S 6 RJ 201/98

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 6 RJ 201/98
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Die bei der erneuten Rentenantragstellung 47jährige Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war ab 1964 als Näherin tätig. Die Beklagte gewährte ihr vom 01.05.94 - 31.12.97 Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit.

Im Bescheid vom 01.12.97 und im Widerspruchsbescheid vom 27.02.98 geht die Beklagte von folgendem Leistungsvermögen aus:
- vollschichtig leichte Arbeiten
- in temperierten Räumen
- ohne Einwirkung reizender Gase, Dämpfe und Stäube

Nach dem Gutachten von Dr. ^Weig^ vom 12.07.99, von dem Ihrer Anfrage zufolge insbesondere auszugehen ist, stellt sich die Leistungsfähigkeit wie folgt dar:
- vollschichtig körperlich wenig belastende Arbeiten
- in wohltemperierten Räumen
- im Wechselrhythmus
- ohne Zwangshaltungen
- ohne häufiges Bücken
- ohne schweres Heben und Tragen
- ohne ungünstige Witterungseinflüsse
- ohne Exposition mit Lungenreizstoffen
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Die Beklagte erachtet die Klägerin in ihrem Bescheid vom 01.12.94 ihren ausgeübten Beruf als Näherin wieder aufzunehmen. Im Widerspruchsbescheid vom 27.02.98 verweist die Beklagte die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dr. ^Weig^ gibt in seinem Gutachten vom 12.07.99 an, dass Arbeitsleistungen als Näherin der Klägerin nicht mehr zumutbar sind, da hier mit erhöhten Staubbelastungen zu rechnen ist (textiler Staub)

Näherin

Näherinnen nähen mit schnellaufenden Industrienähmaschinen bis hin zu automatisierten Maschinen Stoffteile und vorgefertigte Teile zusammen und bringen Knöpfe und Knopflöcher, Abnäher, Besätze, Verzierungen usw. an. In der Regel erfolgt eine Spezialisierung auf bestimmte Maschinen, bestimmte Artikel oder bestimmte Teile.

Es handelt sich um körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen, die nahezu ausschließlich im Sitzen, großenteils in Zwangshaltung und üblicherweise im Akkord verrichtet werden. Außerdem treten Beeinträchtigungen durch Textilstäube, z.T. Dämpfe und durch Lärm auf. Aufgrund der weitaus überwiegend einseitigen Körperhaltung mit besonderer Belastung der Wirbelsäule und der Rücken- und Nackenmuskulatur sowie Beeinträchtigungen durch Textilstäube und z.T. Dämpfe erscheint der Klägerin die ausschließlich ausgeübte Tätigkeit einer Näherin aus berufskundlicher Sicht nicht mehr zumutbar.

In der industriellen Fertigung vorkommende Tätigkeiten wie Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten können körperlich leicht sein, in der Regel dann, wenn mit kleinen Teilen umzugehen ist. Die Arbeiten sind aber weitgehend in einseitiger Körperhaltung (entweder im Sitzen oder Stehen) zu verrichten. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist möglich, wenn die zu bearbeitenden Teile selbst an- und abtransportiert werden müssen, jedoch fällt u.U. auch schwerere Hebe- und Tragebelastung an. Die Tätigkeiten in diesem Bereich erfordern nicht selten Schichtarbeit und werden in der Regel im Akkord oder unter akkordähnlichen Bedingungen bzw. am Fließband verrichtet. Eine dem Leistungsvermögen der Klägerin entsprechende berufliche Alternative ist in diesem Bereich nicht erkennbar.

Auch einfache Reinigungsarbeiten stellen für die Klägerin keine ihrem Leistungsvermögen entsprechende Alternative dar. Diese Arbeiten beinhalten zumindest gelegentlich auch schwerere als nur leichte Belastungen. Die Arbeiten werden im Gehen und Stehen verrichtet. Wechselrhythmus ist nicht üblich. Häufiges Bücken, Recken, vorgebeugte und z.T. gedrehte Haltung o.ä. oder auch Arbeit im Freien werden verlangt. In der Regel wird außerdem unter Zeitdruck gearbeitet.

