S 12 RJ 501/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 12 RJ 501/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 46jährige Kläger hat nach eigenen Angaben keinen Beruf erlernt und war seit 1967 als Lagerarbeiter tätig (Bl. 65 Klageakte).

Nach dem Gutachten von Dr. ^Morgenstern^ vom 22.02.2001 stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- leichte körperliche Arbeiten
- in wechselnder Körperhaltung
- ohne Schicht- und Akkordarbeit
- ohne Tätigkeiten mit einseitiger Körperhaltung
- ohne häufigem Bücken und Heben und Tragen von Lasten über 5 kg

Dr. ^Morgenstern^ gibt in seinem Gutachten außerdem an, dass infolge seiner intellektuellen Minderbegabung die psychische Belastbarkeit sicherlich eingeschränkt ist und er auch nur zu einfachen manuellen Tätigkeiten mit wiederkehrenden Bewegungsabläufen fähig ist. Außerdem ist die Einhaltung üblicher Arbeitspausen wichtig, damit er wie einem Diabetes gefordert, auch seine Zwischenmahlzeiten einnehmen kann.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Die Beklagte nennt im Schriftsatz vom 27.09.2001 Pack-, Montier- und Produktionshelferarbeiten als zumutbare Verweisungstätigkeiten. Im Schriftsatz vom 26.02.2002 gibt sie als weitere zumutbare Verweisungstätigkeit den Etikettierer an.

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um die Beantwortung folgender Fragen:

1. Welche gesundheitlichen und fachlichen Anforderungen werden an diese Tätigkeiten gestellt und genügt der Kläger diesen Anforderungen aus berufskundlicher Sicht? Können insbesondere die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer Einarbeitungszeit von höchstens drei Monaten erworben werden?

2. Stehen die genannten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung?

3. Stellen die beim Kläger festgestellten Leiden lediglich eine allgemeine Minderung seiner Leistungsfähigkeit dar oder handelt es sich um eine schwere, die Verwertbarkeit des Restleistungsvermögens spezifische einschränkende Leistungsminderung?

4. Sind die Leistungseinschränkungen des Klägers in ihrer Summierung so ungewöhnlich, dass eine Verweisbarkeit auf eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes unter betriebsüblichen Bedingungen nicht mehr in Frage kommt.

zu Frage 1 und 2:

Verpacker arbeiten im Bereich der Lagerwirtschaft. Ihre Hauptaufgabe - oft im Schicht-Betrieb und am Fließband - ist das fach- und sachgerechte Verpacken von Waren unter Verwendung geeigneter Verpackungsstoffe, -mittel und -behälter. Für ihre Tätigkeit verwenden sie spezielle Verpackungswerkzeuge, -geräte oder -maschinen, für deren Pflege und Wartung sie zum Teil ebenfalls zuständig sind.

Dabei erledigen Verpacker - je nach Arbeitsstätte und Arbeitsauftrag - neben der eigentlichen Verpackung der Waren noch andere Tätigkeiten wie das Bedienen des PC, das Be- und Entladen von Fahrzeugen, das Auspacken ankommender Pakete, das Versandfertigmachen von Waren, das Etikettieren, das Sortieren und Kommissionieren und die Durchführung von Sichtkontrollen. Meist ist dabei Schnelligkeit und oft auch Fingerfertigkeit gefragt. Da die Verwaltung der Warenbestände heute in aller Regel über elektronische Systeme läuft, sind EDV-Kenntnisse vorteilhaft.

In der Großserienfertigung sind die Arbeitsabläufe in der Regel weitgehend automatisiert und sehr arbeitsteilig organisiert. Durch den vermehrten Einsatz von Fertigungsautomaten entfällt das eigentliche Montieren mit der Hand in immer weiteren Fertigungsbereichen.

Aufgaben und Tätigkeiten eines Montierers sind insbesondere:
- Zusammenbau und Montage fertiger (mechanischer) Baugruppen und Bauteile zu Geräten, (Klein-)Maschinen und Anlagen, überwiegend an Fließbändern, Lang- oder Werktischen, meist in der Serienfertigung
- Sichtkontrolle der zu montierenden Teile und Entfernen der fehlerhaften Teile

Verschiedene Fügtechniken, wie Schrauben, Kleben, Löten, (Punkt)Schweißen, Stecken und Klemmen sind anzuwenden. Die Arbeiten sind teilweise unter Verwendung von Lupen und anderen Vergrößerungsgeräten, nach Zeichnung, Montageanleitung, Muster, mündlichen Anweisungen durchzuführen. Die Arbeitsergebnisse sind zu überprüfen und ggf. die montierten Teile zu säubern.

