S 1 RJ 567/01

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 1 RJ 567/01
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 24jährige Kläger hat von 1988 -1991 den Beruf des Metzgers erlernt und anschließend bis 1995 ausgeübt. Vom 01.01. - 03.08.1996 bezog er Arbeitslosengeld. Arbeitsunfähigkeit bestand ab 24.06.1996. Vom 27.04.1998 -28.01.2000 hat der Kläger an einer Umschulung zum Steuerfachangestellten teilgenommen, jedoch keinen Abschluss erzielt. Dem Kläger wurde vom 18.05.2000 - 02.02.2001 eine berufliche Wiedereingliederung von Rehabilitanden bei einem kaufmännischen Schulungszentrum bewilligt, die er jedoch mit Ablauf des 30.10.2000 aufgrund der häufigen und langen Krankheitszeiten abgebrochen wurde.

Die Beklagte geht im Widerspruchsbescheid vom 07.08.2001 von folgendem Leistungsvermögen aus:
- vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten
- ohne Einwirkung von Lärm
- ohne besondere Belastungen der Wirbelsäule
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Die Beklagte verweist den Kläger im Widerspruchsbescheid vom 07.08.2001 auf aufsichtführende Tätigkeiten in Großmetzgereien und Zerlegebetrieben, auf die Tätigkeit eines Vertreters für Metzgereiartikel und eines Registrators im Versicherungsgewerbe. Der Klägervertreter gibt im Schriftsatz vom 24.07.2002 an, dass der Kläger sich auch nichts unter einem "Anlagenführer in der Nahrungsmittelindustrie" vorstellen kann und dass Fleischbeschauer und Fleischkontrolleur offensichtlich ausscheiden. Das vom Klägervertreter ebenfalls in diesem Schriftsatz angesprochene Gutachten liegt mir nicht vor.

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Stellungnahme zu der Frage, für welche Tätigkeiten auf Anlernebene der Kläger (Metzgergesellenprüfung) nach bis zu dreimonatiger Einarbeitung noch in Frage kommt.

Anmerken möchte ich, dass ein Leistungsvermögen des Klägers Ihrer Anfrage nicht zu entnehmen ist. Sie geben auch keinen Hinweis auf ärztliche Gutachten in der mir übersandten Beklagtenakte, die in meiner berufskundlichen Stellungnahme zu berücksichtigen sind.

Im Nachgang haben Sie mir den Schriftsatz der Beklagten vom 24.07.2001 zur Kenntnis zugeleitet, in dem der Klägervertreter daraufhin gewiesen hat, dass bei der Frage der Anlerntätigkeiten die gesundheitlichen Einschränkungen auf jeden Fall zu beachten sind.

Eine Wertung der gesundheitlichen Einschränkungen ist mir jedoch aufgrund der fehlenden Hinweise von Ihrer Seite nicht möglich. Ich werde jedoch bei der Beschreibung der Tätigkeiten auf die jeweiligen gesundheitlichen Anforderungen eingehen.

Aufsichtführende Tätigkeiten in Großmetzgereien und Zerlegebetrieben

Die von der Beklagten im Widerspruchsbescheid genannten aufsichtführenden Tätigkeiten sind keinesfalls auf dem Niveau der Anlernberufe, aber auch nicht der Facharbeiterberufe angesiedelt. Üblicherweise wird für diese Tätigkeit mindestens eine Qualifikation als Metzgermeister vorausgesetzt. Auch bei vorhandener Meisterqualifikation wird nach Arbeitgeberauskünften für einen Ansatz in überwachender Funktion in der industriellen Produktion je nach Aufgabenstellung eine Einarbeitung von drei bis 12 Monaten benötigt. Anzumerken ist, dass auch bei aufsichtführenden Tätigkeiten das Einwirken von Lärm durch den Aufenthalt in den Produktionsstätten nicht vermieden werden kann.

In großen Filialen ist Aufsichtführung nicht alleiniger Tätigkeitsinhalt. Sie stellt in der Regel eine der Aufgaben des Metzgermeisters dar, der erfahrungsgemäß als Verkaufsmetzger mitarbeitet.

Vertreter für Metzgereiartikel

Im Widerspruchsbescheid vom 07.08.2001 nennt die Beklagte als weitere zumutbare Verweisungstätigkeit den Vertreter für Metzgereiartikel.