Spülerinnen im Hotel- und Gaststättengewerbe müssen ebenfalls teilweise schwerere als nur leichte Lasten heben. Es handelt sich dabei ebenfalls nicht um körperlich wenig belastende Arbeiten. Das Leistungsvermögen der Klägerin entspricht für Tätigkeiten in diesem Bereich nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Auch im Verkauf, z.B. als Auszeichnerin, Auffüllerin oder evtl. als Kassiererin ist keine zumutbare Alternative zu erkennen. Mit Belastung durch schwerere als nur leichte Arbeiten, häufiges Bücken, überwiegend einseitige Körperhaltung und zeitweisem Zeitdruck ist zu rechnen.

Botinnen, Mitarbeiterinnen in einer Registratur oder Poststelle müssen erfahrungsgemäß zumindest zeitweise bis mittelschwer belastbar sein. Häufiges Bücken, Recken, Heben und Tragen von schwereren Lasten ist trotz des Einsatz von z.B. Aktenrollwagen nicht unüblich. Die Tätigkeit einer Botin scheidet insbesondere daher aus, da sie überwiegend im Gehen verrichtet wird. Insgesamt handelt es sich ebenfalls nicht um ausschließlich körperlich wenig belastende Arbeiten. Die Leistungseinschränkungen der Klägerin können daher bei diesen Tätigkeiten nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Einfache Bürohilfstätigkeiten wie z.B. Karteiarbeiten, Listenführung, Schreibarbeiten sind zwar körperlich leicht, werden jedoch in der Regel überwiegend im Sitzen verrichtet. Außerdem sind sie durch den zunehmenden Einsatz von EDV und moderner Bürokommunikation rückläufig. Auch verlangt der Wechsel von bisher ausschließlich gewerblicher Arbeit auf Bürotätigkeiten erfahrungsgemäß ein erhöhtes Maß an Umstellungsfähigkeit, wobei auf Arbeitgeberseite üblicherweise keine Bereitschaft besteht, minderbelastbare, gewerbliche Arbeitnehmerinnen für solche Arbeiten neu einzustellen.

Telefonistin

In die Überlegungen mit einbezogen wurde noch die Telefonistinnentätigkeit. Sie ist - wenn nicht andere Arbeiten mit verrichtet werden müssen oder zur Auskunfterteilung umfangreiches oder vertieftes Wissen erforderlich ist - erfahrungsgemäß in maximal drei Monaten erlernbar. Die Tätigkeit eine Telefonistin ist körperlich leicht, wird jedoch ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Ob die Klägerin die persönlichen Voraussetzungen mitbringt, kann nicht beurteilt werden. Unabhängig davon, ist die Telefonistinnentätigkeit der Klägerin aufgrund ihrer Leistungseinschränkungen nicht uneingeschränkt zumutbar.

Museumswärterin

Die Tätigkeit einer Museumswärterin wurde in ähnlich gelagerten Fällen als zumutbare Verweisungsmöglichkeit benannt.

Die Körperhaltung der Museumsaufsicht ist in den meisten Museen annähernd ausschließlich Stehen und Gehen. Sitzen ist die Ausnahme, allein schon, weil in der Regel mehrere Räume überwacht (z.T. auch über zwei Etagen) und regelmäßig und auch unregelmäßig begangen werden müssen. Sitzen ist gestattet, wenn kein Besucher da ist. Nach Auskunft von Museumsleitern ist die Mitarbeit beim Ab- und Aufbau von Ausstellungen, beim Transport und bei der Verwahrung von Objekten erforderlich. Gefordert werden gutes Hörvermögen, ausreichendes Sehvermögen, die Fähigkeit, Leitern besteigen und kurzfristig auf Leitern arbeiten zu können. Sonn- und Feiertagsdienst ist erforderlich.