Körperliche Eignungsvoraussetzung für ungelernte bzw. kurzfristig angelernte Arbeiten in der industriellen Fertigung wie Pack-, Montier-, Etikettier- und Produktionshelferarbeiten sind insbesondere gutes Seh- und Farbunterscheidungsvermögen, Handgeschicklichkeit, Funktionsfähigkeit der Wirbelsäule und kein Handschweiß.

Weil Frauen häufig über besseres Feinhandgeschick bei höherer Arbeitsgeschwindigkeit verfügen, werden mit diesen Arbeiten, insbesondere wenn sie körperlich leicht sind, bevorzugt Frauen beschäftigt.

Es gibt jedoch Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl im Bundesgebiet, auf denen bis mittelschwere Arbeiten von Männern verrichtet werden und auch ein gelegentlicher Wechsel zwischen Sitzen und Stehen möglich ist. Heben und Tragen von mehr als 10 kg kann beim An- und Abtransport der z.B. zu sortierenden/sortierten Waren, die in Behältern oder auf Paletten transportiert werden, jedoch dann nicht ausgeschlossen werden. Bücken ergibt sich beim Anheben und auf Arbeitshöhe bringen sowie beim Ablegen. Insgesamt wird bei Pack-, Montier- und Etikettierarbeiten bzw. als Produktionshelfer ein hohes Maß an Arbeitsgeschwindigkeit, Konzentration und Genauigkeit vorausgesetzt.

Das Leistungsvermögen des Klägers, wie im Gutachten von Dr. ^Morgenstern^ vom 22.02.2001 angegeben, entspricht aus berufskundlicher Sicht nicht mehr den üblichen Anforderungen.

In den berufskundlichen Sachverständigengutachten von Herrn ^Schröder^ vom 20.09.1999 (Bl. 85 Gerichtsakte) und Herrn ^Meyer^ ( Bl. 110 ff Gerichtsakte) wird angegeben, dass Pack-, Montier-, Produktions-, Prüf-, Etikettier-, Muster- und Kommissionierungsarbeiten zu den leichten Tätigkeiten gehören, die in überwiegend sitzender Arbeitsposition (mit der Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung nach individuellen Bedarf) ohne besonderen Zeitdruck- und Stressbelastungen (Akkord, Schicht-, Nachtschicht etc.) verrichtet werden können.

In dem Auszug aus meiner Stellungnahme vom 10.07.2000 (Bl 107 Gerichtsakte) wurde ausgeführt, dass die in der industriellen Fertigung vorkommenden Tätigkeiten wie Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten nicht selten Schichtarbeit erfordern und in der Regel im Akkord oder unter akkordähnlichen Bedingungen bzw. am Fließband verrichtet werden.

Erneute und ausführliche Recherchen meiner Aussagen bei verschiedenen Firmen z.B. der Lebensmittelbranche, Verpackungsbranche haben ergeben, dass Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten auf der ungelernten bzw. kurzfristig angelernten Ebene in der Regel einem vorbestimmten Arbeitsrhythmus unterliegen. Wenn diese Arbeiten nicht im Akkord zu erledigen sind, dann bestimmt die Maschine bzw. das Fließband die Geschwindigkeit der zu erledigenden Arbeiten oder es sind Mindeststückzahlen vorgegeben. Zeitdruck kann daher nicht vermieden werden.

zu Frage 3:

Aus berufskundlicher Sicht ist mir keine Aussage dazu möglich, ob die beim Kläger festgestellten Leiden lediglich eine allgemeine Minderungen seiner Leistungsfähigkeit darstellen oder ob es sich um eine schwere, die Verwertbarkeit des Restleistungsvermögens spezifisch einschränkende Leistungsminderung handelt. Dies fällt m.E. in den Bereich eines ärztlichen Sachverständigen.

zu Frage 4:

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei Betrachtung des Arbeitsmarktes des gesamten Bundesgebietes nicht doch eine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen gibt, die grundsätzlich für den Kläger in Betracht kämen. Auf Arbeitgeberseite sind dabei jedoch erfahrungsgemäß besondere Zugeständnisse (z.B. der Restleistungsfähigkeit angepasster Zuschnitt der Aufgaben, Verzicht auf Flexibilität oder Vielseitigkeit, Änderungen am Arbeitsplatz, Herabsetzung des Arbeitstempos bzw. des erwarteten Produktivitätsgrades) erforderlich. Entsprechende Arbeitsplätze sind Außenstehenden daher unter den üblichen Bedingungen des Arbeitslebens in der Regel nicht bzw. nicht direkt zugänglich, vielmehr handelt es sich nicht selten um vergönnungsweise Beschäftigung aufgrund sozialer Verpflichtungen oder die Arbeitsplätze wurden im Einzelfall durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen, z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen erschlossen.

Eine uneingeschränkt zumutbare Verweisungstätigkeit ist für den Kläger aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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Datum