S 12 RJ 146/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 12 RJ 146/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 52jährige Kläger hat von 10.08.59 - 09.08.62 den Beruf des Maurers erlernt und anschließend ausgeübt.

Dr. ^Gram^ beschreibt das Leistungsvermögen in seinem Gutachten vom 20.08.2001 wie folgt:
- vollschichtig leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten
- im Wechselrhythmus
- in geschlossenen Räumen
- ohne Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten
- ohne häufiges Bücken
- ohne häufiges Treppensteigen mit Belastung
- nicht am Fließband
- nicht an laufenden Maschinen, ohne Eigen- und Fremdgefährdung

Auf Seite 18 seines Gutachtens gibt Dr. ^Gram^ u.a. an, das davon auszugehen ist, dass auch die rechte Hand (bei dem Rechtshänder) aufgrund der Funktionsstörungen aber auch der Sensibiltätsstörungen als zuarbeitende Hand nur äußerst eingeschränkt benutzbar ist. Es ist also bei der Suche nach einem Arbeitsplatz von einem Einhänder auszugehen (gelernter Linkshänder)
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Im Bescheid vom 22.10.1998 hat die Beklagte den Kläger auf die Tätigkeiten eines Werkzeug- und Materialausgebers in der Metall- und Elektroindustrie, eines Lagerverwalters/Magaziners im Baustoffhandel und eines Gabelstaplerfahrers in Werk- und Fabrikhallen verwiesen.

Im Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999 nennt die Beklagte Arbeiten in einem Fertigteilebetrieb und die Tätigkeit eines Instrumentenableser als weitere zumutbare Verweisungstätigkeiten.

Die Beklagte verweist den Kläger im Schriftsatz vom 03.12.2001 (Bl. 76/77 Klageakte) auf folgenden Tätigkeiten.
- Lagerverwalter (nicht Lagerarbeiter)
- Telefonist
- Gabelstapler-Fahrer (mit behindertengerecht ausgerüstetem Fahrzeug)
- Instrumentenableser
- Material- und Werkzeugausgeber

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Mitteilung, ob diese Tätigkeiten der Gruppe des Mehrstufenschemas mit dem Leitberuf des Angelernten bzw. des wegen der Qualität ihrer Tätigkeit Gleichgestellten entsprechen. Außerdem bitten Sie um Beantwortung der Frage, welche gesundheitlichen und fachlichen Anforderungen an diese Tätigkeiten gestellt werden und ob der Kläger diesen Anforderungen aus berufskundlicher Sicht unter Berücksichtigung der vom Sachverständigen auf Bl. 37 ff Klageakte genannten gesundheitlichen Einschränkungen genügt und ob insbesondere die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer Einarbeitungszeit von höchstens drei Monaten erworben werden können?

Lagerverwalter (nicht Lagerarbeiter)

Die Verwaltung eines Lagers beinhaltet u.a. die genaue Kenntnis der auf Lager befindlichen Waren, Materialien, Geräte, Werkzeuge, (Teil-) Produkte und ihrer Kennzeichnung. Eingehende Lieferungen müssen hinsichtlich Vollständigkeit und Qualität kontrolliert, ggf. Reklamationen veranlaßt, die Waren gekennzeichnet und unter Beachtung von Lagervorschriften, Sicherheitsbestimmungen und möglicherweise gesetzlichen Regelungen ordnungsgemäß ins Lager einsortiert werden. Die Waren sind auf Anforderung oder nach Anweisung auszugeben bzw. ihre Auslieferung oder der Versand zu veranlassen. Zunehmend finden in der Verwaltung wie auch in der eigentlichen Lagerhaltung EDV-Systeme Verwendung.