Aufgabe von Außendienstmitarbeiters ist es, den vorhandenen Kundenstamm zu betreuen und neue Kunden zu gewinnen. Dazu gehört neben den damit zusammenhängenden Arbeiten wie Schriftverkehr, Auftragsabwicklung, Terminverfolgung, Erstellung von Verkaufsstatistiken und Berichterstattung u.a. Präsentation und Demonstration der Ware, Vorlegen von Mustern und Katalogen, Information und Beratung über Eigenschaften und Vorteile der Ware bzw. des Angebots, verhandeln über Preise, Zahlungs- und Lieferbedingungen mit dem Ziel, möglichst viele, große und rentable Aufträge zu erhalten. Die Entlohnung ist in der Regel zumindest z.T. vom eingeholten Auftragsvolumen abhängig (Provision). Erforderlich sind fundierte Produktkenntnisse (der eigenen wie der Konkurrenzprodukte), Kenntnisse des Marktes (hinsichtlich Kundenstruktur, Bedürfnissen, Erwartungen, Angebot, Nachfrage, Preis- und Leistungsgefüge) und ein gewisses Maß an kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen sowie an bürotechnischen Fertigkeiten. Vorausgesetzt wird außerdem persönliche Eignung wie Aufgeschlossenheit, Flexibilität, Sprachgewandtheit, Verhandlungsgeschick, Überzeugungsfähigkeit, Höflichkeit und gepflegtes Äußeres.

Eine Außendiensttätigkeit lässt zwar einen recht häufigen Wechsel der Körperhaltung zu, verlangt aber meist erhebliche Fahrleistungen mit dem PKW mit den typischen Belastungen, wozu auch in gewissem Umfang Witterungseinflüsse gehören. Schwereres Heben und Tragen sowie Bücken kann im Rahmen von Präsentationen oder Demonstrationen nicht immer ausgeschlossen werden. Zudem gilt die Tätigkeit üblicherweise als stressreich (z.B. durch unregelmäßige Arbeitszeit, Überstunden, Termindruck, vorgegebene Mindestleistungszahlen). Einem Facharbeiter ist - bei persönlicher Eignung, s.o. - ein Übergang in eine Außendiensttätigkeit durchaus möglich; ein Einarbeitungszeitraum von 3 Monaten genügt jedoch erfahrungsgemäß nicht. Das gilt auch im Fall des Klägers; der ausschließlich als Metzger tätig war.

Registrator im Versicherungsgewerbe

Als weitere Tätigkeit, kommt nach Ansicht der Beklagten der Registrator im Versicherungsgewerbe in Betracht.

Die Belastungen bei Arbeiten in einer Registratur sind üblicherweise zumindest zeitweise bis mittelschwer. Eine wechselnde Körperhaltung ist möglich, jedoch wird Bücken, Hantieren über Kopfhöhe und z.T. Besteigen von kleinen Leitern verlangt.

Tätigkeiten in einer Registratur auf zumutbarer Qualifikationsebene erfordern Verantwortungsbewusstsein, Sorgfalt und Konzentrationsfähigkeit.

Gelegentlicher Zeitdruck kann auch bei Arbeiten in einer Registratur z.B. bei Wiedervorlageterminen nicht ausgeschlossen werden. Registraturen befinden sich häufig im Keller in beengten Räumen mit Hochregalen. Ausgehend vom Beruf des Metzgers (Rentenantragstellung: 14.01.1997) dürfte der Kläger über keinerlei verwertbare Kenntnisse für Arbeiten in einer Registratur auf zumutbarer Qualifikationsebene verfügen.

Anzumerken ist, dass davon auszugehen ist, dass der Kläger sich unter Berücksichtigung der zwar nicht abgeschlossenen, aber dennoch vom 27.04.1998 - 28.01.2000 besuchten Umschulung zum Steuerfachangestellten, in der u.a. bürotechnische Kenntnisse vermittelt wurden, auf die Ebene der Anlernberufe in maximal drei Monaten einarbeiten dürfte.

Anlagenführer in der Nahrungsmittelindustrie

Der Klagevertreter gibt im Schriftsatz vom 24.07.2002 an, dass der Kläger sich auch unter einem "Anlagenführer in der Nahrungsmittelindustrie" nichts vorstellen kann.

