automobil- oder Zuliefer-, evtl. aber auch in der Metallindustrie allgemein ein Ansatz zumindest auf der Ebene der Anlernberufe möglich ist.

Aufgrund des Einsatzes automatischer Prüfeinrichtungen, verbesserter Produktionsverfahren und anderer Arbeitsorganisationsformen nimmt die Zahl reiner Kontrollarbeitsplätze jedoch ab.

Bei dem Umfang, den die Metallindustrie im weitesten Sinn unter den Wirtschaftszweigen des Bundesgebietes hat, kann dennoch davon ausgegangen werden, dass Arbeitsplätze für Qualitätskontrolleure auf der Qualifikationsstufe der Anlerntätigkeiten und der Facharbeiterberufe noch in nennenswertem Umfang existieren.

Prüftätigkeiten beinhalten sehr häufig geringere körperliche Belastungen als Fertigungstätigkeiten und eignen sich daher besonders zur Umsetzung leistungsgeminderter Mitarbeiter, die aus sozialen Erwägungen oder aufgrund tarifvertraglicher Regelungen (z.B. Unkündbarkeit) weiterbeschäftigt werden sollen. Arbeitgeber berichten jedoch immer wieder, dass es zunehmend schwieriger wird, leidensgerechte Ansatzmöglichkeiten für eine wachsende Zahl von gesundheitlich beeinträchtigten Beschäftigten zu finden; z.T. werden sogar Wartelisten geführt.

Daneben wird ein Ansatz als Kontrolleur oft als beruflicher Aufstieg betrachtet. Aus personalpolitischen Erwägungen (z.B. dadurch Motivierung der Mitarbeiter und günstige Auswirkungen auf das Betriebsklima) wird diese Chance bevorzugt und soweit als möglich den eigenen Mitarbeitern eröffnet. Neben der fachlichen Qualifikation allgemein ist jedoch auch betriebsspezifisches Wissen über Produkt, Fertigungsverfahren, Betriebsorganisation und Arbeitsabläufe für die Aufgabenerfüllung Voraussetzung oder zumindest von erheblichem Vorteil, da sich z.B. Einarbeitungszeiten dadurch verkürzen oder gar erübrigen.

Aus den genannten Gründen werden Kontrollarbeitsplätze bevorzugt und weitestgehend innerbetrieblich besetzt. Außenstehende Bewerber haben üblicherweise nur Zugang zu entsprechenden Stellen, z.B. wenn sie (bei in der Regel voller Leistungsfähigkeit) über einschlägige besondere Qualifikationen oder Erfahrungen als Kontrolleur verfügen. Für nicht so qualifizierte und zusätzlich leistungsgeminderte Bewerber können geeignete Arbeitsplätze nur vereinzelt durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen (z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen) erschlossen werden.

Für Kontrolltätigkeiten werden in der Regel gutes Nahsehvermögen, beidhändiges Handgeschick und Fingerfertigkeit, möglichst nicht eingeschränkte Funktionstüchtigkeit eines, besser beider Arme verlangt. Außerdem stellen Kontrolltätigkeiten hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Genauigkeit, das Konzentrationsvermögen und Verantwortungsbewusstsein usw.

Obwohl Arbeitsplätze in nennenswertem, wenn auch geringer werdenden Umfang auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind, ist - wie bereits ausgeführt - außenstehenden leistungsgeminderten Bewerbern, die nicht über einschlägige besondere Qualifikationen oder Erfahrungen als Kontrolleur verfügen, der direkte Zugang erfahrungsgemäß nicht möglich.

Lagerverwalter

Ausgehend vom Beruf des Kfz-Mechanikers könnte an die Verwaltung eines Ersatzteillagers gedacht werden.

Je nach Größe, Sortimentsumfang und Aufgabenstellung finden Arbeitskräfte unterschiedlicher Qualifikation - vom qualifiziert Angelernten bis zum Meister - Ansatz (z.B. Beschäftigungsgruppe II oder III des Tarifvertrages des Bayerischen Kfz-Gewerbes). Zu seinen Aufgaben gehört u.a. die Lagerung von Kfz-Ersatzteilen und Zubehör, die Abgabe an die Kfz-Handwerker in der Werkstatt, aber auch der Verkauf an Außenstehende. Die Tätigkeit ist im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen zu verrichten, erfordert aber bei Regalarbeit auch Bücken und Besteigen von Leitern sowie Heben und Tragen von Lasten, die sich nicht auf leicht begrenzen lassen.