Die Tätigkeit wird im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen verrichtet. Je nach Größe und technischer Ausstattung des Lagers und abhängig, ob und ggf. wie viele Hilfskräfte dem Lagerverwalter zur Verfügung stehen, variiert der jeweilige Anteil der organisatorischen, kaufmännischen und verwaltenden Arbeiten und der Anteil der Mitarbeit bei den eigentlichen Lagerarbeiten. Die kaufmännisch-verwaltenden Tätigkeiten sind üblicherweise körperlich leicht, die eigentlichen Lagerarbeiten bis mittelschwer, z.T. schwer. Bücken, Überkopfarbeit, Besteigen von Leitern, bis schweres Heben und Tragen sind keineswegs seltene Belastungen. Die notwendigen kaufmännischen, organisatorischen und bürotechnischen Kenntnisse können unter Berücksichtigung des beruflichen Werdeganges des Klägers erfahrungsgemäß nicht im Rahmen einer max. dreimonatigen Einarbeitung vermittelt werden. Nach den Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 03.12.2001 wird die Tätigkeit eines Lagerverwalters zum großen Teil im Sitzen, jedoch nicht überwiegend am Bildschirm ausgeübt. Der Lagerverwalter müsse die EDV-Nummern der Ersatzteile kennen, eingeben und wieder abrufen können. Hierfür genüge eine Einweisung von wenigen Tagen durch andere Betriebsangehörige. Diese Auffassung kann aus berufskundlicher Sicht nicht geteilt werden, wie den obigen Ausführungen zu entnehmen ist.

Telefonist

Die Beklagte verweist den Kläger auf die Tätigkeit eines Telefonisten, die zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist. Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen, keinesfalls im Wechselrhythmus ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muß so geschickt und belastbar sein, daß die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Auch wenn der Kläger in der Lage sein sollte, die erforderlichen Arbeiten mit der linken Hand zu erledigen, ist ihm eine Telefonistentätigkeit aus berufskundlicher Sicht aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr uneingeschränkt zumutbar, da sie ausschließlich im Sitzen verrichtet wird.

Gabelstapler-Fahrer (mit behindertengerecht ausgerüstetem Fahrzeug)

Diese Tätigkeit ist körperlich leicht und wird ausschließlich im Sitzen verrichtet. Insbesondere muß der Gabelstaplerfahrer bei seinen Aufgaben längere Zeit die gleiche Sitzhaltung beibehalten, da ein Wechsel der Sitzhaltung nur sehr beschränkt möglich ist und die Sitzflächen meist hart sind. Eine besondere Belastung stellen die Erschütterungen und die mechanischen Schwingungen (Vibrationen) dar. Chronische Beschwerden treten vor allem im Bereich der unteren Wirbelsäule auf. Die mentale und emotionale Beanspruchung des Fahrers bei Gabelstaplereinsatz ergibt sich aus den Erfordernissen einer vorschriftsmäßigen Bedienung (Lenk- und Fahrverhalten), der Arbeitsverrichtungen beim Laden und Stapeln, der Standsicherheit sowie der Wartung und Pflege, der Betriebssicherheitskontrolle, der Mängelerkennung u.v.a. Ständige Konzentration ist erforderlich. Auch müssen die Arbeiten nicht selten unter Zeitdruck erledigt werden.

Die tägliche Einsatzprüfung des Fahrzeugs sowie der Fahrbetrieb mit Aufnehmen und Absetzen der Last erfordert eine ausreichende Intelligenz und eine hohe Gewissenhaftigkeit. Ein gutes Reaktionsvermögen, Organisationstalent, Geduld, Ausdauer und Kontaktfähigkeit sind weitere Eignungsvoraussetzungen für eine Tätigkeit als Gaplerstaplerfahrer.

Auch wenn die Tätigkeit eines Gaplerstaplerfahrers mit einen behindertengerecht ausgerüsteten Fahrzeug durchgeführt würde, entspricht sie dennoch nicht mehr dem Leistungsvermögen des Klägers, der noch Arbeiten im Wechselrhythmus verrichten kann.