Heben und Tragen kann beim Bewegen der Exponate das leichte Maß übersteigen. Anzumerken ist, dass diese Anforderungen in der Regel nur bei Ausstellungswechseln, d.h. in größeren zeitlichen Abständen vorkommen. Da die Tätigkeit einer Museumswärterin nahezu ausschließlich im Stehen und Gehen verrichtet wird, können die Leistungseinschränkungen der Klägerin auch bei dieser Tätigkeit nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Spielhallenaufsicht

Die Tätigkeit einer Spielhallenaufsicht wurde ebenfalls in ähnlich gelagerten Fällen als zumutbare Verweisungsmöglichkeit benannt.

Eine Spielhallenaufsicht ist für die Aufrechterhaltung des Spielbetriebes in Spielcentern, Spielotheken und Betrieben mit Unterhaltungs- und Glückspielgeräten zuständig. Zu ihren weiteren Aufgaben gehören das Betreuen und Pflegen der Spielautomaten, das Beseitigen von technischen Störungen bzw. Veranlassen von Reparaturarbeiten, das Gewährleisten der Sauberkeit und attraktiven Gestaltung des Spielcenters, das Organisieren und Betreuen von Veranstaltungen /Turnieren, das Betreuen der Gäste/ Kunde(en/innen), ggf. Schlichten von Unstimmigkeiten unter den Kunden/innen), Kassieren, Erstellen von Verkaufsabrechnungen und Aufstellen von Dienstplänen, ggf. Mithilfe beim Gastronomie-Service.

Die Tätigkeit einer Spielhallenaufsicht ist in der Regel körperlich leicht und wird im Stehen, Gehen und kurzfristig im Sitzen verrichtet werden. Wechselschicht ist üblich.

Unabhängig davon werden von Arbeitgeberseite bestimmte Mindestanforderungen an die Person wie z.B. Durchsetzungsvermögen und Zuverlässigkeit gestellt. Außerdem muss häufig ein polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt werden. Ob die Klägerin diese Voraussetzungen mitbringt, kann nicht beurteilt werden. Da die Klägerin nur noch Arbeiten ohne Exposition mit Lungenreizstoffen verrichten kann, ist in der Tätigkeit einer Spielhallenaufsicht keine geeignete berufliche Alternative erkennbar, da in einer Spielhalle Rauchen nicht verboten ist.

Gedacht werden könnte noch an eine Tätigkeit als Pförtnerin.

Eine Pförtnertätigkeit kann Aufgaben aus den Bereichen Personalkontrolle und Ausweiswesen, Besucherempfang, Schlüsselverwahrung bzw. Verwaltung von Schließanlagen und Überwachung des Kfz.- und Warenverkehrs sowie sonstige Aufgaben in verschiedenen Kombinationen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten beinhalten. Nicht selten handelt es sich um Arbeitsplätze, die die Rücksichtnahme auf diverse Leistungseinschränkungen gestatten, so dass sie auch für leistungsgeminderte Arbeitskräfte in Frage kommen. Sie sind zwar häufig der innerbetrieblichen Besetzung durch langjährige, leistungsgewandelte Beschäftigte vorbehalten, in nennenswertem Umfang aber auch Außenstehenden zugänglich. Meist genügt Belastbarkeit für leichte Arbeiten. Auch ein Wechsel der Körperhaltung ist erfahrungsgemäß in gewissem Umfang möglich, wobei Sitzen dennoch den größten Anteil ausmachen kann. Belastungen durch Zwangshaltungen, Bücken o.ä. sind nicht üblich. Nicht ganz ausgeschlossen werden kann allerdings sehr oft die Einwirkung von Zugluft, Temperaturschwankungen oder Witterungseinflüssen (z.B. Arbeitsplatz im Eingangsbereich; Notwendigkeit, Pförtnerloge oder -häuschen zu verlassen, z.B. zur Zufahrtsregelung). Weitaus überwiegend ist außerdem Schichtarbeit (zumindest Früh- und Nachmittagsschicht, zum Teil rund um die Uhr, auch am Wochenende, u.U. mit auf 12 Stunden verlängerter Arbeitszeit) anzutreffen. Sogar Zeitdruck ist - im Wechsel mit Zeiten relativ monotoner Tätigkeit - möglich (z.B. hoher Besucherandrang; Arbeitsbeginn, - ende, Schichtwechsel); auch andere Stressbelastungen (z.B. Gefahrensituationen, ggf. Auseinandersetzungen mit Besuchern oder Mitarbeitern o.ä.) sind nicht völlig zu vermeiden. Vorausgesetzt wird üblicherweise Kontaktfähigkeit, Höflichkeit, Merkfähigkeit, Flexibilität, sicheres Auftreten oder sogar Durchsetzungskraft und die Fähigkeit zu situationsgerechtem und schnellem Handeln bei außergewöhnlichen Vorfällen, wozu auch ein gewisses Maß an neurovegetativer und psychischer Belastbarkeit erforderlich ist. Überwiegend handelt es sich um Alleinarbeit, so dass auf die ständige Anwesenheit und Aufmerksamkeit nicht verzichtet werden kann.