Es existiert der dreijährige Ausbildungsberuf einer Fachkraft für Lebensmitteltechnik. Diese Fachkräfte sind für die industrielle Produktion von Lebensmittelerzeugnissen aus Rohstoffen, Halbfertig- und Fertigprodukten nach festgelegten Rezepturen und Produktionsabläufen zuständig.

Anlagenführer in der Nahrungsmittelindustrie ist eine andere Berufsbezeichnung für die Kerntätigkeit einer Fachkraft für Lebensmitteltechnik. Anlagenführer bedienen und überwachen (einrichten, steuern, überwachen, Fehler erkennen und beheben, reinigen, warten, ggf. kleine Reparaturen ausführen) halb- und vollautomatische Maschinen, Geräte und Anlagen, die in Linie hintereinander geschaltet sind. Die Arbeiten werden überwiegend im Stehen und Gehen in zumeist warmen Hallen im Schichtbetrieb verrichtet und setzen in der Regel leichte bis mittelschwere Belastbarkeit voraus. Das Einwirken von Lärm kann üblicherweise nicht vermieden werden. Um sich die nötigen Maschinenkenntnisse anzueignen, genügen dem Kläger, der ausschließlich als Metzger beruflich tätig war, drei Monate Einarbeitungszeit nicht.

Fleischbeschauer und Fleischkontrolleur

Um die Tätigkeit eines Fleischkontrolleurs (ehemals Fleischbeschauer) ausüben zu dürfen, ist der erfolgreiche Abschluss eines viermonatigen Lehrganges (siehe Fleischkontrolleur-Verordnung - Bundesgesetzblatt I 1992, Seite 1227) erforderlich. Eine Einarbeitung von maximal drei Monaten reicht nicht aus. Daher scheidet die Tätigkeit eines Fleischkontrolleurs als Verweisungsmöglichkeit für den Kläger aus.

Verkäufer für Fleisch und Wurstwaren

Die Tätigkeit eines Verkäufers für Fleisch und Wurstwaren ist körperlich leicht und mittelschwer (u.U. auch schwer) und wird überwiegend in geschlossenen, temperierten, z.T. klimatisierten Räumen, aber auch kühlen Räumen, oft mit künstlicher Dauerbeleuchtung verrichtet.

Ganztägiges Stehen und Gehen, teilweise Zwangshaltungen wie Bücken, Hocken, Überkopfarbeit; z.T. Transportieren schwerer Waren, z.T. Geruchsbelästigung, z.T. Verletzungsgefahr, Arbeit unter Zeitdruck (Stoßzeiten) und Publikumsverkehr kennzeichnen eine Verkäufertätigkeit für Fleisch und Wurstwaren.

Der Arbeitsbeginn ist z.T. vor den üblichen Ladenöffnungszeiten, Samstagsarbeit kann nicht ausgeschlossen werden.

Vorausgesetzt wird weitgehende Funktionstüchtigkeit der Wirbelsäule, Arme und Beine, psychische Belastbarkeit, auch in Stresssituationen, gutes Zahlen- und Personengedächtnis, Einfühlungsvermögen und Flexibilität im Umgang mit Kunden, Konzentrationsfähigkeit, sprachliches Ausdrucksvermögen, Kontaktfähigkeit und Sorgfalt bei der Hygiene.

Der Beruf des Metzgers wird in drei Fachrichtungen (Schlachten, Herstellen von Feinkost und Konserven, Verkauf) ausgebildet. Sollte der Kläger die Fachrichtung Verkauf absolviert haben, bzw. bei seinem letzten Arbeitgeber auch Tätigkeiten im Verkauf verrichtet haben, dürfte ein maximal dreimonatiger Einarbeitungszeitraum ausreichen. Anzumerken ist, dass der Klägervertreter im Schriftsatz vom 24.07.2002 angeben hat, dass der Kläger niemals eine Ausbildung im Verkauf erhalten hat.

Telefonist

Aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen ist die Tätigkeit eines Telefonisten mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen, obwohl sie von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist. Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, daß die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Ebenso ist ein gutes Hörvermögen, zumindest auf einem Ohr erforderlich. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet.

Ob der Kläger diese persönlichen Mindestvoraussetzungen mitbringt, kann nicht beurteilt werden.

Andere Verweisungstätigkeiten auf der Anlernebene, die für den Kläger (Metzgergesellenprüfung) nach bis zu dreimonatiger Einarbeitung noch in Frage kommen, können aus berufskundlicher Sicht nicht benannt werden.
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Datum