Die Tätigkeit eines Gabelstaplerfahrers ist auch ohne Vorkenntnisse - wie im Falle des Klägers - innerhalb von drei Monaten erlernbar. Tarifvertraglich ist sie unterschiedlich bewertet, teilweise (z.B. chemische Industrie oder Speditionsgewerbe) wird sie den kurzfristig angelernten Tätigkeiten zugeordnet, teilweise ist sie nur eine Lohngruppe unterhalb der Facharbeitertätigkeiten angesiedelt (Einzelhandel, Druckindustrie). Vor Erteilung des Fahrausweises nach einer theoretischen und praktischen Prüfung (in der Regel am Ende eines kurzen Lehrganges) erfolgt eine eigene Eignungs- und Befähigungsfeststellung gemäß den Voraussetzungen der Berufsgenossenschaft (u.a. z.B. Seh-, Hör-, Reaktionstest).

Auch wenn dem Kläger die für die Tätigkeit eines Gabelstaplerfahrers zwingend erforderliche Fahrerlaubnis erteilt würde, entspricht das Leistungsvermögen - wie bereits ausgeführt - auch mit einem behindertgerechten Fahrzeug nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Instrumentenableser

Instrumentenableser ist eine Tätigkeitsbezeichnung, die weder im ,,Wörterbuch der Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen" noch in der ,,Klassifizierung der Berufe" genannt wird.

Beobachten von Instrumenten, Ablesen und Bewerten von Daten und ggf. steuerndes Eingreifen ist Bestandteil vieler qualifizierter Tätigkeiten, insbesondere der Prozeßleittechnik, z.B. in Kraftwerken, Kläranlagen, der chemischen Industrie usw. Eine für den Kläger geeignete Verweisungstätigkeit ist hier jedoch nicht erkennbar.

Möglicherweise ist jedoch ein Zählerableser gemeint, der in Haushalten und anderen Verbraucherstätten Gas-, Strom- und Wasserzähler abliest. Hauptberuflich tätige Vollzeitkräfte sind in der Regel nur bei Versorgungsunternehmen zu finden. Üblicherweise werden diese Arbeitsplätze innerbetrieblich mit leistungsgeminderten Beschäftigten besetzt und sind Außenstehenden nicht zugänglich. Das reine Ablesen der Zähler ist kurzfristig erlernbar, eine längere Einarbeitungszeit ist erst erforderlich, wenn andere Arbeiten wie z.B. die Aufnahme und Weiterleitung von Umzugsmeldungen und einmaligen und dauerhaften Verbrauchsänderungen usw. mit verrichtet werden müssen oder um die nötigen Ortskenntnisse zu erwerben. Die Arbeit ist überwiegend leicht. Zeitweise ist im Bücken zu arbeiten und gelegentlich auch Anheben eines schweren Deckels und Einsteigen in einen Wasserschacht erforderlich. Aus berufskundlicher Sicht wird in diesem Bereich keine geeignete berufliche Alternative für den Kläger gesehen.

Material- und Werkzeugausgeber

Je nach Betriebsgröße, Sortimentsumfang und Aufgabenstellung ist die Tätigkeit des Material- und Werkzeugausgebers der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe zuzuordnen. Die Arbeiten sind leicht bis mittelschwer, teilweise u.U. sogar schwer, vor allem hinsichtlich der auftretenden Hebe- und Tragebelastungen. Lediglich leichte bis gelegentlich mittelschwere Belastbarkeit ist üblicherweise nicht ausreichend. Außerdem ist die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderlich. Ein Wechsel von Sitzen und Stehen ist möglich, wobei Stehen und Gehen in der Regel meist deutlich überwiegt. Dazu ist Bücken durchaus oft erforderlich und außerdem Recken einschl. Hantieren über Kopfhöhe sowie nicht selten sogar Besteigen von Leitern nicht auszuschließen. Gehört Werkzeugpflege und Instandsetzung mit zu den Aufgaben, können auch zeitweise Zwangshaltungen auftreten.

Anzumerken ist, dass entsprechende Stellen nicht selten innerbetrieblich mit leistungsgeminderten Beschäftigten besetzt werden, da die Belastungen im Vergleich zum Ausgangsberuf doch geringer sind. Es handelt sich jedoch nicht ausschließlich um typische Schonarbeitsplätze. Insgesamt genügt dennoch das Leistungsvermögen des Klägers nicht mehr den üblichen Anforderungen.
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