Es müssen kaufmännische, Verwaltungs-, Büro- und inzwischen in der Regel EDV-Kenntnisse erworben werden, wozu ein Zeitraum von maximal drei Monaten trotz der verwertbaren kraftfahrzeugtechnischen Vorkenntnisse des Klägers erfahrungsgemäß nicht ausreicht.

Die Beklagte benennt im Zusammenhang mit der Verweisungstätigkeit des Lagerverwalters das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichtes vom 24.03.92 - L 11 Ar 811/90. Meines Wissens und nach den Ausführungen der Beklagten (Bl. 66 Klageakte) wird in diesem Urteil davon ausgegangen, dass die Tätigkeit eines Lagerverwalters zum großen Teil im Sitzen am Bildschirm ausgeübt wird und eine Einweisung von wenigen Tagen durch andere Betriebsangehörige genügt. Diese Auffassung kann aus berufskundlicher Sicht nicht geteilt werden, wie den obigen Ausführungen zu entnehmen ist.

Reparaturabrechner

Die Rechnungserstellung erfolgt anhand des Arbeitsauftrages, der von den Kfz-Mechanikern in den Arbeitszetteln eingetragenen Angaben, der von den Herstellern vorgegebenen Zeitfaktoren, Arbeitswerten und pauschalierten Preisvorgaben, verschiedener Preislisten usw. zunehmend unter Einsatz der EDV. Die Tätigkeit ist körperlich leicht, wird annähernd ausschließlich im Sitzen, zum Teil sogar verbunden mit Zwangshaltungen (an der Schreibmaschine, am Computer) verrichtet. In der Regel werden dafür kaufmännische Kräfte beschäftigt. Auch dürfte der Kläger aufgrund seines beruflichen Werdeganges nicht über die für diese Tätigkeit zunehmend erforderlichen EDV-Kenntnisse verfügen. Aus berufskundlicher Sicht genügen dem Kläger, der ausschließlich als Kfz-Mechaniker tätig war, drei Monate Einarbeitungszeit nicht, um auf zumutbarer Qualifikationsebene angesetzt werden zu können. Daher ist in diesem Bereich keine geeignete berufliche Alternative erkennbar.

Werkzeug-, Waren- oder Materialausgeber in der Metall- und Kunststoffverarbeitung

Je nach Betriebsgröße, Sortimentsumfang und Aufgabenstellung ist die Tätigkeit des Werkzeug-, Waren- oder Materialausgebers der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe zuzuordnen. Die Arbeiten sind leicht bis mittelschwer, teilweise u.U. sogar schwer, vor allem hinsichtlich der auftretenden Hebe- und Tragebelastungen. Stehen und Gehen überwiegt in der Regel meist deutlich überwiegt. Vornehmlich Sitzen oder gelegentlich wechselnde Körperhaltung ist bei dieser Tätigkeit nicht üblich. Dazu ist Bücken oft erforderlich und außerdem Recken einschl. Hantieren über Kopfhöhe sowie nicht selten sogar Besteigen von Leitern nicht auszuschließen. Gehört Werkzeugpflege und Instandsetzung mit zu den Aufgaben, können auch zeitweise Zwangshaltungen auftreten. Anzumerken ist, dass entsprechende Stellen allerdings nicht selten innerbetrieblich mit leistungsgeminderten Beschäftigten besetzt werden, da die Belastungen im Vergleich zum Ausgangsberuf doch geringer sind. Es handelt sich jedoch nicht ausschließlich um typische Schonarbeitsplätze. Insgesamt genügt das Leistungsvermögen des Klägers nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Verkaufsdisponent

Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid vom 14.06.99 noch die Tätigkeit eines Verkaufsdisponenten als geeignete berufliche Alternative genannt.

Die Tätigkeit eines Disponenten beinhaltet die Ermittlung, Feststellung und Zusammenfassung des Warenbedarfs. Er disponiert Art, Menge, Qualitäten und Termine in Zusammenarbeit mit der bzw. den Verkaufsabteilungen. Außerdem gehört die Überwachung der Lagerbestände zu seinen Aufgaben. Zunehmend erfolgt die Erledigung der Aufgaben mit Hilfe der EDV.

Es handelt sich um eine sehr stressbetonte, verantwortungsvolle, häufig unter Zeitdruck zu verrichtende körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen ausgeübt wird.

Der Kläger dürfte über die in diesem Bereich erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und EDV-Kenntnisse nicht verfügen. Disponenten sind üblicherweise mit besonderen Vollmachten ausgestattete kaufmännische Angestellte.

Anzumerken ist, dass der Kläger aufgrund seines beruflichen Werdeganges die Position eines Disponenten üblicherweise nicht im Rahmen der zumutbaren Einarbeitung ausfüllen kann.
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