Frauen üben eine derartige Tätigkeit jedoch erfahrungsgemäß meist in der Funktion einer Empfangsdame aus. Kunden- oder Besucherempfang und Weiterleitung sowie Auskunft- erteilung sind jedoch auch hier oft nicht die einzigen Tätigkeitsinhalte, sondern es sind vielfach auch andere Arbeiten wie Telefonvermittlung, Ablage, Kartei-, Schreib- oder sonstige einfache Büroarbeiten mit zu verrichten, die zusätzlich zum Teil einschlägige Kenntnisse und Fertigkeiten (z.B. kaufmännische, Schreibmaschinen-, Textverarbeitungs-, EDV- oder aber auch Fremdsprachenkenntnisse) erfordern. Besonderes Augenmerk wird in der Regel außerdem auch auf das äußere Erscheinungsbild gerichtet. Ob die Klägerin alle persönlichen Voraussetzungen erfüllt, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Ein Einarbeitungszeitraum von maximal drei Monaten dürfte aufgrund des beruflichen Werdeganges der Klägerin für diese Tätigkeit nicht genügen.

Hinsichtlich der physischen und psychischen Belastungen sind erfahrungsgemäß nicht selten gewisse Unterschiede im Vergleich zur Pförtnertätigkeit festzustellen. Sitzen überwiegt meist deutlicher, auch Zwangshaltungen sind möglich, wenn z.B. häufiger oder länger Schreibmaschinenschreiben oder Arbeit am Computer verlangt wird. Dafür ist üblicherweise nicht oder in sehr viel geringerem Umfang mit Schichtarbeit, ungünstigen Umgebungseinflüssen, Gefahrensituationen u.ä. zu rechnen.

Anzumerken ist, dass nach vermittlerischer Erfahrung Bewerberinnen mit dem beruflichen Werdegang und dem Alter der Klägerin keine Chance haben, einen Arbeitsplatz als Empfangsdame zu erhalten. Auch können die Leistungseinschränkungen der Klägerin bei einer Tätigkeit als Empfangsdame, die zusätzlich andere Arbeiten mit verrichtet, nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei Pförtnerarbeitsplätzen häufig um sogenannte Schonarbeitsplätze für leistungsgeminderte Mitarbeiter.

Wenn die Klägerin die persönlichen Mindestanforderungen mitbringt, die an eine Pförtnerin gestellt werden, Schichtarbeit und das nicht auszuschließende Einwirken von Zugluft, Temperaturschwankungen oder Witterungseinflüssen die Restgesundheit nicht gefährdet oder auf Dauer schädigt, kann dennoch insgesamt davon ausgegangen werden, dass eine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen für Pförtnerinnen im Bundesgebiet existiert, auf denen die Leistungseinschränkungen der Klägerin weitgehend berücksichtigt werden können, in deren Aufgaben sie sich innerhalb von maximal drei Monaten einarbeiten kann und die auch Außenstehenden zugänglich ist.

Andere Verweisungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, die der Klägerin gesundheitlich uneingeschränkt zumutbar sind und von ihr nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten ausgeübt werden können, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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